21. April 2021 Lesezeit: ~6 Minuten
kwerfeldein – kurz erklärt
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Ist Fotografieren heute vergleichbar mit früher?
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Ist Fotografieren heute vergleichbar mit früher?

Für die heutige Folge von „kurz erklärt“ hat uns eine Frage von Frank erreicht. Er möchte wissen, ob das Fotografieren von heute noch vergleichbar mit dem von vor 50 oder 100 Jahren ist. Für die Antwort haben wir uns wieder einen Experten gesucht: Erik Schlicksbier.

Warum wir die Frage an Erik gegeben haben? Er kennt sich als Dozent für Fotografie mit den heutigen Herausforderungen an die Arbeit aus, beschäftigt sich aber genauso mit fotografischen Edeldruckverfahren von vor 100 Jahren. Auch in seinen Podcasts Studio Kreativkommune, Silvergrain Connection und Analoge Angelegenheiten taucht er immer wieder in die Geschichte der Fotografie ein. Hier kommt seine Antwort:

Eine der kürzest möglichen Antworten darauf wäre: Ja, im Prinzip hat sich fast gar nichts geändert.

Nun, im Detail wird die ganze Sache natürlich komplexer. Logischerweise hat die Digitalisierung auch die Fotografie in gewisser Weise radikal geändert. Selbstverständlich gab es in den siebziger oder zwanziger Jahren kein Instagram und keine multimediale Bilderflut. Wenn wir uns aber von dieser offensichtlichen Sache wegbewegen, verblassen die Unterschiede immer mehr.

Am augenfälligsten sind die Unterschiede auf der technischen Ebene. In den zwanziger Jahren war man sehr beschränkt, was die Filmauswahl anging. Im Prinzip hatte man die Wahl zwischen Rollfilm und Planfilm bzw. Filmplatten. Der 35-mm-Film, so wie wir ihn heute kennen, steckte für die fotografische Anwendung noch in den Kinderschuhen. Leica hatte zwar zu dem Zeitpunkt schon Prototypen draußen, der Start dafür ging allerdings erst 1924 los.

Auch war der Film brandgefährlich. Nitrocellulose war das Mittel der Wahl, erst Recht nachdem es nach dem ersten Weltkrieg im Übermaß zur Verfügung stand. Auch im Kino hatte das Auswirkungen. Kinoprojektoren mussten wassergekühlt werden, damit der Film nicht in Brand geriet.

Filme waren niedrigempfindlich und schwarzweiß. Was nicht zwingend heißen musste, dass die Welt auch nur in Schwarzweiß abgebildet wurde. Zwar gab es den ersten richtigen Vollfarbfilm ab den dreißiger Jahren, aber mit speziellen Tricks wie der Nutzung von Farbfiltern bei Aufnahme und Wiedergabe wurden auch schon in den Jahrzehnten zuvor farbige Aufnahmen angefertigt.

In den siebziger Jahren sah die Welt dann deutlich anders aus. Die Filmformate und Kameras sind eher weiter kleiner geworden. Natürlich gab es noch immer Planfilmaufnahmen, gerade für große Kampagnen, aber Mittelformat und auch das Kleinbild haben sich durchgesetzt. Gerade letzteres stand sicherlich für den Journalismus wie kein anderes Medium zuvor. Wenn man an den Vietnam-Krieg denkt, denkt man eigentlich an die körnigen 35-mm-Tri-X-Aufnahmen mitten aus dem Reisfeld live beim Angriff.

Die Kameras waren klein, leicht, schnell überall mithinzunehmen und damit zu fotografieren, die Anzahl der Newsmagazine explodierte förmlich. Hochempfindliche Farbfilme brauchten aber noch ihre Zeit. Analoge Dienstleistungen sämtlicher Art waren aber im Zigfachen häufiger anzutreffen als heute.

Was aber auch seit über 100 Jahren exakt gleich geblieben ist, ist die Diskussion über Stil, Geschmack und die vermeintliche Konkurrenz. So wurde 1893 schon bei der ersten Hamburger kunstfotografischen Ausstellung geklagt, dass das Publikum im Bildnis nur die sogenannte schöne Ähnlichkeit schätzt, was die Unterdrückung des Charakteristischen bedeuten würde.

Oder jeder kennt sicher die Fotoaufbauten zur Weihnachtszeit in den ganzen Malls. Schon in den zwanziger Jahren wurde geklagt:

„Durch die gemalten Hintergründe, welche die Umgebung freier Natur vorspiegeln soll, wird ein grober Unfug angerichtet. Es wird nichts weiter erreicht als ein meist sehr unglücklicher Diorameneffekt, bei dem die menschliche Figur die Rolle des plastischen Vordergrundes spielt.

In keinem der Gesichter ist etwas, was das Interesse des objektiven Betrachters fesseln könnte. Und so wie diese Bilder sind auch heute noch die unzähligen Photographien, die das Publikum sich machen läßt, in den Bilderfabriken, in den Warenhäusern, die es dann schön findet und mit denen es anderen ein Geschenk zu machen glaubt.“

Die Kritik, die heute gern Instagram-Bildern gegenüber geäußert wird, schallte auch schon in den zwanziger Jahren aus Büchern:

„Es kommt zunächst darauf an, alles Posieren beiseite zu tun und einfach die Äußerungen des Lebens zu beobachten. Das kann natürlich nicht bedeuten, daß alles kritiklos abphotographiert werden soll und daß ein Stück photographierter Natur, weil unbeeinflußt gegeben, auch schon wertvoll ist. Mit diesem Standpunkt würden wir auf das Niveau der unzähligen Handkamerabildchen herabsinken, in denen täglich eine Unsumme völlig bedeutungsloser Lebensmomente festgehalten wird. Es gilt, sehen und empfinden zu lernen, was wertvoll, wesentlich genug ist, photographiert zu werden.“

Diese Zitate stammen alle aus Fritz Loeschers „Die Bildnis-Photographie“ und zeigen ein weiteres Element, was sich in der Zeit nie geändert hat: Auch damals gab es eine Fülle von Lehrbüchern, mit denen auch Menschen ohne Vorkenntnis die Fotografie erlernen konnten und es wurde als großer Wirtschaftszweig begriffen. Im Taschenbuch der Praktischen Photographie von 1906 finden sich neben peniblen Anleitungen dutzende und aberdutzende Seiten Anzeigen für Kameras, Filme und weiteres Zubehör.

Übrigens: Auch von den Motiven her war die Fotografie schon immer zeitlos. Natürlich gab es immer wieder modische Strömungen, Konventionen und Stile, die besonders zu einer Zeit beliebt waren. Aber auch schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es Fotograf*innen, die zeitlos fotografiert haben — wie Julia Cameraon in Großbritannien, Nadar in Frankreich und es gab die Hobbyfotograf*innen genauso wie die, die damit ihren Lebensunterhalt verdient haben.

Die Technik mag sich geändert haben und dadurch die Dinge, die damit immanent verwoben sind. Die Fotografie an sich hat sich im Laufe der Zeit allerdings erstaunlich wenig verändert.

Wir sind gespannt, wie Ihr das seht. Stimmt Ihr Erik zu oder habt Ihr etwas zu ergänzen? Erzählt es uns gern in den Kommentaren. Und natürlich freuen wir uns auch über neue Fragen. Also her mit der nächsten Frage, bitte!

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