Bild eines nackten Mannes mit langen Haaren.
27. Oktober 2016 Lesezeit: ~5 Minuten

Männerakte von Kiu Meireles

Lange habe ich gesucht, mich Stunde um Stunde durch Bücher geblättert und Webseiten durchstöbert, um zeitgenössische Männerakte zu finden, die das „gewisse Etwas“ haben. Bilder, die sich abheben von der großen Masse. Und – ganz wichtig – Bilder, die ich nicht schon hundert Mal gesehen habe.

Posen wiederholen sich, eingeölte Six Packs reihen sich an eingeölte Six Packs. Coole Blicke und herausfordernde Posen, die häufig angereichert sind mit sexuellen Ideen oder Fantasien, wie es sie auch ganz häufig im weiblichen Aktbereich zu sehen gibt, waren nicht mein Ziel. Mit Kiu Meireles bin ich, denke ich, fündig geworden!

Kiu Meireles ist ein brasilianischer Fotograf mit kreativen Wurzeln in der Malerei, die er als erstes Studienfach an einer Kunsthochschule erlernte. Die Malerei hat er im Laufe seiner Arbeit Stück für Stück mit der Fotografie verwoben. Seine derzeitige Hauptbeschäftigung liegt zusätzlich im Feld der Philosophie – die meines Erachtens eng verbunden ist mit Bildern und Bildbetrachtungen und sicherlich auch damit, wie man Bilder macht.

Nackter Mann sitzt mit dem Rücken zum Betrachter auf Rattanmöbel und zeigt einen Daumen hoch.Nackter Mann stehend, bedeckt mit der Hand sein Gesicht und blickt durch die Finger.

Kiu Meireles beschreibt, dass das Arbeiten mit der männlichen Figur als Körper in der Fotografie bei ihm wie von selbst geschah. Er begann während seines Studiums der Malerei, Männerakte als Vorlagen zu fotografieren. Zuerst waren diese Fotografien als Werkzeuge gedacht, um malen zu können, ohne dass ein Modell Stunde um Stunde eine Pose halten musste. Die Fotografie stand zu jenem Punkt als eigenständiges Medium somit ganz und gar nicht im Vordergrund von Meireles Arbeitsweise. Dies änderte sich jedoch mit der Zeit und durch eine Einsicht.

Mann mit Bart und freiem Oberkörper der von einem abgewandt ist Blickt keck über die SchulterNackter Mann sitzt auf Hocker und gestikuliert.

Was seine Malereien und auch seine hier gezeigten ausgewählten Fotografien eint, war von Beginn an sein Streben danach, den männlichen Körper anders als in der wie er schreibt „schädigenden“, vorurteilsbelasteten, allgemeinen Gesellschaftsansicht darzustellen. Er wollte eine andere Perspektive auf den männlichen Körper finden.

Während er also die Fotografien für diese damals noch als Malereien gedachten Arbeiten anfertigte, bemerkte er, dass die Fotografie als Medium für das, was er ausdrücken möchte, ihm naheliegender schien, direkter. So als könnte sie noch feinere Nuancen herausschälen, die er in seinen Malereien so nicht zu fassen vermochte.

Daraus entwickelte sich eine Differenzierung zwischen Malerei und Fotografie als eigenständigen Medien in Meireles Arbeit. Und er begann, vom Tage dieser Einsicht an, exzessiv zu fotografieren.

Nackter Mann steht seitlich und bedeckt seine Scham mit Blick zum Betrachter.Mann mit nacktem Oberkörper liegt mit dem Rücken auf rotem Sofa und blickt einen an.

Durch eben diese Fotografien wurde eine Modellagentur auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn, für sie zu arbeiten. In den meisten Fällen, um männliche Modelle zu fotografieren. Ihr Anhaltspunkt war seine etwas andere Art, männliche Aktfotografien zu erstellen und eine andere Sichtweise als die vieler anderer „male nude photographers“ zu etablieren.

Für Meireles war dies eine Bestätigung, an den Fotografien festzuhalten. Obwohl es auf den ersten Blick vermeintlich gar nicht so große Unterschiede in der männlichen Darstellungsform zu geben scheint, finde ich, dass auf den zweiten Blick Nuancen in Blick und Haltung eine viel tiefere Sprache sprechen.

Und dass diese sich wegbewegen von den überwiegend bekannten Bildern des entweder starken oder verletzlichen Mannes. Meireles schafft es, wie ich finde, häufig, beides in einem Männerbild zu vereinen, ohne sich an der Stereotype-Kiste zu bedienen.

Polaroid eines nackten Mannes der seine Scham mit einem Stuhl bedeckt.Polaroid eines nackten, sitzenden jungen Mannes vor blauer Wand.

Auch wenn Meireles mitunter Frauen fotografiert, sind hauptsächlich Männer vor seiner Kamera. Er sagt, dass wenn man in Brasilien an Aktfotografie denkt, meist automatisch davon ausgegangen wird, dass es sich um Frauen handelt, die aktfotografisch dargestellt werden. In Brasilien kommt seiner Ansicht nach ein Mann als Protagonist für Aktfotografien kaum in Betracht. Wenn man dort in Galerien geht, sich Magazine anschaut, geht es meist um die weibliche Form.

Normalerweise, wenn ein nackter Mann gezeigt wird, ist diese Abbildung für die homosexuelle Szene gedacht – was für Meireles prinzipiell kein Problem darstellt, da er sich selbst öffentlich als homosexuell bezeichnet. Jedoch geht es bei seinen Aktfotografien von Männern nicht um homo oder nicht, sondern um den männlichen Körper in einer bzw. seiner künstlerischen Arbeitsweise. Es soll nicht um ein Endprodukt als Bild gehen, das rein für die homosexuelle Szene gedacht ist, nur von dieser betrachtet und als schön empfunden wird.

Polaroid von einem Portrait als Gemälde an der Wand vor dem ein Mann nackt vorbeigeht.Polaroid von zwei nackten jungen Männern die auf dem Boden gestützt liegen.

Gern würde Meireles in Zukunft ein Magazin gründen, das den männlichen Körper als etwas Künstlerisches darstellt – für jedermann. Seine Ambition ist es, den männlichen Körper nicht einfach darzustellen, um etwas zu verkaufen oder einen Fetisch zu befriedigen, sondern ihn als ein künstlerisches Medium zu betrachten. Um in den Worten von Herbert Grönemeyer zu sprechen: „Wann ist ein Mann ein Mann?“

Die Antwort sollte sicherlich nicht auf einige wenige einstudierte Posen reduziert werden. Männer wie Frauen haben in der Aktfotografie als Modelle mehr zu bieten als den sexualisierten Körper. Weitere Arbeiten von Kiu Meireles findet Ihr in seinem Tumblr oder auf Instagram.

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