Ein Stapel Foto-Bücher und Bände sitzen auf einem älteren Sessel.
29. März 2015 Lesezeit: ~8 Minuten

Die 5 Fotobücher des Monats

Freundinnen und Freunde des gedruckten Bandes, es ist wieder soweit. Gefühlte hundert neue Fotobücher haben große und kleine Verlage auf den Markt geworfen. Man mag es kaum glauben, aber das alles durchzugucken ist Arbeit! Allerdings eine tolle – oder gar: Die beste?

Wie dem auch sei, unter diesen Bücherregen habe ich ein großes Sieb gehalten und nur die (aus meiner Sicht) besten Bücher sind hängen geblieben. Mit dabei sind dieses Mal sogar zwei Bücher, die keine klassischen Bildbände sind, sondern eine inhaltlich-theoretische Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie bieten.

 

Coverbild des Buches „It’s not about the F-Stop von Jay Maisel“

It’s not about the F-Stop*

Hört man sich in englischen Medien über Jay Maisel um, überschlagen sich die Lobeshymnen. Ein Superlativ reiht sich an den nächsten und auf Amazon findet man sogar die Aussage, Maisel wäre der brillanteste und hochbegabteste Fotograf aller Zeiten. Auch Scott Kelby, den ich, soweit es eben geht, zu ignorieren versuche, hat den Maisel lieb.

Dem gegenüberstehend gibt es in der deutschen Wikipedia nicht mal einen Eintrag zu ihm. Da ich mich selbst mit Maisel schon vor Jahren zeitweilig beschäftigt habe, würde ich behaupten, dass aller Überschwang Teil amerikanischer Kultur ist, doch ein bisschen Wahrheit ist schon dran. Maisel hat im letzten Jahrhundert den Durchbruch als Fotograf geschafft und alle möglichen Awards (ja, Ihr dürft gähnen) abgeräumt.

Auch, wenn man von diesem Hype nicht viel hält, kann man dem Amerikaner eines zugestehen: Maisel kann sehr gut fotografieren. Nun hat er ein Buch geschrieben: „It’s not about the F-Stop“. Dabei handelt es sich um ein ein How-To-Buch für Einsteiger ohne technisches Blabla. Maisel macht – das wird schon in den ersten Zeilen angekündigt – einen großen Bogen um all das, wofür es Fotoforen gibt und konzentriert sich stattdessen auf Persönlichkeit, Erfahrung und Sehenlernen.

Anhand seiner durchaus sehenswerten Aufnahmen erklärt er mit einer ordentlichen Schippe schwarzen Humors, was er in den letzten Jahrzehnten gelernt hat. Und ja, er hatte die Gelegenheit, in einem eigenen Shooting Marilyn Monroe zu fotografieren – und hat das fett versemmelt. Aber auch das gehört seiner Meinung nach dazu. Denn: It’s not about the F-Stop.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 216 Seiten
Verlag: New Riders
Größe: 21,3 x 2 x 27,7 cm
Preis: 36,30 €
Kindle-Ausgabe: 14,99 €

 

Ausschnitt des Covers „Ren Hang: 野生“

REN HANG: 野生 (‘Wild’)

Ren Hang ist ein Provokateur, das gleich vorneweg. Der chinesische Fotograf bricht mit allen Regeln der Fotografie und der gesellschaftlichen Akzeptanz sexueller Vielfalt in seiner Heimat. Was in der westlichen Hemisphäre als „schön“ empfunden wird, dreht Hang um und zeigt körperliche Grazie auf direkte und doch so menschliche Weise.

Technisch gesehen arbeitet Hang eindeutig: Verzicht auf weiches Bokeh und der beißende Einsatz von unmittelbarem Blitzlicht verleihen seinen Portraits eine rotzige Präsenz. Die streckenweise unverhüllt dargestellten Geschlechtsmerkmale von Männern und Frauen und die komisch–skurrilen Verschachtelungen übereinanderliegender Körper addieren zur ohnehin merkwürdigen Bildsprache den Charme des Absurden.

dienacht Publishing veröffentlichte nun als Beiwerk zur laufenden Ausstellung Hangs einen großformatigen Fotoband, der sich als eine Kollektion riesiger Poster entpuppt. Die Fotos – auf schwerem Papier gedruckt – können wunderbar das Wohnzimmer unserer Leser dekorieren (und Besucher ein bisschen erschrecken). Gerade, weil auch die Gestaltung des Fotoposterbuches mit allen Konventionen der Fotografie bricht, möchte ich 野生 wärmstens empfehlen.

Informationen zum Buch

Posterbuch: 96 Seiten
Verlag: dienacht Publishing
Größe: 28 x 40 cm
Preis: 49 €

 

Titel des Buches „The Miracle of Analogy: Or the History of Photography, Part 1“ von Kaja Silverman

The Miracle of Analogy*

Nachdem ich mit „It’s not about the F-Stop“ schon ein Buch vorgestellt habe, das sich primär textlich mit der Fotografie beschäftigt, folgt nun das zweite dieser Art auf dem Fuße. Die Autorin, Feministin und Kunsthistorikerin Kaja Silverman legte mit „The Miracle of Analogy“ den ersten Teil eines fototheoretischen – und diesbezüglich in seiner Art heute selten gewordenen – Zweiteilers vor.

Eines sei jedoch vorangestellt: Dieses Buch wird nur für diejenigen von Interesse sein, die sich auf intellektueller und philosophischer Ebene mit dem Phänomen des Bildes auseinandersetzen wollen. Alle anderen werden sich fragen, was der Schlonz eigentlich soll. Für diejenigen, die nun Angst bekommen haben: Fototheoretische Vorbildung wird sich beim Verzehr der Lektüre als durchaus hilfreich erweisen, ist aber kein Muss.

Spannend schon am Titel ist das Zitat der „analogen Fotografie“, die Silverman jedoch anders deutet, als die Bezeichnung umgangssprachlich verwendet wird. Silverman begreift analog nicht technisch, sondern im Sinne der Analogie: Das, was einen Zusammenhang zwischen der fotografierten Materie und dem Sehenden herstellt.

Der neu erschienene Teil 1 der Serie beschäftigt sich in diesem Kontext mit den Anfängen der Fotografie des 19. Jahrhunderts und endet mit Walter Benjamin (Belesene werden sein Werk „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“* kennen). Silverman wagt einen durchaus spannenden Blick auf die Fotografie, die auch fotohistorisch Interessierten Horizonterweiterungen ermöglichen wird.

Informationen zum Buch

Taschenbuch: 240 Seiten
Verlag: Stanford University Press
Größe: 17,8 x 1,8 x 25,4 cm
Preis: 21,71 €
Kindle-Ausgabe: 16,90 €

 

Titel des Bandes „Memory Unearthed“ von Henryk Ross

Memory Unearthed*

Bleiben wir beim Thema Geschichte. Das folgende Buch zu beschreiben, fällt allerdings schwer. Das hat weniger mit fehlenden Worten zu tun, sondern mit Betroffenheit. „Memory Unearthed“ macht mich traurig und nachdenklich. Thema des Buches ist die jüdische Bevölkerung der Stadt Litzmannstadt in Polen, dem heutigen Łódź.

Der polnische Fotograf Henryk Ross war von 1941 bis ’44 offiziell als Fotograf vor Ort, um die von den Nazis aufgezwungenen Veränderungen und Verordnungen im jüdischen Ghetto zu dokumentieren. Als er 1944 die Deportation seiner Freunde dokumentierte, vergrub er besorgt alle Negative, von denen über 3.000 unbeschadet blieben. Daher auch der Name „Memory unearthed“.

Was an diesen Bildern aus meiner Sicht so bewegend ist, hat viel mit der Stimmung zu tun, die sie transportieren. Denn als Betrachter werde ich in meiner Erwartung schockiert, traurige Portraits vorzufinden. Das Gegenteil ist der Fall: Lachende Mütter, tanzende Kinder und grüßende Arbeitergesichter werden mir präsentiert. Diese Fröhlichkeit bedrückt, weil ich das traurige Ende kenne, das viele Juden kurze Zeit später ereilte.

Zwischendurch bekommt die Glückseligkeit einen Knick, denn es sind tatsächlich Deportationen zu sehen. Diese mischen sich gegen Ende unter die freudigen, alltäglichen Aufnahmen und geben dem Buch einen zusätzlich schweren Bezug zur harten Realität, unter der die jüdische Bevölkerung litt. Ich möchte „Memory Unearthed“ an dieser Stelle uneingeschränkt empfehlen.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: Yale University Press
Größe: 28,7 x 24,9 x 2,5 cm
Preis: 39,10 €

 

Cover des Buches „KIN“ von Pieter Hugo

KIN*

KIN ist ein stilles Buch. Und bekanntlich sind stille Wasser tief. Pieter Hugo, 1976 in Johannesburg geboren, hat ein persönliches Werk geschaffen, das eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich hat und sich mit seiner Heimat Südafrika beschäftigt.

Er hatte eigentlich alles erreicht, was sich viele professionelle Fotografen wünschen. Ein Blick in seine Vita veranschlagt eine längere Verweildauer und die Liste mit Ausstellungen, Awards und Sonderpreisen ist schier unendlich. Jedoch scheint ihm der Erfolg kein Bein zu stellen, denn mit KIN präsentiert er sich von seiner verletzlichsten Seite.

Portraits seiner schwangeren Frau, Freunden, Verwandten, ein paar Fremden und der sagenhaften Landschaft Südafrikas zeichnen die verwundete Seele eines unter der Kolonialisierung immer noch leidenden Landes. Hugo, selbst Weißer, zerreißt die Konflikte selbst, sowohl die sichtbaren, als auch die Unsichtbaren (nämlich seine eigenen).

KIN ist ein Buch, das sich technisch durch eine Vielzahl gängiger Fotogenres schlängelt, ohne dabei Hugos Stil zu verlieren: Portrait, Akt, Straße, Landschaft (auch Luftaufnahmen) und sogar Stillleben. Die DNA all dieser Bereiche ist der persönliche Bezug, den der Fotograf nicht ausschweifend erklärt. Ein Muss für alle, die mit Südafrika etwas verbinden.

Informationen zum Buch

Gebundene Ausgabe: 164 Seiten
Verlag: Aperture
Größe: 24,1 x 30,5 x 2 cm
Preis: 46,95 €

 

Welches der hier aufgeführten Bücher findet Ihr am Interessantesten? Wenn Ihr Lust habt, dann schreibt doch einen Kommentar – ich bin für jede Rückmeldung dankbar.

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