Überlagerung von mehreren Bildern mit bunten Farben und verschiedenen Inhalten.
09. Mai 2018 Lesezeit: ~7 Minuten

Foam Talent Frankfurt – junge Fotografie

Der Frankfurter Kunstverein präsentiert erstmals in Deutschland die international renommierte Überblicksschau „Foam Talent“ in Kooperation mit dem Foam Fotografiemuseum Amsterdam. Die Ausstellung gilt als eines der innovativsten Formate, um aktuelle Trends und Tendenzen der Fotografie aufzuspüren.

Die Ausstellung präsentiert 20 junge künstlerische Positionen, die in umfassenden Werkensembles das Bild einer Generation zeichnen, die sich mit Fragen der individuellen sowie der gesellschaftlichen Identität, den Auswirkungen territorialer Konflikte, Phänomenen der Subkultur bis hin zu den Möglichkeiten der fotografischen Produktion auseinandersetzt.

Eine Reihe von Künstler*innen bedienen sich anthropologischer Methoden und begeben sich für ihre Projekte auf eine intensive Langzeitrecherche. Andere gehen von gefundenem Material aus, das sie in historischen Archiven, aus privaten Sammlungen sowie dem Internet beziehen und das sie zum Rohmaterial ihrer künstlerischen Untersuchungen machen. Auch aktivistische Ansätze sowie Strategien des investigativen Journalismus zeichnen die Arbeitsweise einiger Positionen aus.

Ihre Werke behandeln gesellschaftliche Schicksale oder kulturelle Unterschiede, den menschlichen Körper und dessen Repräsentation, politische Überwachung oder die Wirkungsmacht religiöser Mythen. In zahlreichen Arbeiten wird die Objektivität der Kamera in Frage gestellt und die Vieldeutigkeit des fotografischen Bildes thematisiert. Im Kontext von „Real Fake“-Fotografien und bewegten Bildern steht nicht nur das Medium, sondern die Darstellung von Realität selbst unter kritischer, wenn nicht skeptischer Beobachtung durch diejenigen, die sich ihre Repräsentation zur Aufgabe gemacht haben.

Die in der Ausstellung versammelten Arbeiten vertreten ein wiedergewonnenes Interesse an einer Rückkopplung an reale Bedingungen, sie betrachten aus einer Innenansicht subkulturelle Phänomene, reflektieren politische Auswirkungen und gesellschaftliche Umbrüche und suchen nach den historischen Bezügen aktueller Lebensweisen.

Gemeinsam ist den 20 internationalen Künstler*innen die Suche nach den heutigen Grenzen und Erweiterungsmöglichkeiten der fotografischen Repräsentation mit den zur Verfügung stehenden technischen und digitalen Mitteln. Sie nutzen gefundenes Bildmaterial oder besinnen sich auf Archivinhalte, arbeiten mit Text und Bild als sich ergänzende Elemente oder wagen sich mit skulpturalen Installationen und der Einbindung von Videoarbeiten über die Grenzen eines traditionellen Begriffs von Fotografie hinaus.

Auf Stelzen stehende Autobahnbrücke in wolkigen Höhen mit Explosionswolke an einer Stelle.

© Martin Errichiello und Filippo Menichetti, aus der Serie „In Fourth Person“, 2015–2017

Der gesellschaftskritische Blick

Martin Errichiello und Filippo Menichetti verstehen sich als Fotografen sowie Archäologen, Geografen und Historiker. Das Künstlerduo thematisiert die geschichtlichen und politischen Brüche, die Italien seit den 60er Jahren bis heute prägen. In den Jahren des ökonomischen Aufschwungs wurden zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte aufgesetzt, deren politische und ökonomische Verstrickungen bis heute nicht transparent sind. Im Glauben an Fortschritt und Moderne wurden substantielle Veränderungen von ganzen Landschaften und Kulturregionen staatlich betrieben.

Die Künstler reisten entlang der Autobahn Salerno – Reggio Calabria, einer wichtigen Mobilitätsachse im Süden des Landes und Teil der Autostrada del Sole. Diese Autobahnstrecke liefert den symbolischen Handlungsstrang für das vielschichtige Projekt, anhand dessen Teile einer verborgenen italienischen Geschichte sichtbar werden und eine Ästhetik der Brüche und Kontraste aufscheint. Die kontrollierte Sprengung der baufälligen Autobahnbrücke Viadotto Italia ist gleichzeitig Symbol ökonomischer Entwicklung, aber auch politischen Versagens und wirkt wie die Metapher einer gescheiterten Utopie. Dieses Bild liefert das Motiv der gesamten Ausstellung.

Verschwommene, hautfarbene, organische Form.

© Alix Marie, „Mammography“ aus der Serie „Bleu“, 2013–2017

Der weibliche Blick

Alix Marie arbeitet mit extremen Nahaufnahmen menschlicher Haut. Sie stellt die Oberflächen von Körpern zur Schau, sie fotografiert Fragmente und vergrößert diese, man sieht Abdrücke von Krafteinwirkung, Falten, Öffnungen in ihrer Fleischlichkeit. Die vergrößerten Ansichten produziert sie auf PVC-Folie, die sie wie abgezogene Haut auf Metallstangen schichtet. Sie erweitert die fotografische Abbildung um skulpturale und installative Elemente zur künstlerischen Abbildung des menschlichen Körpers im Raum.

Eine junge Frau sitzend mit pinkem Pulli und ein Mann neben ihr sie anblickend in Anzug. Er hält ihr eine lächelnde Maske vor das Gesicht.

© Weronika Gesicka, „Untitled #1“ (2015) aus der Serie „Traces“, 2015–2017

Die Grundlage der künstlerischen Produktion von Weronika Gesicka bilden Fotografien aus US-amerikanischen Bilddatenbanken der 1940 bis 1960er Jahre. Die gefundenen Bilder verfremdet die Künstlerin durch fotografische Verzerrungen und digitale Verfremdungen, sodass typische Rollenklischees und überholte traditionelle Frauenbilder aus dem 20. Jahrhundert verstärkt sichtbar werden.

Brennendes Gerüst auf freier Fläche.

© David de Beyter, „Auto Sculpture I“ (2015) aus der Serie „Big Bangers“, 2014–2017

Neue dokumentarische Ansätze

David De Beyter ist in die Community der „Big Bangers“ eingetaucht. Diese zelebrieren die Zerstörung von Autos durch ritualisierte Zusammentreffen, bei denen heftige Unfälle provoziert werden. Diese sogenannten „Auto Sculptures“ machen Praktiken einer Subkultur sichtbar, die im Verborgenen stattfindet, um die Heroisierung der Zerstörung als Ausdruck kreist und ästhetische Referenzen aus der Kunst der 60er Jahre herstellt.

Junger Mann hinter einer Glasscheibe mit mehreren Löchern darin.

© Sadegh Souri, aus der Serie „Fuel Smuggling“, 2017

Über vier Jahre dokumentierte Sadegh Souri das illegale Geschäft von Diesel- und Paraffinschmuggel im Grenzgebiet zwischen Iran und Pakistan. Dabei setze der Künstler sich den Gefahren einer Kultur der alltäglichen Gewalt aus. Er verfolgte Schmuggler auf ihren Fahrten. Die Bildserie liefert einzigartige Portraits von Menschen, der eindrucksvollen und kargen Landschaften und macht dieses Krisengebiet und Kriegsterritorium als rechtsfreien Raum sichtbar, der so medial nicht präsent ist.

Überlagerung von mehreren Bildern mit bunten Farben und verschiedenen Inhalten.

© Quentin Lacombe, aus der Serie „Event Horizon“, 2015–2017

Digitale Konstruktionen

Quentin Lacombe hinterfragt die narrative Möglichkeit des fotografischen Mediums. Er installiert Lochkameras in der Landschaft, um über den Zeitraum von 6 Monaten ganze Zeitperioden in wechselnden Lichtverhältnissen aufzuzeichnen. Zusätzlich collagiert er Science-Fiction-Motive mit astronomischen Aufnahmen von Sternwarten in der Ästhetik von futuristischen Themenparks und thematisiert somit die Grenzen von physikalischen Raum-Zeit-Konstellationen der Fotografie. Fortschritte in der Bildanalysetechnik führen zu zunehmend automatisierten Formen der Bildgebung.

Junger Mann mit Anzug vor blauem Grund. Blau geschminkte Lippen, Sonnenbrille und dazu eine Kette um den Hals, die er nach vorn oben zieht.

© Namsa Leuba, „Re“ aus der Serie „NGL“, 2015

Namsa Leuba bezeichnet sich selbst als Nomadin. Sie reist zwischen Afrika und Europa und untersucht aus der Perspektive ihrer bikulturellen Identität (sie ist Schweizerin und Guineerin) die visuelle Popkultur Afrikas. Ihre Arbeitsweise umfasst Dokumentar-, Mode- und Performancefotografie. Für diese Werkserie bittet sie die aktuelle Generation in Lagos darum, vor der Kamera ihre Interpretation des Modebegriffs zu inszenieren. Die kulturelle Wechselwirkung zwischen westlicher und afrikanischer Jugendkultur, die medial verstärkt wird und in einem ständigen Prozess des Wandels digital zirkuliert, bieten Leuba den Boden für ihre visuelle Untersuchung.

Übereinandergelagerte Naturbilder.

© Kai Oh, aus der Serie „It Changes“, 2017

Die Arbeiten der koreanischen Künstlerin Kai Oh entstehen aus der Sehnsucht nach Heimat und Verbundenheit. Sie erlebt sich als Fremde im Umfeld ihres Deutschlandaufenthaltes und sucht nach einem Rückzugsort, den sie in der Ursprünglichkeit der Natur findet. Bilder des deutschen Waldes verbindet sie in digitaler Collagiertechnik mit Bildern ihrer Heimat und den Menschen, die nur noch in ihrer Erinnerung präsent sind.

Foam Talent Frankfurt versammelt 20 internationale Positionen von Fotograf*innen unter 35 Jahren, die aus 1.790 Künstlerportfolios aus 75 Ländern von einer Expertenjury des Foam Amsterdam ausgewählt wurden. Das Format Foam Talent zeichnet somit das Bild einer jungen und internationalen Generation und kennzeichnet in seiner Heterogenität den aktuellen Stand und die Schwerpunkte der jungen fotografischen Kunstproduktion.

Foam Talent wurde 2017 erstmalig in Amsterdam, anschließend in New York und London gezeigt und ist nun in Frankfurt mit einer eigens konzipierten Präsentation aller 20 Positionen als umfassende Schau zu sehen.

Foam Talent Frankfurt, junge internationale Fotografie
Eröffnung: Mittwoch, 23. Mai 2018, 19 Uhr
Ausstellungsdauer: 24. Mai – 26. August 2018

Frankfurter Kunstverein
Markt 44
60311 Frankfurt (Main)

Ähnliche Artikel