06. Mai 2019 Lesezeit: ~13 Minuten

Die Kunst der Schwarzweißfotografie

Ronny Behnert ist bekannt für seine schwarzweißen Langzeitbelichtungen. Manche von Euch kennen ihn vielleicht noch von seinem Artikel „Einmal Sylt und zurück“. Dieses Mal erzählt er uns, wie man das perfekte Schwarzweißfoto macht.

Ronny, verrate uns doch erst einmal: Bei so vielen verschiedenen Farben da draußen – warum überhaupt Schwarzweißfotografie?

Hallo und erst einmal vielen Dank für die tolle Möglichkeit, Euch Rede und Antwort stehen zu dürfen. Warum überhaupt schwarzweiß? Gute Frage! Natürlich ist das Geschmackssache, aber schwarzweiße Fotos erzeugen in mir oftmals stärkere Emotionen als farbige. Positive wie negative.

Das Herausziehen von Farbe ist natürlich kein Garant dafür, dass eine Emotion ausgelöst wird, aber ein wesentlicher Faktor im Zusammenspiel aus Situation, Bildaufbau, Perspektive und so weiter. Durch das Entsättigen der Farbwerte wird das Foto auf das Wesentliche reduziert, egal ob es sich dabei um eine außergewöhnliche Situation, um ein interessantes Gebäude oder ein sehenswertes Motiv in der Landschaftsfotografie handelt. Formen und Strukturen treten automatisch in den Vordergrund.

Ich konzentriere mich in meinen Fotos gern auf das Wesentliche ohne viel Schnickschnack im Ausschnitt. Wenn ich Farbfotos veröffentliche, dann sind es meist entsättigte Versionen, die eine oder maximal zwei Farben enthalten, um auch hier den Fokus auf das Motiv zu legen, das ich in Szene setzen möchte.

Gibt es da besonders geeignete Motive?

Gibt es. Als ganz klassisches Schwarzweißfoto eignet sich zum Beispiel das Tempodrom in Berlin aufgrund der außergewöhnlichen Dachform und natürlich der „Farbe“. Das Dach ist weiß. Etwas schmutzig vielleicht, aber weiß. An diesem Motiv arbeite ich mich regelmäßig ab und obwohl ich schon das eine oder andere Farbfoto dieses außergewöhnlichen Bauwerks veröffentlicht habe, gefallen mir die schwarzweißen Versionen fast immer besser.

Das weiße Dach lässt sich durch die Nachbearbeitung hervorragend in Szene setzen, indem es etwas aufgehellt und der Rest des Bildes im Umkehrschluss etwas abgedunkelt wird. Das Gebäude wird auf seine markante Dachkonstruktion reduziert. Das ist aber nur eine von zahlreichen Möglichkeiten.

„Schlechtes“ Wetter in der Landschaftsfotografie bietet sich ebenfalls oft für schwarzweiße Fotos an. Nebel. Regen. Schnee. Dicke, graue Wolken. Umgebungen, die die Tristesse des aktuellen Moments transportieren sollen, lösen diese Emotion eher in schwarzweiß aus. Was nun nicht heißen soll, dass alle farblosen Fotos auch negative beziehungsweise traurige Stimmungen rüberbringen. Es geht auch andersherum.

Wovon man hingegen Abstand halten sollte, ist die Schwarzweißkonvertierung als Notlösung. Die „Fotoweisheit“, die da lautet „Ist Dein Bild der größte Scheiß, nenn es Kunst und machs schwarzweiß“ bewährt sich nur selten. Ist das Foto schlecht, dann ist es schlecht. Ob nun mit oder ohne Farbe.

Wie sieht es mit besonders ungeeigneten Motiven aus?

Die Frage ist schwer zu beantworten. Ich persönlich bin ein kompletter Gegner von schwarzweißen Nachtfotos, da die Konvertierung dieser ohnehin schon schwierigen Lichtsituationen für mich eher sinnlos erscheint. Der Fokus in der Nachtfotografie wird meist durch künstliche Beleuchtungen wie Scheinwerfer, Laternen oder Lichtspuren fahrender Autos bestimmt. Dazu wirken solche Fotos auf mich meist aggressiv und unruhig, sodass ich schnell weiterschaue. Ein schöner Sonnenauf- oder -untergang wirkt farbig oftmals angenehmer als entsättigt. Die Farben sind der Faktor, der das Foto in diesen Momenten erst zum Leben erweckt.

Es gibt aber auch paradoxe Bildbeispiele. Nordlichter in Schwarzweiß zum Beispiel. Man könnte meinen, dass diese Art von Fotos nur in Farbe ihre volle Wirkung entfaltet, aber ich habe schon interessante Fotos gesehen, in denen Aurora Borealis in monochromer Form durch das Foto tanzte. Zumindest blieb ich am Bild kleben und habe mich damit auseinandergesetzt – Sinn und Zweck erfüllt. Ich selbst habe meine wenigen Nordlichtfotos bis jetzt aber immer farbig belassen. Alles eine Frage des Geschmacks.

Technisch betrachtet: Was ist einfach, was schwierig im Vergleich mit anderen Genres?

Ebenfalls nicht ganz einfach zu beantworten, da diese Einschätzung eher subjektiv ist. Auf mich wirken Fotobereiche wie die Portraitfotografie, Hochzeitsfotografie oder Tierfotografie ausgesprochen schwierig. Aus technischer Sicht genauso wie aufgrund des Fehlens von Erfahrungswerten. Einige Portraitfotograf*innen sehen es wahrscheinlich genau umgekehrt und betrachten die fotografischen Gebiete, in denen ich arbeite, als schwierig. Ich denke einfach, dass das eine Frage der Perspektive ist und alles erlernt werden kann, wenn man es möchte. Schwierig erscheint es nur, weil es unbekannt ist.

Ich bin aber auch der Meinung, dass eine Spezialisierung auf wenige Fotobereiche sinnvoller und wertvoller ist, als dass man allein alle Genres abdeckt. Jeder einzelne Bereich ist dermaßen umfangreich, dass es eine Menge Zeit und Erfahrung braucht, um darin wirklich gute, außergewöhnliche Arbeiten abzuliefern. Ich fotografiere jetzt seit zehn Jahren speziell Landschaften, Gebäude und Städte und eigentlich nie auf dem Level, auf dem ich gern sein möchte. Die Entwicklung dauert Jahre und endet wahrscheinlich nie. Einer der Gründe, warum ich als Fotograf arbeite: Die Möglichkeit, sich ständig weiterzuentwickeln.

Welche Ausrüstung brauchst Du?

Meine Fotoausrüstung ist eher spartanischer Natur. Ich habe das Equipment soweit wie möglich reduziert, um so wenig wie möglich von dem zu haben, was ich nur selten brauche. Fotografiert wird mit einer Sony A7RII , auf die ich in der Regel zwei Linsen schraube. Mein 24–105 mm und mein 16–35 mm . Diese Brennweiten decken meine favorisierten fotografischen Bereiche, die Landschafts- und Architekturfotografie, hervorragend ab.

Momentan teste ich als Samyang-Markenbotschafter das neue 14-mm-Objektiv als Festbrennweite und muss zugeben, dass ich absoluter Weitwinkelfan bin. Der Sprung zu einer noch kürzeren Brennweite von 16 mm auf 14 mm bringt eine ganze Menge mehr Bildinhalt, Perspektive und Bildwirkung. Für Fotomotive, die sich etwas weiter weg befinden und herangezoomt werden müssen oder die ohne Vordergrund auskommen, nutze ich meist das 24–105 mm. Eines meiner nächsten Objektive wird höchstwahrscheinlich ein Tilt-Shift-Objektiv sein, um in der Architekturfotografie die stürzenden Linien direkt in der Aufnahme beseitigen zu können.

Filtertechnisch arbeite ich mittlerweile ausschließlich mit Filterscheiben des chinesischen Herstellers Haida . Die vielen verschiedenen Filter nutze ich zum Beispiel, um verschiedene Effekte der Langzeitbelichtung zu erzeugen. Extrem glattes Wasser oder ziehende Wolken sind Paradebeispiele für Effekte der sogenannten Graufilter. Diverse Grauverlaufsfilter mit weichem oder hartem Verlauf und in verschiedenen Stärken nutze ich, um zu helle Bildteile etwas abzudunkeln.

Kommt die Sonne raus und scheint mir seitlich in das Bild, kann ich mit einem Verlaufsfilter die überstrahlten Bereiche abdunkeln, um ein ausgewogen belichtetes Foto zu schießen, in dem keine Bereiche viel zu dunkel oder viel zu hell sind. Mit den verschiedenen Stärken der Grau- und Verlaufsfilter bestimme ich die Intensität des Effekts.

Zu dem recht umfangreichen Filterequipment gesellen sich noch ein Polfilter zum Entspiegeln aller nichtmetallischen Motive sowie ein Clear-Night-Filter, der die stetig steigende Lichtverschmutzung in der Nacht teilweise beseitigt, indem bestimmte Farbtöne herausgefiltert werden. Zudem ist dieser Filter leicht blau eingefärbt, was den Effekt zusätzlich verstärkt.

Ein stabiles Stativ, ein ordentlicher Stativkopf, diverse Fernauslöser und der übliche Kleinkram müssen auch noch Platz im Fotogepäck finden. Gerade wird mir bewusst, dass die Auflistung der Fotoausrüstung weniger spartanisch erscheint, als anfangs erwähnt.

Und wie sieht es mit der Nachbearbeitung aus?

Lightroom und Photoshop sind für mich wichtige Faktoren, um alles aus den geschossenen Fotos herauszuholen. Im Übrigen habe ich vergessen, diese beiden beim Thema Fotoausrüstung zu erwähnen. Es läppert sich!

Die Nachbearbeitung ist für mich essentiell und stellt einen wichtigen Faktor in der Fotografie dar, um die gewünschte Bildwirkung zu verstärken. Und ich schreibe bewusst „verstärken“ und nicht „erzeugen“. Ich versuche, die gewünschte Emotion durch das Bearbeiten vorhandener Bildteile zu verstärken. Ich bin kein Fan sogenannter Composings, also Bildern, in denen maßgebliche Bildinhalte entfernt, ausgetauscht oder dupliziert werden. Aber jeder so, wie er oder sie mag. Wenn es technisch möglich ist, ist jede Form der Bildbearbeitung erlaubt.

In meinen Augen gibt es nur ausgesprochen wenige Fotos, die ohne eine sinnvolle Nachbearbeitung schöner, ausdrucksstärker oder interessanter wirken als mit. Schon in analogen Zeiten wurde retuschiert, was das Zeug hielt, um die geschossenen Fotos zu optimieren. Ersetzt wurden nur die Werkzeuge, das Handwerk aber bleibt das gleiche.

Hast Du ein absolutes Lieblingsschwarzweißbild in Deinem Portfolio – und wenn ja, welches und warum?

Ich selbst lobe meine Fotos eigentlich ungern. Um es grob und neutral zu beschreiben, gefällt mir das zuletzt bearbeitete Foto meist am besten. Um Euch aber trotzdem ein Bildbeispiel zu liefern, zeige ich Euch mein letztes Foto der Berliner Siegessäule.

Warum? Ich habe Jahre auf den Tag gewartet, an dem Nebel auftaucht, der so stark ist, dass er den Hintergrund fast verschluckt und trotzdem noch einen Blick auf die Siegessäule gewährt. Berliner Fotograf*innen kennen das Problem der nebellosen Tage in der Hauptstadt: Meistens schafft es der Nebel nicht bis in die Stadt, aber an einem oder zwei Tagen im Jahr wacht man auf, schaut aus dem Fenster und sieht nur noch graue Suppe. Dann heißt es Termine checken, verschieben, absagen. Equipment schnappen und losrennen. Frühstück fällt aus. So schnell wie der Nebel kommt, so schnell verschwindet er bei uns auch wieder. Das macht es für mich so besonders.

Was sind Deine fünf Geheimtipps für ein besonders gelungenes Schwarzweißfoto?

Das geeignete Motiv ist die Grundvoraussetzung für ein gelungenes Schwarzweißfoto. Um dieses Motiv zu finden, versuche ich, quasi schwarzweiß zu schauen, um mir das, was ich gerade sehe, in einer schwarzweißen Version vor meinem geistigen Auge vorstellen zu können. Besitzt das Motiv oder die komplette Szene Bildteile, die sich durch Aufhellen und Abdunkeln in den Fokus rücken lassen? Werden genügend Kontraste erzeugt, wenn die Farben herausgezogen werden? Hierzu ist es wichtig zu wissen, wie sich einzelne Farbtöne verhalten, wenn sie entsättigt werden. Kontraste sind das A und O.

Weniger ist mehr. Je mehr Bildinformationen oder Motive ein Foto besitzt, desto unruhiger wirkt es. Verstärkt wird diese Eigenschaft durch das Reduzieren der Farbe, da markante Bildpunkte dadurch noch verstärkter in den Vordergrund treten. Ein (für mich) gutes Schwarzweißfoto besteht aus einem Hauptmotiv, das durch einen starken Kontrast zum Hintergrund sofort ins Auge fällt und auch als solches klar erkennbar ist. Ganz verallgemeinert gilt die Faustregel: Das Hauptmotiv sollte weniger Fläche einnehmen als der Hintergrund, um am stärksten wahrgenommen zu werden. Klingt komisch, ist aber so.

Der Dynamikumfang ist besonders in einem Schwarzweißfoto sehr wichtig. Eine ausgewogene Belichtung entscheidet über Leben und Tod des Fotos. Dunkle und helle Bereiche sollten trotz kräftiger Kontraste zueinander noch genügend Strukturen beziehungsweise Bildinformationen aufweisen, um nicht als matte, rein schwarze oder rein weiße Flächen wahrgenommen zu werden. Ein Schwarzweißfoto besteht zudem nicht nur aus Schwarz und Weiß, sondern aus vielen Grautönen, die alle ihre Berechtigung haben, im Foto zu erscheinen. Je mehr verschiedene Grauabstufungen vorhanden sind, desto weicher und harmonischer wirkt die komplette Bearbeitung des Fotos. Das Arbeiten mit den unterschiedlichen Grauwerten ist sicher nicht leicht. Bei zu viel Kontrastzugabe wirkt das Foto schnell sehr hart und verliert an Strukturen in hellen und dunklen Bereichen, während zu wenig Kontrast ein schwarzweißes Foto eher matt und fad aussehen lässt.

Auch wenn es sich anfangs merkwürdig liest, so ist das richtige Licht auch in der Schwarzweißfotografie ausschlaggebend. Jede Lichtsituation kann sich für ein Schwarzweißfoto eignen. Es ist nur wichtig zu wissen, wie sich das Licht auf die unterschiedlichen Grautöne auswirkt. Sehr hartes Licht erzeugt auch sehr harte Kontraste, durch vorhandene Schlagschatten, was sich besonders in der Nachbearbeitung bemerkbar macht. Je mehr Kontrast hinzugefügt wird, desto dunkler werden die Schatten und desto heller werden die Lichter. An „langweiligen“, grauen Nebeltagen wirkt das Licht hingegen sehr weich, was es schwieriger macht, Kontraste zu erzeugen. Hier kommt das geeignete Fotomotiv ins Spiel, das den Kontrast zum hellen Hintergrund erzeugen soll.

Zu guter Letzt der vielleicht wichtigste Tipp: probieren, probieren, probieren. Die Praxis ist der beste Lehrer und bringt zumeist den größten Erfolg. Wir leben in einer Zeit, in der ein Foto in der Regel nichts mehr kostet, sodass wir uns fotografisch so lange ausprobieren können, bis der Auslöser glüht.

Vielen Dank für das Interview und Deine Zeit!

Alle hier gezeigten Aufnahmen könnt Ihr als Drucke direkt über Photocircle bestellen.

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