Ein älteres Gebäude vor Sternenhimmel.
06. Juli 2015 Lesezeit: ~6 Minuten

Australien: Minimal und reduziert

Einzigartigkeit. Freiheit. Danach streben viele mit mehr oder weniger Erfolg.
 So auch ich. Für vier Jahre lebte und arbeitete ich in Düsseldorf. Eine Stadt, die mir mit ihrer konservativen Oberflächlichkeit vieles verwehrte. Ebenso wie die Branche, in der ich arbeitete.

Man sollte landläufig meinen, die Werbebranche gäbe einem den Freiraum, sich kreativ auszuleben. Doch leider ist dies heutzutage nur noch eine romantische Verklärung der Tatsachen. Die Konsequenz: Nichts wie weg! Raus hier! Ein Neuanfang muss her.


Den Job gekündigt, den Haushalt aufgelöst, Abschiedsparty geschmissen und nun bin ich hier. In Australien. Das Land, das mich seit meinem ersten Besuch vor sechs Jahren nie wieder ganz losließ. 
Weite Horizonte, unwirkliche Landschaften, das alles lässt nicht nur mein Fotografenherz höher schlagen.

Fotografie ist mein Hobby. Mehr nicht und das soll auch so bleiben. Insbesondere Landschaften reizen mich. Meine Leidenschaft und gleichzeitig mein Fluch. Landschaften gibt es überall und überall werden sie gleichermaßen dargestellt.

Hier ein Sonnenstern, eine paar hübsche Pflanzen im Vordergrund, dramatische Bergzüge – und das alles bitte mit perfekt abgestimmten Mikrokontrasten, Focus stacking und wundervollen Farben. Daran ist grundsätzlich nichts falsch und ich habe lange versucht, mich daran zu orientieren und auch, davon zu lernen.

Ein Adler vor dunklem Himmel

Die Frustration war mein stetiger Begleiter auf diesem Weg. Irgendetwas passt da einfach nicht. Meine Bilder sehen unwirklich aus, zu gewollt und nicht im Ansatz das reflektierend, was ich emotional von meinen eigenen Fotografien erwarte.

Das lässt schon einmal den einen oder anderen Zweifel aufkommen, wenn man täglich mit Beispielen zugeschüttet wird, wie ein Bild denn Bitteschön auszusehen hat, damit es möglichst viele Leute mögen. 
Falscher Ansatz! Ein Neuanfang muss her. Schon wieder. Nun gut…

Glücklicherweise bin ich ja in Australien. Alles anders, alles neu. Nirgendwo findet man mehr Einzigartigkeit und Freiheit als im australischen Outback. So die Theorie. Schon immer hatten die Wüsten dieser Welt eine magische Anziehungskraft auf mich.

Die allumfassende Ruhe, ein Blick, der ins nahezu Unendliche schweift und das Gefühl, sehr, sehr klein zu sein im Kontrast zu dieser augenscheinlich lebensfeindlichen Landmasse, die sich vor einem ausbreitet. Dazu addieren sich dann zeitweise noch die exzentrischen menschlichen Individuen, die man in so einer Umgebung antrifft. 
Also gut.

Alte Autokarosserie vor Sternenhimmel.

Silverton, New South Wales, 35 permanente Einwohner. Hier wurden „Mad Max“ und „Priscilla – Queen of the Desert“ gedreht. Ein Ort, an dem sich einige Künstler, insbesondere Maler niederließen, um des speziellen Lichtes wegen, so schreibt mein Reiseführer. In dem Fall sollte für den ambitionierten Fotografen ja vermutlich auch etwas dabei sein.

Die ersten zwei Tage über finde ich mich in meinem alten, gewohnten Trott wieder. Sonnenuntergang hier, Sonnenaufgang da, Belichtungsreihen, die Milchstraße (die hier tatsächlich in vollendeter Form mit bloßem Auge zu sehen ist) vor irgendeinem Vordergrund.

Lightroom geöffnet, Bilder importiert, los geht’s – und da ist sie wieder: Die alte Frustration. Farben, Mikrokontraste, die ganze Welt des So-muss-das-sein prasselt wieder ungefiltert auf mich ein: alles Quatsch. Nicht im Ansatz das, was ich in meinen eigenen Fotos sehen möchte. Ein Neuanfang muss her.

Am nächsten Tag gehe ich los, bei knallhartem Mittagslicht, mit 34 °C Grad im Schatten. Sofern man selbigen findet. Mein klassisches 18-35-mm-Landschaftsobjektiv lasse ich absichtlich im Hotel, nur die 50-mm-Festbrennweite nehme ich mit. Ich muss reduzieren.

Schatten eines Mannes mit Hut.

Irgendwie möchte ich dem Wesentlichen meiner Umgebung auf den Grund gehen und, wenn nicht sogar noch wichtiger, meinem fotografischen Selbst endlich mal auf die Schliche kommen, falls es so etwas gibt. Freiheit gibt es in dieser Umgebung genug, also warum nicht auch genau die Freiheit dafür, endlich mal etwas Einzigartiges zu schaffen?

Ich ziehe los, ziehe zuerst kleine, dann immer größere Kreise um meine Unterkunft herum. Plötzlich ist es da. Das Gefühl von Freiheit. Umringt von einem großen Nichts, vergessenen Autos, die Ruinen gleichen und dem heißen Wüstenwind im Gesicht.

Ich weiß genau, was ich von dieser Umgebung festhalten will und vor allem, wie. Von einer Minute auf die andere bin ich umgeben von Motiven und Dingen, die ich festhalten muss und von denen ich genau weiß, dass sie mein Gefühl dieses Moments reflektieren.

Ich experimentiere, erkunde jedes meiner Motive aus unterschiedlichen Winkeln. Meine Festbrennweite zwingt mich dazu, die Dinge sehr bewusst zu betrachten und in Relation zur Umgebung zu setzen. 
Mit frischem Geist setze ich mich an meinen Laptop. Ich will keine Farbfotos.

Ich will die Bilder auf ihr Wesentliches reduzieren. Ich arbeite am ersten Bild und habe innerhalb von fünf Minuten meinen Look gefunden. Viel schwarz, das Geheimnisvolle. Mit nur wenigen weißen Akzenten, sprichwörtlichen Lichtblicken. Ich bin überrascht, wie gut dieser Ansatz sich auch auf meine restlichen Bilder anwenden lässt.

Die Milchstraße in schwarzweiss.

Zum ersten Mal habe ich es. Das Gefühl, eine wirkliche Fotoreihe und etwas Eigenes geschaffen zu haben. Etwas, das nicht zwangsläufig jeder mögen wird. Aber etwas, das mir etwas bedeutet und von dem ich sagen kann, dass ich voll dahinter stehen kann. 
Ich habe zwei Tage übrig.

Diese nutze ich, um meinen Aufenthalt wirklich zu genießen, ohne durch eine Linse zu sehen – zumindest tagsüber. Nachts gehe ich los und halte die unwirkliche Szenerie der Milchstraße über der Wüste fest.

Mit genau dem gleichen Gefühl, dass mich einige Tage zuvor so urplötzlich ereilte. Ich weiß, dass es nicht ewig halten wird. Aber ich bin stolz. Stolz, es zumindest einmal erreicht zu haben. Ich hoffe, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein wird.

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