Spiegelung einer Person in einer Pfütze am Boden.
13. August 2018 Lesezeit: ~29 Minuten

Objektiv – Eigenschaften und Nebenwirkungen

Die Auffassung, gute Fotografien seien eher mit Festbrennweiten als mit Zoomobjektiven zu erzielen, wird von manchen als elitärer Standpunkt betrachtet. Oder ist vielleicht doch etwas dran an dieser These? Und, wenn ja, durch welche Eigenschaften und Nebenwirkungen zeichnen sich die beiden Objektivtypen eigentlich aus? Wie beeinflussen sie das Sehen und Gestalten?

Die Antworten sind für die ambitionierte Fotografie nicht trivial. Daneben spielen subjektive Vorlieben eine Rolle. So bevorzugen wir an manchen Tagen, nicht nur aus sachlichen Gründen, eine handfeste Spiegelreflex- oder gar Mittelformatkamera, bei anderen Gelegenheiten hingegen Messsucher- und Systemkameras. Alle Techniken bieten Vor- und Nachteile und sind für bestimmte Aufgabenstellungen besser oder eher weniger geeignet. Aber sie haben jeweils auch bestimmte Eigenschaften, die uns besonders sympathisch sein mögen.

Gleiches gilt für die Objektivwahl. Moderne Zoomobjektive weisen eine Abbildungsqualität und Lichtstärke auf, die den Unterschied zu Festbrennweiten in vielen Fällen nebensächlich werden lässt. Trotzdem gilt auch hier: Mal bevorzugen wir das Zoom, mal das klassische Objektiv mit fester Brennweite. Für die Wahl der „richtigen“ Technik gibt es bei vielen Anwendungen keine festen Gesetze. Die einzige Regel für die bildhafte Fotografie lautet, dass sie nicht langweilen sollte.

Hausecke mit blattbehangenem Zweig

Die beständige Reflexion des eigenen Seins und Handelns ist weder im Alltag noch beim Fotografieren sinnvoll. Ein Übermaß an Selbstkontrolle steht dem spontanen und intuitiven Erfassen einer Situation im Wege und je mehr wir bestimmte Handlungen automatisieren, ohne im Detail über sie nachdenken zu müssen, umso zügiger und unverkrampfter können wir handeln. Wer einmal das Gitarrespielen erlernt hat, kennt die Anfangsschwierigkeiten mit den beiden Händen. Sind jedoch nach fleißigem Üben die Griffe in das Vorbewusste eingedrungen, ist das Sortieren der Finger nicht mehr nötig und das flüssige Spiel hat begonnen.

Man darf davon ausgehen, dass Vergleichbares auch für das Fotografieren gilt, insbesondere beim Schnappschuss, der Straßenfotografie oder der Bildreportage. Während bei der Landschaftsaufnahme und der Portraitserie im Studio durchaus etwas Zeit vergehen darf, bis die korrekten Einstellungen und der richtige Bildausschnitt gefunden sind, ist dies bei der schnellen Fotografie nicht der Fall. Diese lebt von der entscheidenden Sekunde. Zeit für lange Überlegungen gibt es nicht, denn es sind flüchtige Phänomene, die sich nur kurz zeigen und dann auch schon wieder vorüber sind. Im glücklichen Fall erfasst man solche Situationen intuitiv und ahnt anschließend, dass es eine gute Aufnahme geworden ist. Umgekehrt spürt man aber auch, wenn lediglich ein Bild mit spannungslosen und diffusen Eigenschaften entstanden ist.

Nur wenige Fotografien weisen einen wirklich nachhaltigen Charakter auf. Aber es gibt ihn, den ultimativen Schnappschuss und zahlreiche Beispiele aus der Geschichte der Fotografie belegen den ikonografischen Charakter solcher Aufnahmen: Das Portrait Che Guevaras, der mutige Mann auf dem Tian’anmen-Platz in Peking oder einige Aufnahmen von Robert Capa gehören dazu. Verantwortlich ist nahezu immer eine Mischung aus eingeübter Technik, automatisierten Handlungsabläufen, einem intuitiven Gefühl für die Bildgestaltung, dem Instinkt für den richtigen Augenblick und natürlich viel Glück.

Geplantes, Geübtes und Intuitives treffen im Augenblick der Aufnahme zusammen. Wird ein Zoomobjektiv eingesetzt, kommt eine weitere Variable hinzu. Während bei der Festbrennweite eine der wichtigen Festlegungen, nämlich die Wahl des vom Objektiv abhängigen Bildwinkels, im Vorfeld getroffen worden ist, wird er beim Zoom häufig erst kurz vor dem Auslösen festgelegt. Dieser Unterschied ist für die Bildgestaltung von Bedeutung.

Allzeit bereit

Auf den ersten Blick spricht vieles für einen Vorteil des Zoomobjektivs. Es bietet maximale Flexibilität, da innerhalb einer bestimmten Bandbreite der Bildausschnitt ohne Veränderung des eigenen Standortes angepasst werden kann. Darüber hinaus freut sich der Rücken, wenn er nicht durch eine schwere Kameratasche voller Objektive belastet wird. Insbesondere beim Fotografieren mit der Spiegelreflexkamera ist die Gewichtsfrage durchaus ein Thema, auch wenn diesbezüglich seit dem Aufkommen der Systemkameras eine Alternative zur Verfügung steht. Deren Objektive sind bei ähnlicher Leistungsfähigkeit deutlich leichter und die Kameras selbst sind bis auf einige Spezialanwendungen ihren großen Geschwistern ebenbürtig.

Für das Fotografieren mit der klassischen Leica galt dies im Übrigen schon immer.
Bei der Sport- oder Tierfotografie bietet ein lichtstarkes, dann allerdings auch gewichtiges Telezoom-Objektiv unbestrittene Vorteile, da es oft schnell gehen muss. Jeder Objektivwechsel kann da schon einer zu viel sein. Ähnliches gilt für die Reportagefotografie. Wer im dichten Gedränge mit einem Zoomobjektiv unterwegs ist, braucht sich bei Voreinstellung einer entsprechenden Blende nicht viele Gedanken um die Tiefenschärfe zu machen und kann sich auf die Wahl der richtigen Brennweite konzentrieren. In manchen Situationen mag sich diese Variabilität allerdings als Nachteil erweisen, denn es ist keinesfalls sicher, dass der optimale Bildausschnitt auch wirklich so schnell gefunden wird.

Wasser mit Wassergras und Sonnenfunkeln

Das Ergebnis ist allzu häufig ein langweiliges Bild ohne erkennbares Gestaltungsprinzip. Bei der Reportagefotografie ist dies verschmerzbar, da es zunächst erst einmal um das Festhalten des entscheidenden Augenblicks geht und das Bild später zurechtgeschnitten werden kann. In anderen Fällen wird die Indifferenz jedoch zum Problem. Das Zoom verleitet zur Bequemlichkeit und zum Ersetzen bildgestaltender Überlegungen durch das Drehen am Objektivring. Mitunter geht auf diese Weise zwar alles ziemlich schnell, aber das Konzeptionelle bleibt auf der Strecke und die Auswirkungen der Bildwinkelveränderung werden nicht ausreichend reflektiert. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Unschlüssigkeit.

Während des Blickes durch den Sucher wird die Brennweite verändert, mal rückt das Motiv näher, mal ist es ferner, es gibt hier eine attraktive Perspektive, dort eine und am Ende bleibt man unsicher, für welche Variante man sich entscheiden soll. Gewonnen ist gar nichts und die Qual der Wahl hat zur verpassten Aufnahme geführt.

Wird statt des Zoomobjektivs mit einer Festbrennweite fotografiert, stellt sich zwar gleichermaßen die Frage nach dem richtigen Bildausschnitt, aber der Aufnahmewinkel wurde in diesem Fall vorab definiert und kann ohne Objektivwechsel nicht verändert werden. Soll vom zentralen Bildmotiv mehr oder weniger aufgenommen werden, kann man nicht am Zoom drehen und muss stattdessen die Füße benutzen. Das kostet mitunter wertvolle Zeit. Wird dies aber von vorneherein berücksichtigt und ist der Standort richtig gewählt, ist die Festbrennweite am Ende schneller als das Zoom mit seinen potentiell gefährlichen, weil zeitraubenden Auswahlmöglichkeiten.

Spiegelung eines Hauses in einer Scheibe mit Gardine.

Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa waren sich der Eigenschaften ihres Objektivs völlig bewusst und konnten die feste Brennweite auf instinktive Weise einsetzen. Entfernungsbereich, Verschlusszeit und Blende häufig voreingestellt, nahmen sie die entscheidenden bildgestaltenden Elemente unmittelbar wahr, warteten auf den richtigen Augenblick und lösten dann in einem Moment des konzentrierten, mentalen Bezugs zur Umgebung aus. Es war eine nahezu zen-artige Beziehung zwischen Fotograf und Motiv entstanden. Wenn das Bild trotzdem nicht gelungen war, dann mag das, wie Robert Capa es ausgedrückt hat, daran gelegen haben, dass man nicht nah genug dran war. Ein Zoom hätte das Problem aber ganz sicher nicht gelöst, weil seine Indifferenz einem Gebrauch der Kamera als verlängertem Auge im Wege steht.

Fotografen wie Cartier-Bresson oder Capa nutzten ihre Leica aber genau auf diese Weise. Sie waren eine organische Beziehung mit der Kamera eingegangen.

Für die unbemerkte Straßenfotografie ist eine unauffällige Kamera besser geeignet als die voluminöse Technik mit riesigem Objektiv. Zwar wird man auch mit der kleinen Kamera wahrgenommen, aber eher als harmlose*r Knipser*in eingestuft, der*dem man keine Beachtung schenkt. Es kann sogar sinnvoll sein, auf eine Sonnenblende zu verzichten, weil diese die Kamera auffälliger macht. Den gleichen Effekt ruft das, in der Regel größere, Zoom hervor und fotografiert man ohne Blick durch den Sucher aus der Hüfte, ist sowieso nur die Festbrennweite geeignet. Man ahnt allerdings lediglich, was sich im Bild befindet und muss deshalb ein Gefühl dafür entwickeln, welchen brennweitenbedingten Bildwinkel das gerade genutzte Objektiv aufweist. Und es macht durchaus einen Unterschied, ob bei der Straßenfotografie ein 24-mm- oder ein 50-mm-Objektiv verwendet wird.

Fotografiert man jedoch eine Weile mit ein und demselben Objektiv, so steigt das Gespür für dessen Bildwinkel deutlich an. Darüber hinaus ist es bei der Straßenfotografie normal, wenn sich unter hundert Aufnahmen mitunter nur eine oder zwei befinden, die bei kritischer Betrachtung Bestand haben. Der Rest ist Ausschuss. Es ist aber unstrittig, dass ein Zoomobjektiv für das Fotografieren aus der Hüfte nicht geeignet wäre, weil man kein Empfinden für die gerade eingestellte Brennweite besitzt.

Pflanzen und Schatten auf Beton

Auch wenn es nicht, wie bei der Straßenfotografie, um die unmittelbare, schnelle Reaktion geht, sondern um ein überlegtes und gestaltendes Fotografieren, weist die Festbrennweite Vorteile auf. Man arbeitet mit ihr zwar meist langsamer und das Motiv muss in vielen Fällen umrundet werden, bis die richtige Perspektive gefunden ist. Die Bildgestaltung findet aber auf diese Weise eine stärkere Beachtung als bei der Verwendung eines Zooms. Der Effekt potenziert sich, wenn analog fotografiert wird.

Einen Negativfilm mit 36 Aufnahmen wird man sich sorgfältig einteilen, während auf der digitalen Speicherkarte große Datenmengen festgehalten werden können und dadurch ein ungehemmtes Auslösen gefördert wird. Kostet ja nichts und der Ausschuss kann ohne Probleme gelöscht werden. Zwingt man sich hingegen auch beim digitalen Fotografieren zur Entschleunigung, so ist das für eine durchdachte Bildgestaltung förderlich.

Eine erste Zwischenbilanz fällt ambivalent aus. Unter dem Gesichtspunkt der Schnelligkeit bietet die Festbrennweite bei der spontanen Straßenfotografie im Nahbereich unbestrittene Vorteile. Viel Zeit zum Fokussieren und zur Bildgestaltung ist häufig nicht vorhanden und die Einstellung der passenden Brennweite bedeutet beim Zoom eine zusätzliche Verzögerung. Der Schnelligkeitsvorteil der Festbrennweite entfällt allerding beim Fotografieren weniger dynamischer Motive und bei einer stärkeren Ausrichtung auf bildgestaltende Überlegungen. Im Gegenteil, sie wird nun im Vergleich zum Zoom langsamer, da für die Wahl des passenden Aufnahmestandpunktes mehr Zeit benötigt wird. Aber genau dies mag sich am Ende auch hier als Vorteil erweisen.

Physische und optische Distanz

Ein Objektiv mit Festbrennweite trägt zum bewussteren Gestalten bei, weil die fotografierende Person sich aktiv in Beziehung zum Motiv setzt und gegebenenfalls bis zur Erreichung des optimalen Aufnahmestandpunktes seine Position verändert. Bei der Verwendung eines Zooms bleibt die Entfernung zum Objekt hingegen konstant. Die Distanz wird lediglich optisch durch Drehen am Brennweitenring vergrößert oder verkleinert. Beide Vorgehensweisen haben unterschiedliche Auswirkungen auf das mentale Geschehen im Kopf der Fotograf*innen.

Festbrennweiten weisen eine stabile Synchronität von physischer und optischer Distanz zwischen Motiv und Fotograf*in auf. Entfernt man sich vom Motiv, wird dieses im Sucher oder auf dem Monitor kleiner abgebildet, nähert man sich an, wird es größer. Was wir von Kindheit an im Rahmen unserer visuellen Sozialisation erlernt haben, deckt sich mit dieser Erfahrung. Je näher wir einem Gegenstand sind, umso größer erscheint er uns. Räumliches Sehen bedeutet, dass mit Hilfe einer internen Operation aus der optischen Größe eines wahrgenommenen Objektes und der geschätzten Entfernung eine Vorstellung seiner realen Größe errechnet wird.

Fördertürme und Bäume

Da beim Fotografieren mit der Festbrennweite ein konstantes Verhältnis von physischer und optischer Entfernung besteht, verfügen die Fotografierenden jederzeit, auch wenn sie durch den Kamerasucher blicken, über eine kognitive Vorstellung von der realen Größe der Objekte. Diese Vorstellung bildet sich, indem das Motiv zunächst ohne Kamera betrachtet wird und auf diese Weise ein Wissen bezüglich seiner Entfernung entsteht. Wenn dann anschließend der Kamerasucher zur Gestaltung des Bildausschnitts genutzt wird, steht als kognitiver Maßstab das zuvor gespeicherte Realbild zur Verfügung. Wird die Brennweite durch einen Wechsel des Objektivs verändert, so schaltet das Gehirn auf die neue Situation um.

Zunächst erfolgt wieder der Blick auf das Motiv, dann durch den Sucher, dieses Mal jedoch aufgrund der neuen Brennweite mit einem anderen Bildausschnitt, aber trotzdem mit einer klaren kognitiven Repräsentanz der Realität und deren Verhältnis zur optischen Abbildung. Betrachtet man die gesamte Prozesskette, so baut sich zunächst eine interne Wahrnehmungsformel bei der Nutzung der ersten Festbrennweite auf, anschließend erfolgt beim Objektivwechsel eine Neutralisierung und schließlich entwickelt sich bei der Verwendung der zweiten Festbrennweite eine neue Wahrnehmungsformel. Es handelt sich um einen klar strukturierten Prozess mit abgegrenzten Segmenten.

Die durch den Objektivwechsel bedingte Unterbrechung der internen Rechenverarbeitung entfällt beim Zoomen. Hier bleibt die reale Distanz zwischen der fotografierenden Person und dem Motiv konstant, dafür ändert sich ohne zwischengeschaltete Neutralisierung die im Kamerasucher wahrgenommene Entfernung. Die für Objektive mit fester Brennweite typische Synchronisierung von optischer und physischer Entfernung hebt sich beim Zoomobjektiv auf. Zwar weiß das Gehirn, dass sich durch die dynamische Veränderung der Brennweite nicht auch die Wirklichkeit verändert, selbst wenn die Gegenstände kleiner oder größer abgebildet werden. Trotzdem entsteht eine kognitive Dissonanz.

Im Vergleich zum Fotografieren mit der Festbrennweite wird das Bewusstsein für die tatsächliche Distanz zum Objekt geschwächt. Darüber hinaus ändert sich beim Zoomen der zentralperspektivische Bildwinkel. Dieser ist bei der Weitwinkeleinstellung deutlich größer als bei der Telebrennweite. Die uns vertraute Zentralperspektive führt lediglich beim Normalobjektiv, das ungefähr dem Blickwinkel des menschlichen Sehens entspricht, zu einer natürlichen räumlichen Abbildung. Während dies beim Wechsel zweier Objektive mit fester Brennweite unmittelbar bewusst wird, findet die Veränderung beim Zoomvorgang schleichend statt und wird deshalb weniger reflektiert wahrgenommen.

Gleise auf Straße.

Unterschiedliche Brennweiten haben zur Folge, dass sich beim Blick durch den Sucher oder auf den Kameramonitor unterschiedliche Bildwinkel öffnen. Während sich beim Zoomen von 20 auf 50 mm, bezogen auf das Kleinbildformat, der Bildwinkel von 95° auf 48° nahezu halbiert, bringt das Zoomen von 200 auf 400 mm zwar ebenfalls eine Halbierung des Bildwinkels mit sich, in diesem Fall beträgt die Differenz jedoch gerade einmal 6°.

Die Brennweitenveränderung vom Weitwinkel- in den Normalbereich hat deshalb deutliche Folgen für die Bildanmutung, während selbst starke Veränderungen im Telebereich vergleichsweise geringe Auswirkungen mit sich bringen. Für die Bildgestaltung bedeutet dies, dass beim Telezoom der Wahrnehmungsmodus der fotografierenden Person nicht grundlegend verändert werden muss, um ihn der jeweiligen Brennweite anzupassen.

Die Verwendung von Zoomobjektiven im Standardbereich von etwa 24 bis 70 mm stellt demgegenüber deutlich höhere mentale Anforderungen. Hier bringt das Drehen am Zoomring vollständig unterschiedliche Bildwirkungen von nach außen fliegenden Ecken bis zur leichten Telewirkung mit sich, so dass es mit einem einzigen kognitiven Modus der Bildgestaltung nicht getan ist.

Mehr noch: Es wird in der Regel bei der Verwendung eines Zooms gar nicht explizit reflektiert, dass unterschiedliche Bildwinkel auch unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der Bildkomposition mit sich bringen. Beim Weitwinkelobjektiv steht die Raumwirkung im Vordergrund, bei der Telebrennweite die Flächenwirkung. Problematisch sind deshalb insbesondere Ultrazooms mit einem Extremunterschied zwischen Weitwinkeleinstellung und maximaler Telebrennweite. Allzu schnell führt es zu kognitiver Unruhe, wenn die Sicht auf die Welt kurzerhand mit einer raschen Drehbewegung am Zoomring von der perspektivischen Raumflucht zur Raumverdichtung verschoben wird.

Reine Telezooms sind aufgrund der engen Bildwinkeldifferenzen unkritischer, da man bei allen Brennweiteneinstellungen im gleichen mentalen Modus verbleibt. Vergleichbares gilt für Weitwinkelzooms. Deren Bildwinkelunterschiede zwischen den Extremeinstellungen sind zwar erheblich, aber ihr Sichtfeld ist durchgängig größer als das des menschlichen Blickes.

Spiegelung einer Person in einer Pfütze am Boden.

Zoomobjektive fördern eine Haltung, sich als Zentrum der Welt zu begreifen und diese so herbeizuzaubern, wie man sie gerne hätte. Einmal am Objektiv gedreht, und die Umgebung ist, ohne dass man sich selbst bewegen muss, auf das gewünschte Format gebracht. Bei der Festbrennweite ist der Respekt vor dem Motiv ausgeprägter. Man nähert sich diesem an oder bleibt in größerer Entfernung, je nachdem, was die Bildidee verlangt. Darüber hinaus korrespondiert die Erfahrung der Synchronität von optischer und physischer Entfernung zwischen der fotografierenden Person und dem Objekt oder Motiv mit einem Wissen um die eigene, aber auch die fremde Fluchtdistanz.

In der Regel wissen wir recht genau, welche Nähe zu anderen Menschen als sozial adäquat empfunden wird. Umgekehrt haben wir ein instinktives Gefühl für nicht mehr angemessene Nähe. Will man deshalb in der ungefährlichen Distanz, vielleicht sogar unentdeckt bleiben, so neigt man zur Verwendung eines Teleobjektivs. Und auch das Zoomobjektiv verleitet dazu, die etwas längere Brennweite zu nutzen, weil auf diese Weise das Fotografieren gemütlicher und ungefährlicher ist. Sucht man hingegen mit einer normalen Brennweite oder dem Weitwinkelobjektiv die direkte Begegnung, so verlässt man den eigenen Wohlfühlbereich und testet sich sowie seine Umwelt.

Man nimmt in Kauf, in das Distanzfeld der Menschen vor der Kamera einzudringen und riskiert, dass es unbequem wird. Aber es entstehen häufig auch die interessanteren Bilder, denn die kurze Brennweite ist für die Abbildung atmosphärisch lebhafter Situationen nun einmal besser geeignet. Mit Festbrennweiten fotografiert man bewusster und fokussierter. Insbesondere im Nahbereich der Straßenfotografie gibt es zu ihr keine Alternative. Die Variabilität des Zoomobjektivs bringt hingegen die Gefahr einer größeren Distanz, Indifferenz oder gar Schwammigkeit der Bildgestaltung mit sich.

Raumkonzept versus Flächengestaltung

Der fotografische Blick greift aus der Menge der möglichen Wirklichkeitssichten eine bestimmte Variante heraus, um genau diese als Bild festzuhalten. Es handelt sich um einen kontingenten Prozess, da die Entscheidung auch zugunsten einer anderen Variante hätte ausfallen können. Die Wirklichkeit spiegelt sich nun einmal nicht neutral auf dem Film oder dem Sensor wider, sondern es können durch die Wahl einer bestimmten Brennweite, die Verwendung spezifischer Blenden- und Verschlusszeiten, durch die Setzung des Schärfepunktes, durch Weißabgleich und Kontraststeuerung sowie eine Reihe weiterer Einstellungsmöglichkeiten von einem einzigen Aufnahmestandpunkt nahezu unendlich viele verschiedene Aufnahmen gemacht werden.

Fotografie hat deshalb nicht viel mit Objektivität zu tun. Hinzu kommt, dass beim Fotografieren eine dreidimensionale Wirklichkeit in eine zweidimensionale Fläche verwandelt wird. Das Bild ist immer eine Abstraktion und damit Ergebnis eines aktiven Gestaltungsprozesses.

Der Betätigung des Kameraauslösers geht ein Prozess des Suchens und Sehens voraus. Motive sind nicht einfach da, sondern sie müssen gefunden und auf eine bestimmte Weise angeordnet werden. Je ambitionierter fotografiert wird, umso intensiver wird dieser Vorgang reflektiert. Noch vor der eigentlichen Gestaltung findet im Übrigen die Festlegung statt, was überhaupt fotografiert werden soll. Um durch die unendliche Komplexität der möglichen Wirklichkeitsbilder nicht überfordert zu werden, nimmt man in der Regel eine Eingrenzung auf bestimmte Motive, Genres oder Szenen vor.

Hochleitungen im Himmel mit einer Häuserecke.

So kann man an einem bestimmten Tag vorzugsweise Straßenszenen mit Menschen aufnehmen. Oder man entscheidet sich dafür, ausschließlich farbintensive abstrakte Motive zu fotografieren. Die Konzentration auf nur eine der Möglichkeiten ist sinnvoll, weil kaum beides gleichzeitig geht. Genauso schwierig ist es, parallel in schwarzweiß und Farbe zu fotografieren. Die Gestaltungsprinzipien sind völlig unterschiedlich und man kann die Umgebung nicht mit einem Schwarzweißblick und im gleichen Moment mit einem Farbraster scannen.

Neben den Motivfestlegungen stellt sich die Stilfrage. Strebt man einen abstrakten, grafisch anmutenden und technizistischen Stil oder die Ausdrucksformen der Subjektiven Fotografie an, so folgt daraus ein anderes Vorgehen als bei der dokumentierenden Reportagefotografie. Zwischen Abstraktion und Dokumentation, Farbigkeit und Tonwertreduktion oder zwischen Kleinbildschnelligkeit und aufwändiger Studiofotografie liegen Welten. Und es geht um die Frage, ob das Bild eine räumliche Tiefe illusionieren soll und deshalb Wert auf perspektivische Wirkungen zu legen ist oder ob die aus der Malerei bekannten, flächig orientierten Gestaltungsregeln im Vordergrund stehen.

Soll eine Fotografie den Eindruck räumlicher Tiefe vermitteln, so muss die dritte Dimension künstlich suggeriert werden. Das kann durch die klassisch Bildaufteilung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund, differenzierte Licht- und Schattenwirkungen oder zentralperspektivische Fluchtlinien geschehen. Je kürzer die Brennweite des Objektivs und je größer somit sein Bildwinkel, umso intensiver wird der Blick entlang solcher Fluchtlinien in die Tiefe gezogen. Weitwinkelobjektive stehen deshalb von ihrem Charakter her für die Gestaltung räumlich orientierter Fotografien.

Darüber hinaus werden bei ihnen die Gegenstände der verschiedenen Bildebenen aufgrund des großen Bildwinkels klar von vorne nach hinten gestaffelt und es ergibt sich auch dadurch eine Tiefenillusion. Ganz anders die Wirkung von Teleobjektiven. Hier werden die Gegenstände optisch verdichtet, die Raumwirkung zieht sich zusammen und je länger die Brennweite, umso schwieriger wird die Abschätzung der realen Entfernung zwischen den räumlich gestaffelten Bildelementen. So kann bei Teleaufnahmen in der afrikanischen Savanne kaum beurteilt werden, ob sich zwischen dem Löwen und dem dahinter stehenden Baum eine Distanz von fünfzig oder von zweihundert Metern auftut. Da perspektivische Fluchtlinien als haltgebende Elemente entfallen, rücken andere Strukturierungen in den Vordergrund. Bei dem zur Fläche verdichteten Raum entwirft die fotografierende Person das Bild deshalb eher in einer Weise, wie sie Maler*innen von der Arbeit an der Staffelei vertraut ist.

Haus mit Graffiti und Baustelle mit Leiter.

Raumorientierter Blick und flächenbezogene Bildaufteilung stehen sich idealtypisch gegenüber, auch wenn es im fotografischen Alltag zahlreiche Misch- und Zwischenformen gibt. Deutlich werden die Unterschiede bei den zugrunde liegenden mentalen Prozessen. So, wie man sich auf bestimmte Themen konzentriert, genauso betrachtet der fotografische Blick die Wirklichkeit entweder unter einer räumlichen oder einer flächigen Perspektive. Am Ende werden dann in der Regel genau solche Bilder entdeckt, die man gesucht hat. Es handelt sich um einen sich selbst verstärkender Prozess, der seinen Ausgangspunkt bei der Erwartungshaltung von Fotograf*innen nimmt.

Man sieht primär das, was man sehen möchte. Und genau deshalb ist die Wahl der Brennweite keine triviale Angelegenheit. Weitwinkelobjektive stehen für Raumwirkung, Teleobjektive erfordern eine stärkere Beachtung der Flächenkomposition. Aufgrund der geringen Bildwinkeldifferenzen macht es im Übrigen keinen großen Unterschied, ob im Telebereich eine Festbrennweite oder ein Zoom verwendet wird. Anders stellt sich dies im Weitwinkelbereich dar. Die kognitive Kohärenz von Wirklichkeitssicht, Sucherblick und räumlich orientierter Gestaltungsabsicht wird beim Drehen am Weitwinkelzoom deutlich schneller instabil. Nur wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um die verschiedenen Parameter mental immer wieder neu zu synchronisieren, kann das Weitwinkelzoom seinen Variabilitätsvorteil unbedenklich zur Geltung bringen. Dies trifft etwa bei der Landschaftsfotografie zu.

Die Lust am Subjektiven

Sofern nicht professionelle Auftragsfotografie betrieben wird, darf davon ausgegangen werden, dass sich die Themenstellungen je nach Lust und Laune ändern dürfen. Mal reizt uns die dynamische Straßenfotografie, mal ist es eher das wohlüberlegte oder inszenierte Fotografieren von Landschaften oder Stillleben. Entsprechend unterscheidet sich die Technik einschließlich der Wahl des Objektivs.

Bei der spontanen Straßenfotografie ist die kleine Kamera mit Festbrennweite angesagt, bei der durchdachten Bildgestaltung kann es hingegen durchaus das Zoom sein, wenn man sich die Zeit nimmt, dessen Eigenschaften zu berücksichtigen. Daneben spielen weitere Faktoren eine Rolle. Trotz des technischen Charakters handelt es sich beim Fotografieren auch um einen sinnlichen Vorgang, denn die Kamera zeichnet sich neben dem Gebrauchswert durch ihr Design und haptische Qualitäten aus. Sie ist nicht nur ein neutrales Werkzeug, sondern sie kann uns im positiven Fall sympathisch sein. Umgekehrt gibt es Kameras, die wir weniger mögen. Gleiches gilt für Objektive. Darüber hinaus müssen die Vorlieben nicht einmal jeden Tag identisch sein.
Unsere Sympathie ist möglicherweise das Ergebnis einer erfolgreichen Marketingstrategie des Kameraherstellers.

Es gilt das gleiche Prinzip wie in der Mode: Wir fühlen uns nicht selten mit Dingen wohl, die zur gleichen Zeit zufällig auch von anderen Menschen als attraktiv betrachtet werden. Modetrends und Vermarktungsstrategien hängen eng miteinander zusammen und obwohl uns dies bewusst ist, sind wir nicht frei von einer sinnlichen Beziehung zu dem attraktiven Produkt. Wir mögen unsere Kamera, obwohl wir die Bemühungen der Marketingstrategen kennen, genau das zu erreichen. Dass unsere Sympathien häufig nur von begrenzter Dauer sind und bald durch das neueste Modell mit noch besseren Features in Frage gestellt werden, ist eine andere Geschichte.

Aber gerade bei Kameras und Objektiven gelingt es den Herstellern immer wieder, uns das jeweils aktuellste Produkt als Meilenstein der technischen Entwicklung anzupreisen. Auch wenn es diese Verbesserungen fraglos gibt, für viele Bereiche der praktischen Alltagsfotografie, auch der ambitionierten Fotografie, sind die jährlichen Produktzyklen im bildlichen Ergebnis kaum mehr nachvollziehbar. Ausnahmen gibt es, etwa bei der Sensortechnologie, die das Fotografieren bei schlechten Lichtverhältnissen auf signifikante Weise verbessert hat. Solche Entwicklungen wird es auch in Zukunft geben. Trotzdem mag es hilfreich sein, sich vor Augen zu halten, dass das Auflösungsvermögen der modernen digitalen Fototechnik bei weitem das der früheren analogen Fotografie übertrifft.

Mitunter wird vom besonderen Feeling der klassischen Leica gesprochen. Das hängt nicht zuletzt mit ihren Objektiven sowie den Eigenschaften der Messsuchertechnik zusammen. Aber es ist eben auch das Image als Premiummarke und das spezifische Design, das mit ihr verbunden wird. Rein von der Bildqualität können zahlreiche Kameras, auch deutlich niedrigerer Preisklassen, mithalten. Deren Hersteller orientieren sich trotzdem gerne an der Leica und sprechen vom Messsucherlook des eigenen Produktes, obwohl dieses weder einen Messsucher noch andere typische Spezifika aufweist.

Abstrakte schwarzgraue Flächen

Häufig sind es einzig und allein die Anlehnungen im Design, die Begehrlichkeiten wecken und das bei einem deutlich günstigeren Preis. Vordergründig und für eine gewisse Zeit mag das auch funktionieren, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt des alltagspraktischen Einsatzes muss eine Kamera aus sich selbst heraus überzeugen, durch ihre Qualität, ihren Gebrauchswert, ihre haptischen Eigenschaften und natürlich ihr Design. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, wird der Produktname eigentlich zweitrangig.

Es gibt einen fotografischen Sympathiefaktor, der primär mit den Leistungsmerkmalen einer Kamera zu tun hat, darüber hinaus aber auch eine irrationale sinnliche Dimension aufweist. Sicher stehen in der Praxis die technischen Aspekte im Vordergrund. Für spezifische Einsatzzwecke in der Studio-, Werbe-, Sport- oder wissenschaftlichen Laborfotografie haben sich bestimmte Kameratypen gegenüber anderen als besonders geeignet erwiesen. Aber in zahlreichen anderen Fällen gibt es eine große Auswahl bei Kameras und Objektiven, die mit annähernd gleichem Ergebnis eingesetzt werden können.

Und genau an dieser Stelle kommt das subjektive Gefühl ins Spiel. Es gibt Zeiten, in denen fotografiert man bevorzugt mit einer kleinen unauffälligen Systemkamera und ein oder zwei Wechselobjektiven in der Jackentasche. Zu anderen Zeiten arbeitet man lieber mit einer handfesten Spiegelreflexkamera und größeren Objektiven. Alles ist möglich und alles ist erlaubt. In vielen Fällen können mit beiden Varianten vergleichbare Ergebnisse erzielt werden und es bleibt eine Angelegenheit des Geschmacks, welcher Kameratyp bevorzugt wird. So manch’ berühmte*r Fotograf*in hat bekannt, dass er bei Streifzügen durch die Stadt ausschließlich eine kleine Kompaktkamera nutzt, die ihm genau die Bilder ermöglicht, die er sich vorstellt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Zoomobjektiv und der Festbrennweite noch einmal neu. Einige Bequemlichkeitsgründe sprechen für den Einsatz des variablen Objektivs. Deutlich ist aber auch, dass die bewusste Bildgestaltung durch eine Festbrennweite gefördert wird. Das Zoom macht ein wenig bequem, weil es die aktive Gestaltung einschränkt und dazu verlockt, in einen mentalen Schnappschussmodus zu verfallen. Seine Schnelligkeit mag vordergründig von Vorteil sein, aber man sieht zahlreichen Bildern das spontane Entstehen und das Fehlen einer wirklich überzeugenden Idee an. Trotzdem ist das Zoom eine tolle Sache, wenn man sich die potentiellen Nebenwirkungen vor Augen hält. Und dann lässt es sich auch beim ambitionierten Fotografieren ohne schlechtes Gewissen einsetzen.

Schließlich kann man das Motiv, wie mit der Festbrennweite, so lange umkreisen, bis der richtige Standort und der richtige Bildwinkel gefunden sind. Nur gibt es eben eine Variable mehr, die man unter Kontrolle bringen muss. Eine klare, eindeutige Antwort auf die Frage nach den Vor- und Nachteilen gibt es also nicht. Aber wenn man sich unwiderruflich zwischen einem Zoomobjektiv und einer Festbrennweite entscheiden müsste, dann vielleicht doch.

Die Fotografien für den Artikel wurden von Tabea Borchardt für Euch aus ihrem Archiv herausgesucht und sind alle mit einer 50-mm-Festbrennweite mit einer Nikon EM oder meist Nikon F3 fotografiert.

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