05. Juli 2018 Lesezeit: ~6 Minuten

Ein Jahr, eine Stadt, eine Linse

Als ich ernsthaft begann, mich mit Fotografie zu beschäftigen, ging es mir wie vermutlich den meisten Anfänger*innen. Ich sah Bilder von anderen und was mir gefiel, versuchte ich, bewusst oder unbewusst nachzuahmen. So durchlief ich verschiedene Bereiche der Fotografie und verschiedene Entwicklungsstufen. Das ging eine gewisse Zeit gut, aber als ambitionierter Hobbyfotograf kam ich irgendwann an eine Art innere Grenze.

Einerseits freute ich mich über das Lob von Familie und Bekannten und natürlich über die Likes im Netz. Aber irgendwann nagte es an der fotografischen Seele, ich wollte eigentlich mehr als das. Mein Umbruch begann konkret, als ich beschloss, meine in die Jahre gekommene DSLR durch eine neue zu ersetzen. Zu dieser Zeit wurden Vollformatkameras auch für Verbraucher*innen erschwinglich.

Wasserspiel in der Stadt

Auf der Photokina wollte ich mich dann für ein Modell entscheiden, doch es kam anders. Ich bin in mich gegangen und habe nachgedacht, wie ich ticke und wie und was ich fotografieren möchte. Ich bin zum Schluss gekommen, dass eine große Vollformat-DSLR nicht zu mir und meinen Vorhaben passt.

Ich wollte die Welt durch meine Augen zeigen und Dinge von Belang fotografieren. Ein durchaus hehres Ziel, aber leichter gesagt, als getan. Denn was bedeutet das konkret? Was genau möchte ich fotografieren? Und wie fange ich so etwas an? Mir wurde klar, dass ich mit meinem bisherigen durch die Gegend Laufen und fotografieren, was mir vor die Kamera kommt nicht weiter komme. Es musste zumindest ein grobes Konzept her.

Karneval

Zu dieser Zeit veröffentlichte Todd Gipstein, ein altgedienter National-Geographic-Fotograf, ein Video über seinen Heimatort. Das Video ist im Prinzip eine mit Musik unterlegte Diashow. Das Besondere an dem Video war, dass Todd ausschließlich Bilder verwendet hat, die in einem Radius von einer Meile um sein Haus und innerhalb eines Jahres entstanden waren. Außerdem wurden alle Bilder mit einer Kamera mit einer fest verbauten 23-mm-Festbrennweite (35 mm Kleinbildequivalent) und in schwarzweiß gemacht.

Ich mochte die Bilder aus dem Video und auch das Konzept fand ich interessant. Ich bin mal drei Wochen durch Vietnam gereist und habe dort ein Online-Fototagebuch in meinem persönlichen Blog geführt. Das war im Prinzip ziemlich einfach, denn in exotischen Ländern ist vieles aufregend und interessant. Sehenswerte Bilder des Heimatortes zu machen, fand ich viel schwerer, wenn es nicht gerade so ein Ort ist wie etwa Berlin oder Hamburg.

Kahle Zweige ragen zum Wasser

Zu dieser Zeit lebte ich in Brühl, einer Kleinstadt südwestlich von Köln. Den meisten vermutlich durch das Phantasialand bekannt. Ob sie mit Todds Heimatort, der am Meer liegt, mithalten kann, weiß ich nicht. Aber Brühl hat neben dem Vergnügungspark auch zwei Schlösser, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Grundsätzlich ist diese Stadt also nicht ganz uninteressant.

Ich habe Todds Konzept ein wenig geändert, denn der Punkt mit der einen Meile war mir zu umständlich. Ich beschränkte mich auf die ganze Stadt. Außerdem verwendete ich den Nachfolger seiner Kamera. Aus Respekt fragte ich Todd, ob ich sein Konzept für meine Zwecke übernehmen dürfte und Todd willigte ein und war begeistert, dass seine Arbeit jemanden inspiriert hatte.

Verhüllte Skulpturen im Park

Also legte ich Anfang 2015 los. Jedes Mal, wenn ich Zeit und Lust hatte und das Licht herrschte, das ich mag, zog ich los und fotografierte, wie ich die Stadt sah. Das machte mir viel Spaß und ich hatte nie das Problem, dass ich nicht wusste, was ich fotografieren sollte. Es war zwar nicht als eine umfassende Dokumentation gedacht, aber im Nachhinein musste ich feststellen, dass ich manche Orte der Stadt oft und andere wenig oder gar nicht fotografiert hatte. Aber so war das nun einmal, in manchen Gegenden ist man öfter als in anderen.

Als der erste Teil des Projekts, also das Fotografieren, am Ende des Jahres zu Ende ging, traf mich das Leben. Es gab einige gravierende persönliche Ereignisse, die meine volle Aufmerksamkeit und viel Zeit forderten und das Projekt blieb liegen. Tatsächlich führten diese Ereignisse unter anderem dazu, dass ich aus Brühl in einen Nachbarort ziehen musste. Brühl ist ein sehr beliebter Ort zum Leben und dementsprechend teuer.

Mann vor einem Schloss

2018 fand ich endlich die Zeit, das Projekt abzuschließen. Vielleicht war der zeitliche Abstand gar nicht so schlecht, denn so wirkte sich meine damalige Begeisterung nicht so direkt auf die Auswahl meiner Bilder aus. Beim Erstellen meiner Diashow fiel es mir nicht ganz leicht, einen roten Faden zu finden, denn ich habe weder strikt chronologisch noch strikt geografisch fotografiert, sondern immer nur dann, wenn ich Zeit und Lust hatte und an den Orten, die ich mag oder zufällig besuchte.

So ist die Reihenfolge der Bilder zugegebenermaßen ein etwas fauler Kompromiss. Auch die Musikauswahl habe ich mir ursprünglich leichter vorgestellt. Die Musik sollte irgendwie zu den Bildern passen und dabei kein Vermögen kosten, denn mit dem Projekt verfolgte ich keinerlei kommerzielle Interessen.

Das Projekt ist nicht zu 100 % so geworden, wie ich es mir am Anfang vorgestellt habe, aber es war das erste Projekt dieser Art für mich. Und ich habe so einiges dazu gelernt, was ich für zukünftige Projekte verwenden kann.

Das fertige Ergebnis habe ich dann auch Todd Gipstein gezeigt und sein Feedback war unter anderem, dass da „einige starke Bilder darunter sind“ und ihm meine Schwarzweißumwandlung gefällt. Daher verbuche ich das Projekt trotz der „Fehler“, die ich gemacht habe, als Erfolg. Und am allerwichtigsten für mich ist, dass ich mir diese Bilder immer noch gern anschaue.