Mann steht auf Treppe und schaut durch ein Loch in einer Wand.
11. November 2016 Lesezeit: ~9 Minuten

Besondere Momente des Theateralltags

Ich hatte und habe das große Glück, die Theaterfotografie aus zwei völlig verschiedenen Blickwinkeln erleben und betreiben zu können. Zu meinen schönsten Erinnerungen an die zweite Hälfte der 80er Jahre, als ich noch als freier Fotograf und Fotodesigner arbeitete, zählte die Arbeit für das Essener Kinder- und Jugendtheater.

Damals habe ich mit meiner Leica M4-P sehr viele Inszenierungen fotografisch begleitet und einige schöne Plakate erstellen dürfen. Dies war die offizielle Seite der Theaterfotografie mit aussagekräftigen Szenenfotos für die Presse und Schaukästen, überwiegend in schwarzweiß, später gelegentlich auch in Farbe.

Mann fegt weiße Masse auf schwarzem Grund zusammen.

Tanzende und springende Personen in bunten Kleidungsstücken von oben dargestellt.

Seit 1987 jedoch arbeite ich im Hauptberuf als Bühnentechniker, seit der Eröffnung des Aalto-Musiktheaters in Essen im September 1988 bin ich nun dort. Seit 1990 bin ich nun bereits als Schnürbodenarbeiter für dieses Theater tätig. Bühnentechniker*innen sind für die technischen Abläufe, also für die Bühnentechnik, vor, während und nach der Aufführung an einem Theater zuständig.

Unsere kleine Abteilung von acht Schnürbodenarbeiter*innen beziehungsweise Obermaschinist*innen ist zuständig für den verantwortungsvollen Einbau und die computergesteuerten Bewegungen der im Schnürboden befindlichen Kulissen, Wände, Vorhänge, Prospekte, Schleier, Flugwerke. Und wenn’s im Theater mal von oben schneit, dann haben wir da auch unsere Hände im Spiel.

Personen mit farbigen Schleiern vor hellem Hintergrund.

Die Arbeit hinter dem Vorhang eröffnete mir im Laufe der Zeit einige faszinierende Einblicke in das Innenleben eines großen Theaterbetriebes. Es ist mir natürlich nicht gelungen, die Kamera nach dem Berufswechsel dauerhaft an den Nagel zu hängen. Nach ein paar Jahren erlag ich dem Reiz, den überquellenden Bilderkosmos dieses besonderen Ortes festhalten zu wollen.

„Kulissenblick“ ist komplett mit digitalen Kameras fotografiert, zum einen hatte ich mein Schwarzweißlabor zu der Zeit längst aufgegeben, zum anderen hätte ich das analog auch gar nicht finanzieren können.

3 Männer richten eine Säule auf. Im Hintergrund weitere Säulen.

Zu allererst muss ich natürlich erst einmal meine Arbeit machen, das ist ja ganz selbstverständlich, aber zwischendurch gibt’s auch immer mal wieder die Gelegenheit, ein Foto zu schießen. Das geht dann oft ganz schnell, ich benutze keine zusätzlichen Hilfsmittel, kein Stativ oder zusätzliches Licht.

Ich rücke nichts fürs Foto zurecht. Alles bleibt so, wie es ist oder wirklich passiert. Ich möchte schon authentisch den Alltag des Theaterbetriebs abbilden. Die tollen Momente passieren von ganz allein, da brauche ich nichts mehr dazu packen, im Gegenteil, das wäre eher zu viel und man würde sehen, dass da was nicht stimmt.

Luftansicht eines gestreiften Untergrundes der von 4 Personen schwarz gemacht wird.

Von daher komme ich nicht extra zum Fotografieren ins Haus. Wenn ich dienstfrei habe, ist das auch ganz schön. Einzige Ausnahme bisher war die umfangreiche Portraitserie zum Aalto-Jubiläum 2013. Das war schon mit mehr Aufwand verbunden, insbesondere mit Terminabsprachen und Gesprächen. Diese Sessions sind mehrheitlich außerhalb der Arbeitszeit und an freien Tagen entstanden.

1987 habe ich nicht den Beruf gewechselt, weil ich mit der Fotografie „durch“ war, das war eine existenzielle Entscheidung. Ich wäre als Fotograf verhungert, so viel war mir damals klar. Von Max Reinhardt gibt’s das wunderschöne Zitat:

Das Theater ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen.

Person streicht einen Fußboden rötlich an, sodass es beinahe ein Kreisbild ergibt.

So spielerisch leicht ist es natürlich nicht alle Tage, aber es kommt vor. Als Ex-Fotograf hatte ich ständig Bilder im Kopf. Aber es gab sie nicht real. Niemand machte diese Bilder. Unsere beauftragten Theaterfotograf*innen fotografierten die Premierenproduktionen traditionell wie eh und je aus dem Zuschauerraum und die spannenden Motive hinter dem Hauptvorhang blieben weitgehend unbeachtet.

Ich fand das schade und verschenkt und mir war dann auch klar, dass ich das selbst machen musste. Das Studium bei Ulrich Mack hatte mich gelehrt, Themen langfristig zu erforschen und auch schon einmal die Perspektive zu ändern und Cartier-Bresson und Robert Frank waren mir immer näher als Glanz und Glamour.

Roulette Tisch mit fliegenden Scheinen von oben.

Arbeit und scheinbar Nebensächliches können ganz wundervolle Motive hergeben. Zeit muss man mitbringen. Warten können. Ich war ja jetzt täglich im Theater, die Voraussetzungen hätten also nicht besser sein können.

„Kulissenblick“, den Namen hat ein paar Jahre später Peter Liedtke, der Mastermind des Pixelprojekt Ruhrgebiet aus Gelsenkirchen für die Serie erfunden, gestartet so ab Ende 2002. Mit der Digilux 1 hatte ich erstmals ein passendes Werkzeug zur Verfügung, um das Vorhaben technisch umzusetzen.

Person liegt in beige gekleidet auf einem Tisch, andere Sitzen drum herum in schwarz. Ansicht von oben.

Damals hatte ich bereits 15 Jahre als Schnürbodenarbeiter am Aalto-Musiktheater hinter mir und es reizte mich, Theateralltag aus meiner subjektiven Perspektive in Bilder zu übersetzen. Arbeiten am Theater ist natürlich längst nicht so romantisch, wie sich das manche vorstellen. Unbestritten gibt es aber auch zahlreiche magische Momente und man erlebt und begegnet allerlei interessanten Menschen.

Dabei hilft es ungemein, wenn man selbst ein klein wenig in künstlerischen Dingen vorbelastet ist. Man versteht aus eigener Erfahrung leichter, wie mühsam der Weg zu einer künstlerischen Form sein kann. Für viele, die diese Erfahrung nie gemacht haben, wird das wohl immer ein ganz unerklärliches Mysterium bleiben.

Mann sitzt in Lichtkegel auf übergroßem Tierschädel.

Jedenfalls habe ich dann über einen Zeitraum von vielleicht zwei Jahren immer mal wieder neben meiner Arbeit visuelle Eindrücke fotografisch eingesammelt, bevor ich die Bilder unserer damaligen Pressesprecherin Azita Mortazawi-Izadi gezeigt habe. Sie war von der ungewöhnlichen Theateroptik auch ganz angetan und konnte das wenig später sogar offiziell im Haus durchsetzen.

Bis dahin hatten Bilder aus der Arbeitsperspektive nur sehr geringe Chancen, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt zu werden. Jetzt lagen da ein paar erste Ergebnisse auf dem Tisch und Azita Mortazawi-Izadi hat es tatsächlich fertig gebracht, dass man da drauf geguckt hat und die Bilder dann sogar benutzt wurden.

Viele Menschen und Holzstäbe die zu einem Muster werden.

Durch diese Akzeptanz im Haus ergaben sich für mich danach natürlich größere Spielräume, die ich immer genutzt habe und so konnte ich in den folgenden Jahren ein paar Spielzeithefte, Plakate und Postkarten realisieren.

Parallel dazu habe ich immer versucht, die Kulissenblick-Bilder auch außerhalb des Theaters bekannt zu machen. Dadurch kamen dann Kontakte wie mit der WAZ (Regionalzeitung), Pixelprojekt Ruhrgebiet (eine Art Bildarchiv für das Ruhrgebiet), Ausstellungsprojekte und so weiter zu Stande.

Im Theater hat dann viele Jahre mein technischer Direktor, Daniel Kaiser, Ex-Punker aus der DDR, die Geschichte massiv unterstützt und dadurch hatte Kulissenblick quasi eine ständige Präsenz bei den sogenannten „Tagen der offenen Tür“ am Theater.

Schattenspiel auf eine Bühnenkulisse mit Architektur im Hintergrund.

Einziger Wermutstropfen dabei war, dass es nie ein größeres Budget für solche Aktionen gab. Not macht aber auch erfinderisch und zwang mich dann oft zu preiswerten Lösungen, für die ich aber gelegentlich auch Prügel bezog. Ich erinnere mich da an Ausstellungsdrucke an Kleiderbügeln oder von vorn gaffa-getapet statt gerahmt.

Inzwischen hat die Geschichte 14 Jahre auf dem Buckel, Unmengen von Belichtungen, etliche Kameras verschlissen, ein Ende ist noch nicht abzusehen. Aktuell sieht die offizielle Linie im Haus wieder sehr konventionell aus, meine Bilder werden von Hausseite aber hin und wieder auf Facebook verwendet, da trauen sie sich ein bisschen mehr „backstage“.

Madonnenstatue in Raum mit Holzkonstruktionen und Neonröhren.

Mich selbst überrascht, dass mir auch nach so vielen Jahren immer wieder neue Bilder begegnen. Das muss an der Magie dieses Ortes liegen. Die Vielfalt von Kulissenblicken scheint nicht enden zu wollen. Es besteht aktuell keine Gefahr, dass ich mich da satt gesehen haben könnte.

Klar verarbeite ich auch andere Eindrücke, schaue mir Ausstellungen an und Bücher. Ständig vergleiche ich meinen bisherigen Bildspeicher mit neuen Eindrücken, überdenke diesen als mögliche Erweiterung des bisherigen Bilderpools. Jedes neue Bild, auch die nicht gelungenen, macht quasi eine neue Tür auf.

Wandbild vom Weihnachtsmann auf dem Kopf, davon ein Mann auf einer Leiter in Blaumann.

Ich habe die Kamera (heute eine Fujifilm X-E1) jeden Tag dabei und vertraue darauf, dass ich wach genug bin, die Bilder zu erkennen, wenn sie mir begegnen. Irgendwie ist auch viel Bauchgefühl dabei.

Mein Verhältnis zur Fotografie hat ziemlich viel mit Emotion zu tun. Erfinder bin ich keiner. Wenn alles glatt läuft, mache ich das noch ein paar Jahre. Am Ende passt das alles bestimmt prima zusammen. Soweit bin ich sicher. Mein Dank gilt an dieser Stelle allen Verantwortlichen im Aalto und meinen Kolleginnen und Kollegen für die Möglichkeit, dass diese Bilder überhaupt entstehen konnten.

Avatar fotografiert von Frank Vinken hoch über der Hauptbühne, 2003.

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