19. November 2016

Therapeutisches Fotografieren

Ich weiß. Dieser Titel klingt hochtrabend. Nein, ich bin kein Psychologe. Aber ja, ich bin Fotojournalist. Und weil ich ein Mensch mit Seele bin, galoppiere ich nicht die meiste Zeit meines Lebens über Rosenbeete der Glückseligkeit. Ganz im Gegenteil. Ich leide an Depressionen – und zwar seit meiner Kindheit. Nein, es handelt sich hier nicht um „mal einen schlechten Tag haben“, aber ja, ich habe dies diagnostiziert bekommen. Mehrfach. Ich bin chronisch depressiv.

Doch all das macht mich nicht zum Therapeuten. Ich bin ein Mensch von vielen – und jede*r entwickelt eine ganz eigene Form der Depression. Was ich aber weiß, ist, wie es sich anfühlt, wenn das innere Sein von Schmerzen getränkt ist. Was ich in jeder depressiven Episode als entspannend und wohltuend empfunden habe, war das Fotografieren. Nein, ich glaube nicht, dass Fotografieren allein ein Allheilmittel ist. Aber ja, ohne das Fotografieren würde mir ein kleiner, aber signifikanter Teil im Gesundungsprozess fehlen.

Hat mich mal wieder eine Depression kalt erwischt, fühle ich mich oft zu überhaupt nichts in der Lage und mein Selbstwertgefühl ist unter dem Gefrierpunkt: Eingefroren, nicht zugänglich. Der Eindruck, gar nichts wert zu sein, drückt auf alle Sinne. Doch eines weiß ich: Auch, wenn ich nur zehn Minuten mit der Kamera rausgehe und mich zu selbigem Akt zwingen muss, werde ich es hinbekommen, ab und zu den Auslöser zu drücken.

Abdruck auf der Straße

Lichterspiegelung

Stadtlichter und Spiegelungen

Spiegelungen auf einem Stoff

Spiegelungen

Menschen im Bahnfenster

Eine Puppe

Ein Bilderrahmen im Fenster

Ein Mann spiegelt sich

Eine Person von hinten

Alter Tisch mit Zuckerdose

Bahnhofshaltestelle

Hauswand

Weißes Pulver auf Asphalt

Was dann passiert, ist kein Wunder und tataaaaaa, alle Depressionen sind weg. Jedoch komme ich meist mit ein paar guten Fotos nach Hause. Diese bearbeite ich dann, zeige sie Freund*innen und wenn ich nicht ganz am Boden bin, poste ich sie auf Twitter. Die Idee dahinter ist für ich so simpel wie möglich: Mach das, was Du kannst und Dir Spaß macht. Das Stichwort ist Aktivierung. Denn dann, wenn ich „ganz unten“ bin, ist manchmal schon „ein Brot schmieren“ fast nicht zu schaffen.

Nach der Aktivierung kommt, zumindest bei mir, der nächste wichtige Schritt: Ein Ritual schaffen. Das bedeutet in meinem Fall: Regelmäßiges Widerholen – und bei mir ist der Ein-Tages-Rhythmus der beste. Das bedeutet, dass ich mir angewöhnt habe, täglich rauszugehen und Fotos zu machen. Eine feste Uhrzeit habe hat sich bei mir nicht durchgesetzt, denn ich mag es, spontan und flexibel zu bleiben. Denn so komme ich schnell in eine Art Routine, die mir hilft, mich nicht jedes Mal überwinden zu müssen.

Die Freude am Fotografieren kann dann eine unterstützende Kraft im Heilungsprozess sein. Wie schon oben gesagt: Fotografieren allein hat mich noch nie aus einer depressiven Episode gezogen. Dafür müssen noch viele weitere Prozesse in Gang kommen. Und dennoch möchte ich nicht mehr darauf verzichten.

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