10. Juni 2015 Lesezeit: ~9 Minuten

Ankunft in Vancouver

Als mir Mitte letzten Jahres die Zusage für ein Auslandssemester in Vancouver (Kanada) ins Haus flatterte, war ich wohl etwas durch den Wind. Bald würde es nach Kanada gehen. Oh mein Gott, ein großer Lebenstraum! Egal, mit wem ich mich darüber unterhielt: Alle, die schon einmal in Vancouver gewesen waren, schwärmten. Die Vorfreude wuchs.

Da mich der Alltag bis zum Abflug recht gut im Griff hatte, realisierte ich wohl erst so richtig, auf was ich mich eingelassen hatte, als ich am Flughafen in Vancouver ausgespuckt wurde. Schon beim Anflug über die Rockies und die fjordähnliche Küstenlinie war ich total geflasht und konnte es kaum erwarten, mit meiner Kamera im Schlepptau auf Erkundungstour zu gehen.

Einige Studenten hatten sich schon zuvor ein Zimmer organisiert, ich hatte jedoch entschieden, erst alles vor Ort anzugehen – vielleicht war ich auch einfach zu faul oder blauäugig gewesen. Egal, es sollte ja schließlich ein Abenteuer werden. Nach der ersten Nacht im viel zu warmen Hostel musste ich mich erst einmal orientieren und mir einen Handyvertag beschaffen.

Nachdem ich nämlich Craigslist (eine Art Allzweck-Ebay) nach Wohnungsanzeigen durchforstet und einige E-Mails abgesetzt hatte, stellte sich heraus, dass ich ohne Telefonnummer nicht weit kommen würde. Kanadier mögen es lieber, wenn man sie direkt anruft.

Mit förmlichen E-Mails kommt man nicht weit, irgendwie sympathisch. Um eine schöne und gleichzeitig bezahlbare Bleibe, am besten auch noch in einer guten Lage in Vancouver zu ergattern, braucht es schon sehr viel Glück oder Zeit.

Nach ein paar Tagen war ich froh, etwas Brauchbares gefunden zu haben und beschloss kurzer Hand, die folgenden zehn Tage auf Vancouver Island zu verbringen, bevor das Studium Anfang September anfangen sollte.

Ausblick auf einen Fluß, der sich durch Gebirge und Wälder zieht.

Vancouver Island

Um Zeit zu sparen, beschloss ich abends spontan, mit einer kleinen Acht-Personen-Propellermaschine ins Surferörtchen Tofino an der Westküste der Insel zu fliegen. Diese Entscheidung stellte sich als goldrichtig heraus.

Der tiefstehenden Abendsonne entgegen, offenbarte sich mir unter uns eine traumhaft hügelige Landschaft mit endlos grünen Wäldern, malerisch durchzogen von Flüssen und Seen. Keine Zivilisation. Euphorisch rutschte ich auf meinem Sitz hin und her und meine Kamera klebte abwechselnd an der rechten und linken Fensterscheibe.

Die Scheuklappen der ersten Tage, die von der Wohnungssuche geprägt waren, fielen ab und ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein. Getoppt wurde das Ganze dann noch, als mich mein unglaublich netter Surferdude-Busfahrer fragte, ob ich noch etwas Zeit hätte, den Sonnenuntergang an seinem Lieblingsspot anzusehen.

Liebend gern! Zwei majestätische Weißkopf-Seeadler zogen über uns ihre Kreise, während die Sonne im diffusen Abendlicht langsam unterging. Fast schon zu perfekt.

Blick auf einen Sonnenuntergang am Strand.

Als Alleinreisender lernt man im Hostel spielend leicht neue, interessante Leute kennen und so beschloss ich, mit einem anderen Deutschen zusammen mit dem Wassertaxi nach Vargas Island überzusetzten, um dort am Strand zu zelten (legal).

Über einen Trampelpfad ging es erst noch anderthalb Stunden durch die dicht bewachsene Insel, bis wir den besagten Strand erreichten. Unter dem klarsten Sternenhimmel, den ich bis dato gesehen hatte, genossen wir noch ein Bierchen.

Langerfeuer mit Menschen unter Sternenhimmel.

Nach einer kurzen, für mich dank meines suboptimalen +20-°C-Schlafsacks und bis dahin fehlender Isomatte auch sehr kalten Nacht, erwartete uns am frühen Morgen eine mystische Nebelstimmung. Googelt man die Insel, so findet man schnell Bilder von Wölfen am Strand. Wenig verwundert waren wir daher, als wir am Morgen neben unserem Zelt frische Wolfsspuren entdeckten.

Baumwurzel im Schnee mit vernebeltem Wald im Hintergrund.

Vancouver und Umgebung

Zurück in Vancouver ging das Studium (Medizintechnik) los, wobei unter der Woche auch noch genug Zeit blieb, um wieder Pläne zu schmieden, wohin es am nächsten Wochenende gehen sollte. Gar nicht so einfach bei den schier unendlichen Möglichkeiten, die Vancouver und sie Umgebung zu bieten haben. Schnell hatte ich beschlossen, dass ein geländegängiges Auto her musste.

Teuer würde das Auslandssemester ohnehin werden, also was soll der Geiz. Für umgerechnet 1.200 € fand ich einen 1998er Ford Explorer Limited Edition mit Allradantrieb, Ledersitzen, Schiebedach, Tempomat und allem Pipapo. Geil.

Im Gegenlicht: Wald und Felsen.

Bei den niedrigen Spritpreisen war über den gesunden Benzindurst des Fahrzeugs auch mal hinweg zu sehen. „Steffen’s Explorer-Tours“ standen schnell hoch im Kurs und waren immer wieder ratzfatz ausgebucht – haha.

Einen tollen Blick über Vancouver hat man bei gutem Wetter von einem der drei Skigebiete, die in gerade einmal 30 Autominuten erreichbar sind. Im Sommer kann man hier auch hervorragend wandern. Eine der anspruchsvollsten und zugleich auch schönsten Wanderungen ist in meinen Augen der „Lions Binkert Trail“. Von etwas über Meereshöhe aus geht es steile 1.300 Höhenmeter über unwegiges Gelände bergauf.

Oben angekommen, lässt einen die herrliche Aussicht über die landeinwärts führende Bucht schnell die Anstrengung vergessen. Kurz vor Sonnenuntergang streiften die Wolken den Hang hinauf und bereiteten uns ein unbeschreibliches Farbschauspiel.

Gebirgsketten, von Wolken umhüllt.

Zwischen Vancouver und dem weiter landeinwärts gelegenen Whistler liegt der Garibaldi Lake. Ein weiteres Juwel – Kanada, wie man es aus dem Katalog kennt. Umgeben von Gletschern und Vulkanen lässt es sich hier wunderbar zelten.

Kleine Baumgruppe spiegelt sich auf einem See.

Mitte Dezember waren die letzten Prüfungen vorbei und das hieß: Volle sechs Wochen Zeit zum Reisen! Gemeinsam mit meiner Freundin ging es zunächst in den Olympic National Park nach Washington.

Auf der Halbinsel findet man schroffe Küstenabschnitte, Gebirge, Strände und einen gewaltigen Regenwald mit vielen endemischen Tier- und Pflanzenarten.

Zwei Menschen laufen im Watt.

Rocky Mountains

Weiter ging es in die Rocky Mountains. Man sollte schon etwas temperaturunempfindlich sein, wenn man dort im Winter hinfährt, aber gerade das hat es wohl auch so einmalig gemacht. Eine faszinierende und endlos erscheinende Urgewalt von Natur!

Schneeschuhe bieten eine tolle Möglichkeit, den Touristenmassen zu entkommen. Oberhalb des im Sommer türkisfarbenen Lake Louise trafen wir plötzlich auf einen prächtigen „Mountain Goat“. Fragt sich, wer verwunderter war, jedenfalls war er dann noch so nett und posierte majestätisch an der Klippe.

Blick auf die verschnieiten Rocky Mountains

Ganz speziell war auch ein Sonnenaufgang am Maligne Lake bei Jasper. Aus dem kuschelig warmen Auto (was zur Sicherheit lieber angelassen wurde) ging es raus in die klirrende Kälte. Dank der -25 °C musste ich die Akkus immer wieder in meinen Händen reiben, um sie am Leben zu halten.

Meine Hände fanden das nicht so toll und schmerzten nicht schlecht, als ich sie im Auto wieder auftauen ließ.

Gegenlicht an einem offenen See mit verschneitem Gebirge im Hintergrund.

Zum Schluss kam mich noch ein guter Freund besuchen und wir starteten eine zweiwöchige Rundtour durch Washington und Oregon. Komplettes Kontrastprogramm zu den Rockies!

Der Küste immer weiter Richtung Süden folgend, gelangten wir in die „Oregon Dunes“, die sich 60 km entlang der Küste erstrecken. An einigen Stellen darf man mit dem Auto über den Strand pflügen. Abendsonne, Allrad rein, Musik aufgedreht – Amerika, here we go!

Eine Person schaut mit einer Stirnlampe in den Sternenhimmel.

Wüstenstrand im Seitenlicht.

Von der Wüste ging es landeinwärts durch imposante Redwood-Wälder bis an den Crater Lake. Dichter Nebel verwehrte uns bei der Ankunft den Blick auf den 594 m tiefen Kratersee mit seinem kristallklaren Wasser.

Wir beschlossen, eine Nacht im Auto zu schlafen und abzuwarten, was der nächste Tag mit sich bringen würde. Besser hätten wir es uns nicht erträumen können: Gut 30 cm Pulverschnee und stahlblauer Himmel – ein Traum!

Schneebedckter Wald mit Ausblick auf einen Kratersee.

Die Schneeschuhe wurden gegen kurze Hose und T-Shirt ausgewechselt und nach nur 3,5 Stunden Fahrt erreichten wir die „Painted Hills“, deren Farben ganz besonders im Abendlicht aus der sonst so kargen Wüstenlandschaft herausstechen.

Wir entschieden uns dafür, einer in der Karte nur gestrichelt eingezeichneten „Straße“ zu folgen, die uns gut 60 km durch eine von der Zivilisation unberührte, hügelige Prärielandschaft führte. Die „Muddy Creek Road“ verlangte meinem Allradantrieb alles ab und so beschlossen wir, nachts mitten im Niemandsland zu nächtigen.

Wüstenlandschaft mit strahlend blauem Himmel und Wolken über Hügeln.

Völlige Ruhe bis auf das Knistern des Lagerfeuers, ein kristallklarer Sternenhimmel und die funkelnden Augen ein paar scheuer Wapitis. Genau nach unserem Geschmack.

Vorbei am Mt. Hood und unzähligen Wasserfällen überquerten wir den Columbia River und erreichten den letzten Stopp unserer Rundreise. Der zuletzt 1980 ausgebrochene Mount Saint Helens präsentierte sich in einer passend dramatischen Stimmung.

Ausblick auf eine kanadische Landschaft.

10.000 km mehr auf dem Tachometer, musste ich mich zu guter Letzt wehmütig von meinem lieb gewonnenen und treuen „Explorer“ trennen. Mit einem Rucksack, prall gefüllt mit Erinnerungen und Speicherkarten, stieg ich dankbar und glücklich in den Flieger.

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