07. August 2017 Lesezeit: ~8 Minuten

Über alte Dias und Konrad Adenauer

Vor ein paar Wochen habe ich zufällig knapp 400 alte Dias aus den 60er und 70er Jahren auf Ebay gefunden. Ohne genau zu wissen, was ich damit vorhatte, habe ich die gerahmten Dias gekauft. Als das Paket ankam, war ich gespannt, um was für Fotos es sich handeln würde.

Da ich leider keinen Diaprojektor besitze, habe ich die Bilder alle auf einem von meinem Vater selbstgebauten Leuchtkasten angeschaut und dabei direkt eine Vorauswahl der interessantesten Bilder getroffen.

Auf den ersten Bildern waren private Bilder von Italienreisen zu sehen, Landschaften, Straßenszenen, Autos – aber auch Motive aus Süddeutschland. Ich war direkt begeistert von den Farben sowie Motiven und konnte es kaum erwarten, die Dias zu scannen. Ein paar der Rahmen waren beschriftet, aber leider nur die wenigsten. Aufschluss über Ort und Zeit der Aufnahmen würden also erst die Scans ergeben.

Grauer KastenKasten mit Dias und Aufschrift
DiasDia

Nachdem ich die Dias, die mich erst einmal am meisten interessiert haben, gescannt hatte, habe ich die Scans in Lightroom importiert und dort optimiert. Ganz wichtig war mir, dass wirklich nur eine Optimierung erfolgt und keine Bearbeitung, die in irgendeiner Weise das eigentliche Bild verändert.

Zur Optimierung gehörte unter anderem, den beim Scan verlorenen Kontrast ganz leicht wieder anzuheben, die Bilder zu schärfen und die schwarzen Ränder, die der ungenauen Scanbereichsauswahl geschuldet sind, abzuschneiden. Danach habe ich die Bilder in einen Ordner exportiert und erst dann angesehen.

Wiese mit Häuschen

Menschenmenge vor einem Auto

Ein Hafen

Meine Eltern fanden das zwar interessant, haben aber nicht genau verstanden, was ich mit so vielen alten Dias will. Genau kann ich das auch nicht beantworten, aber mich interessierten schon immer die Farben der alten Fotos, die Mode der Menschen, die damaligen Autos und die Orte. Als Analogfotograf bin ich ebenfalls begeistert von den alten Umkehrfilmen wie zum Beispiel Kodak Kodachrome, Agfacolor CT18, Perutz C18 und vielen anderen.

Der größte Punkt ist aber, dass diese alten Dias ausnahmslos alle Geschichten erzählen. Jedes einzelne gerahmte Dia ist eine Quelle, die Dokumentation eines Urlaubs, einer Straßenszene, einer Gesellschaft oder eines ganzen Jahrzehnts. Diese Geschichten interessieren mich, ich frage mich bei jedem Foto erneut: „Wo mag das aufgenommen worden sein?“, „Wer war wohl der*die Fotograf*in?“, „Wann wurde die Aufnahme gemacht?“ oder „Wer sind die Leute? Waren sie wohlhabend? Was haben sie gearbeitet?“

Als Fotograf interessiert mich auch die Frage: „Mit welcher Kamera wurde das Bild möglicherweise festgehalten?“ Diese Fragen sind manchmal leicht und manchmal nur sehr schwer bis gar nicht zu beantworten. Bilder mit Wahrzeichen einer Stadt oder Namen eines Hotels oder einer bestimmten Kirche sind auch heute, nach über einem halben Jahrhundert noch identifizierbar.

Andere Bilder, die nur eine kleine Gasse eines Ortes oder eine Landschaft zeigen, sind schwieriger zu lokalisieren. Das Jahrzehnt lässt sich meist nur dann bestimmen, wenn Menschen oder Autos im Bild sind, denn dann kann man entweder an der Mode oder an den Baujahren der Autos ungefähr erahnen, wann das Bild entstanden sein muss.

Straßenszene

StraßenszeneBelebte kleine Gasse

Strand mit Strandschirmen

Ein Mann auf einem Feldweg

Frau im GrasEine Frau und ein Preister mit Kamera

Pool im Nebel

Als ich die meisten Dias schon durchgesehen hatte, fielen mir drei auf, auf denen ein alter Mann im Anzug mit Hut und Gehstock zu sehen war. Meine Mutter erkannte diesen Mann bereits auf dem kleinen Dia als Konrad Adenauer. Ich konnte es kaum glauben, schließlich hatte ich eher private Urlaubsfotos gekauft und nicht Fotos des ersten Bundeskanzlers Deutschlands. Trotzdem stellte sich nach dem Scannen heraus, dass es tatsächlich Adenauer persönlich auf den drei Aufnahmen war.

Jetzt wollte ich natürlich unbedingt die Geschichte hinter den Bildern herausfinden, doch das war schwieriger als gedacht. Auf keinem der Fotos ist ein markantes Gebäude zu sehen und es sind auch außer einem Mann, der wahrscheinlich Leibwächter war und einem Wachmann links im Hintergrund keine anderen Personen zu sehen. 

Zwei Männer gehen spazieren

Zuerst habe ich mir auf Wikipedia Adenauers Lebenslauf angeschaut, um eventuell schon vorab wichtige Informationen herauszufinden. Nach den Farben und der Kleidung zu urteilen habe ich das Foto auf Ende der 50er Jahre geschätzt, also habe ich mir noch einmal seinen Lebenslauf mit besonderem Augenmerk auf den Jahren von 1956 bis 1960 angesehen.

Da ich dort allerdings nichts Besonderes herausfinden konnte, habe ich noch versucht, die wenigen zu sehenden Gebäude zu analysieren, habe aber auch dort nicht auf Anhieb etwas identifizieren können. Auch die Googlesuche nach dem Leibwächter Adenauers um 1958 war erfolglos.

Die Suche war schwierig, weil es nicht viele Anhaltspunkte gab. Der Wachmann im Hintergrund sah mit seiner Uniform ebenfalls nach Ende der 50er Jahre aus, das bestätigte meine Vermutung. Als ich nicht mehr richtig vorankam, habe ich mir seine Wohnorte noch einmal genauer angesehen und stieß dabei dann auf Rhöndorf in Bad Honnef als Wohnort Adenauers ab 1935.

Da mir auf den Bildern aufgefallen war, dass Adenauer relativ entspannt durch die kleinen Straßen spazierte, vermutete ich diesen Ort als Aufnahmeort, da ihn dort vermutlich alle kannten. Die Bilder wirkten wie Aufnahmen eines Sonntagsspazierganges des Kanzlers.

Mittlerweile zu 99 % sicher, dass es sich um Rhöndorf handelte, wollte ich das Jahr noch genauer bestimmen. Dazu hatte ich eine Idee: Die Rahmen der drei Dias vom Kanzler waren von der Marke Perutz. Um herauszufinden, welcher Film benutzt wurde, habe ich ein anderes Dia mit dem gleichen Rahmen, das im selben Diakasten gleich neben den Adenauer-Fotos stand, geöffnet.

Dia

Auf der Randmarkierung des Dias stand: Perutz Color C18. Dieser Film wurde laut Wikipedia auf der Photokina 1958 vorgestellt und ab 1959 ausgeliefert. Nun wollte ich wissen, ob die Adenauer-Fotos tatsächlich auf diesem Diafilm geschossen wurden oder nicht. Es bleib mir also nichts anderes übrig, als ganz vorsichtig die Diarahmen zu öffnen und den Filmstreifen herauszunehmen.

Leider stand auf allen drei Filmstreifen nur die Bildnummer am Rand, sodass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es der ab 1959 erhältliche Film Perutz Color C18 war oder nicht. Da das Jahr aber passt und die Rahmen ebenfalls von Perutz waren, gehe ich stark davon aus.

Ein Anhaltspunkt blieb mir noch: Adenauer selbst war zum geschätzten Zeitpunkt schon 83 Jahre alt, ich konnte sein gealtertes Gesicht also mit Google-Bildern der Jahre 1958, 1959 und 1960 vergleichen. Ganz genau sagen kann ich es nicht, aber ich denke, die Fotos müssten tatsächlich 1959 auf dem gerade frisch erhältlichen Perutz-Diafilm gemacht worden sein oder spätestens ein Jahr später, denn danach sah er laut Bildern älter aus als auf den Dias.

Das Ergebnis der langen Recherche ist also, dass die Fotos den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer höchstwahrscheinlich bei einem gemütlichen Sonntagsspaziergang in seinem kleinen Wohnort Rhöndorf im Jahr 1959 oder 1960 zeigen.

Der eigentlich spannende Widerspruch liegt darin, dass die Person Diafilm verwendet hat. Alle, die Abzüge machen wollten, beispielsweise Journalist*innen, nahmen Schwarzweiß- oder Farbnegativfilme, denn davon konnte man Abzüge herstellen. Ein Dia konnte nur mit einem Projektor projiziert werden oder nur mit großem Aufwand für Abzüge genutzt werden.

Das bedeutet auch, dass die Fotos bis heute höchstwahrscheinlich nie publiziert worden sind. Die Fotos von Adenauer müssen also private Schnappschüsse gewesen sein, wahrscheinlich kannte die Person, die sie gemacht hat, ihn sogar persönlich.
 
Wer diese Person war und wie sie wirklich zu Adenauer stand, wird wohl niemand mehr herausfinden, trotzdem war die Recherche interessant. Der nächste Kauf von mehreren Hundert Dias ist schon bezahlt und ich bin gespannt, was dieses Mal auf mich wartet.

Die Bilder sind natürlich nicht von mir und das Urheberrecht liegt somit immer noch bei der Peron, die die Bilder aufgenommen hat. Sollte diese die Bilder sehen und nicht mit der Veröffentlichung einverstanden sein, kann sie einfach mich oder kwerfeldein kontaktieren.