Gracht
23. Juli 2019 Lesezeit: ~4 Minuten

Brügge sehen … und fotografieren?

Im letzten Jahr verbrachte ich einen Miniurlaub in Brügge und sah mir im Vorfeld einige Fotos dieser schönen alten Stadt an. In der Googlebildersuche fand ich hunderte Aufnahmen der Grachten und mittelalterlichen Gebäude, sodass meine Vorfreude wuchs. Als ich dann endlich in der Stadt stand, erkannte ich sie nicht wieder.

Es war ein Dienstag um die Mittagszeit und alles, was ich überhaupt wahrnahm, waren Menschen. Tausende Urlaubsgäste, die mich mit sich durch die Straßen schoben. Zwischen ihnen quetschten sich Pferdekutschen im Schritttempo hindurch, während auf den Grachten im Sekundentakt vollbesetzte Boote vorbeischipperten. Ich fühlte mich erschlagen und fragte mich, wo all die Menschen auf den Bildern waren.

Gracht in BrüggeGracht und Schiffsanleger

Brügge hat das Problem aller touristischen Orte: Es existiert nicht so, wie die Fotos es einem versprechen. Die Bilder lügen. Brügge ist voller Menschen, die den Blick auf die alten Straßen versperren. Es ist laut und steht im Gegensatz zu der ruhigen, romantischen Atmosphäre, die ich erwartet habe.

Und ja, ich bin naiv! Ich habe in meinem Leben noch nicht viele Orte besuchen können. Ich kenne Berlin, aber von Berlin erwartet man etwas Wildes, Unruhiges, auch wenn die Bildersuche ein menschenleeres Brandenburger Tor anzeigt. Aber Brügge soll doch melancholisch sein!

Fenster mit Gittern spiegelt sich im Wasser

Was macht man also mit so einer Enttäuschung? Ich wollte die Stadt so sehen, wie sie meinen Wünschen entsprach und fuhr noch einmal um 6 Uhr morgens mit dem Rad in die Stadt. Hier war sie also, die mittelalterliche Kulisse ohne Urlaubsgäste. Das Wasser der Grachten so still, dass sich die alten Gebäude darin spiegeln konnten. Die Boote standen abgedeckt an den Rändern und von den Kutschen war noch keine Spur.

Ich nahm meine Kamera zur Hand und machte einige Aufnahmen. Ich versuchte, neue Blicke auf die so viel fotografierte Stadt zu finden und schlenderte dafür über den Grote Markt und die Grachten entlang. Ja, hier war nun das Brügge aus der Googlebildersuche. Aber was war jetzt das echte Brügge? Das schönere Brügge war für mich ohne Frage die morgendliche Stadt. Aber nun fühlte ich mich dabei ertappt, diesen kurzen, ruhigen Moment in meinen Bildern ebenfalls als das eine Brügge zu verkaufen.

BrüggeAlte Häuser mit Efeu in Brügge

Gegen 7:30 Uhr tauchten zuerst die Müllwagen auf und einige Belgier*innen machten sich auf den Weg zur Arbeit. Um 9 Uhr kamen die ersten Urlaubsgäste dazu und ich flüchtete zurück in meine Unterkunft am Stadtrand. Dort konnte ich nun über mein Dilemma nachdenken.

Als Künstlerin sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, Realität zu zeigen. Ich wusste von Anfang an, dass ich in dieser Stadt die mittelalterlichen, nostalgischen Ecken fotografieren möchte und hatte noch nie ein Problem damit, moderne Architekturen zu ignorieren. Ich plante auch keinen Reisebericht, denn fünf Tage Brügge wären sowieso viel zu kurz, um irgendetwas Gehaltvolles über eine Stadt zu erzählen.

Gracht in Brügge

Warum beschäftigte mich dieses Thema dann so? Ich habe nach wie vor keine Antwort auf die Frage, ob und wann man idealisierte Ansichten von Städten zeigen „darf“ und wann nicht. Ich mochte meine Bilder, auch wenn ich wusste, dass ich mit ihnen nicht das Rad neu erfunden habe und habe die Bildersuche mit neuen Fotos eines verträumten, ruhigen Brügge gefüttert.

Wenn man sich die Zeit nimmt und auf eines dieser Bilder klickt, kommt man nun auf diesen Artikel. Vielleicht liest ihn ja jemand und kann mir eine neue Perspektive auf die Problematik eröffnen.

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