Ein Flüchtlingskind schaut in die Kamera
28. Januar 2015 Lesezeit: ~8 Minuten

Willkommen in Deutschland

Ich war genervt. Mitte Dezember waren die Nachrichten überfüllt mit Zahlen über Flüchtlinge, Pegida-Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Mit Politikern, die versuchten, sich in die Situation einzumischen oder irgendetwas Kluges zu sagen.

All das war mir zu viel und vor allem zu abstrakt. Ich konnte mir aus den Statistiken über Asylsuchende keinen Reim machen. Manchen Menschen geben mathematische Analysen ein Gefühl, den Überblick zu haben. Mir? Nicht so sehr.

Was mir fehlte, waren die Menschen, an denen schön herum- und vorbeidiskutiert wurde und ich hatte das Verlangen danach, Gesichter zu sehen. Ich wollte wissen. Wissen – nicht in Form angelesener Information, sondern in Form von Begegnungen.

So traf ich eine Entscheidung, schnappte meine 5D und lief zur Landes-Erstaufnahme-Stelle für Flüchtlinge in Karlsruhe, die vor zwei Jahren noch mit LaSt, heute Gott sei Dank mit LEA abgekürzt wird.

Nachdem ich vom Pförtner der Einrichtung einen Hörer in die Hand gedrückt bekam, zweimal weiterverbunden wurde und dann von der Pressestelle ein Verbot bekam, in der LEA ohne Termin und Begleitung zu fotografieren (dies hat Sicherheitsgründe, die ich respektiere), sprach ich Menschen zunächst auf der Straße vor der Aufnahmestelle an.

Die Kamera in der einen Hand, gab ich ihnen die andere und hieß sie willkommen in Deutschland. Plauderte mit ihnen und hörte zu. Stellte Fragen, die mir in den Sinn kamen.

Zum Abschluss erbat ich, ein Foto machen zu dürfen, da ich über Flüchtlinge in Deutschland berichten wolle. Von diesen Begnungen möchte ich nun erzählen.

Godstime steht vor einer Absperrung.

Godstime

Ich sehe einen Mann in bunter Kleidung und mit einem Dragonballrucksack auf dem Rücken, der die Ampel überquert und nehme mit ihm Augenkontakt auf. Lächele ihn an und stelle mich vor.

Wir einigen uns auf English, beginnen, ein wenig zu plaudern und er verrät mir seinen tollen Namen. Godstime ist gut gelaunt und hat sichtlich Spaß an unserer Unterhaltung.

Plötzlich wird er bestimmter und schaut mir offen in die Augen, denn er möchte mir sagen, warum er hier ist.

„There is war in my country.“

Ich muss schlucken. Ich habe doch keine Ahnung von Nigeria. Doch als er im nächsten Satz die militante Bewegung Boko Haram nennt, macht es in meinem Kopf ein paar Mal Klick.

Ja, davon habe ich gehört. Doch was das alles bedeutet für ein Menschenleben, das kann ich nicht wissen. Doch er weiß es, hat es erlebt.

Godstime schaut zur Seite.

Ich frage, wie er nach Deutschland gekommen sei und ob er mit einem Boot nach Italien geflohen war. „Yes. That was very dangerous“, antwortet er und ich erinnere mich an die Nachrichten von im Meer ertrunkenen Flüchtlingen.

Wir kommen auf seine Familie zu sprechen. Godstime hat keine Familie mehr, er habe sie verloren.

Verloren. Wie würde es mir gehen, wenn ich meine Familie verlieren würde? Ich möchte nicht daran denken, zu schmerzvoll. Für ihn ist es Realität, die er nicht einfach verdängen kann.

Ich bohre nicht weiter nach, da ich unser Gespräch nicht überstrapazieren möchte und Godstime nicht in die Emotionen aus der Vergangenheit drängen will.

„I’m sorry, Godstime“, sage ich und er nickt.

Nachdem ich ein paar Fotos gemacht habe, bedanke ich mich herzlich bei Godstime und wünsche ihm das Beste für sein Leben.

Mnebi schaut lächelnd an der Kamera vorbei.

Mnebi

Mnebi läuft mit einer Gruppe Flüchtlinge an mir vorbei und und imitiert die Pose eines Fotografen. „Foto?“

Überrascht drehe ich mich zu ihm. „Gerne!“ – doch vorher möchte ich wissen, wer dieser freundliche Herr überhaupt ist.

Mnebi hat eine tiefe, freundliche Stimme und verrät mir, dass er aus Istog im Kosovo kommt. Er spricht gutes Deutsch, was mich verwundert.

„Ich war schon einmal hier“, erzählt er. Mnebi hat von 1997 an 15 Jahre in Deutschland gelebt, doch es zog ihn zurück in seine Heimat.

Dort konnte er jedoch keine Arbeit finden – ein Umstand, den ich häufig von Menschen aus diesem Land gehört habe. Viele Menschen leben und wohnen im Müll und suchen verzeifelt nach etwas Nahrhaftem.

„Es ist sehr schlimm. Wir haben keinen Krieg, aber keine Arbeit, kein Geld, kein Essen.“ Und somit auch keine Chance, zu überleben.

So machte Mbebi sich vor drei Wochen auf, um der Armut zu entrinnen, gemeinsam mit seiner Frau.

Mnebi ist froh, hier zu sein. Seine Erleichterung ist deutlich zu spüren.

So nehme ich seine Einladung an und und mache ein paar Fotos. Nur drei, vier, um dieses Linse-ins-Gesicht-Halten so kurz wie möglich zu gestalten.

Einen kurzen Moment lang schaut Mnebi in die Ferne und ich drücke den Auslöser. Dieses Bild habe ich genommen, weil es für mich Mnebis Sehnsucht nach einer besseren Zukunft verdeutlicht.

Juuil schaut in die Kamera.

Isse und Juuil

Es ist bitterkalt und Januar. Ich besuche ein paar Flüchtlinge aus Gambia, die ich im Asylheim kennengelernt habe.

Es ist schon Abend geworden und in der Gemeinschaftsküche wird gekocht. Es reicht nach frisch zubereiteter Suppe und Hühnchenfleisch – der Duft lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl ich Vegetarier bin.

Am äußersten Rand sitzt eine Frau mit Kopftuch, die mit den Kindern einer anderen Frau spielt. Sie lacht ausgelassen und hat offensichtlich Spaß, den jüngsten Racker, der etwa zwei Jahre alt ist, durchzukitzeln.

Ihr Name ist Juuil und sie ist eine Muslima.

Juuil erzählt mir, dass sie aus Somalia stammt, lenkt aber sofort das Gespräch auf ihren blinden Vater, mit dem sie geflohen ist. Bereitwillig führt sie mich zu dem Zimmer, in dem ihr zweiundsiebzig Jahre alter Vater im Bett liegt.

Isse liegt in seinem Bett.

Sie stellt uns gegenseitig vor, doch der Anblick dieses Mannes zerreißt mir fast das Herz. Die Vorstellung, in einem fremden Land der Fremde zu sein, die Regeln nicht zu kennen und in hohem Alter auszureißen, grenzt schon an Wahnsinn.

Doch in diesem Stadium nichts sehen zu können – wie ist das auszuhalten? Es muss ein Horror sein.

Isse spricht nicht viel, reichte mir die Hand. Der kraftlose Händedruck dieses Mannes sagt in diesem Moment alles.

Juuil übersetzt für mich und umgekehrt. Es ist ein kurzes, aber intensives Gespräch. Beide sind mit meiner letzten Frage einverstanden und so darf ich fotografieren.

Während ich meine Kamera einpacke und mich bedanke, packte Juuil aus. Die beiden wären aus Somalia geflüchtet und mit einer eindeutigen Handbewegung sagt sie: „Because of BOOM BOOM, the Islamists“.

Isse liegt in seinem Bett.

Vor drei Jahren verlor Juuil auf diese Weise zwei ihrer Geschwister.

Und der Vater zwei Kinder.

Ich muss innehalten und bin wie getroffen.

Juuil spricht deutlich und klar. Sie gibt mir zu verstehen, dass sie eine stille Kämpferin ist, die noch lange nicht aufgegeben hat. All das, was ihr und Isse widerfahren ist, kann diese Frau weder brechen, noch davon abhalten, für ein besseren Leben zu streiten.

 

Mein Projekt „Willkommen in Deutschland“ hat mich verändert. Nun habe ich zu all den Zahlen und Debatten Gesichter und die Erlebnisse von Menschen, die nach Deutschland geflohen sind.

Dennoch war es nicht so, als ob ich mal so nebenher eine Erfahrung dazugewonnen hätte. Die Erzählungen, Stimmungen und Blicke der Flüchtlinge haben mich tief berührt und erschüttert.

So habe ich oft nach meinen Besuchen geweint, nachdem ich mich lange Zeit dagegen gewehrt hatte. Damit habe ich nicht gerechnet.

Diejenigen, die scheinbar nichts haben, geben mir so viel. Ihre Liebe zum Leben, die unbesiegbare Hoffnung und die Kraft der Flüchtlinge, durchzuhalten, haben mich sehr beeindruckt.

Willkommen in Deutschland!

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