Ein Mann in weißem Anzug greift nach einem Schlauch
01. Juli 2015 Lesezeit: ~6 Minuten

Schnappschuss

Vor Kurzem entstand unter einem Artikel hier im Magazin eine kleine Diskussion um das Wort „Schnappschuss“. Dabei wurde von Kommentator Matthias ein Zitat von William Eggleston genannt und zwar dieses:

The blindness is apparent when someone lets slip the word ‘snapshot’. Ignorance can always be covered by ‘snapshot’. The word has never had any meaning.

Daraufhin antwortete „Der böse Frosch“ Folgendes:

Heißt das jetzt also, immer wenn jemand meine Bilder als Schnappschüsse bezeichnet liegt das daran, daß der Betrachter doof und ignorant ist und auf keinem Fall daran daß meine Bilder langweilig sind? Cool!

Die Diskussion ging natürlich noch weiter, doch an dieser Stelle möchte ich einhaken und ein paar Gedanken zur Terminologie formulieren.

Der Begriff Schnappschuss wird heute in unterschiedlichsten Kontexten verwendet und kann sowohl Positives als auch Negatives hervorheben – abhängig davon, mit welchen Worten er umkleidet wird. Um dies zu verdeutlichen, betrachten wir nun zwei unterschiedliche Szenarien, in denen das Wort benutzt wird.

 

Szenario 1

Fotografin Lea zeigt ihrer Freundin die Aufnahme ihrer Tochter beim Sprung ins kalte Wasser. Wir sehen eine leicht angeschrägte Perspektive, das Foto ist ein bisschen zu hell, aber der Moment ist gut getroffen. „Schöner Schnappschuss!“, platzt es aus der Freundin heraus.

In dieser Situation wird unser Begriff verwendet, um ein Foto aufzuwerten und das Positive herauszustellen. „Schnappschuss“ gilt hier als ein unmissverständliches Lob.

 

Szenario 2

Der Aktfotograf Edgar präsentiert seinem besten Freund ein Foto, das er im Studio gemacht hat. Wir sehen eine leicht verwackelte Aufnahme, bei der die Bewegungsunschärfe das Bild undeutlich macht und die Details der Nacktheit des Modells verschleiert.

„Naja. Das ist doch nur ein Schnappschuss“, meint der Freund zu Edgar.

In dieser Situation wird unser Begriff verwendet, um ein Foto abzuwerten und das Negative herauszustellen. „Schnappschuss“ gilt hier als eine unmissverständliche Kritik.

 

Schlussfolgerungen

Wir sehen: Ein und dasselbe Wort kann in unterschiedlichen Kontexten in seiner Bedeutung wandelbar sein. Es weckt unterschiedliche Assoziationen und Rückschlüsse über die Absicht der Person, die es benutzt. Es scheint also, als ob das Wort selbst völlig bedeutungslos sei, denn es sagt im Grunde nicht viel über das aus, was gesehen wird.

Kommen wir zurück auf das Zitat des Herrn Eggleston. Er selbst war ein Fotograf, der in vielerlei Hinsicht mit dem Wort Schnappschuss in Verbindung gebracht wird, weil er unkonventionelle Perspektiven und Alltägliches, scheinbar nicht Fotografierwürdiges fotografierte – beides sind übrigens Assoziationen, die mit dem Wort in Verbindung gebracht werden.

Das heißt: Eggleston war in dieser Weise vorgeprägt und er selbst prägte mit seiner Schnappschuss-Ästethik in nicht geringem Umfang die Fotografie selbst. Ich vermute, dass Eggleston des Öfteren Szenario 2 ausgesetzt war und somit auch zu seiner Aussage kam: Schnappschuss, das bedeutet überhaupt nichts.

Und nun macht es auch Sinn, den Kommentar vom bösen Frosch zu kommentieren: Nein, jemand, der das Wort benutzt, ist nicht sofort „doof und ignorant“ und Deine Fotos sind auch nicht langweilig, denn es kommt einfach auf den Kontext und die Formulierung (siehe: Szenarios) an.

Wenn jemand das Wort als Abwertung Deiner Arbeit benutzt, dann macht es wahrscheinlich Sinn, einmal nachzufragen, wie die Person „Schnappschuss“ genauer definiert oder was ihr an Deinen Fotos missfällt. So können Missverständnisse ausgeräumt werden und ein echter Dialog über die Fotos stattfinden.

 

Schnappschussfotografie

Ziehen wir an dieser Stelle doch einmal Wikipedia zu Rate und gehen einen Schritt weiter, denn neben Schnappschuss finden wir dort die Erklärung der Schnappschussfotografie:

Der Begriff der Schnappschussfotografie bezieht sich in der Fotografie auf eine weite Palette von Arbeiten, die sich mit der Darstellung von Motiven ohne gesondertes vorheriges Arrangement sowie offensichtlicher Spontaneität auseinandersetzen. Das Gegenteil der Schnappschussfotografie ist die fotografische Inszenierung.

Die Wikipedia wirkt an dieser Stelle etwas distanzierter, indem sie dem Wort ein eigenes Genre zuweist und eine vorhergehende Intention anknüpft: Die Darstellung von Motiven ohne gesondertes Arrangement und offensichtliche Spontaneität.

Ich würde diese Beschreibung so umformulieren: Schnappschussfotografie ist absichtlich unabsichtliches Fotografieren. Ein_e Schnappschussfotograf_in nimmt sich vor, sich nichts vorzunehmen – außer: In einem passenden Moment abzudrücken.

Daher ist das Gegenteil der Schnappschussfotografie die fotografische Inszenierung. Hier wird das Foto geplant und jedes Detail im Bild unter die Absicht des Fotografen gestellt. Ein inszenierender Fotograf nimmt sich auch vor, erst im passenden Moment zu fotografieren, jedoch liegt zwischen dem Vornehmen und dem Auslösen das ganz konkrete Ausgestalten des Inhaltes. Das ist der Unterschied.

Während sich ein Schnappschussfotograf – was den Inhalt der Aufnahme betrifft – vollkommen dem Zufall aussetzt, dreht der inszenierende Fotograf das Spiel um und baut sich förmlich sein ganzes Bild selbst. Ein inszenierender Fotograf kontrolliert alles.

 

Ästhetische Prägung

Jedoch sollten wir vorsichtig sein, an dieser Stelle das Wort „Kontrolle“ allzu wörtlich zu nehmen. Denn auch Schnappschussfotografen überlassen ihr Bild niemals völlig dem Zufall. Ich würde soweit gehen, zu behaupten, dass das unmöglich ist. Warum?

Jeder Mensch ist kulturell dahingehend geprägt, was er oder sie als schön, ansprechend und in diesem Sinne fotografierenswert empfindet. Auch Schnappschussfotografen. Sei dies nun Situationskomik, diverse Farbvorlieben oder gar eine bestimmte Bildästhetik.

Das hat zur Folge, dass bestimmte Objekte anderen vorgezogen werden, was auch wieder eine Art der Kontrolle ist. Schnappschussfotografie ist somit – auch, wenn es ihr häufig unterstellt wird – keine beliebige Fotografie. Sie ist keine wert- und normfreie Fotografie, sondern ganz entschieden von den Vorstellungen des Ausführenden bestimmt.

 

Abschluss

Der Begriff „Schnappschuss“ hat also vielerlei Ebenen. Um ihn zu bewerten, ist es meiner Meinung nach wichtig, den situativen Kontext zu betrachten und im Falle einer abwertenden Bemerkung konkret nachzufragen, was gemeint ist. Um ihn zu gebrauchen, ist es hilfreich, sich der Missverständlichkeit bewusst zu sein und nach Möglichkeit genauer zu definieren, was an einem Foto ge- oder missfällt.

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