Notizbuch
10. Januar 2017 Lesezeit: ~19 Minuten

Das Zonensystem ist tot

Als ich in die Schwarzweißfotografie einstieg, maß ich die Belichtung und belichtete den Film traditionell. Wie so viele Fotograf*innen vor mir war ich mit meinen Ergebnissen oft nicht wirklich zufrieden. Es schien eher eine Frage des Glücks zu sein, ob ein technisch einwandfreies, astrein belichtetes Negativ ein ansprechendes Bild lieferte.

Im Laufe der Zeit passte ich meine Belichtungsmethode an, wodurch sich die Ergebnisse enorm verbesserten. Je höher die Dichte meiner Negative war, desto besser wurden meine Scans. Statt flach und leblos wirkten meine Schwarzweißbilder auf einmal lebendig und hatten einen wunderschönen Tonwertumfang, ohne in den Lichtern oder Schatten an Qualität zu verlieren.

Eine Szene in einem Diner

Leica M2 + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung und Entwicklung je +1 Blende)

Zunächst belichtete ich meinen Schwarzweißfilm wie einen Farbnegativfilm, stellte die Filmempfindlichkeit am Belichtungsmesser also auf die Hälfte der angegebenen Empfindlichkeit ein. Die Messung selbst richtete ich auf die Schatten aus. Ich unternahm sogar den Versuch, Kodak Tri-X 400 um fünf Blenden überzubelichten und um drei Blenden überzuentwickeln, nur um herauszufinden, wozu dieser Film tatsächlich im Stande war. Und meine Ergebnisse waren durchaus brauchbar.

Denn in der Tat, je stärker ein Schwarzweißfilm überbelichtet wird, desto mehr verändert sich sein Aussehen. Abgesehen von einem ausgeprägteren Korn und höherem Kontrast waren meine Ergebnisse jedoch immer gut. Bis zum heutigen Tag habe ich kein einziges Bild verloren, trotz höherer Belichtung oder sogar enormer Überbelichtung. Meine Entdeckung führte dazu, dass ich die Grundlage dessen, wie wir heute über die Fotografie denken, in Frage stellte.

Seitdem habe ich mich gründlich mit dem Thema auseinandergesetzt, Hunderte Rollen Schwarzweißfilm verschossen und mit allen möglichen Belichtungseinstellungen, Chemikalien sowie Rezepten zur Entwicklung herumexperimentiert. Außerdem habe ich viele Stunden in meiner Dunkelkammer verbracht und Abzüge erstellt. Daneben diskutierte ich meine Ergebnisse mit erfahrenen Fotograf*innen und Expert*innen der Druckkunst, darunter Paul Caponigro und Gary Briechle.

Alle meine Bemühungen schienen meine Theorien nur zu bestätigen und brachten mich zu einer einfachen, aber einigermaßen erschreckenden Erkenntnis:

Das Zonensystem ist tot.

Was zunächst witzig und schnippisch klingen mag, ist tatsächlich sehr ernst gemeint: Ich denke, dass Ansel Adams’ Zonensystem – der Heilige Gral der traditionellen Schwarzweißfotografie – fundamentale Fehler aufweist.

Die gute Nachricht ist, dass Ihr dieses System von nun an getrost vergessen dürft (falls Ihr es ohnehin nie ganz verstanden oder angewendet habt), weil es einen sehr viel einfacheren und zuverlässigeren Weg gibt, gute und überaus gleichmäßige Ergebnisse zu erzielen.

Portrait eines Polizisten

Leica M2 + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, +2 Blenden Belichtung, +1 Blende Entwicklung)

Das Zonensystem

Lasst uns jedoch zunächst einen Schritt zurücktreten, um zu betrachten, worum es beim Zonensystem eigentlich geht. Es handelt sich dabei um eine fotografische Technik, mit der man für einen gegebenen Film die bestmöglichen Belichtungs- und Entwicklungszeiten berechnen kann.

Die Technik basiert auf sensitometrischen Untersuchungen des späten 19. Jahrhunderts und bietet Fotograf*innen eine systematische Methode, das Verhältnis eines fotografischen Motivs, wie wir es vor uns sehen, und des endgültigen Resultats zu ermitteln. Das klingt kompliziert, bedeutet aber nur, dass man seine Belichtung am Tonwert ausrichtet, um die Tiefen eines Bildes auch wirklich schwarz und nicht mittelgrau erscheinen zu lassen. Idealerweise sollte dies ohne Manipulation möglich sein.

Obwohl das Zonensystem ursprünglich bei Schwarzweißgroßformatfilm zum Einsatz kam, wird das Zonensystem inzwischen üblicherweise auch bei Mittelformat (Farbe und Schwarzweiß), Kleinbild und sogar bei der Digitalfotografie angewendet.

In den letzten 100 Jahren hat sich alles weiterentwickelt

Und das ist das Problem. Das Zonensystem wurde nie auf den neuesten Stand gebracht, obwohl die Fotografie und ihre technischen Grundlagen sich in den letzten 100 Jahren weiterentwickelt haben. Viele technische Missverständnisse halten sich bis heute.

Offenbar wiederholen Fotograf*innen diese goldenen Regeln, ohne jemals Ansel Adams’ Ideen in Frage zu stellen oder zu bedenken, wie neue Filmemulsionen und Papierarten die technischen Gegebenheiten veränderten, auf denen das Zonensystem basiert.

Belichtungsspielraum bei verschiedenen Formaten

Großformatfilm hat beispielsweise einen sehr viel größeren Belichtungsspielraum als Mittelformatfilm. Mittelformatfilm hat wiederum einen sehr viel größeren Spielraum als Kleinbildfilm, der sich wiederum vollkommen von modernen Digitalsensoren unterscheidet. Die Größe eines Negativs hat großen Einfluss auf den Tonwertumfang und somit auf das endgültige Ergebnis, sei es bei einem Scan, einem traditionellen Abzug oder beidem.

Jedes Bild in zehn identische Zonen zu unterteilen, ist eine fragwürdige Methode, weil ein großformatiges Negativ und ein sehr viel kleineres Kleinbildnegativ hinsichtlich der Tonwerte sehr unterschiedlich auf ein und dieselbe Belichtung und ein und dieselbe Lichtsituation reagieren.

Schwarzweiß gegen Farbnegativ gegen Dia

Außerdem muss man sich vor Augen halten, dass Farbnegativfilm und echter Schwarzweißfilm sich jeweils anders verhalten. Für Diafilm gilt das sogar umso mehr. Je nach Kontrastumfang eines Motivs kann der Diafilm nicht mehr als sieben bis acht Blenden einfangen; zudem büßt er in den Lichtern enorm ein, wenn die Belichtungsmessung nicht korrekt vorgenommen wird.

Digitalkameras kappen bei zu großer Überbelichtung einfach die Lichter, weshalb sie nicht zart auslaufen wie beim Film. Eine digitale Reaktionskurve ist sehr viel steiler, allerdings braucht man sich dabei keine Gedanken um die Schattenzeichnung machen.

Aufnahme eines Autos

Leica M-A + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung +4 Blenden, Entwicklung +1 Blende)

Variable Belichtung gegen Fixwert

Einer der wichtigsten Aspekte der Filmfotografie, den ich in meinem letzten Artikel über die Belichtungsmessung erwähnte, ist die Arbeit mit Belichtungsspielräumen und nicht mit „Fixwerten“, die ein perfekt belichtetes Bild liefern. Die angegebene Filmempfindlichkeit zeigt den Minimalwert an, bei dem man ein anständig belichtetes Negativ erhält.

Bei einem Kodak Tri-X 400 etwa muss die Filmempfindlichkeit auf mindestens ISO 400 (also den auf dem Film angegebenen Wert) eingestellt werden, um bei der Messung eine korrekte Belichtung zu erzielen; der Film kann aber auch von ISO 800 bis ISO 25 (-1 Blende bis +4 Blenden) belichtet werden und dennoch sehr gute Ergebnisse liefern, ohne dass die Entwicklungszeit angepasst werden müsste (bei einer Normalentwicklung ohne Pushen oder Pullen).

Richtwert

Das häufigste Problem bei der Filmfotografie ist die Unterbelichtung. Das liegt nicht etwa daran, dass die Belichtungsmessung mit Analogkameras komplizierter wäre als mit Digitalkameras, sondern daran, dass alle Belichtungsmesser auf Mittelgrau als Richtwert geeicht sind. Wie viele Zonen ein aufzunehmendes Motiv tatsächlich hat, ändert sich aber je nach Lichtsituation und Kontrastumfang einer Szene.

Wenn die Belichtungsmessung auf Mittelgrau ausgerichtet ist, fallen die Schatten oft in den falschen Bereich oder, wenn man so will, in die falsche Zone. Bei sehr vielen Motiven wird der Tonwertumfang am unteren Ende des Histogramms (die ersten zwei bis drei Zonen) auf das falsche Ende des Histogramms gelegt, wodurch die Belichtung zu schwach ausfällt, um Informationen auf der chemischen Emulsion zu hinterlassen.

Das resultiert in sehr dünnen Negativen ohne ausreichende Dichte, wodurch die entstehenden Bilder flach und trüb erscheinen. (Ja, die einst so beliebten verwaschenen Tiefen der digitalen Nachbearbeitung basierten auf falsch belichtetem Film.)

Zwischen der Belichtung und den Tonwerten gibt es keinen Zusammenhang

Das größte Missverständnis, das sich aus der Verwendung des Zonensystems ergibt, ist der vermeintliche Zusammenhang zwischen den Tonwerten eines abzubildenden Motivs und den Tonwerten des finalen Abzugs oder Scans. Diesen Zusammenhang gibt es schlicht und ergreifend nicht.

Wer sich in der Schwarzweißfotografie einen dunklen, atmosphärischen Look wünscht, muss sein Negativ immer noch korrekt belichten und dann die Einstellungen am Scanner oder Vergrößerer entsprechend anpassen. Sobald man zwei Blenden dunkler belichtet, um das Mittelgrau in eine andere Zone zu bringen, erhält man zwar ein dunkleres Bild, versaut sich aber mit verblassten und verwaschenen Schatten und Tiefen das Negativ.

Eine dunkle Straße mit hell leuchtenden Straßenlaternen

Leica M2 + Leica Summicron-M 50mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung -2 Blenden, Entwicklung +1 Blende)

Dunkelkammerabzüge sind subjektiv

Ebenso stimmt es nicht, dass Abzüge aus der Dunkelkammer die echten, unmanipulierten Ergebnisse wären, bei denen sich die gemessenen Tonwerte eines abzubildenden Motivs eins zu eins vom Negativ aufs Positiv übertragen. Die Fotograf*innen entscheiden mit jedem Abzug, wie das Endergebnis aussehen soll. Dafür können sie die Helligkeit und den Kontrast eines Abzugs Stück für Stück anpassen, so wie es ein professionelles Labor bei einem Scan tut.

Jedes Bild stellt eine Interpretation des Negativs dar, unabhängig davon, ob es sich um einen Abzug oder einen Scan handelt. Ansel Adams spricht in seinen Büchern über diesen Sachverhalt. Er erwähnt auch Zonen XI und XII; in der Dunkelkammer war er ein Meister der Manipulation. Sein bekanntes Bild „Moon over Hernandez“ (auch bekannt als „Moonrise“) veränderte sich im Laufe der Zeit ebenso wie seine persönlichen Vorlieben, während die bei der Aufnahme des Negativs vorgenommene Belichtung offensichtlich gleich blieb.

Was ist die Alternative?

Orientiert man sich bei der Belichtungsmessung an den Schatten, indem man den Messer auf die dunkelsten Stellen des Bildes richtet und die Lichter dorthin fallen lässt, wohin sie wollen, dann nähern sich Zonen II bis IV an Zone V an, je nach Kontrastumfang des Motivs. Geht man davon aus, dass es sehr viel mehr Zonen gibt, als das Zonensystem ursprünglich suggerierte, dann wird eine auf die Schatten ausgerichtete Belichtungsmessung Belichtungsprobleme unabhängig von der jeweiligen Lichtsituation und dem Kontrastumfangs eines Motivs lösen.

So stellt man sicher, dass auf dem Negativ stets genug Zeichnung in den Schatten vorhanden ist. Das Negativ kann dann je nach persönlichem Geschmack ganz normal weiterverwendet und gescannt (unter Verwendung des Histogramms) oder abgezogen werden (auf Fotopapier mit variabler Gradation).

Triptychon dreier Portraits

Von links nach rechts:
Leica M2 + Nokton 50 mm 1,5 ASPH VM (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung +2 Blenden)
Leica M2 + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung +1 Blende, Entwicklung +1 Blende)
Leica M-A + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung +2 Blenden, Entwicklung +2 Blenden)

Das Negativ ist nicht die Grenze

Als ich mich das erste Mal mit anderen Fotograf*innen über mein Ergebnis unterhielt, entgegneten sie meist, dass mein Vorgehen in der Kamera für den Scanner funktionieren mag, in der Dunkelkammer jedoch nicht. Damals hatte ich noch nie selbst einen analogen Abzug erstellt, weshalb ich diese Behauptung weder bestätigen noch verneinen konnte. Mir blieb also keine andere Wahl, als meine Hausaufgaben zu machen und das Ausbelichten in der Dunkelkammer zu lernen.

Am Anfang führte ich unzählige hitzige Diskussionen mit meinem Lehrer, der meinen Ideen vehement widersprach, bis ich meine Endergebnisse vorlegte. Diese bestätigten, dass die Überbelichtung eines Schwarzweißfilms ganz hervorragend funktionierte, ob beim digitalen Scan oder beim traditionellen Dunkelkammerabzug.

Eine meiner wichtigsten Lektionen lautete, dass Überbelichtung den Kontrastumfang verdichtet, während sie den Tonwertumfang bedeutend hebt. Hochkontrastige Negative sind tatsächlich sehr viel einfacher zu drucken und zu scannen, wenn sie eine hohe Dichte aufweisen und überbelichtet sind, solange die Schatten ausreichend belichtet wurden.

Die Grenze ist nie das Negativ selbst, sondern stets das Druckverfahren oder der Scanner. Sehr dichte Negative bedürfen im Vergrößerer einer längeren Belichtungszeit und benötigen einen Scanner, der zur Dichtekorrektur fähig ist (wie der Fuji Frontier SP-3000). Die Ergebnisse sind aber unglaublich gut und die Mühen auf jeden Fall wert. Leider habe ich keine Möglichkeit, Packfilm aus den 1930ern zu belichten, um zu beweisen, dass es auch damals nicht anders war.

Außerdem machen Ansel Adams’ Ergebnisse natürlich Sinn, wenn man sie nur auf das traditionelle Verfahren in der Dunkelkammer beschränkt und nie mit einem Scanner oder Gradationswandelpapier gearbeitet hat.

Ein tollender Hund im schneebedeckten Wald

Leica M2 + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung +5 Blenden, Entwicklung +1 Blende)

Diptychon zweier Aufnahmen eines Dunkelkammerabzugs

Traditioneller Dunkelkammerabzug vom oberen Negativ in 16 x 20 (Ilford MGFB-Papier, 9 Minuten Entwicklung, Filter 2,5)

Ein dichtes Negativ ist ein gutes Negativ

Ich weiß sehr wohl, dass ein Großteil der Informationen, die ich in diesem Artikel gebe, dem widersprechen, was in den Büchern steht. Durch Erfahrung habe ich jedoch gelernt, dass ein dichtes Negativ ein gutes Negativ ist. Je stärker man ein Negativ belichtet, desto mehr Informationen wird es enthalten. Alle meine Negative sind überbelichtet; ich liebe satte Tiefen in meinen Schwarzweißbildern. Unabhängig davon, ob Ihr Eure Schwarzweißbilder lieber in dunkel und atmosphärisch oder hell und luftig habt: Ein dichtes Negativ kann beides.

Bei Schwarzweißfilm gibt es viele Faktoren, die das endgültige Ergebnis beeinflussen: Wie man sein Negativ belichtet, entwickelt und scannt oder druckt. Man kann sich beim Scannen eines perfekt belichteten Negativs an den Lichtern orientieren und laut Histogramm sieht das Bild unterbelichtet aus. Oder man orientiert sich an den Schatten und erhält ein leichtes, luftiges Bild.

Die Belichtung sollte stets nach dem ausgewählt werden, was sich der*die Fotograf*in für das Aussehen eines Bildes wünscht und nicht nach technischen Vorgaben. Modernes Filmmaterial, ob in Farbe oder Schwarzweiß, kann mit jedem halbwegs vernünftigen Belichtungsspielraum umgehen – außer mit Unterbelichtung.

Mein persönlicher Umgang mit Schwarzweißfilm

Ich benutze genau dieselbe Messmethode für Farb- wie für Schwarzweißfilm, die in zwei bis drei Blenden Überbelichtung resultiert. Bei der Entwicklung nutzte ich zunächst den Kodak-Entwickler D-76, der weiche Kontraste und ein wunderschönes Korn liefert. Dann stieg ich auf Kodak XTOL um, der größere Schärfe und feineres Korn aufweist.

Zusätzlich zur Überbelichtung verlängere ich die Entwicklungszeit meines Schwarzweißfilms um eine Blende, um den Kontrast zu erhöhen und dem feineren Aussehen, das für XTOL so typisch ist, ein wenig entgegenzuwirken. Auf diese Weise habe ich das Beste aus zwei Welten: sehr feinen Kontrast und viel Durchschlagskraft. Als willkommener Nebeneffekt sorgt dieses Vorgehen außerdem für eine zusätzliche Blende bei Aufnahmen in schwachem Licht oder in der Nacht, was Kodak Tri-X 400 effektiv zu einem ISO-800-Film macht.

Mittlerweile ist es mir deshalb möglich, mit ein und derselben Rolle Film bei grellem Sonnenschein und bei schwachem Licht zu fotografieren sowie für ein und denselben Film dieselben Entwicklungszeiten und dieselben Einstellungen am Scanner oder am Vergrößerer zu nutzen.

Stilleben mit Notizbuch, Schwarzweißabzug, Kamera und Film

Spickzettel für die korrekte Belichtung eines Kodak Portra 400 und eines Kodak Tri-X 400 (bei Schwarzweißbildern kann die Entwicklung um +1 Blende verlängert werden, um den Kontrast zu erhöhen)

Ich verwende Kodak Tri-X 400, weil ich seine Vielseitigkeit, seinen Look und sein Korn mag. Seit ich regelmäßig in der Dunkelkammer Abzüge erstelle, gefällt mir der Film sogar noch besser. Alle meine Tipps funktionieren auch mit anderem Filmmaterial (getestet habe ich unterdessen u. a. mit Tri-X 400, T-Max 400, Delta 100, Delta 400, FP4, HP5, Delta 3200, Acros 100 und Pan-F 50); ich empfehle jedoch, lieber zu ISO 400 als zu ISO 100 zu greifen. Filme mit dieser Geschwindigkeit sind sehr viel nachsichtiger.

Lernt, Licht zu sehen und kennt Euren Film

Noch wichtiger als die Belichtung selbst ist die Fähigkeit, Licht zu sehen und zu wissen, wie das eingesetzte Filmmaterial auf dieses Licht reagiert. Schwarzweißfilm betont Licht, so dass alles, was in großartigem Licht aufgenommen wurde, auf Film noch sehr viel besser aussieht als in Wirklichkeit, während alles Mittelmäßige oftmals schlechter erscheint.

Der Schlüssel zu hervorragenden Ergebnissen in der Schwarzweißfotografie liegt nicht nur in der Belichtung oder in der Wahl des Filmmaterials. Er liegt auch darin, sich für einen Film zu entscheiden und bei diesem zu bleiben, bis man ihn von vorne bis hinten auswendig kennt.

Der Entwicklungsprozess und die verwendeten Chemikalien haben ebenfalls einen enormen Einfluss auf das Ergebnis und sein Aussehen, ebenso wie das Filmmaterial selbst. Ich kriege oft mit, wie Fotograf*innen, die mit Schwarzweißfilm arbeiten, über verschiedene Filmmaterialien sprechen, während sie in Wirklichkeit nur verschiedene Belichtungszeiten und Chemikalien diskutieren.

Portrait eines Mannes auf offener Straße

Leica M-A + Leica Summicron-M 50 mm f/2 (Kodak Tri-X 400 in XTOL, Belichtung + 1 Blende, Entwicklung + 1 Blende)

Traditionelle gegen moderne Arbeitsweise

Was Ansel Adams uns und der Fotografie gegeben hat, war ein großes Geschenk. Es ist ganz und gar nicht meine Absicht, sein Erbe mit diesem Artikel auch nur ansatzweise zu schmälern. Ich habe seine Bücher „Das Negativ“ und „Das Positiv“ gelesen und ich bin der Ansicht, dass er fundiertes technisches Expertenwissen besaß, wahrscheinlich mehr als die meisten der großen Fotograf*innen, die heute noch leben.

Dennoch meine ich, es ist an der Zeit, unsere Bücher auf den neuesten Stand zu bringen und zu akzeptieren, dass Adams’ Methode einzig und allein für die traditionellen Druckverfahren in der Dunkelkammer gilt – musste er doch einen Weg finden, die 15 Blendenstufen Kontrastumfang eines gut belichteten Großformatnegativs an die nur 8 Blendenstufen Kontrastumfang des Fotopapiers anzupassen.

Nichts hält für die Ewigkeit

Seit den 1930er Jahren hat sich alles weiterentwickelt, auch der fotografische Film, die chemischen Emulsionen und das Fotopapier. Mit der Renaissance der Analogfotografie müssen wir uns in meinen Augen an diese Veränderungen anpassen und dadurch das Leben aller etwas einfacher gestalten. Es gibt so viele Faktoren, die das Aussehen eines Schwarzweißfilms bestimmen: Film, Belichtung, Entwickler, Entwicklungszeiten, Scanner, Kontrastfilter, Fotopapier. Wir müssen die Belichtung nicht mehr messen wie noch vor 100 Jahren.

Lernt Ihr, wie Ihr die Belichtung auf die Schatten ausrichtet und wendet Ihr diese Methode gleichmäßig auf alle Eure Bilder an, werdet Ihr in jedem Licht regelmäßig gute Ergebnisse mit Farbnegativ- und Schwarzweißfilm erzielen. Mit genug Übung werdet Ihr die korrekte Belichtung sogar erraten können, was alle technischen Schranken aufhebt. Für mich bedeutet das die absolute Freiheit. Nichts steht mehr zwischen Euren Vorstellungen und Eurem Bild.

Bleibt hungrig

Jeden Tag verliebe ich mich mehr in die Schwarzweißfotografie, seien es die zarten, feinen, bei ursprünglicher Filmempfindlichkeit aufgenommen Bilder einer Mittelformatkamera, die ich gern mit klassischer Musik vergleiche, oder die durch eine Überbelichtung rau, körnig und hochgepeitscht wirkenden Kleinbildaufnahmen, die mich an Rock’n’Roll erinnern.

Was immer Ihr bei Eurer Arbeit auch bevorzugt: Ich möchte Euch dazu ermutigen, hungrig zu bleiben, viel zu experimentieren und hin und wieder auch traditionelle Konzepte und Gedanken auf den Kopf zu stellen. Eine Menge Tipps, die ich in diesem Artikel gebe, sollten laut den Büchern gar nicht funktionieren. Sie tun es trotzdem, sogar ganz wunderbar.

Dieser Artikel wurde für Euch von Laura Su Bischoff aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.