Ausschnitt einer braun weißen Kuh.
28. März 2017 Lesezeit: ~5 Minuten

Linda, Laura und La Ratte

Da ich die fotografische Arbeit meiner Schwester Helena schon seit ihren Anfängen verfolge und durch mein Studium der Ökologischen Agrarwissenschaften an ihren letzten Projekten mit beteiligt war, lag es nah, einmal meinen Einblick in ihre Arbeitsweise weiterzugeben. Am Anfang ihrer Fotoprojekte steht meist weniger ein ausgeklügeltes Konzept, als viel mehr eine Möglichkeit, eine Ahnung, ein Interesse.

Im Fall der Reihe „Linda, Laura und La Ratte“ gingen zwei Arbeiten in der Stadt Witzenhausen voraus. Dort ist der Standort der Universität Kassel für Ökologische Agrarwissenschaften. Der Studiengang lockt viele ungewöhnliche Menschen in die kleine Stadt, die neben ihrem Studium Ideen verwirklichen, die häufig im direkten Zusammenhang mit ökologischer Landwirtschaft und ökologischem Gärtnern stehen. So hatte Helena die Möglichkeit, viel über kleinstrukturierte Landwirtschaft, den Umgang mit der Natur und die einzelne Kartoffel zu lernen.

Blick auf einen Haufen gejähtetes Unkraut.

Es konnten Bilder entstehen, die zwar dokumentarisch einzelne Projekte beschreiben, dabei aber so sehr ins Detail gingen, dass sie die Grenze zum künstlerisch gestalteten Bild überschritten. Nicht zuletzt bewegte Helena dabei das Bedürfnis, anderen ihre Begeisterung und Faszination für die Entstehung der von uns täglich konsumierten Lebensmittel zu zeigen und sie anhand ihrer Bilder und ausgewählten Bildausschnitten anzustecken oder zumindest anzuregen.

Nahaufnahme von buschigen, roten Pflanzen auf einer Wiese.

Über das Interesse für einzelne Personen und ihre Projekte, wie etwa eine kleine Gruppe von Schafen, ein ökologisch angelegtes Blumenpflückfeld oder die winterlich verwilderten Parzellen des Studierendengartens kamen auch Fotos der umliegenden Landschaft zustande, die immer auch Teil des Wirtschaftens mit der Natur ist. Durch eine Assistenzarbeit beim Fotografen Martin Rosswog reiste Helena in ländliche Gegenden Rumäniens, die meist von Armut und Subsistenzwirtschaft geprägt sind. Wenn sie dort neben ihrer Assistenzarbeit selbst analog fotografierte, weckten auch dort besonders Gärten und Äcker ihr Interesse.

Eine grüne Wiese mit weitem Blick auf der eine behängte Wäscheleine zu sehen ist.

Dort waren bei genauerem Hinsehen ungewöhnliche, vor allem für Städter vielleicht verwunderliche Motive zu finden: geschossener Salat, Komposthaufen und Erntesäcke aus Plastik. Das Stipendium der Marianne-Ingenwerth-Stiftung ermöglichte ihr nun erstmals, mit einer digitalen Kamera erneut nach Rumänien zu reisen und die Themen Landwirtschaft, ländliches Leben und Nahrungsmittelproduktion weiter zu verfolgen.

Ein Stahl mit freilaufenden Schweinen darin.

Als Ausgangspunkt für ihre dortige Arbeit wählte sie die Universität Lucian Blaga in Sibiu und die dortigen Studierenden der Landwirtschaft. Durch die Erfahrungen in Witzenhausen lag es nah, sich nun ebenfalls von diesen zeigen zu lassen, was sie bewegt, welche Ziele sie mit ihrem Studium verfolgen und welche Projekte dort stattfinden. Im Rahmen eines Studienmoduls bekam sie dort die Möglichkeit, Exkursionen zu ganz verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben zu begleiten. Dabei besuchte sie Familienbetriebe, Permakulturgärten und ein Restaurant mit eigener Fischzucht.

Figuren von Dekokühen auf einem Schrank.

Helena fotografierte dabei wieder dokumentarisch, aber den Fokus immer auf ästhetische, verwirrende, augenzwinkernde und ungewöhnliche Details gerichtet. Das Konzept für die Ausstellung zu dieser Arbeit kristallisierte sich anschließend durch die Auswahl derjenigen Fotos heraus, die die Wirkung des Erfahrenen auch anderen zugänglich machen könnten. Die Anzahl der Fotos dieser Reise verringerte sie stark und erweiterte sie durch Bilder, die bei der vorangegangenen entstanden waren.

Blick ein ein Gewächshausgang, links und rechts stehen Tomatenpflanzen.

In der Ausstellung zusammen mit Lisa Gutscher unter dem Titel „the limits of your language don’t mean the end of the world“ in der Galerie 52 in Essen zeigte Helena 20 sowohl digital als auch analog entstandene Fotografien. Der Unterschied zwischen den Verfahren war durch ihre Neigung zur Perfektion in Farbe und Form kaum auszumachen. Die Bilder waren auf MDF-Platten aufgezogen, denn der Holzuntergrund schien für das Anliegen, Natur und Ursprünglichkeit zu zeigen, passend.

Aufsicht auf einen Teich in dem Fische schwimmen, am Rand ein Stück Wiese.

Die Eröffnung der Ausstellung zeigte, dass die Bilder erzielen konnten, mit welcher Intention sie entstanden waren: Diskussionen. Diskussionen um Landwirtschaft und um die Aufgabe und die Grenzen der Fotografie. So standen Aussagen, die Helenas Bildern „Eins von Idyll und scharfer Analytik“ attestierten der Kritik gegenüber, sie würden harte Arbeitsbedingungen verschleiern oder beschönigen.

Ansicht einer Raumecke mit Fotografien an der Wand.

In Helenas Arbeit steckt für mich sowohl die Frage nach unserem Umgang mit der Natur und der Herkunft unserer Nahrungsmittel, als auch ihre eigene Hinwendung zur Natur und dem Natürlichen. Sie versucht, durch einen konzentrierten und faszinierten Blick Dingen eine Bühne zu geben, die stellvertretend für ihre Entstehung und ihren Zusammenhang stehen.

So stehen die drei namensgebenden Kartoffelsorten Linda, Laura und La Ratte wohl stellvertretend für jede einzelne Kartoffel, lassen aber auch Assoziationen und Gedanken zur industriellen Produktionsweise der Landwirtschaft, herrschenden Arbeitsbedingungen, dem Höfesterben und unserer Ernährungsweise zu. Denn wer kennt schon (noch) verschiedene Kartoffelsorten und ihren Geschmack? Und so verstehe ich auch ihre Fotografie, in der die Details immer auch Teil eines komplexen Ganzen sind.

Ansicht einer Raumecke mit fünf Fotografien an der Wand.

Ansicht eines Raumes mit Fenster und Bildern an der Wand.

Helena arbeitet bereits an ihrem nächsten Projekt, das sich wieder der Landwirtschaft widmet. Sie besucht einige der landwirtschaftlichen Betriebe, die sich im dicht besiedelten Ruhrgebiet befinden und wird sich von der Frage leiten lassen, wer vor Ort wie Nahrungsmittel für die Städter produziert.

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