Portrait einer jungen, lachenden Frau.
11. September 2018 Lesezeit: ~7 Minuten

Es soll um Portraits gehen.

Ich betrachte meine Fotos nicht ausgedruckt an der Wand, sondern die längste Zeit während der Bearbeitung. Darunter leide ich so sehr wie ich dem Drang, immer wieder aufs Neue zu fotografieren und zu fotografieren, nicht widerstehen kann. Es ist ein Kreuz und eine tiefe Freude.

Die meisten Portraits, die ich sehe, sind halb gestellt und halb privat. Fremde wie eigene. Weder findet sich der Mut, sich preiszugeben, um den Lohn der Lächerlichkeit (immer um den Lohn der Lächerlichkeit), noch der Mut, der für die absolute Pose, die alles versteckt und verdeckt und die das Individuum (das ach so wichtige Individuum) endlich zum Verschwinden bringt, nötig ist.

Portrait einer jungen Frau.

Immer soll man sehen, wie einer oder eine sich selbst sieht, sehen möchte. Oder was der Fotograf oder die Fotografin „entdeckt“: „So habe ich Dich noch nie gesehen.“ Das ist langweilig. Und macht zornig. Weil sich da quasi in die Pappaufsteller der Jahrmärkte gezwängt wird, die bloß ein Kopfloch haben und die heute eben Instagram oder Flickr heißen.

Meint man es ernster, möchte man also Geld oder mehr Likes, dann wird einem empfohlen, eine Sprache zu entwickeln, einen wiedererkennbaren Stil. Bis irgendwann die Timeline bei Instagram aussieht wie eine geschmackvolle Mustertapete.

Portrait einer jungen Frau.

Und man soll sich spezialisieren. Nicht alles machen. Sich konzentrieren. Was für ein Mumpitz! Man muss alles fotografieren. Egal. Hauptsache fotografieren. Am besten jeden Tag. Und trotzdem habe ich diesem Diktum etwas nachgegeben. Ich habe mich gegen Sport- und Produktfotografie entschieden. Das war leicht. Mit beidem kann ich nichts anfangen.

Ich würde lieber Texte schreiben. Doch Texte liest niemand mehr. Es hat wenig Sinn, etwas zu tun, was niemand wahrnimmt. Das, was niemand wahrnimmt, existiert nicht: Es wird nicht realisiert. (Und Texte zu schreiben, dauert viel zu lange. Die Geduld dafür habe ich nicht.)

In diesem Sinne sind Fotografien wenigstens für einen Moment real. In dem einen Moment, da jemand sie sieht. Solche Momente werden immer kürzer. Aber das ist nicht mein Problem. Ich habe (wieder) angefangen zu fotografieren, als solche Momente längst bei der Länge eines Instagram-Fingerscrolls angekommen waren. Ein Lidschlag Realität. Ich bin das gewohnt. Es stört mich selten.

Portrait einer jungen Frau.

Portrait eines jungen Mannes.

Portrait einer jungen Frau.

Es soll um Portraits gehen und ich kann nur sagen, dass ich jedes Mal losgehe, als ob ich noch nie fotografiert hätte. Mit großer Unrast und dem untrüglichen Gefühl, dass ich heute als Hochstapler entlarvt werde. Ich werde erst ruhiger, wenn ich anfange zu fotografieren. Oft sind wir wenigstens zu dritt. Wir tauschen die Rollen – mein Ideal.

Selbst, wenn ich den Fotoapparat nicht mehr hergebe. Wir berauschen uns bestenfalls an dem, was wir tun. Es ist wie… eine Art Wellness. Hinterher gucken wir uns erlöst und erschöpft an. Und es geht banalerweise darum, gute Bilder zu machen. Es dauert entweder immer länger und länger oder nur wenige Minuten. Ursprünglich waren es so drei Stunden. Das ist entweder zu lang oder zu kurz.

Portrait einer jungen Frau.

Allein bin ich erst am Computer. Die Bilder suche ich allein aus. Ich bearbeite allein. Da bin ich diktatorisch. Ich versuche, nicht zickig zu sein. Für meinen Geschmack gelingt mir das nicht.

Noch nie habe ich ein Bild gemacht, bei dem ich sicher war. Manchmal gefallen mir die Fotos, die ich gemacht habe. Oft sind sie mir zu viel. Zumeist ist beides zugleich der Fall. Mir ist schlecht vom vielen Essen und ich esse weiter. Ihr versteht?

Portrait einer lachenden Frau.

Ich habe kapiert, warum ich näher ran muss, wenn das Foto schlecht ist. Ich kompensiere das, indem ich – der ich mit dem Teleobjektiv angefangen habe, Portraits zu fotografieren – inzwischen häufig Weitwinkel benutze. Und ich habe gelernt, dass Robert Capas Diktum nur die halbe Wahrheit ist. Geht man weiter weg, muss man aufteilen können: den Raum, die Linien, die Farben… die Muster. Insofern ist „Geh näher ran!“ auch eine Erlösungsfantasie für Schnelle und Faule.

Portrait einer jungen Frau.

Im Sommer verliere ich Ausrüstung. Am Ende fotografiere ich nur noch mit meiner Fuji X100S und verwende zum Aufhellen und Einfrieren den darin eingebauten, lächerlich winzigen Blitz. Im Winter packe ich mich dann wieder ein: in Stative, Blitze, neue Technik, von der ich gelesen habe. In die große Canon und alle Objektive. Ich schleppe mich ab und denke, dass mich das ablenkt von meiner Unsicherheit. Ich möchte vorbereitet sein. Was oft Unsinn ist. Worauf denn?

Portrait eines jungen Mannes mit Händen im Vordergrund.

Ich habe keine Ahnung von Malerei. Mir gefallen Fotos, die wie Malerei aussehen. Ich mag immer mehr die Unschärfe, den Moment, wenn jemand aus dem Bild fällt. Meine Fotos werden immer dunkler. Ich habe ein Verhältnis mit dem Schwarzregler in Lightroom. Sehr selten bleibt mir das Herz stehen, wenn ich den Auslöser drücke. Aber es passiert. Daheim suche ich das so entstandene Bild und es ist völlig banal.

Noch nie habe ich absichtlich wiederholt, was einmal erfolgreich war. Abgesehen davon, dass ich ständig durch Glasscheiben fotografiere. Und Reflexionen benutze. Und so ganz langsam kapiere, was alle immer mit dem Licht meinen. Ich fotografiere nicht mehr von oben auf jemanden herab, der mich dabei ansieht.

Portrait einer jungen, lachenden Frau.

Inzwischen gebe ich nur noch „technische Anweisungen“. Wenn überhaupt. Am liebsten fotografiere ich Reportagen oder versuche, mir alles als Reportage zurechtzulegen. Dann bin ich nicht verantwortlich, sondern muss nur einfangen. Ich bin sehr gern mittendrin (nicht zwischendrin) und beeinflusse. Allein dadurch, dass ich nicht unauffällig bin. Ich möchte nicht mit einer Wand verschmelzen.

Das einzige, was ich sagen möchte: Es soll um Portraits gehen und ich genüge meinen eigenen Ansprüchen nicht. Es passiert und ich weiß erst hinterher, was passiert ist. Insofern habe ich – wahrscheinlich – auch nach den ersten 10.000 Fotos noch keines gemacht. Um ein anderes Diktum zu zitieren. Aber es ist großartig, weil es nie weg ist: Ich denke von morgens bis abends über Fotos und Fotografie nach. Keine Ahnung, warum.

Portrait eines älteren Herren mit Brille vor einer Wand mit Kreuz.

Wenn man ernsthaft anfängt, darüber nachzudenken, was man tut, ergibt vieles keinen Sinn, weniges ist konsistent. Viel streicht man und vermisst es dann wieder. Manches fügt man hinzu und versteht zwei Tage später nicht mehr, wieso. Und doch beschäftigt es einen weiter und weiter… wie die Bilderflut, die man selbst produziert und die einen an einem Tag zutiefst deprimiert und die an einem anderen Tag höchste Euphorie hervorruft und einem eigene Bilder fremd und faszinierend zugleich erscheinen.

Nach dem Verfassen dieses Texts und der dazu notwendigen Bildauswahl habe ich nur einen Wunsch: Ich möchte fotografieren und im Moment nicht nachdenken. Keine alten Bilder ansehen und auswählen und nur „Fehler“ sehen. Es ist ein Kreuz.

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