12. Oktober 2015 Lesezeit: ~5 Minuten

Nackt – Fotografien von Antje Kröger

Ich war gut vorbereitet. In der Tasche Ausdrucke mit Informationen über Antje Krögers Arbeiten sowie das Diktiergerät – vorher noch einmal auf Herz und Nieren überprüft. In meinem Kopf diverse Bilder. Dicke und dünne Körper, nackt vor entblößten Wänden. Spiegelbilder, zurückgeworfen. Menschen, alt und jung.

Wir wollten uns in der Ankerklause treffen. Ein schöner Ort: Dunkles Holz, bierselige Laune, typisch Berlin mit Blick auf den Kanal. Aber die Terrasse war mir sichtlich zu voll. Zehn Minuten vor dem Treffen bat ich um einen anderen Ort. Wir trafen uns dann eine Brücke weiter. Da stand sie, wartend, mit dem Telefon am Ohr. Wir kannten uns nicht und doch war da gleich eine Umarmung, Lächeln und Zugeständnisse an den Ort, den wir aufsuchen wollten.

Eine Frau, nackt, barbusig, vor einer Wand.

Wir saßen draußen unter alten Kastanien, die Tische und Bänke aus altem Holz, über das man gern mit der Hand fährt, während man dem anderen an den Lippen hängt. Ein Alsterwasser vor uns, um die Stimme in Fahrt zu bringen. Der Gedanke an das Diktiergerät leuchtete auf, blinkte wie wild in meinem Kopf; wenn nicht jetzt, wann dann? Aber ich schob es beiseite, es fühlte sich plötzlich falsch an.

Antje Kröger ist ein direkter Mensch. Sie nimmt sprichwörtlich kein Blatt vor dem Mund. Wir waren direkt drin – in ihren Geschichten, Bildern, Gefühlen. Sie hat ihre eigene Sprache gefunden, sie ahmt niemanden nach, spricht niemandem nach dem Mund, sie eckt an, fordert heraus, fragt nach und sie erzählt auch gern von sich. Das mag sie, das merkt man und das ist auch gut.

Eine Frau, nackt, dünn, vor einer Wand stehend.

Ihre Bilder sind sie, aus sich selbst heraus, ihrem Kopf in die Welt hinein. Sie sind nicht gefällig, sie wollen erst recht keine platte Attitüde sein. Es werden Grenzen überschritten, mit dem Menschen auf den Bildern und auch mit ihr als Fotografin. Ich frage, wie lange solch eine Session dauert. „Eine halbe Stunde.“ ̵̶̵ „Mehr nicht?“ – „Nein.“

Doch vorher gibt es immer Gespräche und die können drei, aber auch sechs Stunden dauern. Zeit ist das, was sie gibt. Zeit, um mehr über den Menschen zu erfahren, den sie da portraitiert, den sie auch mit in ihre Welt nimmt und dessen Welt sie kennenlernen möchte. Da geht es dann auch ans Eingemachte, um Sehnsüchte in ihrer Gänze. Man könnte auch sagen, es ist eine Bestandsaufnahme.

Aber auch mit anderen Künstlern kollaboriert sie: Musiker, Maler, Schauspieler, Regisseure und Choreografen. Sie mag die Gespräche, den Austausch: Kommunikation und gegenseitiger Respekt sind der fotografische Schlüssel, so sagt sie.

Zwei Frau, zwei Extreme.

Eine Wand, Handabdrücke und eine Frau.

Aber wir reden auch über ihre Vergangenheit. Aufgewachsen im Osten, als es noch eine Mauer gab und die Menschen auf beiden Seiten mit unterschiedlichen Werten aufwuchsen, hineingeboren in eine Familie mit starken Frauen. Ein blondes Lockenköpfchen war sie: Hübsch, nett anzuschauen und so ein typischer Sonnenschein.

Aber das wollte sie nicht sein. Autonomie, das liest man von ihren Lippen ab, ist ihr höchstes Gut. Und Äußerlichkeit, die wandelte sie um. Sie will Reaktionen hervorrufen, nicht immer nur gute. Der Mensch, der ist ihre Obsession.

Eine Mutter und ihr Kind.

Das Bestreben nach Autonomie gipfelt in ihrer Selbstständigkeit. Darin, mit ihrer ganz eigenen Sprache Geld zu verdienen. Sie gibt Workshops in kreativer Fotografie für kleinere Gruppen, vermittelt das Handwerk, lehrt das Sehen.

Die Workshops ermöglichen es ihr, ihrer Sache treu zu bleiben, ihren Weg zu gehen und nicht für andere ein ausführendes Organ zu sein. Natürlich gab es auch schlechte Zeiten, in der sie Angst um ihre Existenz hatte. Sie spricht dann von ihren Freunden, die auch ihre Familie sind und die für sie da sind.

Eine Person versteckt sich hinter einem Busch.

Wir reden über zwei Stunden lang. Die Menschen an den Nebentischen haben schon ihr Bier ausgetrunken, die Sonne geht gerade unter und erleuchtet ihr Gesicht. Sie blinzelt, kann mich kaum wahrnehmen und ich lächle beim Gedanken an das wärmende Gefühl dieses Herbstabends.

Ich habe mir keinerlei Notizen gemacht. Es ist ein gutes Gefühl, das Gespräch in meinem Kopf zu wissen, ohne am Ende des Tages verzerrte Stimmen aus einem Diktiergerät zu entwirren.

Du solltest Dir unbedingt Antjes Webseite anschauen. Dort kannst du die Vielfalt ihrer Arbeiten sehen, in Bildergeschichten eintauchen oder auch Dir den Mund mit Foodfotografie wässrig machen lassen.

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