27. April 2015 Lesezeit: ~4 Minuten

Söl’ring – Gesichter des Sylter Urdialekts

Die Insel Sylt war im Januar von einem weißen Mantel bedeckt. Wegen des eisigen Windes traf ich auf leere Straßen. Die Kontaktaufnahme zu den Einheimischen war kein leichtes Unterfangen.

Ich war hierher gekommen, um im Rahmen meines Abschlussprojektes einen dokumentarischen Fotofilm zu produzieren. Darin plante ich, meine visuellen Fähigkeiten mit den vielseitigen Bereichen meines Studiums zu vereinen.

Ein reetgedecktes Wohnhaus

Bei meiner Recherche war ich auf die Problematik der Minderheitensprachen gestoßen. Besonders der Klang des Nordfriesischen und die Art der Menschen hatten sofort meine Sympathie geweckt. Zudem hat mein Vorname seinen Ursprung in dieser Region.

So entschied ich mich, nach Sylt zu fahren, um dort einige Sprecher des Söl’ring zu portraitieren – einem der zehn nordfriesischen Dialekte, die zusammen die kleinste Minderheitensprache Europas bilden.

Recht früh lernte ich den nordfriesischen, „robusten“ Charakter kennen. Diesem war es vielleicht auch geschuldet, dass meine Besuche nur selten den gewünschten Erfolg erzielten.

Eine Küstensiedlung

So geriet ich langsam ins Schwitzen, denn immerhin benötigte ich für meinen Fotofilm eine Vielzahl von Fotos, Tonaufnahmen und Interviewantworten. Kurz vor meiner Abreise hatte ich dann jedoch das Glück, Erika Hansen kennenzulernen. Sie gestattete mir, sie zu Hause zu besuchen und ihr ein paar Fragen zu stellen.

Anschließend half sie mir – der Fremden, die zum ersten Mal auf Sylt war – Kontakt zu weiteren Interviewpartnern herzustellen und so fand meine erste Reise doch noch ein gutes Ende.

Portrait einer älteren Frau mit einer Tasse in der Hand

Die ersten Kontakte waren geknüpft und ich konnte die Eindrücke der idyllischen Insel auf mich wirken lassen. Nach zahlreichen weiteren Recherchen, E-Mails und Telefonaten hoffte ich bei meinem zweiten Besuch im März auf mehr Erfolg.

Auch dieses Mal war es kalt und windig. Gelegentlich musste ich das Fotografieren unterbrechen, um meine eiskalten Finger wieder aufzuwärmen. Auch das Filmen mit ruhiger Hand fiel mir nicht immer leicht. Der starke Wind machte mir zu schaffen. Das Bewegtbild durfte schließlich nicht zu sehr wackeln und die Tonaufnahmen nicht zu sehr rauschen.

Schnee auf einer winterlichen Düne

Nach dem Sichten des Materials von acht Persönlichkeiten fiel meine Auswahl auf drei Friesen. Der erste Schritt für das Montieren des Fotofilms bestand in der Anfertigung der Ton-Montage. Hierfür verschriftlichte ich zuerst die Interviews, die auf Nordfriesisch gesprochenen Sätze ließ ich mir übersetzen.

Danach sortierte ich ausgewählte Sätze in einzelne Themengruppen. Diese Zusammenstellung habe ich parallel aus den verschiedenen Tondateien montiert und möglichst genau neu zusammengefügt.

Möbel vor einer gefliesten Wand

Nachdem das Interview die richtige Reihenfolge bekommen hatte, folgten Feinheiten wie das Reduzieren von harten Schnitten und die Anpassung der Lautstärken. Anschließend legte ich Fotos an die entsprechenden Stellen und versuchte, dabei nicht nur die inhaltliche, sondern auch die visuelle Ebene zu beachten.

Sich bei der Fülle an Fotografien zu entscheiden und diese in eine passende Reihenfolge zu setzten, war einer der schwierigsten Aspekte meines Filmschnitts.

Portrait eines älteren Mannes in seinem Haus

Der Film ist auf Deutsch. Erst zum Zeitpunkt des inhaltlichen Bezugs auf das Sprachenschwinden wird das Söl’ring eingesetzt, sodass der Zuschauer einen kleinen klanglichen Eindruck erhält.

Ein Fotofilm besteht primär aus Fotografien, die in unterschiedlichen zeitlichen Abständen in einer bestimmten Reihenfolge gezeigt werden. So wird trotz des quantitativ häufigen Einsatzes von Fotos im Bewusstsein des Betrachters eine filmische Erfahrung hervorgerufen.

Der Fotofilm lässt der individuellen Wahrnehmung einen gewissen Raum. Durch den gezielten Einsatz von Zwischenbildern, die durch den Wechsel zweier Bilder im Gehirn entstehen, wird die Vorstellungskraft des Betrachters anregt.

Ein Zweig Korkenzieherweide in einem Gefäß

Der passive wird zum aktiven Betrachter. Die Wahrnehmung kann sich relativ frei entfalten. Ähnlich wie bei einem Comic. Somit ist es gut vorstellbar, dass gerade der Fotofilm zum Nachdenken über die problematische Situation der nordfriesischen Sprache – und hier konkret des Sylter Dialektes – anregt.

Uferweg mit Blick auf das Meer und den Horizont

Letztendlich möchte ich mit meiner Arbeit die Betrachter dazu animieren, die inhaltliche regionale Thematik auch in einem globalen Zusammenhang zu betrachten. Wenn im Zeitalter der Globalisierung regionale Sprachen keine Zukunft mehr haben, wird es dann am Ende dieser Entwicklung überhaupt noch eine sprachliche Vielfalt geben?

Vielleicht wird dieser Fotofilm dereinst Zeitzeugnis von einer der letzten Generationen sein, die die Regionalsprache Söl’ring noch spricht.

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