24. April 2015 Lesezeit: ~7 Minuten

Ilford Obscura: Reduktion in 4×5

Lochkamerafotografie (engl. pinhole photography) ist wohl mit die reduzierteste Art, zu fotografieren. Mit wenig Aufwand ist ein Basismodell selbst gebaut, im Prinzip reicht ein Schuhkarton. Die Möglichkeiten beim Bau und beim Fotografieren sind jedoch schier unendlich. Schwarzweiß-Film oder Farbe, Sofortbild oder Direktpositiv, Papier, Röntgenfilm oder selbstgepanschte Fotoemulsionen, ganz egal. Alles, was irgendwie lichtempfindlich ist, lässt sich mit einer Lochkamera relativ einfach belichten.

Extreme Langzeitbelichtungen über Monate hinweg sind genauso möglich wie „normale“ Belichtungszeiten. Doppel- und Mehrfachbelichtungen, alles kein Problem und oft viel einfacher als mit gängigen Kameras. Die Ergebnisse sind oft faszinierend. Und so hat sich diese Art der Fotografie über alle technischen Fortschritte hinweg über die Zeit gehalten.

Wie gesagt, ein einfaches Grundmodel ist schnell gebastelt. Wer es damit aber nicht so hat oder direkt eine Lochkamera haben möchte, deren Bildlook im Voraus einschätzbar ist, für den hat der aktuelle Kameramarkt eine ganze Menge Modelle im Angebot.

Als Freund und Nutzer von diversen Lochkameras war ich umso mehr erfreut, die „Obscura“ von Ilford mal unter die analoge Lupe nehmen zu dürfen. Und gleichzeitig zum ersten Mal die Mittelformat-Klasse im Bereich Pinhole zu verlassen, denn auf meine Wanderlust Travelwide warte ich ja immer noch…

Ilford Obscura Kamera

Vorweg erst einmal ein bisschen Technisches: Bei der „Obscura“ handelt es sich also um eine Großformat-Lochkamera im Format 4×5. Die chemisch geätzte Lochblende von 0,3 mm mit Blende f/290 verspricht knackscharfe Lochkamera-Fotos. Mit 87 mm Brennweite fällt sie in die Klasse der Weitwinkel-Lochkameras. Zum Vergleich wären das so ungefähr 25mm auf Kleinbild.

Leichtbauweise ist Programm, die komplette Kamera wiegt dank Verwendung von expandiertem PVC nur knappe 350 g. Trotzdem ist sie sehr stabil gebaut. Mit Abmessungen von 147 x 122 x 96 mm tatsächlich eine „Großformatkamera“, die in den Daypack-Rucksack passt und auch auf Reisen nicht nerven würde.

Die Kamera besteht aus einem Front- und Rückteil, die man ineinander schiebt, mit dem „engeren“ Frontteil wird dann auch das Negativ im Rückteil in Position gehalten und zwar so, dass die schicken schwarzen Negativränder nach der Entwicklung auch zu sehen sind. Manch einer legt da ja Wert drauf.

Kellerfenster

Zusammengehalten wird das Ganze durch Magnethalter. Hier gibt es einen kleinen Clou: Das Vorderteil kann so angebracht (beziehungsweise gedreht) werden, dass der Verschluss sowohl von Rechts- als auch von Linkshändern einfach zu bedienen ist. Ein Standard-Stativgewinde ist auch angebracht, glücklicherweise aus Metall.

Den Bogen überspannen würde ich hier aber nicht, denn das Gewinde ruht natürlich im PVC und „nach zu kommt ab“, wie wir alle wissen. Ich persönlich habe hier direkt eine Schnellwechselplatte untergeschraubt. Da es nur ein Stativgewinde an der Unterseite der Kamera gibt, braucht man für Hochkantaufnahmen schon einen Stativkopf, um die Kamera kippen zu können. Da die Kamera quasi nichts wiegt, reicht ein flexibles Stativ, wie zum Beispiel eines der etwas größeren Joby-Gorillapods und ein Minikugelkopf*.

Hinterhof

Der „Obscura“ ist ein Bogen mit Stickern beigelegt, die meisten davon dienen zum Verschönern und Pimpen, einer aber, ganz wichtig, hilft – auf die Kamera aufgeklebt – bei der Wahl des Bildausschnitts. Toll wäre hier noch ein zweiter Aufkleber für Hochkant-Aufnahmen gewesen. Weiterhin sind ein Belichtungsrechner, eine lichtdichte Aufbewahrungsschachtel für das belichtete Negativmaterial und ein Büchlein mit Hinweisen zur Bedienung und Entwicklung dabei.

Wer direkt loslegen will, sollte das „Obscura by ILFORD“-Kit ins Auge fassen. Hier liegen zusätzlich noch zehn Blatt Papier der Sorten Ilford Delta 100 Planfilm, Ilford Multigrade IV RCund Harman Direct Positive FB bei.

Zwei mal die selbe Frau vor einem Fenster

Wie klappt es also mit der Obscura in der Anwendung? Die Handhabung im Gelände ist denkbar einfach, denn eine Lochkamera ist halt einfach zu bedienen. Bildausschnitt schätzen, Belichtung messen und Schwarzschild-Effekt mit einrechnen. Belichten und fertig.

Bei der Belichtungsmessung nutze ich die fantastische App Pinhole Assist. Nun nur noch das belichtete Negativ aus der Box nehmen und in der beigelegten lichtdichten Packung verwahren, bis Ihr es entwickeln könnt. Dann ein neues Negativ laden. Das Be- und Entladen geht recht zügig, vorausgesetzt man hat Übung im Laden und Entladen von Großformatfilm im Dunkelsack. Wer das noch nicht hat, sollte sich hier aber nicht abschrecken lassen, das ist wirklich schnell erlernt.

Die Lochblende scheint tatsächlich qualitativ hochwertig zu sein und die Qualität der Aufnahmen passt. Ich bin da recht zufrieden. Mein einziger großer Kritikpunkt sind die Magnete, die um den Verschluss herum angebracht sind. Sie scheinen von der selben Stärke zu sein wie die anderen Magnetverschlüsse. Das ist ein bisschen zuviel des Guten, denn an einem sonnigen Tag hat man selbst mit einem ISO-100-Film gern mal Verschlusszeiten von nur ein oder zwei Sekunden. Mit dem etwas hakeligen Verschluss ist hier ohne Übung schnell mal verwackelt, ganz gewiss ohne stabilen Stativkopf und sicheres Stativ. Siehe unten.

Graffiti Maus und Kaugummiautomat an einer Wand.

Einzige Lösung: Ein ND-Filter oder halt eine saftige Pull-Entwicklung mit passender Belichtungskorrektur. Weiterhin hätte es nicht geschadet, noch eine kleine Wasserwaage oder Dosenlibelle dazuzulegen, so etwas hilft nämlich ungemein bei der Ausrichtung einer Lochkamera. Auch hier habe ich dann mit Pinhole Assist nachgeholfen, die App beinhaltet eine digitale Wasserwaage. Kleine Dosenlibellen zum Aufkleben kann man jedoch auch für ein paar Euro im Baumarkt oder Internet bekommen.

Straßenecke mit Kiosk

Der Preis von 89 € für das große Paket mit Film- und Papiermaterial klingt erst einmal etwas happig für eine Box mit Loch. Wenn man aber das Filmmaterial einmal heraus rechnet, kommt man schnell bei einem fairen Einstiegspreis in die Großformat-Lochkamerafotografie an. Und hierfür kann ich die Obscura durchaus empfehlen. Erfahrenere Lochkamerafotografen würden wohl eher mit der Titan, ebenfalls von Ilford, liebäugeln.

Schwarzweiß-4×5-Negative selbst zu entwickeln, ist übrigens gar nicht so schwer, wie man vielleicht denkt. Zumindest nicht für Aufnahmen mit einer Lochkamera, denen die recht einfache Standentwicklung ganz gut tut. Alles, was man braucht, ist eine lichtdichte Dose, in die 4×5-Negative passen.

Mehrfachbelichtung

Die professionelle Lösung wäre hier ein Jobo-2520-Entwicklungstank mit entsprechender Planfilm-Spule. Aber es reicht auch eine einfache lichtdichte Dose, in die mindestens zwei 4×5-Negative passen. Ich persönlich nutze eine ziemlich olle Entwicklungsdose von Würker. Dann noch die passende Chemie und man kann mittels Standentwicklung ohne größere Probleme seine eigenen Schwarzweiß-Negative entwickeln.

Hier und hier gibts es zwei Videos auf Youtube, die Euch zeigen, wie man die Negative im Tank plaziert. Erst einmal eigentlich haarsträubend, aber einfach und es funktioniert absolut prima.

An diesem Sonntag, den 26. April ist übrigens der Worldwide Pinhole Photography Day. Ein gutes Datum zum Einstieg in die spannende Welt der Lochkamera-Fotografie.

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