zwei Polaroids
02. Dezember 2020 Lesezeit: ~12 Minuten

Im Gespräch mit Julia Beyer

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht: Die fantastischen Polaroidaufnahmen von Julia Beyer waren schon so oft im #instakwer vertreten – seit der ersten Ausgabe dabei! – dass sie sozusagen zum Inventar gehören. Entsprechend ging ich davon aus, dass wir sie schon längst einmal im Magazin vorgestellt hatten.

Vor Kurzem fiel mir auf, dass dies allerdings mitnichten so ist. Also habe ich diesen Missstand mit Julia nun aufgeholt, die mir freundlicherweise Rede und Antwort gestanden hat: Über ihren Weg zur Fotografie, Polaroidaufnahmen per Skype, Musik in ihren Bildern und mehr.

Polaroidportrait mit bunten Flecken

Hallo Julia! Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Fangen wir mal ganz vorn an: Wie bist Du zur Fotografie gekommen?

Fotografie hat mich schon immer irgendwie interessiert und ich hatte früh meine erste Kleinbildkamera. In der Schule habe ich an einem Dunkelkammerkurs teilgenommen und vor vielen Jahren sogar mal bei einem örtlichen Fotografen ein paar Tage probegearbeitet. Letztendlich blieb es aber bei mehr oder weniger ambitionierten Urlaubsfotos.

Das änderte sich, als ich 2007 über meine Band Chandeen in Kontakt mit einer Polaroidfotografin gekommen bin, die ein Video auf 8-mm-Film für uns erstellt hat. Ich habe mich später näher mit ihren Arbeiten beschäftigt und war komplett fasziniert. 2012 habe ich mir dann meine erste Polaroidkamera gekauft.

Da die damaligen Impossible-Filme für mich als Anfängerin aber mehr als schwierig waren, stand die Kamera nach einigen Fehlversuchen dann noch einmal zwei Jahre lang im Regal. 2014 habe ich dann noch einen Versuch unternommen und endlich brauchbare Ergebnisse erzielt. Seitdem bin ich der Polaroidfotografie komplett verfallen.

rundes Polaroid: Hand mit Schmetterling

Welche Rolle nimmt die Fotografie in Deinem Leben ein? Ich habe gesehen, dass Du ja zum Beispiel auch Sängerin bist.

Ja, das stimmt. Bis vor einigen Jahren lag der Fokus in meiner Freizeit auch ausschließlich auf der Musik. Ich habe schon als Kind früh angefangen, verschiedene Instrumente zu lernen, war im Schulchor und -orchester. Dann bin ich mit 16 auch schnell als Sängerin in meiner ersten Band gelandet.

Es hat sich dann über die Jahre so entwickelt, dass ich vor allem in der Gothic-/Indie-Szene sehr aktiv war und einige Alben veröffentlicht habe. Das letzte Album meiner aktuellen Band Chandeen ist erst Anfang dieses Jahres erschienen. Allerdings hat sich mein Fokus in den letzten Jahren immer mehr in Richtung Fotografie verschoben.

Sogar so stark, dass ich aktuell nicht mehr sicher bin, ob ich die Musik zusätzlich überhaupt noch weiter verfolgen möchte. Ich erlebe die Fotografie als für mich sehr viel erfüllender – zum einen wegen des sehr positiven Feedbacks, aber auch weil ich merke, wie sehr ich es genieße, keine Kompromisse mehr machen zu müssen.

Polaroidportrait mit Prismaeffekt

Was Du zu Kompromissen gesagt hast, finde ich interessant. Was für Kompromisse musst Du in der Musik machen, aber in der Fotografie nicht?

Die nötigen Kompromisse liegen einzig in der Tatsache begründet, dass ich Musik nie allein, sondern immer in einer Band gemacht habe. Und natürlich gibt es innerhalb einer Band unterschiedliche Meinungen über bestimmte Dinge, so dass Kompromisse unvermeidbar und auch wichtig sind. Da ich allein fotografiere, beziehungsweise nur mit einem Modell, habe ich dabei einfach mehr Freiheiten, meine Ideen so umzusetzen, wie ich sie mir vorstelle – eben ohne Kompromisse.

Machst Du nur freie Projekte oder auch Aufträge?

Ich arbeite hauptsächlich frei und genieße das auch sehr, aber natürlich freue ich mich auch über Aufträge. Im letzten Jahr habe ich im Auftrag von Polaroid einige Bilder für die Kampagne und den Webshop ihrer „Stranger Things“-Kamera und -Filme beigesteuert. Das war natürlich ein echtes Traumprojekt.

Ich habe ansonsten auch schon ein paar Mal Polaroids von mir an Bands und Labels für Albumartworks lizensiert. Aufgrund meiner Affinität zur Musik ist es natürlich immer am schönsten, wenn ich diese beiden Leidenschaften auf diese Weise verbinden kann! Darüber hinaus biete ich auch Drucke zum Verkauf an.

Polaroidportrait mit Gegenlicht

Wie entstehen neue Arbeiten bei Dir? Was ist der Ausgangspunkt und wie
sieht der Prozess aus?

Anfangs steht bei mir eine Grundidee oder einfach auch nur Atmosphäre, die ich im Kopf habe und umsetzen möchte. Ich stelle mir dann meistens ganz profan bei Pinterest ein Moodboard zusammen. Dann geht es an die feinere Planung: Wie kann ich diese Idee technisch umsetzen, werden Requisiten benötigt und wie sollte das passende Modell dafür aussehen?

Manchmal liegt so eine Idee auch ein, zwei Jahre herum, bis sich die passende Gelegenheit für die Umsetzung ergibt. Es kann aber auch anders herum laufen, dass ich in Kontakt mit einem Modell komme und sich daraus eine neue Idee ergibt. Und natürlich improvisiere ich dann auch gerne mit dem Modell beim Shooting selbst.

Dazu kommt die Unberechenbarkeit von analogem Film, besonders Polaroid. Dann passieren Sachen, die ich so nicht geplant habe, aber am Ende das Ergebnis doch liebe oder manchmal sogar genau deswegen besonders.

Polaroidportrait mit Prismaeffekt

Wir haben ja noch gar nicht über Inhalte gesprochen. Was möchtest Du in Deinen Fotografien abbilden oder festhalten, was inspiriert Dich?

Es sind oft gar keine konkreten Motive, die ich im Kopf habe, wenn ich fotografiere, sondern eher eine bestimmte Atmosphäre, Stimmung oder Ästhetik. Sehr oft sind das surreale und psychedelische, manchmal düstere Einflüsse, gern auch aus den 60er oder 70er Jahren oder vom okkulten und mystischen Bereich inspiriert.

Ich setze diese Ideen gern mit Modellen um, weil die Ideen so für mich und die Betrachter*innen gefühlt besser greifbar werden. Mich inspiriert dabei alles Mögliche: Oft sind es Filme oder Musik, manchmal auch die Bilder anderer Fotograf*innen oder auch nur ein kurzer Augenblick auf der Straße.

Das alles vermischt sich in meinem Unterbewusstsein, bis eine konkrete Idee entsteht. Manchmal erkenne ich selbst die Einflüsse erst, wenn ich das fertige Bild vor mir sehe. Das ist das, was ich an der Fotografie so liebe: Dass sie es mir erlaubt, meine inneren Visionen zum Leben zu erwecken.

Polaroidportrait mit Prismaeffekt

Mit welcher bzw. welchen Kameras arbeitest Du jetzt? Wonach setzt Du welche Kamera ein (wenn es mehrere sind) bzw. weshalb arbeitest Du gern mit einem bestimmten Modell?

Aktuell benutze ich am liebsten die Mint SLR-670s, eine modifizierte Polaroid SX-70. Die Bildqualität und Flexibilität der Kamera sind einfach fantastisch und für meine Art der Fotografie mit vielen Filtern und Prismen ist es auch unerlässlich, mit einer SLR zu arbeiten. Ich habe in letzter Zeit auch ein wenig mit Kleinbildfilm fotografiert und dafür klassisch meine zuverlässige Canon AE-1 benutzt.

Polaroidportrait mit Prismaeffekt

Mit welchen Filmen arbeitest Du am liebsten und warum?

Am liebsten benutze ich Polaroid-600-Film. Durch die höhere Lichtempfindlichkeit ist der Film auch für dunklere Szenen besser nutzbar als SX-70-Film, auch wenn der neue wirklich großartige Farben hat, den ich dann eher bei Sonnenschein benutze.

Wenn ich ihn zwischendurch noch einmal irgendwo bekomme, ist mein absoluter Lieblingsfilm aber abgelaufener Time-Zero-Film von Polaroid. Leider ist er unfassbar schwer zu bekommen und dann meistens unbezahlbar. Und je älter der Film wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er eingetrocknet ist.

Bei Kleinbildfilm mag ich die Filme von Cinestill sehr gerne, sowohl den 50D als auch 800T. Und natürlich liebe ich den surrealen Look von Lomochrome-Purple-Film.

Polaroidportrait mit Prismaeffekt

Wie hat sich Deine Arbeitsweise in diesem Jahr durch die Pandemie verändert? Du arbeitest ja viel mit Modellen.

Ich nehme die Bedrohung durch Covid-19 sehr ernst, daher habe ich dieses Jahr nur ein paar wenige Shootings face-to-face gehabt. Durch das 12.12-Projekt, in dem ich Mitglied bin, bin ich auf die Idee aufmerksam geworden, Polaroid-Shootings auch per Skype durchzuführen. Dafür wird einfach mit der Polaroidkamera der Bildschirm abfotografiert.

Anfangs habe ich mich mit dem Gedanken echt schwer getan, da es nicht mehr hundertprozentig analog ist, aber ich war auch neugierig und wollte weiterhin fotografieren. Also habe ich mit der Sängerin Laura Carbone, mit der ich schon in der Vergangenheit gearbeitet hatte, einen Termin angesetzt. Es war eine ungewohnte, aber auch sehr spannende Erfahrung. Vor allem hat es aber unerwartet viel Spaß gemacht, so dass ich danach auch weiter über Skype fotografiert habe.

Zudem habe ich so auch die Möglichkeit, mit Modellen aus der ganzen Welt wie etwa Kanada oder den USA zusammenzuarbeiten, was wirklich toll ist. Ein echtes Shooting ersetzt das aber trotzdem nicht, sodass ich hoffe, im Laufe des nächsten Jahres auch wieder richtige Shootings durchführen zu können, sofern es die Situation zulässt.

Polaroidportrait mit bunten Lichtern

Hast Du bei der Analogfotografie einen „Reinheitsanspruch“? Ich stolpere immer wieder über Anmerkungen in der Richtung, allerdings gibt es ja auch das Polaroid Lab, bei dem ebenso von einem Bildschirm abfotografiert wird und um Bilder im Netz zu zeigen, digitalisiert man sie ebenfalls.

Das ist wirklich eine gute Frage, denn hier schlagen irgendwie auch zwei Herzen in meiner Brust. Ich habe bisher immer versucht, meine Bilder so analog wie möglich zu halten. Aber ohne die Bilder zu digitalisieren, kann ich sie auch nicht zeigen – das ist an dieser Stelle also eher eine Notwendigkeit für mich. Ich bearbeite sie nach dem Scannen so gut wie gar nicht, ich entferne lediglich Staub und Kratzer und passe die Helligkeit und Farben des Scans an, so dass er dem Original so nah wie möglich kommt.

Auch die Effekte in meinen Bildern sind alle analog erzeugt. Das Lab erschien mir lange wie eine Art Schummelei, denn es ist natürlich einfacher, gute Bilder mit einer digitalen Kamera zu machen, die man vor dem Belichten mit dem Lab auch noch nachbearbeiten kann.

Aber in den letzten Monaten hat sich meine Sichtweise dazu ein wenig geändert – gerade in dieser Zeit, in der es weniger Gelegenheiten zum Fotografieren gibt. Ich merke, dass ich Geräte wie das Lab oder auch hybride Kameras wie die SQ10 von Fuji immer mehr als Werkzeuge sehe, um die eigenen Ideen umzusetzen.

Letztendlich sollten sowieso alle so arbeiten wie sie möchten – es steckt immer eine gewisse Arbeit und Kreativität dahinter, die Wertschätzung verdient. Mittlerweile sehe ich das alles also viel weniger dogmatisch als früher. Aktuell spiele ich sogar mit dem Gedanken, mir das Polaroid Lab selbst zuzulegen.

Polaroidportrait vor Bergen

Hast Du fotografische Pläne oder Träume für die Zukunft? Und was kommt schon bald als nächstes?

In der nahen Zukunft stehen einige schöne Veröffentlichungen an, bei denen meine Bilder ein Teil sein dürfen, wie verschiedene Polaroid-Bücher, Fotomagazine oder auch im Album-Artwork einer von mir sehr geschätzten Sängerin, darauf freue ich mich sehr! Zudem bin ich Jury-Mitglied für den diesjährigen Award „Ten And One“ von Lomography, das ist eine echte Ehre für mich.

Für die Zukunft trage ich diverse Pläne zur Veröffentlichung von Fotobüchern meiner Polaroids in mir – konkret geplant ist eine Sammlung mit dem Best-Of meiner Polaroids auf Time Zero-Film. Aber über die genaue Umsetzung und Veröffentlichung brüte ich noch. Und natürlich möchte ich weiter daran arbeiten, meine Fotografie selbst immer mehr zu verbessern, neue Bereiche und Techniken auszuprobieren und weiter aus meiner inneren Komfortzone herauszutreten.

Darüber hinaus habe ich natürlich viele Träume – gern würde ich zum Beispiel noch enger mit Polaroid selbst zusammenarbeiten oder Promobilder für meine Lieblingsband machen, eine Einzelausstellung umsetzen und den Verkauf meiner Polaroid-Drucke vorantreiben. Ich denke, mir wird sicher nicht langweilig.