04. Juni 2019 Lesezeit: ~4 Minuten

Buchtipp: Urban Gypsies von Paul Wenham-Clarke

Wenn man mich fragt, welche drei Eigenschaften man für eine gute Fotostrecke braucht, würde ich behaupten: Neugier, Geduld und Respekt. Und als Musterbeispiel könnte ich dann Paul Wenham-Clarke nennen, der aktuell mit seinem neuen Buch „Urban Gypsies“ brilliert.

Während der Autofahrt zu einem Werbejob fuhr er über die A4 nach London und erhaschte einen Blick auf Wohnwagen und Anhänger, die sein Interesse weckten. Sie standen unter der Hochstraße und wurden von einigen Sportfeldern und Werkstätten umrahmt. Später fuhr er noch einmal entlang des kompletten Westway, doch am meisten faszinierte ihn weiterhin der Stable Way nahe der Latimer Road.

Ein Pferd unter einer Brücke

In dieser ungewöhnlichen Umgebung leben 20 irische Traveller-Familien. Sie sind eine soziokulturelle Gruppe irischen Ursprungs und leben ähnlich wie die Roma, sind jedoch ethnisch nicht mit ihnen verwandt. 1976 wurde ihnen der Ort zugesprochen, trotz großen und regelmäßigen Protesten der Mehrheitsbevölkerung, bis heute.

Paul Wenham-Clarke fotografierte die Traveller nicht sofort und hatte viel Geduld. Acht Monate lang fotografierte er in der Umgebung alles und jede*n, nur nicht die Traveller. Bekundete jedoch großes Interesse, sie kennenzulernen. Dann lernte er Pat kennen, einen sehr respektierten Traveller, der ihn zu sich einlud. Nachdem die Familien ihn besser kennengelernt hatten, willigten sie in Aufnahmen ein. Jedoch nur zu ihren Bedingungen.

Eine Frau mit einem BabyZwei Jugendliche halten ein Baby

Paul war eingeladen, wenn es um Familienfeiern oder Feste ging und er musste immer um Erlaubnis bitten. Er respektierte die Entscheidung, auch wenn sie nicht der klassischen Dokumentarfotografie entspricht. Aber wie Rachel Segal Hamilton im Vorwort schreibt:

Es wird durch die Hände auf den glitzernden Hüften oder den der Kamera zugeneigten Köpfen klar, dass sie sich der Kamera bewusst sind und Wenham-Clarkes Lichteinsatz gibt den Bildern ein geschmeidigeres Aussehen. Doch das macht es nicht weniger authentisch, vielleicht auf eine Art sogar mehr. Immerhin wissen wir doch inzwischen, dass die Idee des Fotografen als unparteiischer Beobachter, der den Auslöser drückt und festhält, „was da ist“, ein Mythos ist. Ein Foto ist das Endergebnis einer Vielzahl von Möglichkeiten, von der Wahl des Bildschnitts bis zur Bearbeitung. Durch die enge Zusammenarbeit entschieden die Traveller, wie sie dargestellt werden möchten.

Ein Kind in einem Spielzeugauto

Im Buch lernt man die Familien und ihre Lebensweisen besser kennen und verstehen. Nicht nur durch Bilder, sondern auch durch kurze Texte neben den Fotos. So wurde ein spannender Fakt, der mich beim Ansehen der Bilder noch irritierte, im Text aufgeklärt: Auf vielen Portraits schauen die Menschen ernst in die Kamera. Paul erklärt, dass die Traveller nicht den Zwang fühlen, auf Bildern zu lächeln. Sie lachen, wenn sie sich danach fühlen, ansonsten sehen sie neutral in die Kamera. Sehr sympathisch, wie ich finde.

Wie wichtig das Buch und die Fotos sind, zeigt Pauls Feststellung, dass die Lebensweise der Traveller bedroht ist. Dadurch, dass die Kinder eine lokale Schule besuchen, verlieben sie sich oft außerhalb ihrer kulturellen Gruppe und entfernen sich von ihrem bisherigen Lebensstil. Zudem stehen sie unter großem Druck, sich anzupassen und leiden auch heute noch stark unter rassistischen Angriffen.

Eine Frau posiert zwischen BallonsZwei Kinder posieren

So klingt Paul am Ende des Buches eher etwas pessimistisch, aber voller Dankbarkeit, dass die Familien ihm vertrauen und er ihre Lebensweisen besser kennenlernen durfte.

Ich kann hier leider nichts zur Haptik und Qualität des Buchs selbst schreiben, da ich vom Verlag Hoxton Mini Press nur das PDF zugeschickt bekommen habe. Leider, denn ich finde die Herangehensweise und die daraus entstandenen Fotos von Paul Wenham-Clarke sehr beeindruckend und würde es gern besitzen. Wenn es Euch ähnlich geht, das Buch kostet 22,33 € und kann über Amazon oder direkt beim Verlag bestellt werden.

Informationen zum Buch

„Urban Gypsies“ von Paul Wenham-Clarke
Sprache: Englisch
Einband: Hardcover
Seiten: 128
Maße: 15,9 x 22,2 cm
Verlag: Hoxton Mini Press
Preis: 22,33 €

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