04. Januar 2021 Lesezeit: ~4 Minuten

Kolumne: Gedanken zur Zoomcall-Fotografie

Vor kurzem sprachen wir noch über Handyfotografie und ihre Relevanz für die professionelle Fotografie und nun taucht schon das nächste Medium auf, das vielleicht nicht unbedingt die bisherige Technik ersetzt, aber doch das Verständnis von Professionalität und Kunst herausfordern und erweitern könnte: Zoomcall-Fotografie, Facetime-Fotografie, Social-Distancing-Fotografie oder auch allgemein Videocall-Fotografie.

Entstanden ist diese Technik aus der Not heraus, sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, vor die die Pandemie uns stellte. Fotograf*innen suchten Möglichkeiten, weiterhin kreativ zu sein und fanden sie in der sogenannte Videocall-Fotografie.

Sie hielt schnell Einzug in diverse Portfolios – insbesondere die Fashionfotografie ließ nicht lange auf sich warten und veröffentlichte die ersten Kampagnen unter Einsatz dieser Technik. Bella Hadid beispielsweise modelte für die Frühling/Sommer-Kollektion von Jacquemus und für eine Kampagne der Vogue Italia.

Elizaveta Porodina, die schon für Louis Vuitton und Carolina Herrera gearbeitet hat, fotografierte das Cover von The Cut in einem Zoomcall. Auch der große Nick Knight, dessen Fotografie nie um Experimentelles verlegen ist, fotografierte für seine Kundschaft zum Teil über Zoom oder Skype. So zum Beispiel auch für die britische Vogue.

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage: Was ist dann eigentlich „professionelle Fotografie“? Braucht es dafür den Einsatz bestimmter Technik und muss ein Bild immer hochauflösend sein? Welche Rolle spielen Stylist*innen oder Visagist*innen? Wie hinderlich ist eine so eng gefasste Definition der Begriffe für die Förderung von Kunst und Kreativität und der Weiterentwicklung eines Mediums?

Nick Knight sagte dazu in einem Interview: „Die Auflösung eines Bilds sollte nicht ausschlaggebend dafür sein, was akzeptabel ist. Wir müssen neu bewerten, was ein akzeptables Bild ist.“

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Verschiebung der Dynamik zwischen Fotograf*in und Modell, zwischen Betrachter*in und betrachteter Person. Elizaveta Porodina beschreibt es mit den Worten: „In dieser Situation haben die Modelle viel mehr Kontrolle und viel mehr künstlerische Freiheit. Sie sind diejenigen, die die Kamera einstellen, sie treffen Entscheidungen.“ Wer also ist in diesem Szenario, das manchmal fast wie ein ferngesteuertes Selfie scheint, eigentlich Urheber*in eines so entstandenen Bildes?

Und nicht zuletzt ermöglicht die Videocall-Fotografie Zugang. Zugang zum Markt, Zugang zu Technik, Zugang zu Ressourcen. Wenn Kreativität und auch Professionalität nicht mehr nur teurer Technik vorbehalten sind, können sich viel mehr Menschen in der Fotografie und Kunst ausprobieren. Modelle und Kreative, die aufgrund räumlicher Trennung bisher keinen Zugang zueinander fanden, haben plötzlich ein Medium, durch das sie miteinander arbeiten können.

Menschen, die sich nur bedingt Bilder von sich selbst, ihren Liebsten oder ihrer Katze leisten konnten, haben plötzlich die Option einer vergleichsweise günstigen Videocall-Fotosession. Dennoch bleibt, trotz all dieser Möglichkeiten, abzuwarten, wie fest sich die Videocall-Fotografie tatsächlich verankern wird. Menschen live für Fotoaufnahmen gegenüberzustehen, ist dann doch schwer zu ersetzen.

Zum Schluss möchte ich noch eines meiner Lieblingsprojekte empfehlen: Heather Glazzard fotografierte Freund*innen aus der LGBTQ-Community. Dabei kam eine Mischung aus Isolation, Fashion und Unkonventionalität heraus. Zu sehen ist das Projekt unter anderem in einem Artikel beim New Yorker.

Dieser Text ist im Rahmen unseres Podcasts „kwergehört – die Fotonachrichten“ entstanden und ist in Folge #7 zu hören. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle erneut in schriftlicher Form, um eine Diskussion zum Thema anzuregen. Das Titelbild wurde uns freundlicherweise von Khiet Tam zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Ähnliche Artikel