28. Januar 2019 Lesezeit: ~6 Minuten

Hüter der Zeit – Handkolorierte Fotografien

Als Fotograf beschäftige ich mich seit vielen Jahrzehnten mit der Handkolorierung von Schwarzweiß-Fotografien. Diese alte Technik aus der Frühzeit der Fotografie habe ich schon sehr früh als besondere Ausdrucksform für mich entdeckt und mit Arbeiten für Magazine wie Mare, Merian und Geo-Special zu meinem Spezialgebiet gemacht.

Auch die ältesten Bäume in Deutschland habe ich auf diese Art portraitiert. In einem fotografischen Langzeitprojekt über einen Zeitraum von 20 Jahren besuchte ich die alten Bäume, viele davon mehrmals. So fasziniert ich anfangs angesichts der Tatsache war, dass es in unserem dicht besiedelten Land doch noch sehr viele bemerkenswerte und beeindruckende alte Bäume gibt, so betroffen bin ich doch inzwischen auch, was dieser für Bäume eigentlich recht kurze Zeitraum für Veränderungen bewirkt hat.

Kühe an einem großen Baum

Eiche bei Beberbeck, Hessen, Alter ca. 300 Jahre, Umfang ca. 6 m

Manch ein vor 20 Jahren noch starker Baum hatte tragende Äste verloren, als ich ihn ein zweites oder drittes Mal besuchte, andere sind gänzlich auseinander gebrochen und nur noch eine Ruine. Nicht zuletzt deshalb ist mir diese Dokumentation wichtig, auch wenn ich sie auf eine sehr persönliche Art betrieben habe.

Im Verlag Frederking & Thaler ist dazu nun der Bildband „Hüter der Zeit“ erschienen, in dem die faszinierendsten alten Bäume Deutschlands versammelt sind. Uralte Eichen und Linden, gewaltige Mammutbäume und knorrige Süntelbuchen, verwunschene Ulmen und Weiden, aber auch alte Apfel- und Birnbäume. Sie alle sind im Lauf der Jahrhunderte zu Individuen geworden, zu unverwechselbaren Baum-Persönlichkeiten, und genau so wollte ich sie auch darstellen.

Baum mit religiöser Statue

Buche bei Bullau, Hessen, Alter ca. 200 Jahre, Umfang ca. 5 m

Ich war immer auf der Suche nach Bäumen, die zu einer eigenen, außergewöhnlichen Form gefunden haben, die auch Ausdruck ihres gelebten Lebens ist. Alles, was sie erlebt haben und was sie in Hunderten Jahren geprägt hat, steckt noch in ihnen. Die alten Bäume sind die „Hüter der Zeit“.

Deshalb spielt die Zeit auch eine ganz wichtige Rolle bei der Technik, die ich gewählt habe, um die Erhabenheit und Entrücktheit, aber auch die würdevolle Aura dieser alten Baumgestalten zu betonen: Die handkolorierte Schwarzweiß-Fotografie. Dabei wurden die Bäume zunächst ganz klassisch analog auf Film fotografiert. Die Vergrößerungen entstanden in ebenfalls altertümlicher Dunkelkammerarbeit auf Barytpapier, um dann anschließend in allen Details von Hand koloriert zu werden, mit Eiweißlasurfarben und feinem Pinsel. Genauso, wie man das vor hundert Jahren schon gemacht hat.

Mann beim Kolorieren einer Fotografie

ArbeitsmaterialienArbeitsmaterialien

Selten schien mir die Anwendung dieser Technik inhaltlich sinnvoller und angemessener als bei diesem Projekt. Die Zeit, die ich meditierend mit dem Kolorieren verbringe, ist für mich auch ein symbolisches Äquivalent zur Zeit des Wachsens und Alterns für den Baum. Mehrere Tage bis zu einer Woche Arbeit stecken in einem kolorierten Bild. Über diesen Zeitraum kommt es nach dem eigentlichen Fotografieren zu einer zweiten Begegnung mit dem Baum. Ich lerne ihn noch einmal neu kennen.

So wie es der Sinn einer guten Portraitfotografie ist, nicht nur das Äußere eines Menschen abzubilden, sondern seine Persönlichkeit spürbar werden zu lassen, so ist es auch das Ziel dieser Arbeit, das Wesen des Baumes zu erfassen, seine Seele darzustellen, ihn zu portraitieren in seiner ganz speziellen Eigenart. Den Bäumen durch das aufwändige Kolorieren auch der kleinsten Details ein zweites Mal zu begegnen und ihnen dabei näher zu kommen, sie „Blatt für Blatt“ aufzunehmen, ist auch eine Art Meditation, sowohl für mich als Fotograf als auch für die Betrachter*innen.

Alter Baum

Linde bei Amönau, Hessen, Alter ca. 200–300 Jahre, Umfang ca. 5,5 m

Es soll eine Einladung zur intensiveren Beschäftigung mit den Bäumen sein, zum Spazierengehen in den Bildern. Dass die Farbgebung der Arbeiten dabei bewusst weder ganz naturalistisch ist noch stark verfremdend, fließt bisweilen erst auf den zweiten Blick in die Wahrnehmung ein. Aber genau um diesen zweiten Blick geht es.

Wer sich für die Technik interessiert und sich von seiner alten analogen Kamera und der dazugehörigen Dunkelkammerausrüstung samt Vergrößerer noch nicht getrennt hat, kann es vielleicht auch selbst einmal probieren. Es braucht gar nicht viel dazu. Analoges Filmmaterial und Barytpapiere gibt es glücklicherweise ja auch im digitalen Zeitalter immer noch und auch die Eiweißlasurfarben – lasierende, nicht deckende Farben, die die zugrunde liegende Fotografie durchscheinen lassen – bekommt man im guten Fotofachhandel.

Buchsbaum-Reihe

Buchsbaum-Reihe im Schlosspark Krumke, Sachsen-Anhalt, Alter ca. 300 Jahre, Umfang ca. 0,5 m

Dazu ein paar Pinsel unterschiedlicher Stärke. Ein Set Grundfarben reicht völlig aus, da sie problemlos gemischt werden können und sich so jeder gewünschte Farbton herstellen lässt. Allerdings sind die Farben hoch konzentriert und sollten stark verdünnt werden.

Die Arbeit mit Eiweißlasurfarben ist der Aquarellmalerei nicht unähnlich. Wie auch Aquarell erlaubt beim Kolorieren die einmal aufgetragene Farbe so gut wie keine Korrektur. Was das Handwerkliche angeht, zwingt dies zu präzisen Arbeiten, inhaltlich erfordert es so etwas wie ein Meditieren über dem noch schwarzweißen Bild, bevor entschieden ist, welche farbliche Stimmung es bekommen soll. Denn sobald diese Entscheidung einmal getroffen ist, gibt es, im Gegensatz zur modernen digitalen Bildbearbeitung, deren vielfältige Optionen man sich immer offen halten kann, kein Zurück mehr. Hat das Bild einmal „Farbe angenommen“, gibt es sie nicht wieder her.

Alter Baum im Winter

Eiche bei Beberbeck, Hessen, Alter ca. 300–400 Jahre, Umfang ca. 7,5 m

Mit ein bisschen Mut und Übung kann man dann aber feststellen, was auch mich daran so begeistert, nämlich dass dieses Handwerk eine wunderbare Verbindung aus Fotografie und Malerei ist, bei der es eben nicht darum geht, einem Foto eine irgendwie malerische Anmutung zu verleihen, wie das mit einigen Klicks am Computer möglich ist, sondern wirklich mit Pinsel und Farbe zu arbeiten und sich dabei ruhig auch ein bisschen die Hände schmutzig zu machen.

Jedes Bild wird so zu einem Unikat, zu einer ganz persönlichen Interpretation des Gesehenen, jenseits der Möglichkeiten von Photoshop und Co. Zu sehen sind die Arbeiten auch in einer Ausstellung im Max-Hünten-Haus der Fotografie in Zingst, vom 11. März bis 15. Mai 2019.

Buchcover mit einem alten Baum

Informationen zum Buch

„Hüter der Zeit“ von Heinz Wohner
Sprache: Deutsch
Seiten: 192 Seiten mit ca. 160 Abbildungen
Maße: 27 x 29 cm
Verlag: Frederking & Thaler
Preis: 39,99 €