11. November 2015 Lesezeit: ~12 Minuten

Ein Roadtrip durch Skandinavien

Der Tag danach. Post-Urlaubsdepression. Es sind die kleinen Dinge, an denen man merkt, dass man wieder Zuhause ist. Zu viele Menschen. Autolärm. Ein Handtuch nach dem Händewaschen. Händewaschen überhaupt. Oh, und natürlich die vier Wände um einen herum. Wir waren doch nur zwei Wochen weg.

Es ist beeindruckend, wie schnell man sich an ein Leben gewöhnt, das ohne die ganzen Annehmlichkeiten, die wir sonst als selbstverständlich ansehen, auskommt. Man stellt fest, wie wenig man eigentlich wirklich braucht.

Das Nackenkissen, das man vor dem Start noch verzweifelt gesucht hat: Unnötiger Luxus. Der Wollpullover, der nicht warmhält, aber dafür gut aussieht: Platzverschwendung. Das Ersatzhandtuch: Ich kann mich nur an drei Momente erinnern, in denen ich überhaupt ein Handtuch gebraucht habe.

Die Gummistiefel, denn man könnte ja nasse Füße bekommen: Die hatte ich dann auch. Die Gummistiefel lagen dennoch unangetastet im Auto… und das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Dinge, die mein Gepäck unnötig schwerer gemacht haben.

Eine Landschaft im Rückspiegel

Ein Kanu mit Gepäck am Ufer.

Wir spulen zurück. Tag 1. Nach einer zwanzigstündigen Autofahrt erreichen wir mitten in der Nacht Hällefors in Schweden. Von hier aus starten wir am nächsten Tag gegen Nachmittag unsere Kanutour. Sico, unser Guide, erklärt uns noch, dass der grüne Schimmer, den wir in der Nacht zuvor am Himmel gesehen haben, tatsächlich ganz schwache Nordlichter waren. Leider die einzigen auf dieser Reise.

Er bringt uns zu unserem Startpunkt, etwa 50 km nördlich von Hällefors. Von hier an sind wir drei mit unserem Kanadier und dem Kajak auf uns allein gestellt. Die Tour, die wir gewählt haben, ist auf drei Tage ausgelegt. Wir nehmen uns fünf dafür.

Eine Insel im Wasser

Ein Lagerfeuer im Wald.

Bereits kurz nach dem Start finden wir unseren ersten Übernachtungsplatz: Eine süße Insel, kleiner als mein Wohnzimmer. Wir schlagen unser Zelt auf, entfachen das erste Lagerfeuer und genießen die erste Mahlzeit in der Wildnis. Nach einem Bad im eiskalten Flusswasser geht es am nächsten Mittag weiter.

Wir paddeln den ganzen Nachmittag, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit unsere erste Umtragungsstelle erreichen und an einem Lagerplatz am Staudamm unser Nachtlager aufschlagen. Und auch wenn uns der Lagerplatz schon fast zu zivilisiert erscheint (Nähe zum Staudamm, mehrere Lagerfeuerstellen, sogar ein Plumpsklo), erweist sich die überdachte Essensstelle am nächsten Morgen als wahrer Segen, denn es regnet. In Strömen.

Eine Person an einem Kanu am Ufer bei Regen

Eine Flusslandschaft bei Regen

Also warten wir. Als der Regen endlich nachlässt, packen wir eilig zusammen und paddeln weiter, nur um 15 Minuten später festzustellen, dass der Regen noch stärker zurückkehrt. Aber wenn man eh schon nass ist, kann man auch weiter paddeln. Also kämpfen wir uns durch den Regen und einen See nach dem anderen, den ganzen Nachmittag lang. Bis wir gegen Abend komplett durchnässt und frierend einen Sandstrand erreichen.

Hier werden wir heute übernachten. Zur Abwechslung verziehen sich sogar die Regenwolken und der malerische Sonnenuntergang über dem See macht einiges wieder wett. Dennoch, ein Lagerfeuer zu entfachen wird mit nassem Holz zur Herausforderung und auch, als es endlich brennt, können wir es nur zum Teil genießen, denn es gilt, unsere Kleidung zu trocknen.

Auch die beiden Hechte, die Dennis gefangen hat, schmecken zubereitet nur halb so gut, wie in unserer Vorstellung. Ein Blick aufs Handy und wir stellen fest, dass Sico uns morgens eine SMS geschrieben hat. Eine Regenwarnung. Have a good time. Zeit, schlafen zu gehen.

Zwei Hechte werden ausgenommen.

Bäume spiegeln sich im Wasser.

Die Entscheidung am nächsten Morgen ist eine schwierige: Ruhetag oder doch weiterfahren? Unsere Kleidung tropft immerhin nicht mehr, aber trocken ist etwas anderes. Als uns schließlich langweilig wird, machen wir uns doch auf den Weg. Es folgt ein sintflutartiger Regen. Warum auch nicht?

Immerhin ist der Flusslauf hier enger und mehr Strömung bedeutet, dass man auch schneller vorankommt. Unser Nachtlager wird dieses Mal ein Holzshelter. Eine der letzten Lagerstellen, die zu dieser Jahreszeit noch mit Feuerholz versorgt werden. Wir trocknen die restlichen Klamotten über dem Feuer und gehen glücklich schlafen.

Am nächsten Tag ist uns das Wetter freundlicher gesinnt. Für wenige Minuten zeigt sich sogar die Sonne und wir schaffen 14,5 Kilometer. Ein Rekord für uns. Die Jungs sind so motiviert, dass wir bis nach Einbruch der Dunkelheit paddeln, was die Suche nach einem Übernachtungsplatz erschwert.

Schließlich schlagen wir unser Tarp auf einer Insel auf. Ein Holzschild verrät, dass sie sogar einen Namen hat: Cone Island. Die Stimmung ist etwas gedrückt, weil wir wissen, dass wir morgen unseren Endpunkt erreichen. Die letzte Nacht im Freien, die letzten Stunden ohne andere Menschen und Zivilisation.

Zwei Männer sägen Holz

Eine Flusslandschaft im Dämmerlicht.

Der letzte Tag startet grau und nebelig, aber zur Abwechslung trocken. Nachdem wir einige Kilometer hinter uns gebracht haben, mache ich den Fehler und kommentiere unser Glück mit dem heutigen Wetter. Schwerer Fehler. Auf den letzten zwei Kilometern kämpfen wir gegen Regen und Gegenwind an. Meine Hände sind eiskalt und es fühlt sich an, als würden wir keinen Zentimeter vorankommen.

Völlig durchnässt kommen wir wieder in Hällefors an und stehen schließlich tropfend vor Sico, der auf sein unsicheres „Und? Wie wars?“ sicher eine weniger begeisterte Antwort erwartet hätte. Am liebsten hätten wir sofort weitergepaddelt.

Ein Kanufahrer im Regen

Nasse Zweige

Bevor wir wieder aufbrechen, gönnen wir uns noch eine Nacht im dazugehörigen Hostel. Die erste Dusche seit einer Woche – großartig.

Es dauert einen halben Tag, bis wir am nächsten Tag unsere Sachen umgepackt haben und startklar sind. Ziel: Norwegen. Auf dem Weg einige Zwischenhalte, um Filme zu kaufen. Erfolglos. In der ersten Woche habe ich täglich eine Rolle fotografiert. Wenn ich in dem Tempo weiter fotografiere, habe ich noch Filme für 4 Tage. Aber wo man in Deutschland in jedem Drogeriemarkt 35-mm-Filme kaufen kann, sucht man in Schweden und Norwegen vergebens. Ich muss mich also zusammenreißen.

Eine Flusslandschfat in der Dämmerung.

Eine Landschaft in der Dämmerung

Wir fahren zunächst nach Oslo. Die Jungs wollen das Nachtleben der Hauptstadt erkunden. Was dazu führt, dass wir am nächsten Tag erst gegen Nachmittag weiterfahren und unser erstes Ziel, Odda, mitten in der Nacht erreichen. Im Dunkeln suchen wir uns einen Schlafplatz und wachen am nächsten Morgen neben einem reißenden Gletscherbach auf, mit Aussicht auf den Folgefonna-Gletscher. Zwanzig Meter von einem wunderschönen Zeltplatz entfernt.

Odda ist eine Kleinstadt, die an einem Seitenarm des Hardangerfjords, einer der längsten und tiefsten Fjorde der norwegischen Küste, gelegen ist. Aufgrund der Industrie in der Gegend gilt Odda nicht als das Touristenziel in Norwegen, eine Attraktion zieht dann aber doch einige Wanderer dorthin: Die Trolltunga, eine Felszunge, die die meisten von Fotos aus dem Internet kennen werden.

Ein Auto mit Plane als Unterschlupf

Ein Blick auf ein Tal

Normalerweise beginnt man die Wanderung morgens und bringt sie an einem Tag hinter sich. Wir starten nachmittags. Vor uns liegen 11 Kilometer pro Strecke und ein Höhenunterschied von 800 Metern. Nach den ersten fünf Kilometern (auf denen man fast den gesamten Höhenunterschied hinter sich bringt, bei einer Steigung von bis zu 23 %) schlagen wir unser Zelt auf.

Kurze Zeit später treffen wir auf zwei Belgier, David und Youri. Ziemlich schnell wird klar, dass uns neben der Vorliebe für Outdoor-Aktivitäten auch der schwarze Humor verbindet. Die Jungs schlagen ihr Zelt neben unserem auf und am nächsten Morgen starten wir gemeinsam vor Sonnenaufgang, um die letzten sechs Kilometer hinter uns zu bringen.

Zwei Wanderer vor einer Landschaft

Drei Menschen liegen auf einer Felszunge über einem Tal.

An der Trolltunga angekommen, treffen wir ein paar weitere Wanderer, die ebenfalls auf dem Berg übernachtet haben. Sie teilen unseren Humor nicht und ziemlich schnell haben wir die Klippe für uns allein. Zum Vergleich: Nachmittags befinden sich meist um die 30 Personen gleichzeitig auf der Klippe.

Wir frühstücken und ich frage mich, warum ich unbedingt hier rauf wollte, denn ich leide an Höhenangst und vom Felsvorsprung aus geht es ein paar Hundert Meter im freien Fall nach unten. Als schließlich immer mehr Wanderer die Klippe erreichen, machen wir uns auf den Rückweg.

Zwei Wanderer auf einem Berg

Eine Straße führt in den Nebel.

Wieder im Tal angekommen, stellt sich uns die Frage, wie es weiter geht. Die Idee, nach der Kanutour einen Abstecher nach Norwegen zu machen, war eine spontane und dementsprechend wenig sind wir vorbereitet. Wir schließen uns David und Youri an, die am nächsten Tag eine Gletscherwanderung auf dem Jostedalsbreen-Gletscher gebucht haben. Wir machen uns also noch am selben Tag auf den Weg nach Norden. Auf dem Weg nehmen wir uns ein Hostelzimmer und treffen morgens am Breheim Center ein, von der wir um 11 Uhr unsere Tour starten.

Um zum Gletscher zu gelangen, müssen wir sechs Kilometer mit dem Kajak hinter uns bringen. Während die Jungs sich abmühen, teile ich mir ein Kajak mit unserem Guide Carlos. Er ist allein noch schneller als die Jungs als Zweierteams. Trotzdem versuche ich, wenigstens alibimäßig mitzupaddeln. Da wir die Tour außerhalb der Saison gebucht haben, sind wir nur in unserer Gruppe unterwegs.

Eine Berglandschaft im Nebel.

Zwei Kajaks auf einem Fluss.

Fremde hätten sich bei unserem Humor wohl freiwillig im Gletschersee ertränkt. Carlos scheint dies aber nicht zu stören. Im Gegenteil: Er erzählt die eine oder andere lustige Anekdote aus seinen Erfahrungen als Gletscher-Tourguide und lädt uns schließlich nach Patagonien ein. Denn wenn in Norwegen aufgrund des Winters keine Touren stattfinden, bietet er dort unten geführte Segel- und Gletschertouren an.

Am Gletscher angekommen, tauschen wir unsere Rettungswesten gegen Steigeisen und beginnen unsere 2,5-stündige Wanderung auf einem Seitenarm des Jostedalsbreen. Die bodenlosen, blau schimmernden Gletscherspalten sind ein Anblick, den man so schnell nicht vergessen wird. Das Gefühl, auf Eis zu stehen, das 2500 Jahre alt ist, ebenso wenig.

Vier Menschen auf einem Gletscher

Gletscherereis

Wir machen eine Pause auf dem Gletscher und genießen einen warmen Kakao bei ca. 3 °C Lufttemperatur. Unsere Gruppe sehnt sich seit der Trolltunga nach einem Burger und Carlos empfiehlt uns ein Hotelrestaurant in der Nähe. Schließlich machen wir uns auf den Rückweg und viel zu schnell sind wir wieder am Fuße des Gletschers und dann am Festland. Ich wechsle den Film in meiner Kamera und beginne die letzte Filmrolle, die ich dabei habe.

Carlos verabschiedet sich und wir fahren zu fünft zum Restaurant, das er uns empfohlen hat. Er hatte Recht: Der Charolais-Burger mit Blaukäse ist der beste, den wir bis dahin auf unserem Trip gegessen haben. Wir suchen uns einen Schlafplatz nördlich vom Breheim Center und schlagen dort unsere Zelte auf. Trotz Schlafmangel und Regen stehen wir noch zwei Stunden vor den Zelten und reden über Gott und die Welt.

Eine Kochstelle in der Natur.

Blaubeeren in Händen

Der nächste Tag beginnt mit einem Lagerfeuer und dem besten Outdoor-Frühstück unserer Reise: Rührei, Speck und Würstchen. Anschließend ist es Zeit, sich zu verabschieden, David und Youri machen sich auf den Weg nach Oslo. Wir bleiben noch ein wenig, machen ein paar Fotos, Artur badet im anliegenden Gletscherbach und wir planen unsere Rückfahrt, 1.500 Kilometer. Gegen Nachmittag machen wir uns dann auf den Weg und fahren bis in die Nacht hinein.

Die letzten zwei Tage verbringen wir überwiegend im Auto. Nach einer Nacht zwischen zwei Kuhweiden und einer Odyssee mit leerem Tank durch Niemandsland – wir haben Essen für drei Wochen, Wasser für einen halben Tag und Sprit für 20 Kilometer – erreichen wir Oslo und schließlich Göteburg. Zwei Tage vor Ende der Reise finde ich endlich ein Geschäft, das 35-mm-Filme verkauft.

Eine Nebellandschaft

Sonne über einer Brücke

Wir besichtigen die Scheren vor Göteburg (oder zumindest einen winzig kleinen Teil davon) und verbringen unsere letzte Nacht in einem Holzshelter an der dänischen Ostseeküste in Gesellschaft eines Katers, den wir Meister Quitte taufen.

Für uns endet die Reise in Tarp, kurz hinter der deutschen Grenze. Im selben Imbiss wie auf der Hinfahrt genießen wir unseren letzten Burger als Abschluss unseres Urlaubs. Nach zwei Wochen sind wir wieder hier gelandet. Ungeduscht, zerkratzt, aber um eine neue Liebe reicher: Skandinavien. See you soon!

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