25. November 2015 Lesezeit: ~12 Minuten

Smartphone und Berichterstattung?

Irgendwo kriselt es immer, politisch oder sozial, im kleinen oder größeren Maßstab. Journalisten sind schnell zur Stelle, es werden Berichte verfasst, Interviews geführt, Fotografien angefertigt.

Die Zeiten, in denen eine Kamera direkt aufgefallen ist – schlicht aufgrund ihrer Größe, des Stativs, gegebenenfalls wegen der Nutzung eines Magnesiumblitzes – sind längst vorbei. Die Kamera in der Tasche, das Smartphone, ist beinahe immer dabei und zudem kinderleicht zu bedienen.

Somit verwundert es wenig, dass diese mobilen Multifunktionsgeräte von jedermann genutzt werden, auch von Privatpersonen, die eigentlich keine professionellen Fotografen sind, dies auch nicht anstreben, jedoch gern Momente festhalten – was unbestritten ein großer Bestandteil der Fotografie ist, wenn auch nicht der einzige.

Je kleiner die Kamera, desto unauffälliger kann man sie nutzen. Dadurch, dass in wirklich vielen Gebieten der Welt Smartphones zum Alltag gehören, verschmelzen sie so gut mit ihrer Umgebung, dass sie an Unauffälligkeit kaum noch zu übertreffen sind.

Man kann nervös werden, wenn jemand in der Bahn eine Kamera um den Hals trägt, denn er könnte ein Bild von uns machen und es ohne unser Wissen online hochladen. Das Smartphone in den Händen beinahe aller Fahrgäste scheint aber dabei weniger bedrohlich zu sein, obwohl es diverse Menschen gibt, die, sei es zum Spaß, aus künstlerischen oder dokumentarischen Gründen, mittlerweile zum Smartphone greifen, um damit zu fotografieren. Überall und jederzeit.

Sucht man zum Beispiel nach Straßenfotografie, findet man viele Bilder, die stolz betitelt sind mit „taken with my phone“ und deren Ästhetik ebendiese Sprache spricht. Oder aber man schaut nach Büchern oder Artikeln, die darüber sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Tipps und Tricks, die Suchwortkombination „smartphone photography book“ bzw. „guide“ scheint einen großen Markt zu bedienen. Zudem fällt mir dieses Phänomen persönlich auf: Ein Smartphone in der Hand ist völlig normal. Halte ich eine Kamera vor mein Gesicht, um irgendetwas zu fotografieren, und sei es noch so banal, werden die Menschen in meiner Umgebung wachsamer, wenn sie das Gefühl haben, im Fokus zu sein.

Was ist aber nun mit dieser Unmittelbarkeit noch verbunden? Wir fragen vielleicht nicht um Erlaubnis, es kann an Orten fotografiert werden, an denen Kameras nicht auffallen dürfen, es geht so simpel von der Hand, dass auch Dinge fotografiert werden, bei denen man sonst vielleicht Skrupel hätte. Bereits 1978 schrieb die UNESCO in Artikel 1 ihrer Mediendeklaration Folgendes fest:

Die Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung, die Förderung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Rassismus, Apartheid und Kriegshetze erfordern einen freien Austausch und eine umfassendere und ausgewogenere Verbreitung der Information. Hierzu haben die Massenmedien einen wichtigen Beitrag zu leisten. Dieser Beitrag ist umso wirksamer, je mehr die Informationen die verschiedenen Aspekte des behandelten Gegenstandes wiedergeben.1

Also können Smartphones einen wichtigen Dienst leisten, wie jedes Medium – doch natürlich gibt es immer zwei Seiten: Wenn man sich beispielsweise den Instagram-Stream einer beliebigen Person anschaut, tauchen mitunter Katzenbilder und Schnappschüsse von Essen neben historisch relevanten Bildern auf, die beispielsweise eine wichtige Demonstrationssituation zeigen, aktuell vielleicht eher Bilder von Grenzkonflikten, Flüchtlingsmiseren, Streitigkeiten zwischen Polizei oder Militär und Menschen in Not. Um dies selbst zu erforschen, lade ich ein, sich die Bildwelten beispielsweise bei Instragram anzusehen und nach einschlägigen Hashtags zu suchen: #refugees #war #fightzone. Schaut dann auf die gefunden Profile und seht das Nebeneinander der Bilder.

Das Smartphone macht solche Bilder noch schneller, gibt einem zeitgleich aber auch weniger Zeit für die Reflexion. Die schnelle Bearbeitung mit Filtern kann zudem mit wenigen Klicks etwa Blut „blutiger“ machen, eine Situation mit einem Nostalgiefilter vernebeln, der aktuelles Tagesgeschehen aussehen lässt wie eine historische Situation. Die Verwirrung um Echtheit und Aktualität wird somit auf eine neue Spitze getrieben. Und meist folgt direkt nach der Bearbeitung die Veröffentlichung.2

(…) social media increasingly force us to view our present as always a potential documented past (…)3

Vom Moment der Aufnahme selbst bis zum medialen Weiterreichen vergehen also nur wenigen Sekunden, maximal Minuten. Sehr kritisch sehe ich hierbei die entstandene Kommentarkultur. Wenn neben Katzen- oder Babyfotos nur „awesome“ oder „wow“ steht, ist das eine Sache – das darf jeder handhaben, wie er möchte (wobei auch Babys ein Anrecht auf Privatsphäre haben, aber das ist ein anderes Kapitel).

Steht jedoch neben einem Bild, das offensichtlich oder möglicherweise einen getöteten, toten oder schwerverletzten Menschen zeigt, dasselbe und nichts darüber hinaus, mache ich mir Gedanken darüber, wie der Adressat mit dieser Bildinformation umgegangen ist.

Zwei Männer, ein Gewehr

Screenshot eines Bildes vom Instagram-Profil von Phil Moore

Ist es richtig, sich einfach alles, was wir sehen, nur einzuverleiben, womöglich schnell voreilige Schlüsse aufgrund unserer generellen medialen Prägung zu ziehen und dann weiterzuklicken?

Ich vermute, ich lehne mich nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass nur wenige die wirklichen Hintergründe recherchieren, um sich ein umfassenderes Bild der Situation, die das Bild hervorgebracht hat, zu machen, bevor sie kommentieren oder weiterklicken.

Das heißt, den Machern solcher (aller) Bilder obliegt eine Verantwortung. Wobei auch der bewusste und gelernte Umgang des Betrachters wichtig ist. Unabhängig davon, ob man „nur so“ oder aus beruflichen Gründen mit Bildern arbeitet – Stichwort: Medienkompetenz. Hier gilt es, selbst aktiv zu werden oder, was auch wichtig wäre, dass diese Kompetenz schon in der Schulzeit gelehrt wird.

Mit diesem Artikel möchte ich besonders an fotografisch Tätige appellieren, aufmerksam eine Sensibilität an den Tag zu legen, wenn man fotografisch mit einem Smartphone agiert. Das Smartphone ist ein absolut legitimes Mittel zum Fotografieren, jedoch verführerischer, was das „eben mal schnell“ anbelangt.

Es ist zum Beispiel möglich, sich neben der schnellen Bearbeitung noch zwei, drei Minuten mehr zu nehmen und sich und den Betrachtern (sowie den abgebildeten Situationen und Menschen) den Gefallen zu tun, vielleicht einen Link zu einem themenrelevanten Hintergrundartikel mitzuschicken oder zumindest in wenigen Worten die Situation zusammenzufassen, einen Ort, eine Zeit und ein Geschehen als Anfang.

Sucht man beispielsweise unter diversen einschlägigen Stichworten (aktuell: refugees, border, conflict etc.) im Netz nach Bildmaterial von Krisensituation, findet man immer mehr Smartphonebilder, doch sie stehen meist isoliert von jeglichem Kontext. Es gibt schließlich unterschiedliche Grenzen, aus unterschiedlichen Gründen.

Es ist Vorsicht in der Betrachtung, Reflexion, Verbreitung und Einschätzung geboten. Auch nur eine endlose Liste von Hashtags als Beschreibung empfinde ich als mangelhaft, zumal es definitiv um Klicks und Zugriffszahlen geht, wenn dann zwischen #crisis #border #serbia #needfood und so weiter auf einmal #boobs und #sexy auftauchen – wohin führt das längerfristig?

Wie die Bilder technisch entstanden sind und aus welchen Beweggründen sie verbreitet werden, ist mit zu beachten. Wir können im Netz durch gewisse Bilder schnell Likes sammeln – doch ist dies irgendwie positiv in Verbindung zu bringen mit dem, was abgebildet wurde? Ergibt es einen tieferen Sinn?

Ganz ehrlich: Ich persönlich verstehe das Handeln mancher Menschen dann manchmal einfach nicht mehr. Es ist mir zu weit von einer moralischen Menschlichkeit entfernt, um einmal meinen ganz persönlichen Standpunkt klar zu machen.

Schauen wir historisch ein wenig in die Vergangenheit, also in die Zeit vor Smartphone, Internet und hin zur großen Zeit der Printmedien, speziell der Zeitung. Nachdem 1445 Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern (übrigens eine wahnsinnig schöne haptische und sensorische Erfahrung, echten, handgesetzten und gedruckten Text zu lesen und zu spüren!) entwickelt hatte, kam rasch das Medium Zeitung angerollt.

Zuerst herrschten Text und wenige Grafiken in Form von Kupferstichen vor. Um 1883 wurde dann das erste Bild in einer Zeitung abgedruckt. Und danach der Zeitraffer. Wir alle wissen, dass die mediale Entwicklung eine ziemliche Geschwindigkeit aufgebaut hat bis zum heutigen Ist-Zustand.

Doch wie steht es mit unserem Vertrauen in diese Medien? Ich meine, beinahe alle nutzen sie, nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern überall. Digitale Berichterstattung zwingt das gute alte Medium Zeitung im Druckformat beinahe in die Knie. Begriffe wie „Bilderflut“ oder „Datenstrom“ sind in unseren alltäglichen Wortgebrauch wie selbstverständlich eingeflossen.

Doch wie Umfragen zeigen, ist unser Vertrauen doch nach wie vor stärker verhaftet bei den traditionellen Zeitungen. Liegt es am gefestigten Berufsstand, mit Regeln und Vorgesetzten, der sie produziert? Eigentlich ist die Idee, dass jeder Nachrichten (auch über Grenzen hinaus) sammeln und verbreiten kann, ziemlich genial.

Wenn man sich gegenseitig so vertrauen würde, dass man auch Botschaften aus fremden Ländern und Kulturen trauen könnte, wäre man der Politik immer einen Schritt voraus, da man schon untereinander kommuniziert hätte. Aber irgendwie werden die Medien, je schneller sie funktionieren, auch umso konfuser und auch als die Macht eingesetzt, die sie besitzen.

Man kann vor lauter Bildern den Inhalt bald nicht mehr erkennen, wenn man zum Beispiel zur aktuellen Flüchtlingsdebatte Bilder sieht, sei es in Zeitungen, im TV oder auf sozialen Netzwerken. Wer hat das Bild gemacht? Wann ist es wo entstanden? Für wen? Privat oder beruflich als Journalist? Verbreiten Privatpersonen diese Bilder, um eine Meinungstendenz zu unterstützen? Hierzu auch: „Zur Kritik der Medienkritik“.

Oder nehmen wir Videobotschaften von vermeintlichen Hinrichtungen; regelmäßig werden diese als „geprüft und bestätigt“ an die Öffentlichkeit gegeben. Denn es ist selbstverständlich möglich, wie in einem Theaterstück, zu filmen, während geschauspielert wird. Wie fatal wäre es, wenn wir an eine Hinrichtung glauben, die gar keine war?

Informationen sind viel wert, das wissen wir spätestens, seit Daten-CDs mit Adress- und Personendaten verkauft werden und Firmenpapiere verschwinden. Bilder haben die Macht, Menschen zu be- oder entlasten. Sie können Leben beeinflussen und sogar verändern.

Die Problematik mit Bildern besteht darin, dass, obwohl man weiß, dass sie nur einen Ausschnitt zeigen und relativ leicht zu manipulieren sind, man ihnen erst einmal Glauben schenkt. Ob wir wollen oder nicht, selbst mir als Fotografin und Person, die sich viel auch mit theoretisch-wissenschaftlichen Ansätzen und psychologischen Hintergründen der Fotografie auseinandersetzt, passiert das ständig.

Um dem kritisch zu betrachtenden Smartphone-Fotohype etwas Sinnvolles entgegenzusetzen, hier eine kleine Anleitung, die einem im Umgang mit (diesen) Bildern weiterhelfen kann:

  • Was sehe ich?
  • Welche Informationen liefert das Bild ohne Textbeilage?
  • Welche textliche Information wird mitgeliefert?
  • Was für weitere Bilder gibt es von dieser Person zu sehen?

Mittel und Wege

  • Wenn Zeit-/Ortsangaben mitgeliefert wurden: Suchmaschinen können wirklich schnell weitere Hintergrundinformationen liefern.
  • Mich selbst vergewissern, dass ich zumindest vorerst urteilsfrei das Bild betrachte.
  • Das Bild mit den weiteren Informationen verknüpfen und versuchen, Schlüsse zu ziehen.
  • Immer ein wenig skeptisch bleiben und nicht alles für bare Münze nehmen.
  • Übrigens, die meisten Menschen reden gern: Fragen an den Macher sind meistens kein Problem.
  • Menschen darauf hinweisen, dass Informationen zum Bild hilfreich wären. Flächendeckend von vielen angewendet, würde es dazu führen, dass wir ein bisschen besser informiert durchs Netz spazieren könnten.

Fragen über Fragen und nur wenige Antworten. Doch auf jeden Fall ein wichtiges Beschäftigungsfeld für Macher und Betrachter. Es gibt viel viel mehr dazu zu schreiben und zu sagen, dies ist also ein Aufruf zur Auseinandersetzung mit Bildwirkung und Auswirkung, im Speziellen bezogen auf schnelle fotografische Bildwelten, wie die aus dem Smartphone. Mit den Gedanken um menschliche Ethik und Moral im Hinterkopf.

Zu sagen bleibt, dass natürlich nicht jeder von uns einfach nur schnell schaut und weiterklickt. Im Gespräch mit anderen Fotoschaffenden ist mir klar geworden, dass bei heiklen Bildinhalten auch gern persönliche Nachrichten von unbekannten Bildbetrachtern kommen, die eine anregende Gesprächsgrundlage über das gesehene Bild und die Situation, in der es entstanden ist, liefern. Wir sollten uns also nicht nur an den sichtbaren Kommentaren festhalten.

Quellen
1 Europa-Archiv, Folge 7/1979, D 190-192
2 Nathan Jurgenson, The Faux-Vintage Photo, 14. Mai 2011
3 vergl. Ebd, Faux-Vintage Afghanistan and the Nostalgia for War

Titelbild: Bildmontage aus einem Foto von Tabea Borchardt und einem Stockfoto.