25. November 2020 Lesezeit: ~12 Minuten

Fujifilm X-Pro3 – eine Liebeserklärung

Hier geht es nicht um einen Test, nicht um eine Rezension und schon gar nicht um eine Neuvorstellung. Es geht um eine Kamera, die schon seit einer beträchtlichen Zeit auf dem Markt ist, schon tausend Mal besprochen und rezensiert wurde und daher in unserer hochtourigen Zeit eigentlich keine Aufmerksamkeit mehr verdient.

Oder vielleicht doch? Vielleicht handelt es sich gar nicht um irgendein Kameramodell, sondern vielmehr um einen veritablen Anwärter auf einen echten Klassikerstatus? Auf jeden Fall handelt es sich um eine Kamera, die mein Herz in einem langen Prozess – wenn auch keineswegs im Sturm – erobert hat.

Fast ein Jahr hat es gedauert, bis sich unsere Beziehung entwickelt hat. Ausgehend von einer flüchtigen Begegnung, gab es dann erste gemeinsame Wege und Bilder. Erst in jüngster Zeit verwandelte sich unsere flirrende und von Trennungen überschattete Affäre in etwas „Ernstes“.

LKW Parkplatz

Steckbrief

Wenn Du die Kamera nicht kennst: Schmeiß bitte kurz Google an, schau Dir ein paar geeignete Produktfotos an und lies vielleicht sogar einen Testbericht. Schaden wird das nicht, aber dem Thema gerecht werden, wird es auch nicht. Für alle, die sich auch das ersparen möchten – hier meine Kurzvorstellung:

Die Fujifilm X-Pro3 ist eine vom Design klassischer Sucherkameras inspirierte, digitale Kamera mit APS-C-Sensor. Sie bringt 26 Megapixel Auflösung mit, hat einen sehr guten elektronischen Sucher, der sich bei Bedarf und Laune in einen optischen Sucher mit eingespiegeltem Bildrahmen umschalten lässt. Als Besonderheit verfügt sie über ein Klappdisplay, das im Ausgangszustand nach innen eingeklappt ist und sich bei Bedarf ausschließlich nach unten aufklappen lässt. (Endlose Diskussionen in Fotoforen dazu!)

Ist das Display eingeklappt, präsentiert die Kamera als weitere Reminiszenz an vergangene analoge Zeiten ein zusätzliches Display, das früheren Filmschachteldeckel-Haltern nachempfunden ist und wahlweise die gewählte Filmsimulation oder die Belichtungsdaten anzeigt. Noch eine Besonderheit: Das Gehäuse ist teilweise aus Titan gefertigt und es gibt drei verschiedene Ausführungen. Man kann zwischen klassischem Schwarz oder gegen Aufpreis auch den Dura-beschichteten Kameras in Silber oder Schwarz wählen, wobei Letzteres ein eher warmtoniges Dunkelgrau ist.

Straße und Haus mit Werbeschildern

Erste Begegnungen

Die Fujifilm X-Pro3 ist nicht zum ersten Mal Thema bei mir. Im Januar 2020 habe ich sie schon einmal besprochen. Damals hatte mir Fujifilm Deutschland die Kamera und einige der aktuellen „Fujicron-Festbrennweiten“ für ein paar Wochen leihweise zur Verfügung gestellt. Mein Fazit damals fiel positiv aus, aber durchaus auch nüchtern: Eine coole Kamera, aber keine, die ich unbedingt kaufen müsste.

Zeitsprung

Wir schreiben das Jahr 2020, es ist Ende November – und (nicht nur) dank des zweiten Lockdowns kann man sagen: Weihnachten steht vor der Tür. Wir haben das Frühjahr und den Sommer ganz gut überstanden, jetzt werden wir erneut in eine Art Isolation geschickt. Geschäftlich und emotional gilt: Das Jahr ist gelaufen. Aber da wir Fotograf*innen sind, ist der Impuls ungebrochen, die Welt zu erforschen, umherzustreifen und neugierig zu sein – vielleicht sogar stärker denn je.

Person sitzt in einem beleuchtetem Raum. Von außen fotografiert

Azyklisches Verhalten: In der Krise investieren. Jetzt erst recht.

Ich gebe gern zu: Motivation ist bei mir nicht immer nur intrinsisch. Nicht ausschließlich der hehre Ruf nach Kunst und Kreation bringt mich dazu, loszugehen und Bilder zu machen. Das kann ich seit vielen, vielen Jahren jederzeit tun (und tue es auch). Kameras sind bei mir immer da und all diese Geräte sind mindestens sehr gut – manchmal auch herausragend. Sich ausdrücken, Bilder machen, rausgehen – das ist für mich als Fotograf jederzeit möglich. Wäre auch komisch, wenn ich nichts Passendes dafür in der Fototasche hätte.

Manchmal braucht die Motivation aber auch einen Anstoß. Einen Impuls. Ein Gefühl. Eine Aufbruchsstimmung. Etwas Neues. Ja, genau.

Ich habe von ihr geträumt

In den vergangenen Wochen geisterte die Fujifilm X-Pro3 immer mal wieder durch meinen Kopf. Obwohl ich die Kamera ja schon kannte. Obwohl ich ihre Vorgängerin – die X-Pro2 – immer in meinem Fotokoffer habe und auch regelmäßig – jobbedingt oder „frei“ – damit fotografiere. Cool war schon die X-Pro2: ein eigenwilliges, spezielles Design, ein klassisch-inspiriertes Gerät auf hohem technischen Niveau. Anders als alle. Einfach außergewöhnlich. Und schon seit Jahren bei mir. Trotzdem dachte ich immer mal wieder über die X-Pro3 nach. Warum?

Die aktuelle Inkarnation hat die Gene der X-Pro-Serie, sie hat den exklusiven Hybridsucher, sie hat die Sucherkamera-Bauform, sie ist technisch auf der Höhe der aktuellen Fujifilm-Technik. Ja, und jetzt hat sie noch etwas Spezielles dazubekommen:

Sie hat dieses skurrile Klappdisplay, den rückwärtigen Info-Screen, sie ist spritzwassergeschützt und hat außerdem ein Gehäuse, das teilweise aus dem Edel-Leichtmetall Titan geformt ist. Dazu gesellen sich zum Standardmodell in Schwarz auch noch die teureren Dura-Versionen (in Schwarz oder Silber), die eine extreme Unempfindlichkeit gegen Kratzer versprechen.

Autobahn mit vorbeifahrendem LKW

Exklusivität

Wenn es nur ums Bildermachen ginge: Da braucht man das alles nicht, das ging auch mit der Vorgängerin schon. Nein, ich hatte nie das Gefühl, dass die Bodys von Fujifilm zu instabil seien – wer braucht also Titan? Nein, mir waren die Kratzer auf meinen Kameras nie ein Dorn im Auge – wozu also eine Dura-Beschichtung? Ganz im Gegenteil sogar: Ich finde, Kratzer schmücken eine Kamera. Und auf ein Display, das man im Ausgangszustand nicht nutzen kann und herunterklappen muss, um etwas darauf zu sehen, hatte ich auch noch nie gewartet.

Doch all das bietet die X-Pro3 und macht ihren Charakter aus. Als sie auf dem Markt auftauchte, verkündete sie selbstbewusst und stolz: So bin ich. Nimm mich, wie ich bin. Oder lass es bleiben. Bisher ließ ich es also bleiben. Jetzt habe ich sie doch bestellt. Vor Kurzem wurde sie geliefert und begleitet nun mein Leben.

Blick zwischen zwei parkende LKW hindurch

Fotograf*innen und Technik

Fotografie ist eine Ausdrucksform, ein Medium und eine Kunst, die außergewöhnlich eng an Technik und Technologie gekoppelt ist. Ohne eine Kamera und ohne Objektive können wir unsere Kreativität nicht ausleben. Wir werden beliefert von einer Kameraindustrie, die nach ihrer eigenen Logik und natürlich auch unter wirtschaftlichen und Marketing-Aspekten Produkte herstellt, von denen sie glaubt, dass wir sie gut finden. Und auf diese Produkte sind wir elementar angewiesen. Ohne Kamera kein Foto. Ohne Fototechnik kein Ausdruck. Ohne Technologie keine Emotion in Fotografien.

Aber auch umgekehrt gilt oft: Wir Fotograf*innen projizieren auf die von uns verwendete Technik Gefühle. Es gibt Klassiker der Fototechnik. Es gibt kultige Kameras. Es gibt und gab immer wieder Meilensteine der Technik, die die Fotografie maßgeblich mitgeprägt haben und zu denen wir eine besondere Beziehung aufgebaut haben. Es gibt viele Fotogra*innen, die eine geradezu schwärmerische Beziehung zu ihrem Arbeitsgerät haben.

Beispiele gibt es viele: Die Leica der Zwischenkriegszeit. Die Leica M nach dem Zweiten Weltkrieg. Die zweiäugige Rollei. Die Nikon F2. Die Hasselblad 500 C/M. Die Minox. Die Canon F1. Eine Canon 1Ds vielleicht. Die Fujifilm X100. Die X-Pro-Serie. Und so weiter. Um nur einige wenige zu nennen. Fotograf*innen mit einem anderem Hintergrund als meinem werden noch andere Kameras einfallen. Was macht einen Klassiker aus? Was lässt unser Herz höherschlagen?

Rote Picknickbank

Klassiker

Ich denke, es ist immer eine sehr spezielle Kombination aus Eigenschaften: Technische Möglichkeiten, die dem Zeitgeist entsprechen. Besonderer Nutzen. Außergewöhnliche Ästhetik. Gefühl. Produktionssicherheit. Praxistauglichkeit. Und auch das Spezielle, das Individuelle, das Originelle. Nicht immer nur geliebt, manchmal auch in Kauf genommen. Und ja, vielleicht gehört auch das Exklusive dazu.

Mit dem Sucherkamera-Design war die X-Pro-Serie von Anfang an speziell. Mit dem Hybridsucher optisch-elektronisch kombiniert desgleichen. Mit der Pro3 kommt nun noch das weltweit einmalig-originelle Klappdisplay dazu. Mit Titan als Werkstoff gehen wir in Richtung Luxus. Und mit der Dura-Beschichtung kaufen wir das Versprechen auf ewige Haltbarkeit.

Imitiert Fujifilm damit Leica? Wird es jetzt demnächst Fujifilm-Kameras geben, die von Modezaren, Rockstars oder Automobildesignerinnen gestaltet wurden, zu Fantasiepreisen im edlen Lederköfferchen und in limitierter Auflage verkauft werden?

Ich denke das nicht. Titan wird bei Fujifilm bereits in der Standard-Version der Pro3 verbaut. Und die schicken (und wahrscheinlich durchaus nützlichen) Dura-Beschichtungen gibt es für moderate 200 € Aufpreis. Damit sind wir von den Preisen einer Leica M9 Titanium, die mit 22.000 € zu Buche schlägt, meilenweit entfernt:

Auch die „schönere“ und „haltbarere“ Fujifilm X-Pro3 mit Dura-Beschichtung ist für „nur“ rund 2.000 € zu haben. Sie ist nicht nur originell, speziell und meinetwegen auch skurril – sie ist trotzdem in allen relevanten technischen Belangen auch auf der Höhe der Zeit. Keine überteuerte Nostalgie also, sondern ein Arbeitsgerät für Fotograf*innen, die sich davon angesprochen fühlen und sich damit ausdrücken wollen.

Telefonzelle

Ja zur Schönheit und zum Exklusiven

Ich habe mir mit Aufpreis die X-Pro3 Dura Black bestellt. Eigentlich überhaupt nicht, weil ich auf kratzerlose Kameras stehe (ganz im Gegenteil: meine Fuji-Range strotzt nur so vor Kratzern und anderen Verletzungen und ich mag das), sondern weil ich diese Version in der Farbgebung als besonders elegant empfinde. Kein simples „Black in Black“, kein „Black plus Silver“, sondern eben: Black plus Dunkeledelgrau (im Warmtonbad verfeinert!) – Sexy. Smart. Understatement. Ja, ich gebe gern zu, dass mein Auge liebevoll auf dieser Oberfläche ruht.

Und das Titan? Ich brauche es eigentlich nicht. Keine meiner Kameras habe ich so quälen können, dass die normalerweise verbaute Magnesium-Legierung irgendwie geschwächelt hätte. Und ich habe sie alle massiven Umwelteinflüssen ausgesetzt: Kältekammern, Hitze, dem Funkenflug von Industrieschweißern, ich war damit bei Sprengungen, in Sandstrahl- und Lackierkammern, in den Tropen, im Regen, im Schnee und in Eiseskälte unterwegs.

Trotzdem weckt es in mir irgendwie ein sanftes Glühen und die Freude am Exklusiven. Ja, es gab in der Fototechnik einige Kameras, die mit diesem Material gebaut waren. Die teure Leica habe ich schon erwähnt. Die Olympus OM4 Ti. Eine Nikon F3 Titan. Und jetzt auch meine Fujifilm X-Pro3. So what? So schön!

Mir ist das Gefühl beim Fotografieren und auch die Schönheit meines Arbeitsgeräts durchaus wichtig. Ich mag es, wenn ein Gerät eine Seele zu haben scheint. Wenn die Kamera die Fotografiegeschichte zitiert und dennoch mitten im Leben und in der Gegenwart steht. Wenn es sich nicht um ein Nostalgieprodukt handelt, sondern auch Innovation da drin steckt. Oder um die Wiederentdeckung und Neuinterpretation klassischer Traditionen. Wenn man den Eindruck gewinnen kann, dass das herstellende Unternehmen nicht nur ein möglichst gut verkaufbares Produkt auf den Markt bringen wollte, sondern auch Sinn und Gefühl für das Wesen der Fotografie hat.

Die Fujiflm X-Pro3 ist meine Kamera zum Flanieren, zum immer Mitnehmen. Sie ist ein Fotogerät für urbane Streifzüge und suburbane Verlorenheiten. Ich nehme sie mit auf der Suche nach neuen Bildern für meine vielen „works in progress“. Sie passt mit einer handlichen Festbrennweite in eine Jackentasche oder in die Mittelkonsole meines Autos. Sie wirkt unauffällig, harmlos und ein bisschen altmodisch. Niemand fragt mich beim Fotografieren, ob er jetzt ins Fernsehen käme. Sie ist altmodisch im besten Sinne und hat es doch faustdick hinter der Linse.

Die dunkle Jahreszeit ist da. Es ist Zeit, die Poesie, die Ästhetik und die Qualität dieses Winters zu erforschen.

Ähnliche Artikel