16. Oktober 2015 Lesezeit: ~3 Minuten

Verwelkte Blumen

Der Schatten eines Nachmittags schneidet sich seine Diagonale vom Gelb der Fassade ab. Im Flur wächst eine Silhouette auf dem Hall von Schritten. Der Kneipier grüßt mich, als sein Kopf aus der verdunkelten Diagonale erscheint. Ich nicke zurück.

In meinem Augenwinkel öffnet sich das Maul einer schwarzen Tonne, als mich eine Vorahnung beschleicht und sich etwas in meinem Mund formt, das die Hände des Kneipiers umgreift und sinken lässt. Was ich damit machen möchte, fragt der Kneipier. Fotos, antworte ich. Auf Film, Mittelformat, ergänze ich, wie um seine Verwunderung zu desillusionieren, mit Genauerem.

Nun stehen sie da, in meiner Wohnung, mit einem Stück fliehenden Himmel im Fenster, neben anderen floralen Zeitzeugen, deren Zeit ich verlängere, bis der richtige Film geladen ist. Nein, sie sind kein Unrat, noch nicht. Einmal noch werde ich sie für immer festhalten, mit dem mechanischen Auge – meinem dritten, das den Unterschied zwischen Suchen und Finden begriffen hat.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Beruhigend, sie anzuschauen. Ein matter Odem aus Mysterium und Staub umflort ihre ausgeblichenen Farben, ihre welkenden Konturen. Es ist ein tief in uns verwurzeltes Bedürfnis, unsere künstlichen Räume mit etwas Natürlichem zu beleben.

Ist es die Erinnerung an uns? Der Beweis, dass wir trotz unserer Synthetik noch immer erdverbunden sind? Sie begleiten uns für wenige Tage. Möchten wir uns überlegen wissen, da wir sie gewiss überleben werden? Da wir ihr „Schicksal“ in unseren Händen halten?

Ein Blumenstrauß am verwelken.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Der Durst nach einem ausgeschmückten Leben hat sie austrocknen lassen; betrogen, denn unsere Blicke haben nicht mehr zurückgegeben als das Unterpfand einer Stimmung für jene Stunden, in denen wir uns neu erfanden: So trage ihn hinaus, den Strauß Versprechen, die fragil geworden sind wie die Blütenblätter.

Das Bouquet Glückwunsch, der mit jedem Erlebnis nur zu einem noch tieferen Sediment der Erinnerung sich zersetzt. Das im Duft der Blume eingekapselte Kompliment, das vom Atem großstädtischer Zeitlosigkeit inhaliert wird. Trage den Blumenstrauß hinaus, nachdem die Gäste in einen grauenden Morgen gegangen sind. Stelle einen neuen hin, für das, was kommt, zwischen gefüllte Gläser, rauchende Aschenbecher und verschwitzte Beteuerungen auf Kredit.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Ein verwelkter Blumenstrauß.

Blumen sind aufrichtig, wenn man sie lässt, wie sie sind. Sie verenden, wenn ihr Umfeld zur Heuchelei geworden ist. Der Mensch ist, sich selbst gegenüber, oft anderer Ansicht. Diese meine Blumen schweigen, sie verbergen ihre Geschichte. Und ich habe Zeit – Zeit, die die Blumen hatten. Sie sind nicht mehr, weil sie nicht mehr blühen.

Und ich drehe sie und die Perspektiven lassen sie größer wirken als sie je waren. Und ich halte sie fest, mit dem dritten Auge, wenn sie lange schon ihre Anmut verloren haben, wenn sich Menschen nicht mehr an sie erinnern – um sie nicht vergessen zu machen.

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