06. März 2018 Lesezeit: ~12 Minuten

Im Gespräch mit Ben Bernschneider

Als mich Ben Bernschneider anschrieb und fragte, ob ich Lust hätte, mir mal seine Buch-Trilogie anzusehen, war ich zunächst irritiert, denn im Anhang der E-Mail sah ich auf den ersten Blick nur junge Frauen, die sich auf zum Teil unscharfen, analogen Aufnahmen auf Motorhauben räkelten oder sich das T-Shirt nach oben zogen.

Es hätten Amateuraufnahmen aus den 60er oder 70er Jahren sein können. Nach dem ersten WTF-Moment machten mich diese trashigen Aufnahmen aber doch neugierig und ich bat Ben um einen Blick in seine Bücher. Zum Glück, muss ich jetzt zugeben, denn die Bände sind kleine Gesamtkunstwerke.

Zwischen den Aufnahmen gibt es kurze Texte, die mit Schreibmaschinenschrift Geschichten von Drogenkonsum, Geldnot und Paranoia erzählen. Und auf einmal ist man beim Betrachten im Amerika einer längst vergangenen Zeit, die es so vielleicht auch nie gab, aber das ist dann auch schnell irgendwie egal. In seiner Trilogie lässt Ben bewusst die Grenzen zwischen Tagebuch, Fiktion und Fotobuch verschwimmen.

Die Bücher sind keine Bildbände im klassischen Sinn, sondern es handelt sich mehr um eine Fotostory über den drogenabhängigen Hauptprotagonisten, der unter Verfolgungswahn leidet und Stress mit seinem Verleger hat. Vielleicht hätte Charles Bukowski ähnliche Bilder gemacht, würde er heute leben und zur Kamera statt zum Stift greifen.

Aufgeschlagenes Buch

Aufgeschlagenes Buch

Seit 2015 hast Du an Deiner American-Summer-Trilogie gearbeitet und schließt sie nun mit dem dritten Bildband „The End of an American Summer“ ab. Wie fühlt sich das an? Bist Du froh über das Ende oder fehlt Dir jetzt etwas?

Ich bin eher froh und erleichtert, dass dieses Kapitel jetzt rum ist. Der Zeitraum eines Bandes, von der Vorbereitung über die Reise bis hin zum schriftlichen Teil und dem Buchdruck, ist so lang, dass ich vorsichtig sein muss, dass mich ab der Hälfte nicht schon etwas komplett anderes interessiert und ich die Geduld verliere. Ich muss immer alles impulsiv und sofort machen, damit ich mit vollem Herzblut dabei bin. Meist möchte ich dann was anderes machen, wenn ich es irgendwie durchblickt habe.

Außerdem habe ich schon zehn weitere Ideen, die jetzt auch alle raus müssen. Aber ich denke, dass ich jetzt bestimmt wieder mindesten ein halbes Jahr lang gar nicht fotografieren werde. So war es nach jedem Teil.

Eine Frau telefoniert

Eine Frau im Pool auf einer Luftmatratze

Ein halbes Jahr ohne Kamera? Wow! Aber ich kann es im Hinblick auf den Stress nachvollziehen. Und danach geht’s weiter mit Akt oder versteckt sich hinter einer der zehn Ideen etwas komplett anderes?

Ich habe zwischen Teil 2 und Teil 3, also knapp ein Jahr lang, auch keine Kamera in die Hand genommen. Es ist gar nicht so der Stress, aber ich bin halt leergeschossen. Es interessiert mich gar nicht mehr. Es macht mir auch wirklich null Spaß. Ich brauche dann wieder eine ganze Weile, um dieses Gefühl wieder zu entdecken.

In der Pause zwischen „Return of an American Summer“ und „The End of an American Summer“ habe ich „Bad Sheriff“ gedreht, der jetzt einmal um die Welt gegangen ist. Als wir angefangen haben, Preise mit dem Film zu gewinnen, wollten wir noch vor „The End of an American Summer“ einen weiteren Film drehen.

Ich schrieb daraufhin „Hôtel la Palme Noir“, aber Ingo, mein Kameramann, war der Meinung, wir sollten nicht noch einmal in einen Kurzfilm investieren und direkt einen Spielfilm drehen. Und da ich den unbedingt auf Film drehen möchte, drehen wir ab nächsten Monat vier Teaser, auf 16 mm, um für den Film eine Koproduktion und Geld aufzutreiben.

Zur Fotografie: Ich kann es jetzt noch gar nicht sagen. In einem halben Jahr weiß ich bestimmt, was es wird. Das nächste Ding wird auf jeden Fall auf Mittelformat fotografiert. Zu Akt: Ich habe mich nie als Aktfotografen gesehen. Das ist einfach so passiert. Und komplett nackt interessiert mich auch eher wenig.

Eine Frau mit Coca-Cola-Tshirt im Wasser

Was reizt Dich am Mittelformat? Für die Buch-Trilogie warst Du vor allem mit Kleinbildkameras unterwegs, oder?

Bei der Buchtrilogie gab’s noch ganz andere Parameter. Es war nicht nur Kleinbild, sondern auch nur Schnappschuss-Kameras aus den 80er und 90er Jahren. Alles auf Yashica T4, Leica Minilux, Leica Mini 3, Olympus mju:2.

Kameras, bei denen man nichts einstellen kann. Keine Blende, Keine Verschlusszeit. Nur draufdrücken und fertig. Extrem befreiendes Gefühl. Urlaubsbilder halt. An Mittelformat reizt mich jetzt eigentlich nur, dass ich vorher noch nichts damit gemacht habe. Abgesehen von der schönen Tiefenschärfe und dass ich es ganz cool finde, nur 12 Bilder in der schönen Hasselblad zu haben, bis ich das Ding wieder aufschrauben muss.

Wie viel Unterschied liegt für Dich überhaupt zwischen der Arbeit an einer Fotostrecke und einem Film? So ganz ohne Ahnung denke ich, dass sie sich gar nicht viel nehmen und nur verschiedene Medien sind, um Geschichten zu erzählen.

Ja, irgendwie schon. Total. Beim Film ist natürlich alles viel teurer. Und meistens haben wir auch ein großes Team. Bei Fotos hast Du die 15 Leute ja nur am Set, wenn Du Werbung fotografierst. Aber dass ich nicht selbst Kamera mache und einen guten Kameramann habe, mit dem ich Ideen hin und her spielen kann, ist super. Und man dreht natürlich wesentlichen länger an einem Kurzfilm als man an einer Fotostrecke sitzt.

Frau im Gegenlicht

Palmen in der Abendsonne

Noch einmal zurück zu Deinem Buchprojekt. Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen? War von Anfang an für Dich klar, dass Du ein Buch herausbringen willst?

Es war so, dass ich unglücklich mit der Hochglanz-Fotografie war und es immer mehr Bilder gab, die die Kids mit 35-mm-Einwegkameras und ähnlichem machten. Und als ich darauf stieß, war plötzlich alles anders. Die Bilder hatten so viel mehr Seele, Liebe und Energie als der ganze digitale Amateurmüll, mit dem das Internet so überschüttet wird.

Und diese Subkultur gab es ja die ganze Zeit. Es hatte ja nie aufgehört, aber 2011 wurde es dann ganz langsam immer mehr und man konnte sich aber noch Yashicas und die Olympus mju:2 für ein paar Euro kaufen und nicht 350 Tacken, die momentan dafür aufgerufen werden.

Ich war also plötzlich glücklich und erfüllt, habe meine Nikon Df , meine Nikon D800 und meine Canon 5D Mark II kaum noch angefasst. Und zum Retroschritt passte dann ja auch der Druck auf grobem Offset-Papier. Und so fing es dann an. Den Text auf der Schreibmaschine zu schreiben war der nächste logische Schritt für mich. Aber ich muss dazu sagen, dass in „Tales“ noch die Hälfte digital war, bei „Return“ waren dann noch fünf oder sechs Bilder digital und bei „The End“ keines mehr.

Frau mit Spiegelung eines WerbeschildesMotelschild

Das klingt ein wenig, als könnte man digital keine Bilder mit Seele machen.

Nein, das sehe ich keinesfalls so. Es gibt allerhand Fotograf*innen, die die wunderbarsten digitalen Bilder machen. Aber es gibt auf der digitalen Ebene auch viele, die nicht meine Sprache sprechen. Die sich ein Bild angucken und sagen „Ach, das ist ja ein Scheißbild, es ist ja unscharf“. Die überhaupt keine Schönheit in Fehlern sehen. Die null Gespür für Romantik, kein Feeling haben. Die mit einem Bild nix sagen wollen, sondern eine Blume abbilden, die hauptsächlich scharf sein muss.

Und viele machen sich dann auf die Suche nach mehr, nach einem anderen Gefühl. Ein bisschen Verklärung, ein bisschen Unerwartetes. Und finden es in alten Kameras, in abgelaufenen Filmen. Oder in digitaler Form in anderen Belichtungsformen oder Presets, anderer Nachbearbeitung.

Aber lass uns ehrlich sein, jedes zweite Bild wird mittlerweile in der Nachbearbeitung auf analog getrimmt. Mann packt Violett in die Tiefen, ein bisschen Gelb in die Höhen, entsättigt das Schwarz. Und viele meiner Bekannten wie etwa André Josselin oder Philipp Gladsome, die wunderbare, digitale Bilder machen, haben plötzlich analoge Kameras, einen zweiten Account bei Instagram für ihre analogen Aufnahmen, weil man das Gefühl hat, wenn man schon so einen Look drauf legt, kann man hier und da auch gleich so fotografieren.

Ich bin überhaupt kein Analognazi. Ich finde es nur schön, dass es beide Möglichkeiten gibt. Und das Hobby- und Amateurbehaftete der analogen Fotografie gibt mir nur mehr. Es ist ein bisschen mehr Liebe und ein bisschen weniger „Job“.

Nackte Frau mit Katze und Flasche

Beim Stichwort „Schönheit in Fehlern“ muss ich natürlich nachhaken. Das Unperfekte der Bilder sehe ich und mag ich auch sehr, die Motive hingegen sind das komplette Gegenteil von unperfekt: Sonne, Palmen und schöne junge Frauen, die ohne Probleme in der Werbung spielen könnten. Ist das der amerikanische Traum?

Das weiß ich nicht so genau. Ich denke, der amerikanische Traum ist Auslegungssache. Jede*r träumt von etwas anderem. Ich für meinen Teil kann im Moment mit den USA wenig anfangen. Ich sehne mich nach Menschen in schön geschnittenen Anzügen, die eine richtige Tageszeitung lesen und Pfeife rauchen, vor irgendeinem Café in Paris sitzen und mit dem Füller Einträge in einem ledergebundenen Notizbuch machen.

Und so, wie ich jetzt dieses europäische Bild male, dass man sich einigermaßen gut vorstellen kann, so male ich ein anderes in der Amerika-Trilogie. Eines, was den 80er Jahren und dem freien Geist der Westküste nahe kommt. Und vielleicht hast Du Recht, dass man das als amerikanischen Traum verstehen kann.

Natürlich irgendwie ein verklärter Traum. Aber so funktioniert Nostalgie ja, man pickt sich die Rosinen raus und denkt nicht daran, was damals schlechter war. Ja, umso mehr in darüber nachdenke – amerikanischer Traum ist treffend. Denn das können die Amis: Träume verkaufen.

Frau mit hochgezogenem BHFrau mit knappem Rock an einem Auto

Die Bücher erzählen also eher eine fiktive Geschichte? Du warst für die Aufnahmen lange in Amerika, wie hast Du das Land erlebt? War alles gestellt oder findet man diesen freien Geist doch noch an einigen Orten?

Die Bücher sind eine Mischung aus Tagebuch und Fiktion. Es verschmilzt immer mal wieder. Aber ich habe keinen Zahn vom Saufen verloren und hatte auch keinen Sex mit der Bauerntochter. Und habe auch kein Kilo Koks quer durch Kalifornien gefahren.

Ich war vier Jahre lang jeden Sommer für vier bis sechs Wochen dort. Und Los Angeles ist schon extrem, was die Haltung und die Laune angeht. Die Leute sind halt – oberflächlich oder nicht – das Freundlichste unter der Sonne. Megagut drauf, die ganze Zeit wahnsinnig hilfsbereit und immer ein Lächeln im Gesicht. Da gibt es einen Haufen freien Geist.

Ich möchte auch null politisch werden, aber vom ganzen Trump- und NRA-Debakel bekommst Du an der Ost- und Westküste ja überhaupt nichts mit. Aber fährst Du nur mal ein bisschen aus den Großstädten raus, gerade in Florida, bist Du direkt unter Vollidioten mit Pro-Waffen-Aufklebern und übertriebenem Nationalstolz.

Zwei Frauen lehnen auf einer Motorhaube

Eine Frau zieht einer anderen den Rock nach oben

Angenommen, eine arme Studentin liest unser Interview und hat Interesse an Deiner Arbeit, kann sich aber maximal ein Buch leisten. Welches aus der Trilogie sollte sie kaufen?

Wenn sich Leute mein Buch nicht leisten können, aber sich für analoge Fotografie begeistern, dann können sie mich jederzeit anhauen und sie bekommen das Buch zum minimalsten Druckpreis, meinem Einkaufspreis. Ich verschenke mein Buch lieber, als dass nur Leute mit Geld an meinen Büchern Freude haben. Aber wenn diejenige Person sich eines aussuchen müsste, dann sollte es unbedingt das erste, also „Tales of an American Summer“, sein, da die Geschichte ja zusammenhängt und man jedes Buch von Anfang an lesen sollte.

Danke für Deine Zeit und den spannenden Einblick!

Nachdem 2015 der erste Teil der Trilogie mit „Tales of an American Summer“ erschien, folgte 2016 „Return of an American Summer“. Am 16. April erscheint mit „The End of an American Summer“ das Ende des Amerika-Zyklus, der ab jetzt vorbestellbar ist. Jeder Band kostet 39 €. Die komplette Trilogie ist mit kleinem Rabatt für 99 € über den Shop von Ben erhältlich.

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