Ein Stapel Foto-Bücher und Bände sitzen auf einem älteren Sessel.
28. Juni 2015 Lesezeit: ~10 Minuten

Die 5 Fotobücher des Monats

Architektur, Landschaft, opulente Tableaux und Dokumentationen sind die Hauptthemen der fünf Bücher dieses Monats. Auch dieses Mal fiel es uns beim Sichten der vielen Neuerscheinungen schwer, nur fünf Bücher aus der großen Menge der interessanten Publikationen auszuwählen. Manche behaupten, dass Fotobücher ein Indikator für die steigende Popularität der Fotografie sind, nicht zuletzt, weil mit den Smartphones eigentlich jeder zum Fotografen wird und damit auch das Interesse am Thema steigt.

Andere beklagen, dass zwar die Menge der Titel immer unüberschaubarer wird, aber die Auflagen oft kaum noch ein vierstelliges Niveau erreichen. Fest steht jedenfalls, dass Fotobücher nach wie vor Druckwerke sind – opulente Landschaftsaufnahmen wie die von Michael Lange oder die Opernbilder David Laventis auf dem Minibildschirm eines E-Readers anzusehen, erscheint absurd. Unsere fünf ausgewählten Bücher im Einzelnen:

 

Ausschnitt des Titelbilds von Buch "Fluss" von Michael Lange

Michael Lange: Fluss*

„Fluss“ von Michael Lange ist das erste Buch, das wir Euch heute vorstellen wollen. 2012 hatte er bereits das vielbeachtete Buch „Wald“ vorgestellt. „Fluss“ nimmt die düstere Grundstimmung von „Wald“ auf und wendet sie auf das Wasser an. Michael Lange wählte den Oberrhein als Schauplatz seiner Bilder vom Fluss und zeigt damit eine Seite des Stroms, die man gemeinhin nicht mit der breiten, träge dahinfließenden, sehr domestizierten Schifffahrtsstraße verbindet.

Die Bilder in „Fluss“ sind mehrheitlich Bilder im Zwielicht, im Nebel, kurz vor Sonnenauf- oder kurz nach -untergang aufgenommen. Manchmal sieht man einfach nur Wasser, das übergangslos mit einem grauen Himmel verschmilzt, manchmal Bäume oder Uferpflanzen. Das Grün oder Gelb der Blätter setzt farbliche Akzente im Grau. Insgesamt strahlen die Bilder eine große Ruhe aus und man wünscht sich, den Fotografen auf seinen Streifzügen durch diese sehr unberührt erscheinende Natur begleiten zu können.

Man kommt nicht umhin, viele der Fotos mit der Malerei der Romantik zu vergleichen. Andere Bilder erwecken starke Assoziationen zu Monet und seinen Seerosenbildern. In der Mitte des Buches begegnen wir einem Gedicht von Kirsten Rian namens „Einer geraden Linie gleich“, das die Stimmung der Fotos sehr stimmig im Text wiedergibt.

Mich hat das Buch sehr angesprochen, der Druck wird den wirklich subtilen Abstufungen der vielen Grautöne hervorragend gerecht. Die Bilder wirken teilweise extrem plastisch, schon fast dreidimensional und das relativ starke Papier verleiht den Fotos einen metallischen Glanz, der am Bildschirm so gar nicht wahrzunehmen ist.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 80 Seiten
Verlag: Hatje Cantz
Größe: 29,9 x 1,4 x 22,7 cm
Preis: 35,00 €

 

Ausschnitt des Titelbilds von Buch "I was here" von Ambroise Tezenas

Ambroise Tézenas: I Was Here. Photographs of Dark Tourism*

Düsternis, wenn auch im übertragenen Sinne, kennzeichnet auch das Buch „I was here“ von Ambroise Tézenas. Kernthema des Buchs ist der sogenannte Dunkle Tourismus. Touristische Stätten, die an das Grauen erinnern und ein Publikum, das sich speziell dafür interessiert. Das Buch dokumentiert Dutzende solcher Erinnerungsstätten, angefangen von ganz prominenten und augenfälligen Orten wie Auschwitz bis hin zu eher obskuren Gedenkstätten für Denkmäler russischer Ideologie in Litauen.

Tézenas arbeitete eng mit J. John Lennon, einem führenden Forscher auf diesem Gebiet, zusammen. Die vorgestellten Gedenkstätten werden ohne bewertenden Kommentar dargestellt, alle Texte stammen von den Betreibern der Gedenkstätten selbst oder aus deren Umfeld. Es lohnt sich, die Texte zu den Bildern auf sich wirken zu lassen, weil man so ganz gut ermessen kann, mit welcher Zielsetzung der Ort betrieben wird.

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass eine Stätte wie Auschwitz auch von Menschen besucht wird, die sich in irgendeiner Form mit nationalistischem Gedankengut identifizieren und sehen wollen, wie die Wirkungsstätte ihrer Vorbilder aussieht. Doch die Zielsetzung, Mahnmal zu sein und die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, ist unverkennbar.

Anders sieht es da schon mit einem ehemaligen Kriegsgefängnis aus, das die Möglichkeit bietet, dort 12 Stunden über Nacht unter „realistischen Bedingungen“ zu verbringen. Zwischen diesen beiden Extremen liegen die vorgestellten Orte und sieht man vom Einleitungstext ab, könnte man auch Tézenas vorwerfen, hier einen „Reiseführer“ für dunklen Tourismus abzuliefern.

Die Bilder des 101 Seiten umfassenden Buchs sind dokumentarischer Natur. Sie geben zusammen mit den Bildbegleittexten die Stimmung der jeweiligen Gedenkstätte sehr gut wieder. Wie profan manche Orte des Grauens als Tourismusziele sind, erkennt man an den immer wieder abgebildeten Souvenirpavillons und Imbissbuden. Auf dem Titelbild, das eine verwitterte Wand des Tuol-Sleng-Genozid-Museums in Kambodscha zeigt, sieht man die eingeritzten Worte „I was here“ (Ich war hier).

Orte des Grauens als Punkte auf einer Liste abzuhakender Sehenswürdigkeiten? Das Buch zwingt den Betrachter dazu, sich über die Bilder hinaus mit der Funktion solcher Gedenkstätten zu befassen und das macht es für mich sehr effektiv. Und es zeigt, dass Fotobücher mehr leisten können als nur „gute Fotografie“ zu zeigen.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 200 Seiten
Verlag: Dewi Lewis Publishing
Größe: 30,5 x 24,8 x 2,2 cm
Preis: 52,75 €

 

Ausschnitt des Titelbilds von Buch "Schude" von Ryan Schude

Ryan Schude: Schude*

Nach so viel Düsternis setzt Ryan Schudes Erstlingswerk „Schude“ einen farbenfrohen Kontrapunkt. Ryan Schude lebt in Los Angeles und die Stadt und ihre Bewohner sind gleichzeitig Kulisse und Motiv seiner prall mit Leben gefüllten Bilder. In „Schude“ findet sich ein umfassender Überblick über sein bisheriges Werk.

Das Buch beginnt mit Tableaux, die sich über komplette Doppelseiten erstrecken. Wir sehen Wimmelbilder für Erwachsene, mit den Mitteln Hollywoods in Szene gesetzt. In diesen Szenen, beispielsweise einer Poolparty im Garten einer großen Villa, passiert enorm viel gleichzeitig. Bildformat und Inhalt erwecken den Eindruck, als sei ein ganzer Film in ein Bild gepackt.

In weiteren Abteilungen finden wir skurrile Portraits von Menschen in ihren Häusern. Die Bilder sind viel zu übertrieben, um wahr zu sein, sie sind drastische Parodien der Eigenheiten der Portraitierten. In einer anderen Serie zeigt Schude Menschen mit ihren Autos. Diese Bilder wirken durch eine perfekte Farbabstimmung zwischen Auto, Besitzer und Hintergrund.

Nichts an Schudes Bildern ist wahr, aber alles könnte so sein. „Schude“ ist ein Bilderbuch für Erwachsene, das immer wieder neu anzusehen sich lohnt. Es ist im Verlag Roads erschienen, geführt von Danielle Ryan, die so ganz nebenbei zur irischen Familie Ryan gehört, die auch Ryanair besitzt.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
Verlag: Roads Publishing
Größe: 15 x 2,2 x 21 cm
Preis: 56,97 €

 

Ausschnitt des Titelbildes von Buch „Opera“ von David Laventi

David Leventi: Opera*

Es folgt nun ein Fotobuch, das so gar nicht ins übliche Ressort meiner favorisierten Fotogenres passt: Architekturfotografie. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb, hat es mir „Opera“ von David Leventi angetan, das diesen Monat im Hause Damiani erschienen ist.

Der 1978 geborene Amerikaner fotografierte über stolze acht Jahre hinweg mehr als 40 Opernhäuser in 19 unterschiedlichen Ländern. Dass dabei ein großartiges Portfolio entstehen muss, ist allerdings nicht garantiert und ich lasse mich generell nicht von Zahlen allein beeindrucken.

Doch Leventi, der selbst Sohn zweier Architekten ist, hat es geschafft, mittels Fotografien auf allerhöchstem Niveau ein gestalterische Maßstäbe aller Erwartungen übertreffendes Werk hinzulegen. Was mich dazu zwang, bestimmte Fotos wie die Aufnahme der Opera Nouvel in Lyon, des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg oder des Four Seasons Centre for the Performing Arts in Toronto minutenlang zu bestaunen.

Spannend an der Herangehensweise des Fotografen ist nicht nur die Technik, denn er fotografierte alle Häuser mittels Großformatkamera und meisterte fantastische Bild-, Farb- und Kontrastqualitäten. Nein, viel mehr ist die Perspektive immer die gleiche, nämlich von der Bühne auf den Publikumsraum.

Man könnte nun davon ausgehen, dass die Aufnahmen allesamt fotografisch langweilig sein müssten, doch das Gegenteil ist der Fall. Die gesamte Serie bekommt dadurch eine angenehme Einheitlichkeit, die den doch so unterschiedlichen Opernhäusern die notwendige Ruhe verleiht.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Verlag: Damiani
Größe: 33,8 x 2 x 28 cm
Preis: 32,95 €

 

Ausschnitt des Titelfotos vom Buch „Almond Garden“ von Gabriela Maj

Gabriela Maj: Almond Garden*

Gabriele Maj bekam vor Jahren durch Zufall die Gelegenheit, Frauen in afghanischen Gefängnissen zu fotografieren. Eines der Gefängnisse außerhalb von Kabul trägt den Namen Badam-Bagh, was übersetzt „Almond Garden“ heißt und somit zum Titel des Buches wurde.

Maj nutzte die Situation und begann, mit den Frauen mittels einer Übersetzerin zu sprechen. Die Tatsache, dass die Fotojournalistin eine Frau ist, die aus Polen stammt, wurde zum Vorteil, da sie von vielen Offziellen unterschätzt wurde.

Die im Buch abgebildeten Frauen sind – wie so viele Frauen in Afghanistan – Opfer des Patriarchats. Sie werden bis heute in jungem Alter zwangsverheiratet und nicht selten misshandelt. Das geht auch aus den teilweise grauenvollen und schockierenden Geschichten der Frauen hervor, die am Ende des Bandes (mit geänderten Namen und in nicht zu den Fotos passender Reihenfolge) beschrieben sind. Diese Beschreibungen sind meines Erachtens genauso wichtig wie die Fotos selbst.

Zu Letzteren: Auf Spielereien mit übertriebener Bearbeitung oder extravaganten Perspektiven verzichtete Maj vollständig. So wirken die Aufnahmen schlicht, der Blick der Kamera ist stets auf Augenhöhe, was psychologisch ein wichtiger Faktor ist. Fast immer ist der Kontext zu sehen, in dem die Frauen, von denen manche schwanger sind oder mit Kindern im Gefängnis sind, leben.

Mir persönlich hat „Almond Garden“ Einsicht in einen Lebensbereich gegeben, der in unseren westlichen Medien fernab von Terror-Meldungen nur selten Erwähnung findet und von dem ich bis dato überhaupt keine Ahnung hatte. Ich möchte deswegen eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 164 Seiten
Verlag: Daylight
Preis: 43,20 €

 

Wie auch beim letzten Mal hoffen wir, dass für alle etwas dabei war. Falls Euer kürzlich erschienener Lieblingsband nicht in unserer Auswahl ist, lasst es uns wissen, in den Kommentaren ist Platz dafür.

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