21. Mai 2018 Lesezeit: ~5 Minuten

Das Ego ist der Feind

Verabscheue Schmeichler*innen wie Betrüger*innen; denn jene wie solche verletzen diejenigen, die ihnen vertrauen. – Isokrates

Entwicklung. – Echte, persönliche, die Seele erfüllende, Schmetterlinge im Bauch machende Entwickelung. Das ist der Schlüssel zu meinem Glück, mein persönliches Maß für Erfolg. Es ist egal, was ich leiste oder wie viel ich erreiche. Ich definiere mich selbst als erfolgreich ganz einfach im Prozess der Entwicklung.

In letzter Zeit habe ich mich nicht sehr viel weiterentwickelt. Weder in meiner persönlichen noch in meiner fotografischen Karriere. Das führte dazu, dass ich einen Schritt zurückgetreten bin, um eine Bestandsaufnahme dessen zu machen, was meine Entwicklung ausmacht und was sie hemmt – die Menschen, Szenarien und Verhaltensweisen, die mir helfen oder mich aufhalten.

Etwas, das immer wieder zum Vorschein kommt, ist der Begriff des Ego. Der elitäre Gedanke. Die Selbstherrlichkeit, die unbegründeterweise durch einen Haufen Likes und Follows aufrecht erhalten wird. Insbesondere, wenn Dir viele Menschen folgen, haben die sozialen Medien die Tendenz, Dein Selbstwertgefühl, Deine Selbstgerechtigkeit und die Wahrnehmung Deiner eigenen Fähigkeiten aufzublasen – mit ansteigender Geschwindigkeit.

Natürlich ist das Ego nichts, was wir alle einfach so vollständig „beseitigen“ können. Als eine grundlegende menschliche Eigenschaft ist es etwas, dem wir uns alle ab und zu hingeben. Das Problem wird allerdings dann deutlich, wenn wir unsere Bescheidenheit verlieren und allmählich den verstohlenen Taktiken unseres Egos nachgeben, die es wachsen und unser Handeln unbemerkt beeinflussen lässt.

Als ich meine eigenen Verhaltensweisen analysiert und die anderer beobachtet habe, stellte ich fest, dass es die Mikro-Interaktionen des täglichen Lebens sind, die bei Weitem den schädlichsten Einfluss haben – weil Du nicht mitbekommst, dass sie Leid verursachen und unbewusst Deine Perspektive verpesten.

Mit Tausenden Likes bei jedem einzelnen Post ist es oft schwer, die eigenen Arbeiten noch bescheiden zu sehen. Wenn so viele Menschen dem zustimmen, was Du machst, ist es doch bestimmt das Richtige, oder? Aber der Haken ist, dass die Zustimmung niemals wirklich wieder abnimmt, im Gegenteil – je schneller Du läufst, desto schneller dreht sich auch das Hamsterrad.

Schlussendlich beginnt Dein Ego damit, Deine „Fähigkeiten“ und Deine „Kreativität“ – und somit den Wert Deiner Arbeiten – mit dieser Zustimmung zu verknüpfen. Es mündet darin, dass Du das tust, was der Algorithmus will. Du bleibst konsistent. Bewegst Dich auf den eingetretenen Pfaden. Es ist sicher. Und warm. Es ist ja auch so einfach, seinen eigenen Arbeiten emotional nahe zu stehen und in sie vernarrt zu sein.

Aber dann brennt Dein kreatives Gespür aus. Du kannst dieses eine Ding nur für eine bestimmte Zeit machen, bevor es nervtötend wird. Dein Markenzeichen ist genau das, was Dich davon abhält, Dich weiterzuentwickeln.

Je tiefer Du Dich von diesem Strudel hinunterreißen lässt, desto mehr wirst Du Dein eigenes Ego anderen aufdrängen. Du beginnst zu urteilen, zu kritisieren, die Arbeiten anderer mit Deinen zu vergleichen und nur Fehler zu sehen. Du verstrickst Dich in scheinbar unbedeutenden Neckereien und machst dabei die Arbeiten und den Erfolg anderer kaputt, ohne innezuhalten, um auch einmal die positive Sicht auf alles zu erwägen.

Anfangs ist es gutartig. Es kommt schrittweise. Es schleicht sich an Dich heran. Aber es ist wahnsinnig giftig.

Deine echte, persönliche Entwicklung kommt zum Stillstand und Du realisierst, dass Du das Elend nicht länger ertragen kannst. Und nachdem Du den Schmerz eine lange Zeit durchlitten hast, lastet das Nichtstun tatsächlich schwerer auf Dir als das Handeln – und so versuchst Du, dagegen anzugehen.

Die Ursache all dessen ist ein Irrglaube; Präsenz in den sozialen Medien, Einfluss, Promistatus, niedrig oder hoch, diese sozial konstruierten Status sind falsch und sollten keine Macht über Dich und Dein Selbstwertgefühl haben. Denn wenn Du sie einmal weglässt, bist Du einfach nur ein Mensch. Du bist wie der Rest von uns.

Ein Publikum zu haben, bedeutet, einen Zugang zu haben, um Deine Arbeiten mit anderen zu teilen und ihre Leben damit zu bereichern. Mehr nicht. Du hast ihnen gegenüber eine Verantwortung, sie aber nicht Dir gegenüber. Es sollte eine Einbahnstraße sein. Schenke der Welt Deine Kunst bedingungslos und erwarte dafür keine Gegenleistung. Keinen Ruhm, kein Vermögen und ganz sicher kein Ego.

Indem Du die sozialen Medien auf ihren Platz verweist – also ihre Wichtigkeit von Deinem Leben abkoppelst – gewinnst Du die Perspektive der Realität zurück. Dass Du nicht Gottes Geschenk an die Menschheit und nicht zu wichtig bist, die Weltlichkeit des Alltags ertragen zu müssen.

Kehre stattdessen zum Grundlegenden zurück. Wir sind Menschen, die Kunst miteinander teilen, weil sie unser Leben bereichert, indem sie Gefühle, Gedanken und Liebe auslöst. Wir sollten den wichtigen Zielen wie Bescheidenheit, Gewissenhaftigkeit und Selbsterkenntnis entgegenstreben.

Das Ego ist der Feind. War es schon immer. Mach Dich davon frei, wo immer Du kannst.

Dieser Artikel wurde für Euch von Samantha Evans und Aileen Wessely aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Er erschien zuerst auf dem Blog von Pat Kay. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung.

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