21. Juni 2018 Lesezeit: ~9 Minuten

Roadtrip durch Albanien

Sukobin – eine Grenzstadt in Montenegro kurz vor der albanischen Grenze. Eine sehr alte Frau, in schwarz gekleidet und mit Kopftuch, läuft mit einem übergroßen Sack voller Plastikflaschen, den sie kaum tragen kann, vor uns über die Straße. Ein Grenzbeamter kontrolliert den Pass meiner schwangeren Frau, danach meinen und lässt uns nach Albanien einreisen.

Viele Kilometer durch Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Montenegro liegen bereits hinter uns und gefühlt kommen wir endlich dort an, wo uns unsere Neugierde bereits die Reise über am meisten hingezogen hat. Wir fahren auf einer schier endlosen, verregneten Straße entlang.

Es gibt zwar Geschwindigkeitsbegrenzungen, aber keiner außer uns hält sich daran. Alles, was mindestens zwei Räder hat, überholt uns: Pferdekarren, Mopeds, LKWs. Die Fahrweise der Einheimischen zwingt uns, auch aufgrund des starken Regens, zum Anhalten. Schilder verdeutlichen uns, dass wir uns jetzt auf einer Autobahn befinden, zu diesem Zeitpunkt die einzige im ganzen Land, nur passt dieses System absolut nicht zur Kultur der Menschen.

Straßenverkauf

Mitten auf der Autobahn stehen Obstverkäufer*innen, Trampende (nicht Jugendliche wie in Deutschland, sondern ältere Herren im Anzug) und sogar zwei Frauen mit großen schicken Handtaschen, die sich auf den Mittelleitplanken gemütlich unterhalten. Autos vor uns halten rechts an und lassen Leute ein- und aussteigen. Als Europäer komme ich zwar nicht aus dem Staunen heraus, aber nach einigen Kilometern im Land scheine ich mich irgendwie daran zu gewöhnt zu haben.

Wir fahren bis zur Hauptstadt Tirana, parken etwas außerhalb und nehmen den Linienbus ins Stadtzentrum. Obwohl es schon spät am Abend ist, sind verhältnismäßig viele Menschen und junge Familien mit Kindern in der Stadt unterwegs. Die Stimmung ist besonders und es herrscht eine entspannte Atmosphäre auch noch bis spät in die Nacht hinein.

Straßenszene

Am nächsten Tag geht es weiter in Richtung Süden. Die Straßen werden holpriger und für etwa 136 km brauchen wir sechs Stunden und schalten nicht höher als in den dritten Gang. Keine Brücken, keine Tunnel – nur ein Bergpass nach dem anderen. Die Landschaften sind wunderschön und die kleinen Dörfer schmiegen sich in die ohnehin schon atemberaubende Kulisse.

Während den kurzen Stopps in den kleinen Städten begegnen uns Menschen mit einer unbeschreiblichen Offenheit und Freundlichkeit. Der Besitzer einer Kaffeerösterei verpackt uns in Berat, der Stadt der tausend Fenster, frischgemahlenen Kaffee mit dem Hinweis: „For baby, for free.“

Ein älterer Herr verkauft mit seinen Söhnen am Straßenrand Obst und Gemüse. Wir füllen zwei Tüten mit frischen Äpfeln direkt vom Baum sowie Tomaten, Kartoffeln, Pflaumen und möchten bezahlen. Die Söhne halten kurz Rücksprache mit ihrem Vater und entschließen sich, uns die beiden Tüten zu schenken. Wir protestieren, jedoch ohne Erfolg. Sogar beim Ausparken kommt ein Schuhverkäufer aus seinem Geschäft gelaufen und hilft uns. Überwältigt von der Freundlichkeit der Menschen fahren wir weiter zum Zeltplatz.

Ein Mann sitzt auf einer Schubkarre

Am nächsten Tag entdecken wir nach des Überquerung des Bergpasses im Nationalparks Llogar einsame und verlassene Strände. Hier gibt es noch keinen Massentourismus und auch nur wenige Hotels. Wir fragen uns, wie lange das wohl noch so bleiben wird und bauen unser Lager für die Nacht auf. Wir genießen die traumhaften Strände für ein paar Tage und lassen uns auch von heftigen Regengüssen nicht verschrecken.

Nach dieser kurzen Erholung fahren wir weiter bis an die Grenze nach Griechenland und freuen uns über die einigermaßen guten Straßenverhältnisse. Ab jetzt geht es wieder nach Norden, in Richtung Heimat. Das nächste Ziel ist Gjirokastra, eine Stadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt und auch eine der ältesten Städte des Landes ist. Die Straßen sind eng und verbaut. Wir parken unseren Bus und laufen zu Fuß weiter in das historische Stadtzentrum.

Zwei Frauen an einer Mauer

Viele Leute sind unterwegs und gehen ihren Tagesgeschäften nach. Die gefühlt wenigen Urlaubsgäste fallen in der großen Masse kaum auf. Das hektische Treiben wird einzig und allein durch die vielen älteren Männer unterbrochen, die in kleinen Straßenkaffees gemütlich Espresso trinken und sich entspannt unterhalten. Wir verstehen kein Wort der fremdartigen Sprache und selbst der aufrichtige Versuch, den leckeren Kaffee zu loben und sich dafür zu bedanken, endet in einem beidseitigen Lachen mit dem Barista über die Schwierigkeiten der Verständigung.

Weiter in Richtung Süden besuchen wir die Stadt Korca im Osten des Landes und entscheiden uns, die Nacht auf einem Berg vor einer Taverne zu verbringen. Die Betreiber gestikulieren, dass es kein Problem ist auf ihrem Parkplatz zu übernachten, solange wir bei ihnen einkehren. Diese Abmachung kommt uns sehr gelegen. So bestellen wir typisch albanische Küche und genießen die kühle Bergluft.

Mann mit Esel

Menschen an einem Tisch

Am nächsten Morgen frühstücken wir wie immer Müsli in der Sonne auf einer Bank der Taverne, als sich plötzlich ein älteres Pärchen, braungebrannt und gezeichnet vom Arbeiten im Freien, neben uns niederlässt und einen Berg Schweinefleisch auspackt. Der Kellner der Taverne serviert den beiden den fehlenden Rotwein dazu, um 9 Uhr morgens.

Während wir unsere Sachen zum Weiterfahren packen, sehen wir immer wieder Taxis vorfahren, aus denen Menschen aussteigen und den Berg noch weiter hinauf wandern. Neugierig gehen wir hinterher und werden am Gipfel mit einem gigantischen Holzkreuz, einer kleinen steinernen Kapelle und einer traumhaften Aussicht über Korca belohnt. Die Menschen feiern den Namenstag des heiligen Elias in der hochgelegenen orthodoxen Kirche.

Menschen auf einer Aussichtsplattform

Vor der Kirche unterhalten sich die Pilgernden locker und scherzen. Wir werden gefragt, ob wir ein Foto machen können. Wir fotografieren einen älteren Mann vor der Kirche und als Gegenleistung macht er ein Foto von uns mit der schönen Aussicht. Die Verständigung ist schwierig, aber beide Seiten bemühen sich mit Händen und Füßen. Er gibt uns Raki, hochprozentigen Schnaps, und wir stoßen auf den heiligen Elias an.

Wenig später sitzen wir mit genau diesen Menschen auf einer Baustelle an einem Tisch und frühstücken. Es gibt Zwiebeln, Knoblauch, eingelegtes Gemüse, wieder Raki, Bier und etwas Brot. Einer der Männer spielt für uns auf seiner Gitarre traditionelle Lieder und alle singen lauthals dazu. Die Gastfreundschaft ist unbeschreiblich herzlich und man legt uns ständig neue kleine Essereien auf die zerrissene Papiertüte, den improvisierten Teller.

Menschen an einem Tisch

Einige Zeit später wollen wir weiterfahren, doch die Chefin der Taverne verwickelt uns in ein Gespräch. Sie bietet uns an, ihr gerade frisch zubereitetes Mittagessen zu probieren und fragt uns neugierig, aus welchem Land wir sind. Am Ende verabschieden wir uns mit einer Umarmung, schon fast wie Familienmitglieder und fahren weiter. Wir übernachten erneut in Tirana, bevor es am nächsten Tag weiter nach Montenegro, durch Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Slowenien und schließlich in Richtung Deutschland geht.

Wir reisten für 23 Tage durch einen großen Teil des Westbalkans. Ohne festgelegte Route hofften wir auf atemberaubende Landschaften, interessanten Menschen und geschichtsträchtige Städte. Wir wollten so viel wie möglich von den Ländern und den dort lebenden Menschen kennenlernen. Dabei versuchten wir, auf unsere Intuition zu hören und entwickelten eine Art Offenheit für spontane Gelegenheiten.

Straßenszene

Unsere Erwartungen wurden übertroffen. Wir begegneten Menschen mit einer für uns beinahe ungewohnten Freundlichkeit. Wir erlebten Menschen in vom Krieg gezeichneten Städten und Ortschaften, die dennoch das Leben in der Gemeinschaft genossen und feierten. Familien, die bei Nacht die Städte voll und ganz in Beschlag nahmen und ein harmonisches Miteinander unterschiedlicher Generationen und Religionen.

Die gezeigten Bilder sind ein Versuch, den uns dort begegneten Situationen und Erlebnissen Ausdruck zu verleihen. Sie beabsichtigen, Menschen und Länder situativ und authentisch darzustellen, gleichzeitig entsprechen sie jedoch meiner subjektiven Wahrnehmung. Alle Fotografien sind mit der Fuji-XT1 und dem XF 23 mm f/1.4 gemacht. Ich bin sehr glücklich über die kleine unauffällige Kamera, denn jede größere hätte vermutlich die Blicke auf sich gezogen und so die Szenen zerstört. Mit der Fuji gelang es allerdings, als stiller Beobachter das Treiben der Menschen einzufangen.

Autos auf einer verregneten Straße

Persönlich möchte ich dazu ermutigen, fremde Länder und Kulturen abseits von bekannten Urlaubsrouten zu erkunden und sich dabei nicht von bestehenden Vorurteilen leiten zu lassen. Auf diese Weise wird es möglich, durch persönliche Begegnungen nachhaltig geprägt zu werden. Meiner Meinung nach läuft eine Reise ohne Offenheit für Berührungsmomente mit den dort lebenden Menschen in ihrem Alltag Gefahr, nur eine einfache Fortbewegung zu sein. Es sind die Momente, in denen wir unseren Horizont verlassen, die dazu führen, dass wir ihn erweitern.

Über unsere Reise habe ich ein Buch in Eigenregie veröffentlicht. In diesem Buch gibt es 52 Schwarzweißfotografien auf 88 Seiten zu sehen. Mehr Informationen sowie die Möglichkeit, es zu erwerben, gibt es direkt auf meiner Webseite.

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