Eine verlassene Halle
16. März 2015 Lesezeit: ~10 Minuten

Testbericht: Sony Alpha 7 II

Ich bin ein echter Enthusiast und Amateur. Das möchte ich an einem Beispiel aufzeigen: Als Jugendlicher bin ich im Winter häufig auf Langlaufskiern unterwegs gewesen. Meine Ausrüstung war nie älter als zwei bis drei Jahre (was auch meinem Wachstum geschuldet war) und durch entsprechendes Training war ich auch in Wettkämpfen ganz gut unterwegs.

Umso irritierender waren dann die Momente in der Loipe, wenn meist ältere Menschen, oftmals in meiner Ansicht nach völlig inadäquater Kleidung und vor allem mit alten, schweren Skiern derart mühelos an mir vorbeigezogen sind, dass alle Bemühungen, ihnen zu folgen, in akuter Atemnot und totaler Erschöpfung endeten. Ganz offenbar lag es nicht an meiner Ausrüstung, sondern an mir selbst.

In der gleichen Situation befinde ich mich jetzt wieder. Auch fotografisch kann ich mich als Enthusiast bezeichnen, fotografiere bei jeder sich bietenden Gelegenheit, nutze modernes Equipment, ohne jedoch jedem Trend hinterherzulaufen. Die letzten knapp drei Wochen hatte ich nun die Gelegenheit, eine Sony Alpha 7 II* mit zwei Objektiven, einem Zeiss Sonnar 55mm/1.8* und einem Zeiss Vario Tessar 24-70/4.0* testen zu dürfen.

Eine Treppe in einem Lost PlaceWand in einer verlassenen Halle

Ich bin dieser Kamera nicht gewachsen. Oder umgekehrt formuliert: Die Kamera in meinen Händen hat die Früchte meiner fotografischen Mühen nicht in neue Sphären gehoben. Noch immer gibt es Tausende Fotografen, die mit alten analogen Sucherkameras oder zumindest völlig veralteteten Smartphones (also Vorjahresmodell und noch steinzeitlicher) wesentlich bessere Bilder machen als ich.

Meine Einschätzung der Kamera und ihrer Qualitäten und Defizite ist dementsprechend nicht nur subjektiv, sondern zudem davon geprägt, dass ultimative Bildqualität für mich nicht das primäre Kriterium ist, nach dem ich eine Kamera als mögliches Werkzeug beurteile.

Aus welchem Grund sollte man daher etwa 4.000 € in die Hand nehmen und sich so eine Ausrüstung zulegen? Ganz objektiv betrachtet kann es, besitzt man bereits eine einigermaßen brauchbare Kamera, kaum eine sinnlosere Investition geben. Zumindest ist es purer Luxus, falls man auf eine solche Kamera nicht beruflich angewiesen ist. Anders herum gefragt: Warum verkaufen sich diese und vergleichbare Kameras immerhin so gut, dass Firmen wie Sony und die anderen bekannten Verdächtigen regelmäßig neue Modelle und neues Zubehör auf den Markt bringen können?

Objektivität ist hier sicher der Begriff, den man näher untersuchen muss. Auch wenn Kaufentscheidungen sehr häufig dann doch subjektiv und emotional beeinflusst gefällt werden, machen wir uns doch meist vor, dass es harte Fakten sind, die den Kauf eines neuen Spielzeugs, nein, Werkzeugs, unbedingt erforderlich machen.

Die Sony Alpha 7 II* ist eine spiegellose Systemkamera, die mit einem 24-Megapixel-Vollformatsensor ausgestattet ist, einen hervorragenden elektronischen Sucher besitzt und als Verbesserung gegenüber der Alpha 7* mit einer Fünf-Achsen-Bildstabilisierung im Body ausgestattet ist.

Rollstühle vor einer Treppe

Das bedeutet, dass selbst Objektive anderer Hersteller noch zumindest von einer Drei-Achsen-Stabilisierung profitieren können (ganz konkret bewegt sich tatsächlich der komplette Vollformatsensor bei der Bildstabilisierung). Dazu kommt, dass mit entsprechenden Adaptern auf eine große Palette an Objektiven aus dem DSLR-Bereich zugegriffen werden kann und dank Leica-Adapter sind alle M-Objektive ebenfalls nutzbar.

Genau das macht die A7-Serie besonders interessant, falls man die Investition ins Leica-Glas mit einer modernen Digitalkamera mit hochauflösendem Sensor nutzen will. Diese Leistungsmerkmale sind in der Kombination derzeit einzigartig, gerade die Bildstabilisierung findet sich in der Form auch nicht in teureren Kameras.

Die für mich relevanten Kriterien, auf die Bedürfnisse des Straßenfotografen übertragen: Spiegellos, also kleiner als eine DSLR; Vollformat, also lichtstärker und mit mehr Bildqualität als mit einem APS-C- oder noch kleineren Sensor; Bildstabilisierung, das heißt scharfe Bilder auch bei längeren Belichtungszeiten.

Soweit die Theorie. Die Praxis war ernüchternd: In Kombination mit den Zeiss-Objektiven wiegt die Kamera mit der Festbrennweite über 1 kg, mit dem 24-70mm Vario-Tessar* sogar fast 1,2 kg. Schon nach zwei Stunden zieht dieses Gewicht ordentlich am Nacken. Die Investition in einen ergonomischeren Gurt ist unter dieser Bedingung sinnvoll. Doch noch schneller zeigte sich ein anderes Problem: Der elektronische Sucher braucht eine deutlich spürbare Zeit, bis er sich aktiviert, führt man die Kamera ans Auge.

Gehhilfen stehen an einer WandEine Person in einem Parkhaus

In Situationen auf der Straße, in denen es auf Sekundenbruchteile ankommt, ist das viel zu langsam. Zwar kann man den Sucher permanent aktiviert lassen, dann ist allerdings das durchaus praktische und informative Klappdisplay ausgeschaltet. Außerdem scheine ich nicht der einzige zu sein, der anmerkt, dass das Verschlussgeräusch der Kamera sich nicht völlig ausschalten lässt. Ein völlig lautloser Betrieb ist nicht möglich, auch das ist zumindest auf der Straße ein Manko.

Dass es Sony zudem nicht schafft, einer Kamera in dieser Preisklasse ein Ladegerät beizulegen, verwundert doch sehr. Denn der Akku ist je nach Einsatzzweck nach etwa 250 bis 300 Bildern leerfotografiert und ohne externes Ladegerät muss dann eben die Kamera zum Laden ans Netz.

Erste Bilder bei schlechten Lichtverhältnissen zeigten dann, was auch kurzes Nachdenken schon ans Licht hätte bringen können: Eine Bildstabilisierung bei bewegten Motiven ist komplett für die Katz. Rasende Radler werden bei Belichtungszeiten von 1/20 s einfach nicht scharf, auch mit der besten Bildstabilisierung nicht.

Nach diesen ersten Erfahrungen auf der Straße standen den objektiven, beeindruckenden Fakten in erster Linie negative Emotionen gegenüber. Und auf einmal fallen dann Kleinigkeiten wie die erratisch platzierten Bedienelemente auf der Kamerarückseite oder die mögliche, aber umständliche Übertragung von Bildern per WLAN ans Handy ins Gewicht.

Ein Garageneingang

Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Drehungen am Zoom-Objektiv erst dann im elektronischen Sucher sichtbar werden, wenn die Voransicht des letzten geschossenen Bilds verschwunden ist, falls man nicht vorher den Auslöser zumindest leicht herunterdrückt. Die Bildvoransicht ist ansonsten durchaus praktisch, weil man so das Auge nicht vom Sucher nehmen muss. Dass die kürzeste Anzeigezeit jedoch zwei Sekunden beträgt, statt beispielsweise einer halben Sekunde, ist zumindest in der Straßenfotografie nicht hilfreich.

Recherchen im Internet verunsichern dann noch mehr: Völlig begeisterte Rezensionen von Bloggern und auf Amazon, 5-Sterne-Bewertungen allerorten. Die Situation erinnert an den alten Geisterfahrer-Witz, ich bin mir nur nicht im Klaren, ob ich oder alle anderen die Geisterfahrer sind. Einige meiner Kritikpunkte fielen den anderen Rezensenten offenbar gar nicht auf.

Das mag damit zu tun haben, dass ich anders mit einer Kamera umgehe oder damit, dass sich Leistungsfähigkeit für mich nicht durch viele Knöpfe definiert, sondern durch ein möglichst effektives Handling beim Fotografieren selbst.

Überhaupt kann ich mit frei konfigurierbaren Knöpfen wenig anfangen – zu schnell vergesse ich wieder, womit eine bestimmte Taste belegt ist und im Zweifelsfall bleibt sie ungenutzt. Für die Forschungsabteilungen der Hersteller mag es frustrierend sein, aber in vielen Fällen möchte ich nur schnell und sicher Blende, Belichtungszeit, Fokus, ISO und Belichtungskorrektur einstellen. Wenn das klappt und ich diese Parameter auch immer im Blick habe, bin ich bereits ziemlich froh.

Ein Kind und ein Erwachsener vor einem LadenEin junger Mann geht rauchend über eine Straße

Bei einigen weiteren Streifzügen erhielt die Kamera dann ihre Chance, die bisher vielleicht verborgenen Qualitäten auszuspielen. Dabei suchte ich mir weiter schwierige Lichtverhältnisse aus, unter anderem im Schnee und in einer alten Fabrikruine. Der Aha-Effekt stellte sich irgendwann mittendrin ein, als ich zwischendurch meine „alte“ DSLR in die Hand nahm und feststellte, wie der Autofokus in Situationen nervös pumpte, in denen die Alpha 7 II* sehr ungerührt verzögerungsfrei scharfstellte und auslöste.

Tatsächlich ist der Autofokus ein Aspekt der Kamera, der mir bis zu diesem Moment gar nicht aufgefallen war: Er funktioniert einfach. Schnell. Präzise. Und das auch in kontrastarmen Situationen. In Kombination mit dem überaus zuverlässig auslösenden Verschluss, der zu keiner Zeit den Dienst verweigerte, weil noch kein Fokus gefunden war, erzeugte das ein interessantes Belohnungsmoment.

Auf einmal war das auf der Straße noch störende Verschlussgeräusch das Klingeln für den pawlowschen Hund, das sichere Indiz für ein gelungenes Bild. Genau das ist wiederum eine Eigenschaft dieser Kamera, im Zusammenspiel mit den Objektiven, die intuitives Fotografieren ermöglicht. Wenn ich keinen Gedanken an den Fokus verschwenden muss, wenn er auf Anhieb sitzt, dann kann ich mich um die anderen Aspekte der Bildgestaltung umso besser kümmern.

Eine Person schaut auf ihr Handy

Inwieweit nun die hier als Beispiel aufgeführten Bilder tatsächlich gelungen sind, steht jedem zur eigenen Beurteilung frei. Die Sichtung und Nachbearbeitung in Lightroom war für mich jedoch durchaus erfreulich. Falsch fokussierte Bilder waren mein Fehler und nicht der der Kamera. Die RAW-Daten, die sich seit Lightroom 5.7.1 endlich einlesen lassen, sind in für mich völlig ausreichender Qualität, vielleicht in den hellen Bereichen mit etwas weniger Möglichkeit, Strukturen zu restaurieren als bei der als Referenz herangezogenen Nikon D7000*.

Um in dem Bereich ein wirklich objektivierbares Urteil abgeben zu können, fehlte mir die Zeit. Die beiden mir zur Verfügung gestellten Objektive sind auf jeden Fall ihren Preis wert. Auch wenn bei der 55er Festbrennweite* eine maximale Blendenöffnung von f/1.4 oder gar f/1.2 für Portraits erfreulich wäre, die Schärfe empfand ich schon bei Offenblende über das ganze Bild hinweg als ziemlich beeindruckend.

Und das 24-70* besitzt einen Brennweitenbereich, der von Landschaft über Architektur bis Straße und Portrait sehr universell nutzbar ist. Dank Bildstabilisator habe ich die maximale Offenblende von f/4.0 auch nie als zu gering empfunden.

Sollte ich ein Fazit ziehen, dann würde ich die Alpha 7 II* mit einem Sportwagen vergleichen. Sehr gut auf der Autobahn und auf der Landstraße, nicht ideal in der Stadt. Für Straßenfotografie ist sie sicher nicht die erste Wahl, auch nicht für Sportfotografie, aber für Landschaft, Architektur, Portrait sowie für alles, wo bei kompakten Ausmaßen der Kamera maximale Bildqualität erforderlich ist, wäre sie für mich ein überaus geeigneter Kandidat. Und schon jetzt vermisse ich dieses satte Klacken des Verschlusses…

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