16. November 2020 Lesezeit: ~5 Minuten

52 Wochen – Thema 46: surreal

Wenn es um den Surrealismus geht, hat wohl jeder eine eigene erste Assoziation. Ich muss immer sofort an die Arbeiten von Salvador Dalí denken. Als Maler hatte er allerdings auch ganz andere Möglichkeiten als wir Fotograf*innen.

Nähern wir uns dem Thema also wieder einmal über seine Definition: „Etwas, das als surreal bezeichnet wird, wirkt traumhaft im Sinne von unwirklich.“, lässt uns der Duden via Wikipedia wissen. Lässt sich da auch etwas ohne Photoshop machen? Ja, manchmal reicht ein Perspektivwechsel, doch die Bildbearbeitung ist in dem Feld ein starkes Werkzeug.

Ein Mädchen hält mit einer Hand einen Stab und greift mit der anderen zu ihrem eigenen Spiegelbild über sich.

© Aileen Wessely | Modell: Katja Kemnitz

Inspiration

Dalí war zwar Maler, zeigt aber auch als Akteur im Foto „Dalí Atomicus“ des Fotografen Philippe Halsman, wie Surrealismus in der Fotografie funktionieren kann: Durch das Einfrieren eines exakt choreografierten Moments und bewusst verwirrendem Licht scheinen die Gesetze der Physik aus den Fugen zu geraten.

Es geht aber auch ohne schwebende Möbel und fliegende Katzen: In meiner eigenen Serie „Die Waldkönigin“ etwa entstehen allein durch den Einsatz eines Spiegels geisterhafte Doppelbilder und unwirkliche Lichteffekte, die sich durch die geringe Tiefenschärfe fließend in die Realität einfügen.

Ein Stier in der Landschaft.

© Petros Koublis

Der englische Begriff „uncanny valley“ beschreibt sehr gut die Wirkung, die Peter Schultes Portraits seiner maskierten Tochter auf uns Betrachter*innen haben. (Und er setzt Unschärfe gezielt ein.) Petros Koublis hingegen lädt durch zentrale Bildkompositionen eigentlich banale Motive mit Symbolismus auf:

Unser Gehirn versucht immer, zu verstehen. Logische Bezüge herzustellen. Wahrgenommenes mit dem abzugleichen, was es schon kennt. Ein einzelnes Tier steht mitten in einer weiten Landschaft? Was hat das zu bedeuten? Was hätte Sigmund Freud aus diesen Traumbildern gelesen?

Eine Frau knöpft ihr Kleid auf, darunter sind Buchseiten.

© Sol Avena

Sol Avena arbeitet unter anderem mit optischen Täuschungen, die das Gehirn auf den ersten Blick verwirren, auf den zweiten aber sofort logisch zu durchdringen sind. Arno Rafael Minkkinen verwendet ungewöhnliche Perspektiven, Schatten oder Spiegelungen, um Körper(-teile) zur Natur neu in Beziehung zu setzen.

Nashalina Schrape verwendet ganz subtil einige dieser Techniken und zeigt uns so, wie wenig Abweichung von der gewohnten Realität es braucht, um Verstörung aufsteigen zu lassen. Auch Alison Scarpulla öffnet so die Tür in eine magische Welt – die zuweilen auf der analogen Manipulation des Bildmaterials beruht.

© Alison Scarpulla; ebenso das Titelbild

Auch ungewöhnliches Licht kann eine surreale Stimmung erzeugen. (Mit dem Thema Kunstlicht habt Ihr Euch schon aufgewärmt.) Alex Bamford schlafwandelt bei Mondlicht in taghellen Langzeitbelichtungen, während Noel Kerns nachts gern in verlassenen Häusern sein Licht setzt.

Schon etwas aufwändiger wird es, wenn besondere Kleidung, aufwändiges Make-up und raumgreifende Inszenierungen ganze Welten erschaffen: Jennifer Thoreson hat so Blumenmädchen und Maschinenmännern Leben eingehaucht und auch Tabea Simple arbeitet ähnlich.

Surreales Portrait

© Michal Zahornacky

In Kindra Nikoles Traumwelten verbindet die Natur sich mit der Kleidung ihrer Modelle zu Szenen, die direkt einer Fantasyverfilmung entsprungen sein könnten. Benjamin von Wong baut seine Kulissen wiederum aus Computerschrott. Michal Zahornacky setzt auf Bemalung und einen Bildeffekt, vermutlich erzeugt durch Wasser.

Sobald wir auch Bildbearbeitung in unsere Überlegungen mit einbeziehen, sind die Möglichkeiten naturgemäß unendlich, daher an dieser Stelle nur eine Handvoll Anregungen, bevor wir uns ganz im Strudel von Photoshop und Konsorten verlieren: Menerva Tau fügt einfach nur ein bisschen was hinzu – et voilà – steht der Wahnsinn schon im Raum.

Eine nackte Frau mit vier Armen umarmt sich selber.

© Menerva Tau

Ganze Dystopiewelten erschafft Michal Karcz, während Jarek Kubicki sich darauf beschränkt, aus Menschen Übernatürliches zu machen. Francesco Sambio setzt Menschen und Tiere zu Bestien zusammen und bei Marcin Owczarek geht schlussendlich alles drunter und drüber: Menschen, Objekte – alles in der Welt verschmilzt.

Puh, das war jetzt ein ziemlich wilder Ritt. Ich kann nur empfehlen, in einer kleinen Analyse noch einmal für Euch selbst herauszuarbeiten, warum all diese Arbeiten jeweils surreal wirken, welche Techniken oder Effekte verwendet werden und sich dann erst selbst ans Werk zu machen.

© Jarek Kubicki

Ablauf

Ihr habt wieder eine Woche Zeit, um ein Foto zum Thema zu erstellen. Ihr könnt diese kleine Hausaufgabe ganz für Euch selbst machen, sie aber auch sehr gern mit uns teilen. Verlinkt Euer Bild in den Kommentaren, nutzt den Hashtag #kwerfeldein52 oder schickt uns Euer Foto ganz einfach bis zum Dienstag, den 24. November 2020 per E-Mail. Wir zeigen jeden Samstag eine Auswahl der Einreichungen.

Auch wenn das Projekt „52 Wochen“ heißt, könnt Ihr jederzeit mit einsteigen, nur jede zweite Woche mitmachen oder wann es Euch zeitlich oder thematisch am besten passt. Aber bitte reicht keine Archivbilder ein, auch wenn sie perfekt zum Thema passen. Das Projekt soll eine Herausforderung sein, Neues zu kreieren!

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