Ein lachendes Kind
15. Februar 2017 Lesezeit: ~10 Minuten

Wie soll Kinderfotografie heute sein?

Jedes Mal, wenn ich in Fotogruppen oder -foren so einen „Hilferuf“ von Kolleg*innen lese: „Wie bringe ich die Kinder dazu, zu machen, was ich will?“ oder „Das Kind hat nicht gemacht, was ich wollte und jetzt sind die Bilder nicht gut“. Jedes Mal, wenn die Leute in Begeisterungsstürme ausbrechen, weil sie Bilder sehen von „hingesetzten Kindern“, die in die Kamera gucken vor tollen Sets. Und deren Gesichter, deren Körperhaltung, deren Mimik keinerlei Rückschlüsse zulässt auf das Wesen der Kinder. In jedem dieser Momente frage ich mich: Hey, ist das unsere Aufgabe als Kinderfotograf*in?

Ist das unsere Zielsetzung? Ein Kind abzubilden ohne Hinweis darauf, wie und wer das Kind ist? Ist das wirklich unser Job? Kinder mit von uns vorgegebener Mimik zu fotografieren? Und sie damit eigentlich komplett austauschbar zu machen? Für mich kann ich das klar beantworten mit: nein. Meine Arbeit, meinen Job, den sehe ich anders. Ich sehe meine Aufgabe darin, den Menschen zu zeigen. Und nicht die Wunschvorstellung, die jemand von dessen Gesichtsausdruck hat. Wenn mir ein Mensch so lieb, so wertvoll ist, dass ich Fotos von ihm haben möchte, dann sollte das Foto doch diesen Menschen zeigen.

Mädchen freut sich zusammen mit einem Mann

Die Zeit bleibt doch nicht stehen. Was heute mein Kind ist, ist in einigen Jahren ein Erwachsener. Und dann möchte man Erinnerungen haben. Und wie soll ein aufgesetztes, ein unechtes Bild eine Erinnerung hervorrufen? Wie soll ich in einem aufgesetzten Bild das Kind wiedererkennen, das es einmal war?

Wenn ich mir frühere Bilder meiner Kinder anschaue (ja, auch ich habe die Kindergarten- und Schulbilder gekauft, das ist einfach eine psychologische Sache), dann sehe ich die Gesichter meiner Kinder, aber ich sehe nicht, was meine Kinder zu dieser Zeit ausgemacht hat. Nicht ihre typischen Gesichtsausdrücke, nicht die Merkmale, die man im Alltag tausend Mal gesehen hat und doch Gefahr läuft, sie in eine hintere Ecke des Unterbewusstseins zu verdrängen.

Wenn die Kinder groß sind, werden sie sich in Verhalten und Ausdruck der Gesellschaft anpassen. Sie werden lernen, sich und ihre Emotionen zu kontrollieren. Eine Maske tragen, um im Leben bestehen zu können. Sie werden lernen, nicht immer zu lachen, wann ihnen danach ist. Werden lernen, Verzweiflung, Frust, aber auch Spaß zu verstecken, wenn es gerade nicht „in die Situation“ passt. Einen Großteil des Tages werden sie Masken tragen, die sie kompatibel machen mit der Arbeitswelt, dem sozialen Umfeld. Warum muss man ihnen diese Masken jetzt schon anziehen? Für Fotos?

Kinderportrait

Wenn Fotos Erinnerungen sein wollen, dann ist das für mich falsch. Einfach völlig falsch. Es macht für mich keinen Sinn. Für mich besteht der Sinn darin, die typischen Merkmale eines Kindes zu erfassen, sie unvergessen zu machen. Authentisch – das ist, was Kinderfotografie, Familienfotografie für mich ausmacht. Die Menschen und ihre Beziehung zueinander festzuhalten. Das sind Erinnerungen.

Und jetzt höre ich auch schon die Stimmen der Gegner*innen. Die, die sagen: „So ein Quatsch, solche Bilder können die Eltern auch selbst machen.“ Blödsinn! Natürlich können Eltern Bilder selbst machen. Aber nein, jemand, der keine Ahnung vom Fotografieren hat, kann nicht solche Bilder mit dem Punkt aufs Wesentliche und in der Qualität selbst machen.

Wer so fotografiert, weiß, dass das eine Kunst ist, die gelernt sein muss. Die ein gutes Gespür für den Menschen und Feingefühl verlangt. Die voraussetzt, dass man als Fotograf*in eine Natürlichkeit schafft, die durch die eigene Anwesenheit nicht gestört wird.

Und nein, es ist wirklich nicht einfacher, als ein Kind hinzusetzen ins richtige Licht und zu sagen: „Du musst jetzt lächeln.“ Ich habe eine Leidenschaft, einen Antrieb, einen Anspruch an meine Arbeit und mich selbst, den ich erfüllen möchte. Den Anspruch, die Kinder so zu zeigen, dass die Eltern dann sagen: „Oh ja, das war ein absolut typischer Moment“ oder „genau so hat mein Kind immer geschaut“. Und deswegen gehe ich den „unbequemen Weg“.

Ein Kind mit Beinen nach oben auf einem Bett

Ich nehme den Menschen wie er ist und bringe ihn nicht dazu, sich zu verstellen. Ich lebe damit, dass die Kinder nicht im schönen Licht stehen bleiben, sondern rumlaufen, echt und ungestellt bleiben und miteinander agieren. Ich lebe damit, dass sie aus der Sonne in den Schatten rennen, ohne mich vorher zu fragen und ich meine Technik entsprechend im Griff haben muss. Und auch damit, dass sie sich in ihrem Zuhause dort hinsetzen, wo es ihnen gerade gefällt und nicht dort, wo ich das perfekte Seitenlicht habe.

Ich nehme in Kauf, dass ich mich bei jedem Termin komplett auf den anderen Menschen einstellen muss. Mit Feingefühl. Mit Interesse. Und Zeit. Mein Job ist, daraus tolle Bilder zu machen. Ich lebe damit, vorher nicht zu wissen, wie genau meine Bilder aussehen werden. Denn jede Familie ist anders.

Was ich aber genau weiß, ist, dass sie echt sein werden. Dass die Familien sich und ihre Kinder wiedererkennen. Dass ihnen manche Sachen gar durch die Bilder erst bewusst werden. Das ist mein Weg. Wer sagt, das wäre der einfache Weg (Lieblingsbemerkung zum Thema: „Das sind ja nur Schnappschüsse, die man da macht“), der ist ihn noch nicht gegangen.

Zwei Mädchen in einem Bach

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass viel mehr diesen Weg gehen werden. Weil ich glaube, dass der Wert dieser Bilder in einigen Jahren für die Familien immens sein wird. Auch wenn sie das heute noch nicht wissen. Meine Kinder sind schon etwas größer. Wir Eltern sind nicht mehr „ihr Universum“, das alleinige Zentrum ihres Lebens. Sie werden größer, gehen ihren Weg und mit jedem Tag werden die Erinnerungen an das „Früher“ kostbarer.

Mir ist bewusst, dass nicht jeder meine Ansicht, meine Auffassung von guten Bildern teilt und es natürlich genug Familien gibt, die diese Art von Fotos haben wollen, die ich nicht anbiete und liefere. Was ich mir aber wünsche, ist, dass sich der Blick der Eltern da ein bisschen wandelt. Und damit auch der Wunsch, der Anspruch der Eltern.

Ich denke, dass viele die inszenierten Bilder gar nicht hinterfragen, weil sie nicht unbedingt wissen, dass es auch anders geht. Das man auch authentische und trotzdem hochwertige Bilder haben kann, weit entfernt von Schnappschüssen oder Bildern, die jeder selbst machen kann. Nicht alle natürlich. Es wird auch genug geben, die beides kennen und trotzdem die inszenierten Bilder möchten.

Aber ich möchte für mich einfach erreichen, dass die Leute über das Thema nachdenken und sich damit beschäftigen. Welche Bilder sie möchten und warum. Wie sie sich dann entscheiden, liegt nicht in meiner Hand und das ist auch richtig so. Aber wenn ich es schaffe, dass darüber nachgedacht wird, habe ich schon viel erreicht für mich.

Baby

Letztlich gibt es auch im Bereich der authentischen Familienfotografie Unterschiede, die den verschiedenen Geschmäckern entgegenkommen. Ich denke nicht, dass die Eltern und Familien den Wert der authentischen Fotografie nicht erkennen oder es nicht genug Interesse gibt. Ich glaube viel mehr, dass die Eltern die Möglichkeiten nicht kennen, weil diese Art der Fotografie in Deutschland einfach noch nicht so bekannt ist.

Ich bin in meiner Fotografie fokussiert auf die Emotionen – gleich welcher Art. Auf die einzelne Person in der Szene, die Beziehung und Merkmale des Miteinanders und die Details. Mir sind Details unglaublich wichtig. Um es mit den Worten einer großartigen, in Deutschland lebenden, aber aus den USA stammenden Kollegin zu sagen: Up close and personal.

Die Blicke, die Kinder ihren Eltern zuwerfen in den verschiedensten Situationen; das kleine Händchen, das nach der großen Hand greift; ein Kinderarm um Mamas oder Papas Hals gelegt; ein Lichtstrahl in den Kinderlöckchen – das alles sind unfassbar wertvolle Momentaufnahmen, die mitten ins Herz treffen können.

Ein Mädchen spielt im Pool

Ein Kinderlachen aus tiefster Seele oder auch die Skepsis, die nur Kinder so beeindruckend zeigen können – das ist Kindheit und Familie, das möchte ich zeigen. Dann gibt es Kolleg*innen, die zum Beispiel nach dem Vorbild von Kirsten Lewis arbeiten und Familien mehrere Stunden begleiten, um Momente des Alltags zu dokumentieren.

Ein Merkmal dabei ist, dass die Fotograf*innen viel von der Gesamtszene zeigen, um den Betrachter*innen den Kontext der Situation zu zeigen. Also gibt es in der dokumentarischen Familienfotografie auch Angebote in verschiedene Richtungen. Die Gemeinsamkeit ist jedoch die Authentizität der Familie, der Emotionen, der Szene.

Ich wünsche mir sehr, dass es viele Eltern und Familien geben wird, die sich dafür entscheiden, ihren Kindern in einigen Jahren dieses unglaublich wertvolle Geschenk, die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen, die Geschichte ihrer Kindheit, die Bilder, in denen sie sich selbst erkennen und die Situation nochmal erleben können, in die Hand zu geben.

Der Artikel erschien erstmals im Online-Magazin Klick.Kind – ein Magazin zum Thema Familienfotografie. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung. Das Magazin Klick.Kind möchte Eltern Informationen und Inspiration liefern und Fotograf*innen eine Plattform zur Selbstdarstellung bieten. Artikel mit Fotografie-Tipps sollen Eltern helfen, emotionale Fotos ihrer Familien zu machen. DIY-Bastel-Tipps sollen den Leser*innen zeigen, wie sie ihre Fotos präsentieren, verbasteln und verschenken können. Zudem gibt es Interviews mit Fotograf*innen, Grafiker*innen und vielen anderen kreativen Menschen.

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