22. Juli 2016 Lesezeit: ~13 Minuten

Per Anhalter durch den Iran

Der Iran – ein Land, das auf Jahrtausende persischer Geschichte und Kultur zurückblickt. Schon früh verfielen große Reisende wie Marco Polo dem Charme von Kunst und Poesie in Zeiten der berühmten Seidenstraße. Diese diente über mehrere Jahrtausende als bedeutendste Handelsader zwischen Asien und dem Mittelmeerraum. Inspiriert von solch großen Fußstapfen, beschloss ich kurzerhand, meine sieben Sachen zu packen und für einen Monat per Anhalter durch den Iran zu reisen.

„Dein Ernst, ist das nicht gefährlich da?“ – So oder so ähnlich sahen die ersten Reaktionen von Freunden und Bekannten aus, mit denen ich mehrfach vor dem Antritt der Reise konfrontiert wurde. Nicht immer hatte ich eine sofortige Antwort auf so negatives Feedback parat. Natürlich ist es schon längst kein Geheimnis mehr, dass der Ruf des Iran in den westlichen Medien umstritten ist. Doch beteuerte ich immer wieder, dass ich mir doch lieber erst einmal selbst eine persönliche Meinung vor Ort bilden möchte.

Ein Kinderportrait

Zuerst einmal stellte sich die Frage, wie ich denn am besten von A nach B kommen sollte. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich schon vorab für die Variante, per Anhalter zu reisen (engl. hitch-hiking). Auf diese Weise hatte ich schon zuvor sehr positive Erfahrungen in Europa gesammelt. Ich wusste, dass diese Art zu reisen einen relativ nahen Kontakt mit den Einheimischen bedeutete, was gerade auf der Suche nach Fotos hilfreich ist.

Fotografisch minimalisierte ich mich dieses Mal auf meine treue vier Jahre alte Nikon-DSLR und eine Linse mit 35 mm f/1.8. Diese Kombination brachte gerade einmal 700 g auf die Waage. Gerade beim Reisen per Anhalter ist es von Vorteil, kein allzu schweres Gepäck dabei zu haben, da man gezwungen ist, auch immer wieder große Strecken zu Fuß zurückzulegen. Zusätzlich muss das Gepäck noch im jeweiligen Auto untergebracht werden. Und der eigentliche Reiz lag auch darin, einmal zu erfahren, wie es ist, limitiert auf nur eine Brennweite zu fotografieren.

Ein Männerportrait

Nun ging es aber voller Vorfreude und Neugier los in das einmonatige Abenteuer. Nach mehrstündigem Flug und kurzem Zwischenstopp in Kiew erreichte ich leicht ermüdet Teheran. Bei meiner Ankunft bemerkte ich sofort die klimatischen Unterschiede zwischen dem iranischen und heimischen Herbst. Nächtliche, angenehm warme 25 °C begrüßten mich außerhalb des Fliegers. Eine zuvor im Flieger kennengelernte Gruppe von Reisenden erwartete mich am Arrival-Gate.

Darunter auch Solène aus Nürnberg, die sich nach kurzem Gespräch auch als passionierte Autostopperin outete. Kurz darauf entschieden wir, uns gemeinsam ins Ungewisse zu stürzen und die lange Reise von Teheran zum persischen Golf zusammen zu bestreiten. Die grobe Route sollte durch die Städte Kaschan, Isfahan und Schiraz führen, die sich als ein eher typischer Reisepfad der wenigen Touristen herausstellte. Das Ziel lag darin, das unter Iranern äußerst beliebte Urlaubsdomizil Queshm im persischen Golf zu erreichen.

Teheran, die Millionenmetropole und Hauptstadt des Iran stellte sich als idealer Startpunkt heraus, um sich vor dem Anhalter-Marathon schon einmal langsam an das Land und die unbekannte Kultur zu gewöhnen. Zudem hatten wir das außerordentliche Glück, während des 30-tägigen Muharram im Lande zu sein, dem ersten Monat des islamischen Kalenders.

Das darin eingebundene Aschura-Fest gilt nach dem Ramadan als eines der wichtigsten religiösen Feierlichkeiten des Islam. Es wird im Iran hauptsächlich von der schiitischen Bevölkerung zelebriert und gedenkt dem Märtyrertod des Iman Husein in der Schlacht von Kerbela. Hierbei wurden wir Zeugen verschiedenster Rituale: Riesige Trauermärsche oder die oft auch blutig endenden Selbstgeißelungen spielten sich auf offener Straße ab.

Aschura-Rituale in den Straßen von Teheran

Betender Mann in Moschee

Nach ein paar Tagen in Teheran und gesättigt mit vielen neuen Eindrücken, ging es dann schließlich los mit der eigentlichen Reise. In aller Frühe machten wir uns auf den Weg zum Startpunkt an den Stadtrand von Teheran. Noch relativ unsicher platzierten wir uns mit unseren Rucksäcken neben der vielbefahrenen Straße. Besonders wichtig ist es, im Iran nicht einfach seinen Daumen herauszustrecken, wie man es üblicherweise beim Reisen per Anhalter machen würde. Denn das Zeigen des Daumens gilt unter Iranern als überaus unfreundliche Geste und würde vergleichbar mit dem Mittelfinger in westlichen Ländern gedeutet werden.

Also blieb uns nichts anderes übrig, als mit der vollen Hand auf uns aufmerksam zu machen. Unerwartet schnell stoppte schon das erste Auto und wir versuchten, dem Fahrer erst einmal klar zu machen, was wir denn überhaupt wollten. Da Solène solide Kenntnisse in der Landessprache Farsi besitzt, überließ ich ihr zunächst einmal diesen Part. Nach einigem Hin und Her saßen wir dann aber schlussendlich im Auto einer jungen Familie auf dem Weg gen Süden.

Eine Frau erklärt eine Karte am Auto

Straße aus der Sicht eines Autos heraus

Angekommen in der Wüstenoase Kaschan kamen wir in den direkten Genuss der beeindruckenden Tradition persischer Baukunst. Das historische Bürgerhaus namens „Chane-ye Tabatabayi“ aus dem Jahr 1834 ist als eines der größten Sehenswürdigkeiten Kaschans bekannt. Unzählige traditionelle Wandmalereien, Buntglasfenster und Kuppelelemente zieren das Gebäude und ziehen seit jeher die Besucher in ihren Bann. Beim gemütlichen Schlendern durch die mit Mosaiken geschmückten Innenhöfe fühlte sich alles fast wie eine Art ferner orientalischer Traum an.

Auch die einheimischen Besucher stellten sich als überaus gastfreundlich und hilfsbereit heraus. So bestand eine Gruppe junger iranischer Architekturstudenten darauf, uns während einer kleinen Führung durch die farbreichen Kuppelräume mit ihrem Wissen zu bereichern.

Eine Frau vor Bogentüren

Treppe des Chane-ye-Tabatabayi

Weiter ging es auf der Straße. Es kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die eigentliche Herausforderung nicht darin bestand, Autos zum Anhalten zu bringen, sondern viel mehr darin, zu erklären, was das Reisen per Anhalter denn überhaupt ist. Viele Male wurden wir als verloren gegangene Touristen eingestuft. Die Einheimischen boten daraufhin meist gemäß persischer Gastfreundlichkeit an, uns zum nächstgelegenen Busbahnhof zu chauffieren.

Als beste Variante, diesen Umstand zu vermeiden, stellte sich das einzelne Wort „Salavati“ heraus, das seinen religiösen Hintergrund während der blutigen Zeiten des Iran-Irak-Krieges erlangte. Damals taten die Einheimischen den Soldaten einen Gefallen, indem sie ihnen in Kriegszeiten eine unentgeltliche Mitfahrgelegenheit anboten. Fast immer, wenn wir diese Phrase benutzten, wusste die Gegenseite, was gemeint war und es erübrigte sich, weitere Hände und Füße zur Kommunikation einzusetzen.

Die überwältigende Stadt Isfahan im Herzen des Iran imponierte uns von Beginn an. Die wenigen Tage unseres Aufenthaltes machten wir es uns zur Pflicht, sämtliche historische Monumente abzuklappern. Besonders in den Moscheen wurden wir immer mit offenen Armen empfangen. Am Abend des heiligen Aschura-Festes, dem zehnten Tag des Muharram-Monats, wurden wir nach einem Moscheebesuch unerwartet von Einheimischen zu einer gemütlichen Familienrunde eingeladen.

Eine unglaubliche Erfahrung, wenn man bedenkt, dass es für uns dem gleich kommen würde, vollkommen fremde Leute an Weihnachten mit zu sich nach Hause zu nehmen. Im Innenhof des Hauses erwarteten uns viele neugierige Gesichter und eine wärmende Feuerstelle. Eine gewisse Wärme erfuhren wir auch von den Gastgebern, so eine großartige Gastfreundlichkeit hatte ich noch nie zuvor erlebt. Üppige Berge Essen und positiver Energie überhäuften uns an diesem Abend.

Familienfeier am Aschura Abend

Lachendes Mädchen in der Moschee in Isfahan

Auf der nächsten Etappe sollte es Richtung Shiraz gehen, eine der größten Metropolen des Iran. Von nun an waren wir auch nicht mehr zu zweit unterwegs. Andreas aus Zürich war von nun an unser treuer Begleiter. Zuerst gab es Bedenken, da es nicht wirklich einfach ist, zu dritt per Anhalter zu reisen; nahezu unmöglich in Europa. Wieder einmal wurden wir eines Besseren belehrt, denn dem ist nicht so im Iran.

Als uns der erste Trucker neben der Straße entlang laufen sah, streckte er uns direkt die Hand aus und bot uns eine Fahrt an. Unerwartet unkompliziert verlief der weitere Streckenverlauf, kurzzeitig fühlte es sich viel mehr wie bloßes Umsteigen an. Sobald wir ausstiegen und uns platzieren wollten, standen schon die nächsten zwei Autos neben der Straße. Lange Wartezeiten zwischen den einzelnen Fahrten wurden so zur Seltenheit.

Trucker streckt Hand heraus

Einheimische hilft bei Übersetzung

Umgeben von den Bergen des mächtigen Zagros-Gebirges erstreckt sich die Millionenstadt Schiraz. Sofort fiel uns das überwiegend westliche Denken der Menschen auf. Die Einwohner sind überaus freundlich und offen gegenüber Ausländern. Viele Male wurden wir auf der Straße angesprochen und mit interessierten Fragen über das ferne Deutschland konfrontiert.

Das Highlight der Stadt bildet der „Vakil-basar“. Dieser Basar mit der Gesamtfläche eines Fußballstadions entfaltet seine volle Pracht im historischen Stadtkern. Er gilt als einer der schönsten Basare im Iran und bietet eine bunte Auswahl an Gewürzen, persischer Teppiche und Schmuck. Die für einen persischen Basar typischen engen Gassen wirken wie ein unendliches Labyrinth. Folglich war es zunehmend schwer, in dem Gewirr aus Gängen nicht verloren zu gehen.

persischer Teppichverkäufer auf dem Vakil-Basar in Shiraz

Bunte Auswahl auf dem Basar

Die letzte und längste Etappe sollte uns endlich an den persischen Golf bringen. Das Ziel war Queshm, die größte aller iranischen Inseln. Nach kurzer Zeit hielt auch schon ein Auto für uns an. Wie gewohnt versuchten wir wieder einmal so deutlich wie möglich dem Fahrer klar zu machen, dass wir per Anhalter unterwegs seien. Als wir schließlich im Auto Platz nahmen, erzählte er motiviert, dass er uns die gesamte Strecke bis zu unserem Ziel mitnehmen könne.

Zuerst konnten wir es gar nicht glauben: Nur eine Mitfahrgelegenheit für so eine lange Strecke! Das war zu schön, um wahr zu sein. Leider stellte sich der gedachte Glücksgriff letzten Endes als ein kulturelles Missverständnis heraus. Nach mehrstündiger Fahrt ließ unser Fahrer die Bombe platzen und verlangte Geld von uns. Langsam wurde uns klar, was passiert war: Wir waren in die berüchtigte „Tarof-Falle“ getappt.

Beim Tarof handelt es sich um eine nur im persischen Raum bekannte Form von traditioneller Höflichkeit. Kurz gesagt: Wenn ein Iraner jemanden einlädt, wie zum Beispiel zu einem Restaurantbesuch, heißt dies nicht zwingend, dass es sich wirklich um eine ernst gemeinte Einladung handelt. Er könnte dies auch nur getrieben aus reiner Höflichkeit gemeint haben.

Grundlegend gilt die Regel unter Iranern: Wenn der Einladende nach dreimaliger Ablehnung immer noch auf das Angebot besteht, ist es kein Tarof. Die besondere Kunst liegt darin, den Tarof in alltäglichen Situationen zu erkennen und richtig zu deuten. Nicht nur unwissende Touristen tappen immer wieder in dieses Fettnäpfchen, selbst Einheimische tun sich manchmal schwer, es zu erkennen.

Etwas Positives konnten wir dem Tag dann aber doch noch abgewinnen: Unser Fahrer stellte sich als bestens vernetzter Reiseführer heraus. Er brachte uns zum Camp einer Nomadenfamilie abseits der Straße. Traditionelle Nomadenstämme, wie die Bakhtiari, Kaschgai oder Turkmenen sind im Land noch immer stark verbreitet. Bei einer gemütlichen Teerunde in einem der spartanisch ausgestatteten Zelte tauschten wir eigene Erfahrungen und spannende Geschichten aus. Daraufhin luden die Bewohner uns auf eine kleine Führung in ihrem Hof ein. Die Nomaden zeigten uns voller Stolz ihr weniges Hab und Gut. Trotz des überaus bescheidenen Lebensstils strahlten sie eine lebensfrohe Zufriedenheit aus.

Nomaden Mädchen

Kind im Hafen von Queshm

Etwa 1500 Anhalter-Kilometer hatten wir bis zum Ende der Reise angesammelt. Während der gesamten Zeit wurde besonders eine Sache klar: Der Iran steht momentan am Scheideweg. Der Konflikt zwischen der Bewahrung von Traditionen und der stetigen Öffnung gegenüber der westlichen Welt ist stärker denn je und bestimmt den Alltag vieler Iraner. Dieser Wandel spiegelt sich unter anderem in den Gesichtern der Menschen auf den Straßen der großen Metropolen wieder.

Fasziniert von der enormen Vielseitigkeit verlasse ich den Iran. Über den direkten Kontakt mit den Einheimischen kann ich ausschließlich von positiven Erfahrungen berichten. Unzählige Male kamen wir in den Genuss der einzigartigen Gastfreundlichkeit und Zuvorkommenheit der Iraner. Die vorab geäußerten Bedenken von Familien und Freunden bezüglich der Sicherheit stellten sich meiner Meinung nach als unbegründet heraus.

Portrait von altem bärtigen Mann

Portrait von jungem Mann

Natürlich ist in der gebürtigen Islamischen Republik auch nicht alles Gold, was glänzt. Weltoffene junge Iraner leiden besonders unter den strengen Regeln und Gesetzen des Landes, die sie hinsichtlich ihrer persönlichen Freiheit zweifelsohne einschränken. Den meisten ist es unter anderem nicht so einfach gestattet, die Landesgrenzen zu überschreiten, um auf Reisen zu gehen. Dies brachte mich ins Grübeln und ich begann, unsere oftmals selbstverständlich erscheinenden Freiheiten stärker wertzuschätzen.

Insgesamt kann ich den Iran aber wärmstens als Reiseland empfehlen und warne vor der hauptsächlich im Westen auftretenden „Iran-Phobie“. Wenn Du auf der Suche nach Kultur, Kuriositäten und einzigartiger Gasfreundlichkeit sein solltest, wirst Du im Iran auf jeden fall fündig.

Zudem besitzt das Land zur Zeit noch den gewissen Abenteuer-Touch, da verhältnismäßig wenige Touristen unterwegs sind. Meiner Meinung nach könnte sich aber auch das in naher Zukunft ändern. Die Regierung beginnt, den Tourismus zunehmend als Chance zu sehen. Erst vor kurzer Zeit wurden weitere Reiselockerungen bekannt gegeben. Darunter auch ein unkompliziertes 30-tägiges „Visa on Arrival“ für deutsche Staatsangehörige.

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