Möwen am Hafen
08. September 2016 Lesezeit: ~5 Minuten

Hamburg ruft

Nachdem ich die Arbeiten von William Klein und Joel Meyerowitz gesehen hatte, war ich vom Konzept der Straßenfotografie begeistert. Es hat mich auch herausgefordert. 2015 fing ich an und ging mit meiner Kamera durch die Straßen Hamburgs spazieren auf der Suche nach guten Fotomotiven. Ich wollte festhalten, was mir an der Stadt charakteristisch erscheint.

Ich wurde langsam immer neugieriger, wie die Hamburger leben, da es so unterschiedlich zu meinen bisherigen Erfahrungen ist. Das Leben in Toulouse, wo ich einige Zeit verbrachte, und in meiner Heimatstadt Caracas ist so grundsätzlich anders zum Leben hier.

Skateboardparkour

Zwei Menschen küssen sich hinter einer verregneten Scheibe

Im Gespräch mit einem anderen venezolanischen Fotografen sind mir viele Unterschiede zwischen der Straßenfotografie in Caracas und Hamburg bewusst geworden. Seit einigen Jahren sind in Caracas weniger Fotografen mit ihren Kameras auf den Straßen, da sie entweder durch die Gefahr eines Überfalls oder durch die bittere (bzw. fast paranoide) Reaktion der Leute auf das Fotografieren abgeschreckt sind.

Der venezolanische Fotograf Horacio Siciliano zum Beispiel geht abends mit zwei oder drei anderen Fotografen durch die Stadt, wenn Caracas nicht so aufgeheizt und gefährlich ist und die Straßen leerer sind. Trotzdem sagen verschiedene Fotografen aus Caracas, dass ein gutes Gespräch mit den „Caraqueños“ verschiedene Türen öffnen kann, um eine emotionale Verbindung aufzubauen und persönliche Geschichten der Bürgerinnen und Bürger zu erfahren.

Menschen in einer Bar

Mann geht an einem Bild einer nackten Frau vorbei

Im Vergleich zu Caracas ist Hamburg eine sichere Stadt zum Fotografieren, man kann sich in der Stadt verlieren und fast an allen Ecken mit der Kamera spazieren gehen. Auch wenn man meiner Meinung nach an allen Orten der Welt als „Straßenfotograf“ bzw. Fotojournalist höflich und anständig sein muss.

Das erste Mal, als ich in Hamburg war, war es tiefer Winter. Es war kalt und dunkel, weiß mit Schnee – wie in einem Film. Ich habe mich direkt in die Dunkelheit verliebt und schnell erkannt, dass die Leute hier sehr warmherzig sind und es einfach ist, mit ihnen zu kommunizieren und sich „nah“ zu fühlen. Hamburg ist eine Stadt, in der ich so viele verschiedene Landschaften und Stile finden kann.

Ein Mann mit Stock auf der StraßeZwei küssende Menschen in der Bahn

Ich versuche seitdem, jeden Tag so viel wie möglich auf die Straße zu gehen. Ich laufe, beobachte und manchmal warte ich auch für einen langen Zeitraum, um ein Foto zu schießen. An einigen Tagen kann ich meinem Instinkt vertrauen und finde einen guten Rhythmus. Ich weiß dann genau, was auf der Straße passiert und wo ich hingehen muss, um ein interessantes Motiv zu finden. An anderen Tagen aber kann ich einfach keine ansprechende Szenerie, kein gutes Licht und nichts ausmachen.

Warum ich dieses Projekt dennoch mache? Zu Beginn hatte ich keine Ahnung, warum und auch kein Interesse daran, es herauszufinden. Ich ging einfach meinem Instinkt nach. Heute kann ich nicht aufhören, den Ort, an dem ich wohne, zu meinem eigenen zu machen. Ich benutze die Straßenfotografie als ein Medium, um mit Menschen zu kommunizieren und aus meiner Einsamkeit auszubrechen. Ich sehe mich gern als Außenstehende, die versucht, die Energie, Bewegungen und Emotionen der Leute und des urbanen Lebens festzuhalten.

Eine Baustelle

Ein Vogel fliegt über eine Mauer

Ästhetisch und technisch gesehen, arbeite ich in Farbe mit einer Digitalkamera mit 24-mm-Objektiv. Ich nutze am liebsten natürliches Licht und in den Wintertagen und der frühen Dämmerung meistens eine höhere ISO-Einstellung und offene Blenden zwischen f/1.4 und f/5.6.

Ich bin nicht so gut darin, Bilder aus der Distanz zu schießen. Ich fühle mich wohler dabei, nah am Geschehen zu sein. Manchmal finde ich auch einen schönen Hintergrund, mache einen Schritt zurück und warte auf jemanden, der sich in meinen Bildausschnitt bewegt.

Kinder vor Graffiti

Unscharfe Schlittschuhfahrer auf der Eisbahn

Oft werde ich gefragt, ob ich etwas zu den Leuten sage, die ich fotografiere und wie diese darauf reagieren. Meistens versuche ich, etwas zu sagen, entweder vor oder nachdem ich die Menschen fotografiert habe. Die Hamburger geben mir selten eine ablehnende Antwort.

Meine Vermutung ist, dass in einer Stadt mit so vielen Bewohnern alle sehr anonym leben und wenn ich jemandem sage, dass ich ihn schön finde und ein Portrait machen möchte, sie sich geschmeichelt und besonders fühlen. Die meisten Menschen, nicht nur in Hamburg, sondern auch in der Welt, werden gern gesehen. In den seltenen Fällen, in denen ich eine negative Reaktion bekomme, lasse ich die Person in Ruhe.

Für mich ist Straßenfotografie inzwischen mehr als ein Hobby geworden. Alles in Hamburg ist in Bewegung – klar, es ist eine Großstadt, „kosmopolitisch“ und „hip“. Die Natur bewegt sich in einem sich wiederholenden Zyklus von grün über farbig bis grau und weiß, von total hellen bis ewig dunklen bzw. finsteren Tagen. Es regnet viel, aber ich habe diesen seltsamen Gedanken, dass genau deswegen die Leute hier so warmherzig sind. Und ich brauche warme, sympathische und einfache Leute.

Hamburg bedeutet für mich der Geruch des Meeres, Erdbeeren, die besten Fahrrad-Spazierfahrten und die unerwarteten Wetteränderungen. Und ich habe noch so viele Sachen zu entdecken!

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