Oberkörper in pinkem Pullover mit goldenem Tuch
25. Juni 2021 Lesezeit: ~13 Minuten

Das goldene Vlies

Mit meinen Bildern bin ich den Banalitäten des Alltags auf der Spur. Ständig sind wir einem medialen Dauerfeuer ausgesetzt, das uns vorgeben möchte, was notwendig, wichtig und bedeutend ist. So kann das Banale vielleicht wieder zu etwas Geheimnisvollen werden, weil es zwar immer präsent ist, aber genau nicht darstellt, womit wir uns ständig beschäftigen. Und damit kann das als banal Wahrgenommene durchaus fotografisch relevant und anspruchsvoll werden.

Fotografiert habe ich irgendwie schon immer und bereits in den frühen 1970er Jahren portraitierte ich mit meiner ersten eigenen Kamera, einer „Ritsch-Ratsch-Klick“ Agfamatic Pocketkamera, meine Spielfreunde beim Zelten. Später dann, zu Zeiten meines Studiums, habe ich meine Reisen dokumentiert und mit zugegeben eher einfachen technischen Mitteln öffentliche Diavorträge gehalten.

Zu damals noch 100 Prozent analogen Zeiten hatte ich schon einmal einen deutlichen Drang, mehr aus meiner Fotografie zu machen und mich vielleicht auch beruflich damit zu beschäftigen. Am Ende ist das Fotografiestudium ein Maschinenbaustudium geworden und ich habe dann doch einen weltlichen Beruf ergriffen.

Person läuft über lichtbeschienenen Boden

Der Sprung ins Digitalzeitalter verlief dann zunächst etwas unrund. Als der Digitalboom so richtig loslegte, hatte ich das Gefühl, meine analoge Ausrüstung verkaufen zu müssen. Ich befürchtete damals, dass es bald keine Filme mehr geben würde. Die damals verfügbaren und für mich einigermaßen erschwinglichen Digitalkameras haben mich dann nicht so sehr begeistert und mir zunächst auch die Freude am Fotografieren genommen.

Nach einer längeren Pause bin ich vor ein paar Jahren mit viel Begeisterung und sehr intensiv wieder eingestiegen. Ich habe mir eine Systemkamera mit mehreren Objektiven und im Laufe der Zeit auch wieder die Analogausrüstung zugelegt, die ich einige Jahre vorher verkauft hatte.

Schnell habe ich meine Bilder in sozialen Medien gezeigt. Es fing an mit Flickr, später kam Instagram. Gerade mit Instagram konnte ich mich zunächst nur schwer anzufreunden. Die Bilder werden nur sehr klein dargestellt und schwer durchschaubare Algorithmen haben einen wesentlichen Anteil am Erfolg in Form von Followern und Likes.

ZopfFeuer

Aber trotzdem ist Instagram für mich im Laufe der Zeit die wesentliche Plattform geworden, um vor allem neue Bilder einem breiten Publikum zu zeigen. Auch habe ich über Instagram einige interessante Fotograf*innen gefunden und hier und da spannende Kontakte knüpfen können. Vor ein paar Monaten hat ein französisches Fotokunstmagazin via Instagram die Veröffentlichung eines meiner Bilder angefragt und das Foto in seiner kürzlich erschienenen Ausgabe veröffentlicht.

Nach meinem Neuanfang habe ich mich zunächst in verschiedenen fotografischen Genres ausprobiert. Von Beginn an besonders angesprochen haben mich dabei die Straßen- und Dokumentarfotografie, aber ich habe mich auch immer wieder mit anderen Themen wie Portrait-, Architektur- oder Stilllebenfotografie beschäftigt.

Irgendwie konnte oder wollte ich mich nicht so recht festlegen. Auch bin ich immer wieder Gefahr gelaufen, mich sehr stark an mehr oder weniger erfolgreichen Vorbildern zu orientieren. Und dabei habe ich wohl hier und da meinen eigenen Weg und meine eigenen Bilder ein wenig aus den Augen verloren.

ÜberwachungskameraGartenstuhl auf einer Wiese

Zunehmend hatte mich das Gefühl umgetrieben, dass ich mich irgendwie entscheiden muss oder zumindest sollte, womit ich mich dauerhaft beschäftigen werde. Was könnten fotografische Projekte sein, auf die ich mich konzentriere und an denen ich arbeite? Und fotografiere ich die dann „easy“ digital oder lieber doch lieber „ernsthaft“ analog, schwarzweiß oder in Farbe? Und vor allem, was sind denn nun „meine Bilder“?

Auf der Suche nach Inspiration und Unterstützung von außen bin ich auf die Lichtblick School in Köln aufmerksam geworden. Wolfgang Zurborn bietet dort ein mehrmonatiges Seminar „Theatre of Real Life“ an: Ein Fotoseminar, in dem – zumindest während der Seminarzeit – nicht fotografiert wird. Vielmehr geht es darum, vorhandenes Bildmaterial zu sichten und zu schauen, was denn die Qualität der eigenen Bilder ausmacht. Wie findet man daraus so etwas wie einen roten Faden und wie kann aus diesem Bildmaterial eine Serie entstehen?

Ergebnis des Workshops waren die ersten Bilder meiner Serie „Widescreen“. Nach weiteren Seminareinheiten war die bis dahin ausschließlich im Querformat aufgenommene Serie auf gut 60 Bildern gewachsen und lag Ende 2019 – zunächst für mich – erstmals in gedruckter Form vor mir. Während dieser Zeit habe ich einige für mich wichtige Erkenntnisse gewonnen.

Fahrerhaus voller Brot

So lege ich mich (thematisch) ungern dauerhaft fest, bin kein Planer und liebe die Freiheit. Die Erkenntnis war mir aus persönlicher Sicht nicht wirklich neu. Neu war aber der Gedanke, dem bei meiner Fotografie freien Lauf zu lassen und mir nicht ständig Gedanken zu machen, wie ich denn jetzt etwas angehe. Eher möchte ich einfach fotografieren und dann schauen, was sich daraus machen lässt.

Kurzum, ich mag es leicht und einfach. Und die besseren und vor allem authentischeren Bilder entstehen in der Regel spontan, unterwegs, ohne Planung und ohne große Vorbereitung. Egal wo, vor der Haustür, im Urlaub, beim Einkaufen, beim Hundespaziergang und zunehmend auch in den eigenen vier Wänden.

Heute denke ich, dass ich mich nicht auf ein klassisches fotografisches Genre festlegen muss. Straßenfotos, Stillleben, Landschaftsbilder oder Portraits können durchaus nebeneinander stehen und können sich gegenseitig unterstützen.

Vase und Gläser vor Globusblühende Pflanze hinter Milchglas

Mit meinen Bildern bin ich den Banalitäten des Alltags auf der Spur. Umgangssprachlich ist die Banalität eher negativ belegt. Schlägt man den Begriff im Internet nach, gilt das Banale als bestenfalls durchschnittlich und unbedeutend. Banalitäten weisen nichts Auffälliges auf, sind gewöhnlich und alltäglich.

Ich denke, Letzteres kommt meinem fotografischen Ansatz am nächsten: Ich halte Dinge fest, die man eigentlich ständig und überall sieht und an denen man in der Regel ohne Beachtung oder ohne sie überhaupt wahrzunehmen, vorübergeht. Aber wenn man sich darauf einlässt, bieten sie ein schier endloses fotografisches Potenzial. Dazu soll schon der amerikanische Fotograf William Eggleston gesagt haben:

You can take a good picture of anything. A bad one, too.

Zimmerpflanze am FensterFrau mit Lockenwicklern

Ständig sind wir einem medialen Dauerfeuer ausgesetzt, das uns vorgeben möchte, was notwendig, wichtig und bedeutend ist. So kann das Banale vielleicht wieder zu etwas Geheimnisvollen werden, weil es zwar immer präsent ist, aber genau nicht darstellt, womit wir uns ständig beschäftigen. Und damit kann das als banal Wahrgenommene durchaus fotografisch relevant und anspruchsvoll werden.

Momentan zeige ich meine Banalitäten fast ausschließlich in Farbe und viele meiner Aufnahmen sind geblitzt. Meine Liebe zum Blitzen ist entstanden, als ich mir vor einiger Zeit eine analoge Olympus mju II zugelegt hatte. Die vollautomatische Kompaktkamera macht für ihre kleine Größe technisch gute Bilder, aber sie blitzt eher unkontrolliert, manchmal auch bei gutem Licht.

Anfangs hat es mich geärgert, wenn ich vergessen habe, den Blitz manuell auszuschalten. Dann habe ich festgestellt, dass häufig Bilder mit einem spannenden Licht und mit etwas Geheimnisvollen entstanden sind. Mittlerweile versuche ich, das auch digital für „gute Bilder“ zu nutzen.

Deckenlampe

Ich gehe selten gezielt fotografieren, habe aber fast immer eine Kamera dabei. Somit ist vor allem eine einfache und möglichst kleinere Kamera für mich meistens die beste Wahl. Aktuell fotografiere ich überwiegend digital mit „guten“ Kompaktkameras. Das ist zum einen eine Kamera mit 35 mm Festbrennweite und Hybridsucher. Die ist leider nicht so klein, wie ich es mir wünschen würde, aber die optische Sucherfunktion ist perfekt zum Blitzen. Auch bei wenig Licht habe ich noch ein brauchbar helles Sucherbild.

Mein augenblickliches Lieblingsstück ist eine wirklich kleine Kompakte mit 1″-Sensor, 3-fach-Zoom und eingebautem kleinen Blitzgerät. Das Handling ist aufgrund der geringen Größe eher mäßig, aber die Kamera passt zur Not in die Hosentasche. Und die Bildqualität ist allemal besser als beim Handy und selbst Handybilder schaffen es ja mittlerweile durchaus berechtigt in große Ausstellungen.

FigurenBalkon mit Satellitenschüsseln

Eine befreundete Künstlerin und Galeristin hat mich in den letzten Jahren immer wieder herausgefordert, mehr aus meiner Fotografie zu machen. In Ihrer „Galerie im Hof“ in Altrip bei Ludwigshafen habe ich dann auch erste Bilder meine Serie „Widescreen“ ausgestellt. Und es war spannend zu beobachten, wie die Besucher bei der Vernissage anfingen, über Fotos mit doch eher banalen Motiven zu diskutieren und aus der Anordnung der Bilder in angeregten Gesprächen ihre eigenen kleinen Geschichten assoziierten.

Mit meinem mittlerweile gedruckten Katalog von „Widescreen“ wollte ich mir dann im Rahmen eines Kulturwochenendes einen Ausstellungsort in meiner Heimatstadt Wuppertal suchen. Mein erster Anlaufort war die gerade neu gegründete Galerie & Studio Ludwig XIV. Der Galerist hat mir beim Durchblättern meines Katalogs zu „Widescreen“ gleich eine Ausstellung in seiner Galerie zugesagt.

Bei der Ausstellungseröffnung Ende Januar vergangenen Jahres war die Galerie eine halbe Stunde nach Einlass voll. Erst hatte ich die Befürchtung, dass nur wenige Gäste kommen, dann war ich bei meiner kleinen Ansprache doch ein wenig aufgeregt, dass so viele Gäste gekommen waren. Dieser Erfolg hatte mein fotografisches Selbstbewusstsein schon sehr beflügelt.

rote Blüten im SchneefallPflanzen an weißer Fassade

Wenn man sich um eine Ausstellung bemüht, ist es sicher eine gute Idee, eine Serie oder sein Portfolio in einer gut editierten und gedruckten Form zeigen zu können. Und wenn man seine Bilder ausstellen möchte, kann ich nur empfehlen, einfach mal mutig zu fragen. Mehr als eine mehr oder weniger freundliche Absage kann man nicht bekommen. Gibt es eine Absage, bekommt man im Idealfall vielleicht noch eine konstruktive Kritik. Überhaupt: Nicht gefragt ist immer ein klares Nein.

Nach diesem kleinen Höhenflug hat die Corona-Pandemie weitere Ausstellungspläne erst einmal gehörig ausgebremst. Auch mein Antrieb zur Realisierung eines mittlerweile geplanten Buchprojektes hatte in dieser Zeit ein wenig gelitten. Im letzten Herbst habe ich dann die verbliebenen Energien gebündelt.

Auto- und Fußspuren im Schnee

Gemeinsam mit Wolfgang Zurborn habe ich in den letzten Monaten intensiv an meinem Buch „Das goldene Vlies“ gearbeitet. In das Buch sind einige meiner Bilder aus der Serie „Widescreen“, aber auch viele neue Fotos, mittlerweile auch Hochformate, eingeflossen.

Im Zuge der Arbeit an meinem Buch ist mir noch einmal in besonderem Maße bewusst geworden, dass Auswahl und Reihenfolge der Bilder für die „Lesbarkeit“ eines Fotobuchs eine fundamentale Bedeutung haben. Eine starke fotografische Arbeit oder Serie ist nicht eine Sammlung der besten Einzelaufnahmen.

Autodetail Heckscheibekaputter Basketballkorb mit Rauch

Bilder können sich gemeinsam unterstützen, in manchen Fällen können sogar zwei weniger starke Einzelbilder eine besonders starke Kombination bilden. Bilder, die auf den ersten Blick gar nichts gemeinsam haben, an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden, können plötzlich ganz neue Assoziationen bewirken. Für die Betrachter*innen entstehen aus dem Zusammenspiel der Bilder ganz neue kleine, manchmal sehr individuelle, Geschichten.

Das gilt noch einmal besonders, wenn die Bilder keinem scharf umrissenen zum Beispiel dokumentarischen Thema folgen. Bilderauswahl und -reihenfolge werden damit losgelöst von chronologischen und thematischen Zwängen zu einer weiteren, neuen künstlerischen Ebene. Wolfgang Zurborn schreibt im Textteil zu meinem Buch:

Es geht darum, auf die Bilder zu hören, ihren eigenen Rhythmus zu spüren, um letztendliche einen Wahrnehmungsraum zu kreieren, dem die Betrachter*innen vertrauen, ohne das Bedürfnis einer Erklärung zu haben.

Vorgarten

Die Titelsuche für mein Buch hat mir kurz vor Fertigstellung noch einiges Kopfzerbrechen bereitet. Das goldene Vlies ist nach der griechischen Mythologie das Fell des Chrysomeles, eines goldenen Widders, der fliegen und sprechen konnte. Franz Grillparzer diente das vor rund 200 Jahren als Vorlage für sein gleichnamiges Drama. Klingt nach schwerem Stoff.

Das Titelbild meines Fotobuches zeigt eine Frau mit pinkfarbenem Rollkragenpullover, die unsere goldfarbene Wolldecke über ihre Schulter gelegt hat. Wenn diese Wolldecke bei uns zu Hause mal unbeaufsichtigt herumliegt, nutzt unser Hund jede Gelegenheit, sich auf diese schöne weiche Decke zu legen. Und dann heißt es: „Der Hund liegt wieder auf dem goldenen Vlies.“ So hat dieser etwas schwer und anspruchsvoll anmutende Titel eine ganz banale Ursache.

Am Ende habe ich mich dazu entschlossen, mein Buch in einer limitierten Auflage von 100 Stück selbst herauszubringen. Gedruckt werden die rund 100 Seiten auf einem hochwertigem Papier mit einem Gewicht von 170 g/m². Für die manchmal etwas rauere Art meiner Bilder erschien mir ein kräftiges Softcover geeignet. Da einige Querformatbilder über den Buchfalz laufen, hat das Buch eine offene Bindung. Damit kann man die Doppelseiten annähernd flach aufklappen, ohne dass Details im Falz verschwinden.

„Das goldene Vlies“ werde ich im Rahmen einer Ausstellung am 27. August bei Enfants Artspace in Hamburg vorstellen. Das Buch kann zum Preis von 29 € zzgl. Versand über das Kontaktformular auf meiner Webseite oder im Artshop bei Enfants Artspace vorbestellt werden.

 

Informationen zur Ausstellung

Buchrelease: „Das goldene Vlies“ von Stefan Scherf
Zeit: 27. August – 12. September 2021
Ort: Enfants Artspace, Pilatuspool 19, 20355 Hamburg

 

Informationen zum Buch

„Das goldene Vlies“ von Stefan Scherf
Sprache: Deutsch/Englisch
Einband: Softcover
Seiten: 104
Maße: 21 x 29,7 cm
Verlag: Eigenverlag
Preis: 29 € zzgl. Versand
Bestellung: via Kontaktformular oder Enfants Artshop

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