17. Oktober 2017 Lesezeit: ~14 Minuten

Wie bringt man Kindern die Fotografie nahe?

Genau das habe ich mich gefragt, als meine Tochter immer um mich herumschwänzelte, während ich fotografierte. Sie schaute immer ganz neidisch und wollte unbedingt auch ein paar Bilder schießen. „Um Gottes Willen, lass die Kamera bloß nicht fallen…“, sagte eine ganz panische Stimme in meinem Kopf.

Sie war neun Jahre alt, als sie dann zum vergangenen Weihnachtsfest Opas ausrangierte Canon EOS 1000D mit einem 18–55-mm-Objektiv erhielt. Die Freude war groß und ihre Kinderhände waren zu klein für diese Kamera mit Batteriegriff. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, es einmal auszuprobieren.

Wir wanderten also um unsere Nachbarschaft. Die Straßen waren schneebedeckt, wir waren warm angezogen und so zogen wir los auf der Suche nach Blumen. Sie liebt Blumen und sie wäre enttäuscht gewesen, hätte sie nicht zumindest eine fotografieren können. Nach einigem Unkraut, das bei ihr ebenfalls als „Blume“ durchging, fanden wir aber tatsächlich geeignetes Material zum Fotografieren. Als Vater, der selbst fotografiert (zwar Menschen, aber die sind stellenweise genauso steif wie Blumen im Winter), bekommt man dann auf einmal graue Haare, wenn man sieht, was das Kind da fabriziert.

Tief Luft holen. Genau darum geht es jetzt.

Eine Frage der Technik

Gott sei Dank ist die Fotografie keine Frage der Technik. Mit entsprechendem Auge, Wissen und Emotionen kann jede*r mit einem Handy, einer Plastikkamera oder was auch immer packende und ergreifende Bilder herstellen. Trotzdem erkannte ich die Ambitionen meiner Tochter und wollte es ihr ein wenig leichter machen.

Sie ist nun, zehn Monate später, zehn Jahre alt, aber ihre Hände noch immer klein. Als Fuji-Nutzer schielte ich nach einer ausrangierten X-E1 für sie und diskutierte über das Thema auch in diversen Foren. Es hat mich sehr erschrocken, wie harsch dort Fronten aufeinanderprallen. Ein Kommentar lautete: „Sie soll die Canon behalten, die Fufi macht es ihr zu leicht, gute Bilder zu schießen. Sie wird niemals lernen, mit Blende, ISO und Zeit umzugehen.“

Den Zusammenhang dieser drei Faktoren lernt sie auch jetzt nicht. Ich möchte das auch zu diesem Zeitpunkt nicht. Ihre Kamera steht im Automatikmodus. Punkt. Sie hat noch nicht das technische Verständnis hierfür, gleichzeitig aber auch die Ungeduld ihrer Mutter geerbt, wenn es darum geht, sich mit komplexen technischen Dingen auseinanderzusetzen. Eine explosive Mischung.

Ganz ehrlich: Warum sollte sich ein zehnjähriges Mädchen mit der fiesen Technik der Fotografie auseinandersetzen? Sprunghaft wie Kinder sein können, sollte sie sich den Spaß an der Fotografie bewahren und einfach mit ihrer Kamera losziehen. Selbst Erwachsene in meinem Umfeld haben es schon geschafft, sich auf diese Art und Weise den Spaß an der Fotografie zu verderben.

Eine Rose

Bildkomposition

Der Automatikmodus ermöglicht eine Sache hervorragend: Die Komposition eines Bildes in Ruhe, ohne sich auf andere Faktoren einlassen zu müssen. Ich habe diesbezüglich mit ihr auch noch kein Aufklärungsgespräch geführt. Bis es an ISO und Co. geht, soll sie eine eigene Sicht der Dinge entwickeln, Spaß haben und alles fotografieren, was ihr gefällt.

Bei der Bildkomposition spielt aber auch noch ein anderer Faktor wesentlich mit. Dein Kind wird naturgemäß die Dinge bedingt durch die eigene Körpergröße anders betrachten. Es ist ein Unterschied, ob Du mit einer Körperhöhe von 110 cm durch die Gegend läufst oder mit 190 cm. Im Prinzip komponieren Kinder nicht bewusst. Auch das ist gut so. Während Erwachsene anfänglich ihre Bilder bewusst komponieren, machen Kinder das einfach so.

Wer mehr Erfahrung in der Fotografie hat, komponiert auch, aber tut dies ohne darüber nachzudenken. Dies sollte zumindest für Erwachsene das Ziel sein. Kinder, die die ersten fotografischen Erlebnisse verdaut haben, kann man sachte an das Fotografieren mit Gitternetz ranführen. Hier gilt es vorzumachen.

Fotografiere Dein Kind und zeig ihm, wie die Bilder wirken, wenn es unterschiedlich positioniert ist. Menschen können hier natürlich auch durch Blumen ersetzt werden. Einmal darauf aufmerksam gemacht, benötigt es keiner Wiederholung. Das Kind wird es abgespeichert haben. Es wird nur wahrscheinlich nicht darauf zurückgreifen.

Eine Blüte

Väterliche Ratschläge

Es ist sicher nett gemeint, wenn Du Deinem Kind ständig Verbesserungsvorschläge unterbreiten möchtest. Das Bild, das Du gerade auf dem Kameradisplay Deines Kindes gesehen hast, mag absolut scheiße aussehen, aber für Dein Kind ist es das zauberhafteste Werk, das es jemals erschaffen hat. Zerstör bloß nicht seinen Stolz. Halte den Mund und wenn Du es nicht kannst, sei ja behutsam mit Deiner Wortwahl.

Konstruktive Vorschläge sind die besten. Das wurde uns schon immer in der Schule beigebracht. So halte ich es auch mit meiner Tochter. Anfänglich fotografierte sie Blumen aus einer Distanz von 10 Metern mit einer Brennweite von 18 mm. Such die Blume! „Wenn Du näher rangehst, nimm die maximale Brennweite Deines Objektivs, so sieht Dein Bild ganz anders aus. Versuch es!“

Mit so etwas kann Dein Kind umgehen. Aber Achtung. Auch damit wird es nicht lange umgehen können, wenn Du ihm alle zwei Minuten irgendeinen Rat geben willst. In der Sportdidaktik haben wir gelernt, dass sich Kinder in diesem Alter maximal ein bis zwei Korrekturvorschläge auf einmal merken und verarbeiten können. In der Fotografie dürfte es ganz ähnlich sein.

Zurück zur Blume. Da fand ein ganz eigener Lernprozess statt, in den ich so wenig wie möglich eingreifen wollte. Damals und jetzt noch immer nicht.

Bereits heute fotografiert sie anders. Das Schwarzweißbild am Meer hat sie zauberhaft komponiert. Ich hätte es vermutlich nicht anders geschossen. Sie hat dem Meer eine ganz besondere Tiefe gegeben und trotzdem stechen die im Wasser herumtollenden Menschen hervor. Sie hat hier insbesondere, unbewusst oder bewusst, darauf geachtet, dass die Köpfe der Personen freigestellt erscheinen. Das Bild wäre ein völlig anderes gewesen, wären die Köpfe in den Wellen „untergegangen“. Das Bild hat, so wie es ist, ganz viel Stimmung. Es bleibt ein ganz großer Spielraum zwischen positivem und negativem Empfinden.

Drei Menschen im Meer

Der eigene Pfad

Der Pfad Deines Kindes ist nicht Dein Pfad. Das ist so. Das gilt für die Berufswahl, das gilt für die Wahl der Bekleidung, aber auch für die Fotografie ist das ein ganz wichtiger Standpunkt. Warum sollte ich meine Tochter in irgendeine Richtung drücken wollen? Ich würde sie beeinflussen. Mit jedem Hinweis, den ich ihr gebe, beeinflusse ich sie und ihre Art zu fotografieren.

Und noch einmal. Meine Tochter ist gerade einmal zehn Jahre alt. Sie soll Spaß haben mit der Fotografie und weiterhin auch mit all ihren anderen Spielsachen spielen. Ich kenne so viele Erwachsene, die keinen Spaß damit haben, weil sie in die Fotografie etwas hineininterpretieren, was da nicht hingehört. Die sollen bloß nicht ihre eigenen Kinder so programmieren.

Was macht meine Tochter also im Moment? Sie fotografiert einfach, wann sie will, wen sie will und wie sie es will. Sie fotografiert, was sie im Augenblick als schön erachtet und erfreut sich daran. Ich selbst muss nicht in jedem ihrer Fotos den tieferen Sinn erkennen. Den sieht sie nämlich für sich und das reicht.

Wenn Du es gern hättest, dass Dein Kind fotografiert, ist das zwar schön, aber Du kannst es nicht erzwingen. Lass Dein Kind Spaß daran haben und erwarte nichts. Lass es tun und machen, was es will. Dein Kind wird vielleicht gern fotografieren. Andererseits ist es möglich, dass es gar keinen Spaß daran hat. Letzteres ist überhaupt nicht schlimm.

Da Wiederholung Verstärkung bringt: Hat Dein Kind die Kamera in der Hand, überfrachte es nicht. Es kann nicht sofort all Deine Gedanken und Korrekturen nachvollziehen und umsetzen. Alles, was zu viel ist, verpufft irgendwo zwischen den Gedanken an Eis und Prinzessin Lillifee.

Eine Zecke auf Moos

Zeit genießen

Bereits während des Fotografierens kannst Du etwas tun, was im Alltag oft untergeht. Genieß die Zeit mit Deinem Kind. Es ist ein besonderer Moment zwischen Euch, wenn Ihr etwas zusammen tun könnt, woran Ihr gemeinsam Freude habt. Lauf nicht ständig neben Deinem Kind her, fotografier selbst ein bisschen und sei trotzdem für Dein Kind da, wenn es Fragen hat.

Aber auch später am Rechner gilt das Prinzip „Zeit genießen“. Der Moment, mit dem eigenen Kind in seinem Zimmer zu sitzen, den Laptop aufzuklappen und mit ihm durch seine Fotos zu gehen… das ist echt schön. Denn was bleibt mir als Vater? Sie ist mittlerweile so groß, dass sie sich selbst mehr Privatsphäre einräumt, sich also in ihrem Zimmer verschanzt, liest oder in den Nintendo verfällt. Vorbei die Zeiten, in denen man mit ihr auf dem Boden lag und mit kleinen Plastikeinhörnern gespielt hat. Kinder werden halt größer. Alle. Auch Deins.

Bilder aussortieren

Wir machen das ganz einfach. Das Prinzip lautet: „Schön oder nicht schön?“ Ich habe meinen Finger auf dem Touchpad und sie delegiert. Sie sagt mir, welche Bilder sie behalten möchte und welche nicht. In manchen Fällen frage ich sie, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Meistens in den Fällen, in denen ich selbst das Bild grundlegend anders bewerte. Ich möchte lernen, was sie sieht. Das sind Dinge, die selbst für mich nützlich sein könnten. Das eigene Kind als Referent, ganz zauberhaft. Aber Du vermittelst auf diese Art und Weise, dass die Meinung Deines Kindes wichtig ist.

In wirklich seltenen Fällen mische ich mich ein und lösche ein Bild nicht, da ich es behalten und ihr später zeigen möchte, was ich darin sehe. So eröffnen wir uns gegenseitig neue Perspektiven.

Eines ist ganz wichtig: Wenn Dein Kind sagt, das Bild ist schön, dann hast Du das Foto verdammt nochmal schön zu finden (ganz gleich wie Du es findest). Das hat mit Respekt und Verständnis zu tun. Hey, Du bist Mutter oder Vater, Du weißt, dass das Selbstwertgefühl Deines Kindes auf jeden Fall in den Keller rutschen wird. Ich weiß, hier kommt eventuell die Fotografiepolizei zum Einsatz und sagt, dass Dein Kind so nichts lernt. Das ist aber völliger Unsinn.

Äste

Farbe, mit ohne Farbe, heller, dunkler, näher

Ich halte es hier wie mit meinem Assistenten. Klare und einfache Aussagen erleichtern das Leben. Während mein Assistent Dinge verstehen muss wie kippen, neigen oder drehen, halte es für Dein Kind ebenfalls einfach.

Fang mit der Auswahl an, ob Dein Kind das Bild eher mit Farbe oder ohne möchte. Erst dann wird die Belichtung geregelt. Spielt da einfach mal ein paar Szenarien durch. Zeig Deinem Kind die Unterschiede, es hat sonst keine Vorstellung davon, was da passieren kann. Am Ende kannst Du dann einen eventuellen Beschnitt vornehmen.

Besprechung kaputter Bilder

Wir wissen, wie wir Bilder absichtlich kaputt und daraus Kunst machen. Verwacklungsunschärfe kann ein gar wundervolles Stilmittel sein. Dein Kind jedoch wird ein gewisser Grad der Verwacklung gar nicht interessieren. Aber irgendwann ist ein Bild trotzdem „kaputt“. So wird es Dein Kind wahrscheinlich nennen. Schade. Denn es gäbe Fotos, die wären wahrscheinlich großartig geworden, wären da nicht grobe technische Schnitzer drin gewesen.

Der Automatikmodus ist eben nicht allwissend und trifft nicht immer die beste Entscheidung. Manchmal gibt er Belichtungszeiten vor, die es Deinem Kind unmöglich machen, jenes Foto nicht zu verwackeln. Das kann Dein Kind nicht wissen. Meiner Tochter sage ich dann, woran es liegt und wie sie es in Zukunft besser machen könnte. Denn dieser Moment wird der erste Schritt sein, Deinem Kind den Ansporn zu verpassen, den Vollautomatikmodus zu verlassen und schon einmal in eine Teilautomatik hineinzuschnuppern. Yeah…noch mehr Verschuss. Egal!

Das eigene Bilderalbum

Ich halte das so: Fotografieren und das Bearbeiten am Rechner nützen nichts, wenn man am Ende nicht ein fertiges Werk hat. Ein fertiges Werk bedeutet für mich, etwas Fühlbares in der Hand zu haben. So hat meine Tochter ein Bilderalbum, speziell für ihre eigenen Fotos. Hier kommen die schönsten Bilder, die sie geschossen hat, hinein. Wenn das Hobby bleibt, kann sie ihren fotografischen Weg für immer nachverfolgen.

Auch habe ich drei Fotos großgezogen und ihr im Bilderrahmen ins Zimmer gehangen. Sie hat da etwas erschaffen, das soll sie auch bestmöglich erleben. Dein Kind macht da etwas Großartiges, gib Deinem Kind dieses Gefühl. So wirst Du es immer ermuntern, weiterzumachen. Rückschläge gibt es in Zukunft genug.

Der Umgang mit Rückschlägen

Jetzt nutzt alles Wissen der Fotografie nichts. Jetzt sei Mutter bzw. Vater und muntere es auf. Zeig Deinem Kind sogar vielleicht Deine eigenen vermasselten Fotos. Das wird es aufmuntern, denn zu Dir blickt es auf. Wenn es erkennt, dass es gar nicht schlimm ist, Fehler zu machen, kommt es darüber hinweg. Wenn alles nichts hilft, helfen am Ende aber immer eine Umarmung und ein anschließendes Eis (mit ganz viel Soße). Du bist in dem Moment kein Lehrer, das solltest Du sowieso nicht sein, sondern immer Vater oder Mutter bleiben.

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