23. Mai 2018 Lesezeit: ~9 Minuten

Wie meine Kamera auf Nusa Lembongan geopfert wurde

Ich hätte es auch vermeiden können. Ich hätte mir die Zeremonie einfach nur anschauen sollen. Ohne zu fotografieren. Sein im Augenblick, im Hier und Jetzt, ohne Belichtungszeit und Blende. Hingehen, Hinsehen, Dabeisein. Dann kam der Monsun. Mächtig und dunkelschwarzgrau erschien er am Horizont, pünktlich zur Feier der Götter.

Während die auf der kleinen Insel Nusa Lembongan lebenden Menschen den Göttern ihre Opfergaben und dem herabstürzenden Regen ihr Lachen schenkten, opferte ich meine Kamera, eine Fujifilm X100T .

Nusa Lembongan liegt gleich südöstlich neben Bali. Die Zahl der hier lebenden Menschen wird auf 5.000 geschätzt. Urlaubsgäste fahren normalerweise daran vorbei, Surfer*innen und Taucher*innen entdecken hier ihr Paradies. Es gibt keine Polizei, keine Autos, nur Mopeds, in 30 Minuten ist man fast um die Insel gefahren. Wie auch in Bali leben die Menschen hier nach alten Traditionen und halten das Leben durch unzählige Zeremonien in Balance zwischen Gut und Böse. Die Götter, um die es geht, sind ihre Zuschauer*innen.

Menschen in weiß bei einem Fest

Am 25. Dezember kommt Wayan auf unsere Terrasse. „Cleaning madame?“, fragt er und legt frische weiße Handtücher auf den Tisch. „Danke, nein!“ antworte ich ihm, wie jeden Tag. Ich frage, was auf der Insel so los ist. Unvermittelt beginnen seine Augen, zu funkeln. Heute Nachmittag soll die größte Zeremonie des Jahres im Dorf Lembongan stattfinden.

Dort, wo ein so mächtiger Baum steht, das man meint, jedes vorbeifahrende Moped könnte sich in seinen Lianen verheddern. Es wird der Tradition gefolgt und den Göttern durch Opfergaben ein Wohlgefallen getan. Dafür erwarten die Menschen Schutz und eine gute Ernte. Ob ich auf dem Fest fotografieren könnte, die Zeremonie, die festlich gekleideten Menschen, den heiligen Drachen. Natürlich, sagt Wayan, da ist auch das regionale Fernsehen.

Frauen in weiß

Ich werfe mir einen ansehnlichen Sarong um die Hüfte, kaufe ein buntes Oberteil und stelle bei meiner Ankunft fest, dass alle hauptsächlich weiß tragen. Wie auf einer Berg- und Talbahn bettet sich die Zeremonie in das Dorf hinein. Die Frauen sitzen auf der einen und die Männer auf der anderen Straßenseite. Links ein Meer aus Worten, Gesten und Lachen, rechts ruhende Augen und schweigende Momente. Es gibt Sachen, die sind überall gleich auf der Welt.

Nach typisch balinesischer Musik mit Gongs, Trommeln und Klangplatten der Gansa, einer Art Xylophon, tanzen Frauen in traditioneller Kleidung und Drachen auf dem Dorfplatz. Der Rest unterhält sich, sortiert die Opferkörbchen oder steckt sich weiße Blüten ins Haar. Es ist wie auf einem Jahrmarkt. Ich stehe am oberen Ende der Straße hinter der letzten Reihe und wage kaum, meine Kamera vors Gesicht zu halten.

Ein Junge spielt Handy

Obwohl ich nicht das Gefühl habe, fotografierend unwillkommen zu sein, überfällt mich ein Gefühl der Scham, der Verlegenheit. Ich habe eine kleine, unauffällige Kamera, aber wie fotografiere ich, frage ich, ob ich ein Foto machen darf, alle? Suche ich den Kontakt mit den Frauen, darf ich als Frau die Männer ansprechen? Tippe ich auf meine Kamera und mache eine fragende Kopfbewegung? Je länger ich mich damit beschäftige, umso mehr bringe ich mich selbst davon ab, zu fragen. Ich ärgere mich über meine Feigheit.

Im Reiseführer steht, man soll in solchen Situationen beim Fotografieren mit den Menschen mitfühlen, wirklich kommunizieren und Teil des Ganzen werden. Also lächele ich. Der Nebel der Räucherstäbchen und die Hitze stehen über unseren Köpfen. Ich wedle mir mit meinem Fächer heiße Luft zu und die Hemmungen weg. Unaufdringlich und behutsam fotografiere ich, nicht direkt drauf los, immer ein bisschen geduckt und gebeugt, wie ein altes Großmütterchen. Keine Portraits, jedoch den Auftritt im Ganzen.

Menschen auf einem Balkon

Mit dem Regen haben sich meine Bedenken zum Fotografieren erledigt. Der Tempelwächter, ein gut gekleideter Mann in typisch schwarzweiß-kariertem Sarong mit Trillerpfeife, fordert alle, die noch stehen, trillernd auf, sich für das Gebet auf den Asphalt zu setzen. Ich stehe am Straßenrand, lege meine Kamera zum Schutz in eine Plastiktüte und ziehe den Regenponcho an.

Wer noch nicht sitzt, nimmt Platz auf der Straße. Es regnet mit so einer Wucht, dass ich denke, der gerade aktive Vulkan Agung auf Bali ist für immer gelöscht. Alle thronen mittlerweile dicht aneinandergereiht in einem reißenden Bach. Ich schüttle den Kopf, kann es nicht fassen, wie man sich freiwillig in die Fluten setzen kann und empfinde tiefen Respekt. Was die Götter alles bewirken können. Ich zupfe meinen Regenumhang zurecht, mache mir Sorgen um meine Kamera und vertraue in dieser Hinsicht auf eine höhere Bestimmung.

Menschen auf der Straße

In diesen Gedanken vertieft, kriecht der schrille Ton der Trillerpfeife in mein Ohr und gibt mir zu verstehen, ich soll mich hinsetzen oder gehen. Verzweifelt drehe ich mich um, als gäbe es noch einen trockenen Platz, den ich entdecken könnte, eine Reserve. Nichts. Ich setze mich in die Mitte der Straße ins Wasser. Abgeklärt, nicht übertrieben lächerlich abgeklärt, aber doch leise vor mich hin abgeklärt.

Wenn es ein Foto in diesem Moment gegeben hätte, dann wäre es das gewesen: Die Touristin in ihrem knallig grünen Regenmäntelchen auf dieser wasserdurchfluteten Chaussee, sitzend zwischen all der strahlenden Schönheit der Frauen und Männer und Kinder. Über einen schrillen Lautsprecher ertönt das Gebet. Ich mache es den Menschen gleich und nehme die Hände in Gebetshaltung vor die Stirn. Über Lautsprecher schwingen die Worte der Götter auf uns herab, ich nuschle sie nach und schließe die Augen.

Es gibt keine Musik, nur die Melodie des Regens, niemand bewegt sich, eine heilige Stille. Nach jedem Gebet stecke ich mir, so wie sie, Blüten, die ich nicht habe, hinters Ohr und halte andächtig den Kopf nach vorne gebeugt. Als plötzlich ein alter Mann aus einem rostigen Eimer heiliges Wasser über die regendurchtränkte Menge schüttet, ist es vorbei mit der ehrfürchtigen Ruhe.

Ich reiße, wie alle anderen, die Hände nach oben und kreische, um im heiligen Regen ein paar Tropfen des heiligen Wassers zu erhaschen. Alle möchten ihn haben, den Segen der Götter. Die Leute jubeln, strahlen, lachen und für mich ist klar, genau das nehme ich mit von dieser Reise. Dieser Augenblick gehört nur mir. Ich bewundere die Ausgelassenheit und Freude um mich herum und empfinde vor allem eines: Glück.

Dieses Glück beflügelt meinen Verstand. Und der setzt aus. Ich hole meine Fujifilm aus der Tasche. Genau in dem Moment, als der Tempelwächter mit der Trillerpfeife Feierabend macht. Plötzlich springen alle wie ein wild gewordener Hühnerhaufen auf, um ihre Opfergaben auf den Köpfen nach Hause zu tragen, die Mopeds zu holen oder auf dem Platz Ordnung zu schaffen.

Eine Straßenszene im Regen

Eine Straßenszene im Regen

Langsam wird es dunkel. Ich stehe unbeachtet, wie ein vergessenes Kind, herum und fotografiere. Endlich. Auf der Straße ein Hin und Her, schnatternd wird gemeinsam aufgeräumt. Die Opferkörbchen mit den Blüten treiben wie verlassene Boote zwischen den trippelnden Füßen die Straße entlang.

Das linke Auge zugekniffen, versuche ich, mit dem rechten Auge durch den Sucher etwas zu sehen. Mit meinen nassen Händen halte ich unter dem Poncho die Kamera fest und bilde mir ein, dass der immer noch anhaltende Regen meiner Kamera nichts anhaben kann. Das müssen mir die Götter eingeredet haben.

Straßenszene bei Regen

Mann und Mädchen mit einem Beutel Obst

Nichts ist eingestellt, ob die Kamera scharf stellt, kann ich nicht erkennen, ISO ist auf 800, immerhin. Verschwommen sehe ich die kleine Welt des Dorfes Lembongan durch meinen Sucher hin und her laufen und halte sie fest. Mein Herz klopft, ich bin aufgeregt. Ich fotografiere mit offenen Augen und Mund im schimmernden Regendämmerungslicht. Mein Gebet geht weiter, bitte liebe Götter, schenkt mir diese Momente, um sie weitergeben zu können. Die schönsten habe ich in meinem Kopf.

Die meisten dieser Fotos waren scharf und korrekt, es waren nicht viele und es waren die letzten. Der Brief vom Fujifilmservice war kurz und knapp: komplett oxidiert. Wer weiß, vielleicht wird sie ja bald wiedergeboren.

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