04. November 2016 Lesezeit: ~6 Minuten

Testbericht: Affinity Photo

Affinity Photo von Serif ist eine professionelle Software für die Bildbearbeitung und im Sommer 2015 für OS-X erschienen. Es liegt mittlerweile in der Version 1.4.3 vor und die Version 1.5 steht bereits mit einer Menge Neuerungen in den Startlöchern. Wer mag, kann sich die aktuellste Betaversion hier anschauen. Zukünftig wird auch das Betriebssystem Microsoft Windows unterstützt.

Ich arbeite seit der ersten öffentlichen Betaversion für OS-X mit diesem Programm und war sofort begeistert, was auch daran liegt, dass ich ein Herz für Underdogs habe. Die Liste der Features ist lang, die durchschnittlichen Photoshop-Benutzer*innen werden nichts und Poweruser*innen kaum etwas vermissen. Eine Auflistung will ich mir hier sparen und verweise auf folgendes Video:

Affinity Photo richtet sich ganz gezielt an Profis, was nicht zuletzt durch 16 bit Farbtiefe und Farbmanagement unterstrichen wird. Wer Photoshop kennt, wird sich sofort heimisch fühlen. Die Anordnung der Benutzeroberfläche orientiert sich am Marktführer und sogar die meisten Shortcuts funktionieren wie gewohnt. Auf kleinere Unterschiede in der Handhabung stellt man sich schnell und gern ein. Einzig der Begriff „Persona“ erscheint einem zunächst ungewohnt. So bezeichnet Serif Arbeitsbereiche. Davon gibt es mittlerweile fünf:

  • Photo Persona – Bildbearbeitung
  • Liquify Persona – Verflüssigen
  • Develop Persona – RAW-Entwicklung
  • Tone-Mapping Persona – wie der Name schon sagt
  • Export Persona – Exporte flexibel organisieren

Affinity Photo hat allerdings keine Bildverwaltung – das entsprechende Gegenstück in der Welt von Adobe wäre Bridge oder in Lightroom das Bibliotheksmodul. Wäre schön, wenn so etwas später auch noch Einzug halten würde. Über einige der Neuerungen für die Version 1.5 gibt das folgende Video Auskunft.

Photo Persona

Das Herzstück von Affinity Photo ist für mich Photo Persona. Hier findet man alles, was das Herz begehrt. Alle meine Photoshopdateien (CS 5.1), die ich bis jetzt getestet habe, lassen sich anstandslos öffnen, danach kann man sofort loslegen. Nach der Bearbeitung mit den prima funktionierenden Werkzeugen wird die Datei im Affinity-eigenen Format gespeichert, was sinnvoll ist, da sonst die hinzugefügten Eigenschaften verloren gehen würden.

In Affinity Photo ist (fast) alles ein Objekt. Anpassungen werden als Einstellungsebene hinzugefügt, die beliebig in der Ebenenpalette verschoben werden können. Auf Ebenen lassen sich mehrere Effekte gleichzeitig anwenden, was durch ein fx-Symbol rechts an der Ebene signalisiert wird. Alle Änderungen werden – ganz ohne winzige Vorschaufenster – sofort im Bild sichtbar. Es können mehrere Maskierungsebenen zu einer Ebene angelegt werden und so weiter und so fort.

 

Ein Workflow mit Lightroom

Wenn man keinen RAW-Entwickler hat, ist Develop Persona ein brauchbarer Einstieg. Mein Workflow beginnt allerdings in Lightroom oder Capture One 9 und endet im Bibliotheksmodul von Lightroom. Dazwischen verwende ich Affinity Photo für Bildzusammensetzungen oder aufwändigere Retuschen, also immer dann, wenn Lightroom oder Capture One an ihre Grenzen stoßen. Develop Persona benutze ich nicht. Der größte Nachteil für mich ist, dass sie (derzeit noch) nicht als Smartobjekt arbeitet.

Man kann zwar nach einer Entwicklung jederzeit zu Develop Persona zurückkehren und die Datei erneut entwickeln, aber die ursprünglichen Änderungen sind dann nicht mehr ab- bzw. aufrufbar. Wenn man der Gerüchteküche glauben darf, hat Serif etwas Besseres als Smartobjekte in Arbeit. Mein Wunsch wäre, dass es an dieser Stelle zum Einsatz kommt.

Der Übergang zwischen Lightroom und Affintiy Photo ist möglich, gestaltet sich aber nicht ganz ohne Barrieren, da das Affinity-eigene Format selbstverständlich nicht von Lightroom unterstützt wird. Man kann ein Foto wie in LR üblich mit LR-Anpassungen als PSD oder TIFF übergeben.

Screenshot

Affinity-Photo als externer Editor mit Dateiformat TIFF – was nicht die cleverste Wahl ist, wie wir noch sehen werden …

Das bearbeite ich dann in Affinity Photo und speichere es an derselben Stelle im Dateisystem einmal als afphoto sowie als PSD/TIFF-Export, wobei dann die vorher von LR erzeugte Datei überschrieben wird. Änderungen an der Datei erkennt LR und aktualisiert seine Ansicht automatisch.

Die RAW-Quelldatei versehe ich im LR-Katalog mit einem „Affinity-Export“-Tag und die PSD/TIFF-Datei als „Affinity-Import“ als Hinweis auf die Quelle. Wenn ich die PSD/TIFF-Datei bearbeiten möchte, sehe ich den Affinity-Import-Tag und weiß: Ich muss in den Finder wechseln, um die afphoto-Datei zu bearbeiten. Nicht sehr elegant, aber für mich derzeit der beste Weg.

Die Verwendung des TIFF-Formates hat allerdings einen Pferdefuß: Lightroom erzeugt eine TIFF-Datei mit einem TIF-Suffix, während Affinity Photo die Datei zwingend mit einem TIFF-Suffix schreibt. So hat man auf einmal zwei Dateien nebeneinander liegen, wo man doch eigentlich gern die eine mit der anderen überschreiben wollte. Das ist ärgerlich oder auch schlicht und ergreifend doof und der Grund, warum ich dann doch mit PSD-Dateien arbeite.

Screenshot

Hier verstehen sich Affinity Photo und Lightroom nicht: TIF und TIFF stehen einmütig nebeneinander, statt dass die Datei überschrieben wird.

Lizenzmodell und mehr

Das gute an Affinity-Photo ist das Preismodell, das ganz ohne Abonnement auskommt. Der eigentliche Knaller ist aber, dass Serif hier nicht ein Einzelprogamm abliefert, sondern mit weiteren Programmen eine ganze Suite, bestehend aus Affinity Designer, Affinity Photo und demnächst auch Affinity Publisher, die es einzeln zu kaufen gibt.

Damit bietet Serif eine prima Alternative für alle Grafikdesigner*innen, die bis vor Kurzem noch mit der Creative Suite von Adobe, bestehend aus Photoshop/Camera-Raw, Illustrator und Indesign gearbeitet haben. Alle Anwendungen wirken wie aus einem Guss, bedienen sich gleich und können Daten untereinander austauschen, was den Workflow ungemein erleichtert.

 

Fazit

Die Anwendungen sind recht neu auf dem Markt, aber bereits verblüffend ausgereift. Adobe hat bei Photoshop 25 Jahre Vorsprung in der Entwicklung – das kann man nicht wegdiskutieren – schleppt aber auch entsprechende Altlasten mit sich herum. Serif hingegen nutzt die Gelegenheit, vieles neu zu denken und auf moderne Anforderungen hin zuzuschneiden. Das merkt man an jeder Ecke.

Was Serif an den Start gebracht hat, ist schon beeindruckend und wird ja auch mit jedem neuen Release um Funktionen erweitert und fehlerkorrigiert. Flankiert wird die Software von sehr guten Videotutorials und einer regen Community. Für den Preis lohnt es sich auf jeden Fall, die App(s) mal auszuprobieren.

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