Drei Portraits
24. Februar 2017 Lesezeit: ~7 Minuten

Ein Vergleich: 3 Objektive – 50 Jahre Technik

In diesem Beitrag geht es um den Vergleich zwischen zwei Objektiven aus den 50er bis 80er Jahren und einem aktuellen Topmodell. Ein Objektivvergleich über 50 Jahre – David gegen Goliath? Man könnte es zumindest leicht denken und das Thema als abgehakt ansehen. Es wäre aber voreilig, das einfach so abzutun. Wie stark ist der Unterschied in Zeiten intensiver Nachbearbeitung und niedrig aufgelöster Web-JPGs überhaupt sichtbar?

Nachdem ich in meinem letzten Gastbeitrag bereits darüber berichtet habe, warum ich immer noch Linsen aus analogen Zeiten verwende, ist meine Objektivfamilie weiter gewachsen. „Neu“ dazugekommen ist das Revueflex 55 mm 1.8. Das Helios 44-2 58 mm f/2.0 hatte ich bereits, es wurde zwischen 1950 und 1980 produziert. Aus diesem Zeitraum, ich schätze 70er Jahre, stammt auch das Revueflex. (Falls jemand genauere Jahreszahlen weiß: ab damit in die Kommentare.) Darüber hinaus habe ich mir das Sigma Art 50 mm f/1.4 zugelegt, das von vielen Leuten als ein aktuelles Top-Objektiv beschrieben wird.

Drei Objektive

Das Sigma ist wirklich ein super Objektiv, sofern es erst einmal korrekt kalibriert ist. Ein schneller, leiser Autofokus und auch bei Offenblende eine schöne Schärfe. Trotzdem ist es immer wieder ein gutes Gefühl, auch das Helios aus der Kameratasche zu holen. Zusammen mit dem Revueflex im Gepäck wollte ich also einen kleinen Vergleich starten.

Wie lässt es sich mit den Objektiven arbeiten und durch was unterscheiden sich die Ergebnisse? Und vor allem: Inwiefern kann man am Ende überhaupt noch zwischen den Objektiven unterscheiden? Welcher Unterschied liegt in diesen gut 50 Jahren Zeit- und über 800 € Preisunterschied?

 

Objektivvergleich – alt oder neu?

Schauen wir uns zunächst drei fertig bearbeitete Fotos an. Den Brennweitenunterschied habe ich jetzt zur Veranschaulichung und Konzentration auf die wesentlichen Unterschiede vernachlässigt und herausgeschnitten. 1. Vergleich:

Frauenportrait

Frauenportrait

Frauenportrait

Welches Foto stammt nun vom modernen Objektiv? Auf den ersten Blick gar nicht so einfach festzustellen. Vor allem, wenn man die Fotos nicht als hochauflösende Leinwand mit drei Metern Seitenlänge vorliegen hat, sondern nur komprimiert auf einer Webseite sieht.

Welche Kunden*innen würde es nun stören, dass das Foto mit einer Linse im Wert von 10–35 € aufgenommen wurde? Vermutlich höchstens anspruchsvolle Firmenkundschaft. Privatkundschaft sieht hier kaum einen Unterschied. Im Gegenteil: Hier wurde ich sogar schon für solche Fotos gebucht. Über die Frage, für wen man sich eigentlich ein Objektiv kauft, könnte man hier noch weiter philosophieren.

Nun aber der nächste Vergleich. Dieses Mal unbeschnitten:

Frau mit Jeansjacke

Frau mit Jeansjacke

Frau mit Jeansjacke

Gut, ich sehe schon, ich muss mehr ins Detail gehen. Die Auflösung der Bilderreihen gibt’s im Fazit. Erst nehme ich Euch mit und zeige Euch genauer, worin sich die Objektive unterschieden. Im Wesentlichen gibt es hier folgende Unterschiede:

  • Brennweite
  • Schärfe
  • Bokeh
  • Farbwiedergabe und Kontrast

 

Unterschiede im Detail

Ja, ich habe im ersten Teil geschummelt. Denn eigentlich wird die Zuordnung der verwendeten Objektive durch das Belassen im ursprünglichen Anschnitt deutlich. Die Objektive haben ja nicht alle genau 50 mm Brennweite, sondern liegen bei 58 mm, 55 mm und 50 mm. Die 50 mm von Sigma erinnern im Vergleich zu den 58 mm des Helios schon fast etwas an ein Weitwinkel-Objektiv.

Frau im gelben Pullover

58 mm: Helios

Frau im gelven Pullover

55 mm: Revueflex

Frau im gelben Pullover

50 mm: Sigma

In Sachen Schärfe hat das Sigma klar die Nase „vorn“. Was „vorn“ ist, muss man aber für den jeweiligen Anwendungsfall bestimmen. Klar, für Business-Aufnahmen super. Wenn man aber – wie ich – oft in private Portraitaufnahmen sowieso einen analogen Touch reinbringen möchte, muss es gar nicht zu 100 % scharf sein. Es kommt auf den persönlichen Geschmack an.

Ein analoges Preset verschmilzt im Nachhinein gut mit einem Foto, das mit einer analogen Linse aufgenommen wurde. Zusammen mit dem modernen Sigma ist es dann eine Art Hybrid. Beides hat etwas. Im Folgenden siehst Du hoffentlich, wie detailliert scharf das Foto mit dem Sigma im Gegensatz zu den Kontrahenten erscheint:

Bildausschnitt

58 mm: Helios

Bildausschnitt

55 mm: Revueflex

Bildausschnitt

50 mm: Sigma

Auch beim Bokeh gibt es Unterschiede – und zwar nicht nur von der Brennweite her. Dadurch verändert sich die Größe der Bokehkreise zusätzlich. Es gibt aber noch zwei andere Punkte: die Härte und die Charakteristik.

Ja, das Sigma bildet wesentlich schärfer ab. Was aber faszinierend ist: Das Bokeh ist trotzdem butterweich. Im Gegensatz zu den alten Objektiven, bei denen einigen vielleicht die scharfen Ränder an den Bokehkreisen negativ auffallen. Das kann man auch in den 100-%-Ansichten oben gut erkennen. Im direkten Vergleich sehen die ach so soften analogen Objektive im Hintergrund oft relativ hart aus.

Ich persönlich empfinde dieses Bokeh aber nicht als negativ. Für mich ist es einfach ein Effekt, den die Objektive mitbringen. Es sieht eben manchmal etwas speziell aus, deshalb verwendet man doch solche Objektive. Man will keine Perfektion, sondern experimentieren und „neue“ Dinge entdecken.

Wer schon einmal mit einer alten Linse im Gegenlicht fotografiert hat, weiß, was ich meine: Hier wird das Ganze ziemlich unkontrollierbar, da sich oft das ganze Foto in einen einzigen Blendenfleck verwandelt. Bei den modernen Objektiven ist alles etwas kontrollierbarer.

Die Bokeh-Charakteristik des Helios-Objektivs habe ich auch schon auf meinem Blog angesprochen: Man bekommt für wenig Geld ein sich drehendes „Swirly Bokeh“. Je nach Fokusdistanz und Hintergrund fällt dieser Effekt mehr oder weniger stark aus. Beim Revueflex lässt sich teilweise auch noch ein Hauch von diesem Effekt feststellen. Beim Sigma ist meistens alles „normal“.

Der letzte wesentliche Punkt sind die Farbwiedergabe und Kontraste. Schon beim Ansehen der Aufnahmen auf dem Kameradisplay ist aufgefallen, wie verschieden die Farben aussehen. Vielleicht ist Euch das oben auch schon aufgefallen, ich habe es nicht korrigiert. Übertrieben gesagt erscheint der Hautfarbton mit dem Sigma etwas gelblicher. Das Foto ist wärmer. Über das Revueflex zum Helios hin wird das Ganze dann etwas kühler und bläulicher.

Auch liefert das Sigma etwas bessere Kontraste ab. Das Revueflex geht hier auch etwas in die Richtung vom Sigma, wird aber auch schon flacher. Wirklich kontrastarm und wie durch einen Schleier fotografiert erscheinen dagegen die Aufnahmen, die mit dem Helios gemacht wurden. Sie sehen im ersten Moment oft extrem matt aus. Bemerkung: Ich habe bei den alten Linsen einen Adapter ohne Zwischenlinse verwendet, es liegt
also nicht an dieser „Fremdeinwirkung“.

 

Fazit

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Ja, es gibt einige Unterschiede zwischen den Objektiven. Diese sind aber auf den ersten Blick nicht immer sofort ersichtlich. Erst bei genauerer Analyse kommt man darauf. Deshalb denke ich, dass man die Objektive auch heute noch gut gebrauchen kann. Auch die Tatsache, dass immer mehr solcher Klassiker (z. B. mit „Swirly Bokeh“) neu aufgelegt und produziert werden, bestätigt das.

Zur Auflösung der ersten beiden Vergleiche:
1. Vergleich: Revueflex – Sigma – Helios
2. Vergleich: Sigma – Helios – Revueflex

Ich hoffe, dieser Vergleich von drei wirklich klasse Objektiven hat Euch gefallen. Während ich schon kleine Tests zu zwei dieser Objektive verfasst habe, wird 2017 auch noch ein genauerer Test mit mehr Bildmaterial vom Revueflex 55 mm f/1.8 auf meinem Fotografie-Blog erscheinen.

Die Arbeit mit solchen Objektiven ist nach wie vor eine willkommene Abwechslung für mich und wird mich wohl auch noch länger begleiten. Vor allem, weil diese Linsen so gut wie nichts kosten. Habt Ihr auch schon einmal mit einem der genannten Objektive fotografiert? Wie ist Euer Eindruck? Schreibt es in die Kommentare!

Ähnliche Artikel