08. Juli 2015 Lesezeit: ~6 Minuten

Rezension: Anders Petersen – Monographie

Als ich im März mal etwas länger auf den Straßen Münchens unterwegs war, verschlug es mich auch in den Showroom des Verlags Schirmer/Mosel. Für den Liebhaber der gehobenen Fotobuchkunst ist so ein Showroom schon ein Eldorado, doch an dem Tag war ich mehr auf der Suche nach eigenen Bildern. Dennoch fiel mir dort das Buch eines mir bis dato noch nicht bekannten Fotografen auf: Die Monographie von Anders Petersen. Schon beim kurzen Durchblättern fand ich großen Gefallen an den wilden Bildern, die dort seitenfüllend zu finden waren.

Anders Petersen ist ein schwedischer Fotograf, der sich seit den späten 60er Jahren in erster Linie mit Sozialreportagen befasst. Bekannt wurde er durch das 1978 erschienene Buch „Café Lehmitz“. Das Buch war eines der wichtigsten Fotobücher seiner Zeit, und es ist kein Zufall, dass Tom Waits ein Foto aus dem Buch für sein Album „Rain Dogs“* verwendete.

© Anders Petersen - Monografie

Anders Petersen nur auf das Café Lehmitz reduzieren zu wollen, wäre ein Fehler, auch wenn das Projekt typisch für sein Vorgehen ist. Er sucht nicht den schnellen Erfolg, sondern lässt sich für seine Vorhaben Zeit. Beim Café Lehmitz fotografierte er mit Unterbrechungen fast zwei Jahre lang und wurde so zu einer für die anderen Gäste ganz vertrauten Person. Als er das Leben in einem Gefängnis fotografisch dokumentierte, begleitete er die Insassen über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Langsamkeit zahlt sich aus. Petersen kommt seinen Subjekten näher und genau das will er auch, weil für ihn der Mensch wichtiger ist als die Fotografie.

Der Modus operandi schlägt sich auch in der Bildsprache nieder: Schwarzweiß allesamt, sind die Bilder grobkörnig, kontrastreich, dynamisch. Man spürt, wie nahe der Fotograf den Fotografierten ist. Es ist eine Nähe, die bis ins Intimste geht. Ausgeklügelte Kompositionen oder geplant wirkende Bilder findet man nicht, es sind intensive Momente, die auf mich teilweise beklemmend wirken, weil ich mich unwillkürlich frage, in welcher Verfassung Petersen war, als er die Aufnahmen machte. Und wie sehr er sich auf seine Motive eingelassen hat, bis sie es zuließen, fotografiert zu werden. Es ist eine Art der Fotografie, die schon fast distanzlos zu nennen ist, ohne dass sie zu aufdringlich wirkt.

© Anders Petersen - Monografie

Da er sich häufig mit Randfiguren der Gesellschaft befasst, mit sozialen Absteigern, Kriminellen, durch Krankheit stigmatisierten Menschen, liegt der Vergleich mit anderen Vertretern dieses Genres nahe. Diane Arbus kommt hier genauso in den Sinn wie die kürzlich verstorbene Mary Ellen Mark. Bei gleicher Themenwahl, beispielsweise Menschen in der psychiatrischen Klinik, stellt man schnell fest, dass Petersen mehr mit Mary Ellen Mark als mit Diane Arbus gemein hat.

Er stellt Menschen nicht zur Schau, er empfindet sehr viel Empathie für sie. Und er zeigt die Menschen in ihrer Normalität, er streicht die Gemeinsamkeiten mit uns heraus, nicht die Unterschiede, zeigt gerade bei den Menschen in der Psychiatrie, dass es sich um keine „Freaks“ handelt, sondern um Menschen, die einfach nur krank sind, nicht mehr, nicht weniger.

© Anders Petersen - Monografie

In einem sehr klugen Interview, das mit Petersen in Riga geführt wurde, äußert er sich auch über sein Equipment. Bis heute fotografiert er analog, mit einer kompakten Contax-Kamera, von der er immer insgesamt drei gleiche Modelle mit sich führt, zwei als Reserve. Er nutzt wohl primär Kodak Tri-X-Filme*, die er im eigenen Labor entwickelt.

Neben dem Umstand, dass er in seinem Alter nicht mehr auf digitale Kameras umsteigen möchte, erreicht er mit der kleinen Kamera vor allem, dass er nicht wie ein professioneller Fotograf wirkt, er selbst sieht sich folgerichtig auch eher als Amateur. Als professionellen Amateur, der mit seiner Liebe zur Fotografie seinen Lebensunterhalt bestreitet.

Die vorliegende Monografie erschien ursprünglich 2013 begleitend zu einer Ausstellung in der französischen Nationalbibliothek in Paris. Die Retrospektive machte danach noch bis Ende Juni 2015 im Münchner Stadtmuseum Station. Das umfangreiche Buch besteht aus einem Bildteil, der übergangslos die wichtigsten Bilder seiner Karriere bis zum Jahr 2012 aneinanderreiht und einem Textteil, der, nach einer Bildübersicht mit Bildnachweisen, mehr über Petersens Leben und Arbeiten verrät.

© Anders Petersen - Monografie

Als Einstieg in das umfangreiche Werk Anders Petersens ist diese Monografie wunderbar geeignet. Dafür sind nicht nur die Bilder verantwortlich, sondern auch der spannend zu lesende Text von Hasse Persson. Was mich persönlich gestört hat, war die Reihenfolge der Bilder. Aus dramaturgischen Gründen mag es sinnvoll erscheinen, die Bilder des Café Lehmitz ans Ende zu stellen, quasi als krönenden Abschluss. Gerade unter dem Aspekt der Retrospektive hätte mich ein chronologischer Ansatz jedoch glücklicher gemacht. Die Freude am Buch kann das jedoch nur unwesentlich trüben.

An vielen Stellen erinnern mich die Bilder, die oftmals Objekte in ungewohnter Position oder Vergrößerung zeigen, an die Fotografien von Nobuyoshi Araki. Die Herangehensweise der beiden Fotografen könnte unterschiedlicher nicht sein, doch die schon fast grobschlächtige, wuchtige Bildsprache eint sie wieder.

Für andere schon längst bekannt und vertraut, ist Anders Petersen meine persönliche Neuentdeckung des Jahres und seine Art, zu fotografieren, berührt mich. Seine Bilder machen mir sehr eindringlich klar, dass gute Fotografie ganz wenig mit Technik und ganz viel mit der Bereitschaft zu tun hat, sich seinen Motiven, gleich welcher Art, mit vollem Einsatz zu stellen und unvoreingenommen und neugierig zu bleiben.

Informationen zum Buch

„Monographie“ von Anders Petersen*
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Seiten: 400
Maße: 22,8 x 4,3 x 30,4 cm
Verlag: Schirmer/Mosel
Preis: 49,80 €

Ähnliche Artikel