11. Mai 2018 Lesezeit: ~4 Minuten

Meine Mama hat Brustkrebs

Alles fing an mit einer Nachricht vom 29. Juni 2017 in unserer WhatsApp-Gruppe, in der C. ein Foto ihrer sehr langen Haare mit folgendem Kommentar versah:

Leider muss ich den ganzen guten Nachrichten eine schlechte dazugeben. Dieses Bild ist zum Abgewöhnen, spätestens in drei Wochen sind dort keine Haare mehr. Brustkrebs. Chemo und danach OP und Bestrahlung. Wenn alles nach Plan läuft, habe ich Weihnachten wieder eine Stoppelhaarfrisur. Zu meinem Glück habe ich Euch alle und weiß, dass ich auf jeden einzelnen zählen kann, wenn’s drauf ankommt.

Ein Kind spielt mit einer Frau

Ein Kind flechtet die Zöpfe einer Frau

Wir sind eine Gruppe von Eltern, die sich aufgrund der Geburt unserer Kinder 2012 kennen und sehr schätzen gelernt haben. Nicht nur wir Eltern, sondern auch unsere Kinder sind untereinander sehr vertraut. Eine solche Nachricht möchte man nicht erhalten. Von niemandem. Sie bringt so viel Grauen mit sich, so viel Angst, so viel Klarheit und so enorm viel Unklarheit. Sie reißt alles nieder und übrig bleiben vorerst nur ein tiefsitzender Schmerz und die Frage nach dem Grund.

Ein oder zwei Tage später rief C. mich an und fragte mich, ob ich bereit wäre, sie mit meiner Kamera zu begleiten, wenn sie zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter (5 Jahre) ihre Haare abschneiden würde, bevor sie die Kontrolle darüber abgeben müsse, wann die Haare weg kämen. Na klar, das mach ich gerne, sagte ich. Und dachte: Ich bin ja Profi, das bekomme ich schon hin. Irgendwie.

Ein Kind schneidet Zöpfe einer Frau

Familie schneidet Haare

C. wollte, dass ihre Tochter später einmal besser begreifen könne, was in dieser Zeit eigentlich vor sich ging. Wie das damals so war mit dem Krebs. Diesem Unbegreiflichen. Und dass sie im schlimmsten Fall Erinnerungen in der Hand halten könne an die letzte gemeinsame Zeit. Aus dieser Idee heraus entstand dieses Langzeit-Fotoprojekt, das bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Die Ereignisse überschlagen sich nach einer solchen Diagnose; nicht nur für die Erkrankten – für alle drum herum. Und entsprechend lückenhaft und verzerrt ist oft die Wahrnehmung einer solchen Extremsituation.

Mann rasiert Haare einer Frau

Haare werden vom Boden aufgesammelt

Vor allem Betroffene stehen in dieser Zeit neben sich und nehmen sich selbst kaum wahr. Ihr Denken und Handeln ist reduziert auf das pure Durchhalten und Funktionieren. Sie spüren in dieser intensiven Zeit nur wenig in sich hinein, denn da lauert der große Schrecken. Das Fotografieren selbst und letztlich die Bilder erden Betroffene und ihre Nächsten. Denn sie zeigen die bitter-liebevollen Seiten der Krankheit.

Letztlich ist es nun ein Projekt geworden, das tiefe Einblicke gibt in eine Familie, die den Krebs auf ihre ganz eigene Art angeht. Ihn ins Leben integriert und gemeinsam eine unbändige Kraft und Lebensfreude entwickelt hat. So besteht der Alltag viel weniger aus Kampf und Angst, sondern viel mehr aus Zusammenhalt und Mut. Aus Hoffnung. Die Bilder zeigen, dass Krebs nicht nur Grauen und Leid bedeutet, sondern auch Liebe, intensives Leben und außergewöhnliche Nähe.

Ein Kind und eine Frau sitzen an einem Tisch

Eine Frau umarmt ein Kind im Krankenhaus

Für mich war es beim ersten Shooting, entgegen meiner eigenen Einschätzung, unheimlich schwierig, bei meiner Arbeit mit C. professionelle Distanz zu wahren. Aus Nervosität machte ich viele Anfangsfehler, war fahrig, unkonzentriert und fühlte mich wie eine miese Schwimmerin in unruhigem Gewässer.

Und beim Selektieren der ersten Bilder war es dann vorbei, da hat es mich richtig umgehauen. Aber ich bin seither gewachsen. Und ich habe von C. unglaublich viel übers Menschsein, über Familie und Zusammenhalt, über Mut und über den Lebenswillen gelernt.

Eine Frau im Krankenhaus

Eine Frau und ein Kind kaufen auf einem Gang

Mit diesem Projekt möchte ich zeigen, dass der Krebs kein Monster sein muss. Zumindest nicht durch und durch. Er schafft sogar etwas: Ein neues Lebensbewusstsein, Nähe, Zeit füreinander, offenere Herzen, Verständnis und viel Wärme.

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