09. Dezember 2014 Lesezeit: ~8 Minuten

Die vergessene Generation

Clouds, Sticks, Disks, virtuelle Fotoalben auf Smartphones, Tabletts und Notebooks sowie Sharing-Plattformen im Netz. Dies sind die Orte, an denen ein Großteil all unserer Bildmedien landet.

Physische Kopien? Niemand von uns hat von all seinen wichtigen Bildern einen Ausdruck – viele Handyfotos dienen nur dazu, sie herumzuzeigen, zu „sharen“ und Herzchen oder Likes oder sonst irgendetwas wiederum Virtuelles dafür zu kassieren. Kaum jemand von uns denkt daran, dass jedes Bild in gewisser Form ein Zeitdokument ist – vielleicht könnte es in hundert Jahren zeigen, was sich seitdem verändert hat?

Die Kinder unserer Zeit kennen Kameras mit Display, das Löschen von „unschönen“ Bildern wird meist noch direkt im Aufnahmemedium durchgeführt – wir selektieren unsere eigene Erinnerung.

Ein altes zusammengeklapptes Familenalbum.

So sahen Familienalben vor 100 Jahren aus.

Zudem halten wir sie in einer Form fest, die vielleicht unsere Lebenszeit überdauert – aber was ist mit unseren Nachkommen? Unsere Urenkel haben vielleicht kein Bild mehr von uns. Schlicht, weil es keines gibt, dass die Zeit überdauerte.

Die maximale Haltbarkeit von vielen aktuellen digitalen Speichermedien wird auf circa fünf, maximal fünfzig Jahre angegeben. Natürlich könnten wir alle zehn Jahre neue virtuelle Kopien und Backups erstellen, auf neuen digitalen Medien.

Welcher Müll dabei entsteht, bleibt hier einfach nur am Rande kurz erwähnt. Wir können all unsere Daten in Clouds werfen, die zumindest mehr Sicherheit suggerieren – aber wer weiß denn, wie lange die Technik wirklich noch so rund läuft?

Am 12. November 2007 wurde das zweimilliardste Foto auf Flickr hochgeladen. Knapp ein Jahr später, am 3. November 2008, wurde das dreimilliardste Foto online gestellt. Seit August 2011 befinden sich mehr als 6 Milliarden Bilder auf der Plattform. Im Dezember 2012 waren es bereits 8 Milliarden Fotos. – Wikipedia

Wir haben Massen an Medien im Netz – keiner weiß wirklich, ob das Netz mal „voll“ sein kann. Im Endeffekt vertrauen wir unsere Informationen einem „Ding“ an, das uns mittlerweile besser versteht als wir es.

Nicht nur Bilder gehen vielleicht früher oder später verloren, sondern auch handschriftliche Notizen. Wir bedienen uns eher an den bildinternen Meta-Daten als an unserer Erinnerung, um unsere Bilderflut selbst noch begreifen zu können.

Ein aufgeklapptes Familienalbum.

Unser persönliches, leider sehr schlecht gepflegtes Familienalbum.

Das Wann, Wo und Wie wird in den Hintergrund gedrängt und jeder von uns kennt das Gefühl, eigene Bilder durchzusehen und sich zu fragen, wann man dieses Bild denn gemacht hat. Es ist nicht mehr so besonders eingebrannt und präsent in unseren Köpfen.

Fotos, die früher akkurat mit Ort und Datum versehen in Alben eingeklebt wurden, chronologisch, mit Liebe für die Ewigkeit – auch, wenn das natürlich ebenso eine Illusion ist – existieren kaum noch.

Inschriften in Stein gehauen existieren bis heute – Fotografien zu meißeln ist leider nicht gängig – aber Filme, Glasplatten, mehrfache Abzüge an unterschiedlichen Orten, das sind definitiv Dinge, die unsere Arbeiten und Bilder vor dem Verschwinden schützen. Und auch Schwarzweiß-Filme haben eine nachgewiesene mögliche Haltbarkeit von bis zu 700 Jahren – Farbfilme nur vermutete 150 Jahre – das wäre zumindest für die Ur-Ur-Ur-Enkel noch locker mitzuerleben.

Ein aufgeschlagenes Fotoalbum mit alten Fotos.

Ein Fotoalbum mit bunten Fotos.

Bodo aus Berlin. Mit den Alben kann mein sein Leben rekonstruieren – Bilder von Arbeitsplatz, Familie, Urlaub, Ausflügen – eine spannende Sache, auch wenn ich die Personen nie gekannt habe.

Nostalgien fröhnend schauen wir uns manchmal die Alben unserer Großeltern an, bewundern die Aufnahmen, die Patina, die Ähnlichkeit der Gesichtszüge von Onkel Heinz und Großvater Arnold. Und dabei bleibt es dann – die eigene Ambition in unserer datenüberfüllten Welt, die im Zeitmangel steckt, sich selbst hinzusetzen und eigene Erinnerungsalben anzufangen, ist gering. Es gibt vor allem eine zusätzliche Problematik: Es ist gar nicht so einfach, damit anzufangen.

Wenn wir ein Album mit Bildern füllen, sollten wir keine Discounterausdrucke nehmen. Nach wenigen Jahren sind diese beinahe völlig zerstört, wenn sie Wärme und Licht ausgesetzt waren. Natürlich gibt es qualitative Unterschiede – aber nicht umsonst verlangen zum Beispiel Museen „archivfeste“ Prints.

Hochwertige Papiere müssen benutzt werden, säurefreie Klebstoffe und Passepartouts – welches Fotoalbum im Handel bietet dies? Vermutlich keines. Sonst würden sie deutlich mehr kosten. Und was bedeutet eigentlich dieses „archivfest“? Eigentlich ist dies doch eine Phrase, denn über die meisten Trägermaterialien gibt es überhaupt keine Langzeitstudien oder Erfahrungswerte.

Wichtig dabei ist zu wissen, dass wenn man dies in Erfahrung bringen möchte, man am besten den Papierhersteller direkt anruft. „Säurefrei“ ist dabei das Wort, auf das es zu achten gilt. Bekanntlich zersetzt Säure Papier. Übrigens enthalten auch die meisten Klebstoffe und Fixierbänder sowie Passepartouts Säuren. Wenn also archivfest, dann sollte man alles säurefrei erwerben.

Säurefreies Papier sehen wir hier und Fotos.

Es gilt zuallererst: Datenblätter lesen ist hilfreich.

Denn vielfach findet man sonst diese kleine Randnotiz „archivfest“ nicht. Gern auch „zertifiziert“ oder „museumsecht“ genannt. Gesagt sein kann jedoch immer: Hochwertige Papiere und Anbieter, die keine Discountschleudern sind, haben schon immer bessere Qualität geliefert.

Schwierig ist, dass Archivfestigkeit kein sichtbares Kriterium ist, da es mit dem Herstellungsprozess und der Lagerung zusammenhängt. Temperatur, Feuchtigkeit, Chemiegehalt – speziell welche Chemikalien wurden verwendet zum Beispiel für die Papierbleichung?

Im Zweifel fragt man. Hahnemühle, Römerturm oder Epsonpapiere wären Druckpapieranbieter, die definitiv archivfeste Papiere führen, um hier nur eine kleine Auswahl zu nennen. Dür das Ausbelichten digitaler Dateien wirbt zum Beispiel Fuji mit seinen Chrystal-Archive-Papieren.

Viele Informationen und Nachforschungen gibt es zum Nachlesen von Wilhelm Imaging Research beispielsweise zur Haltbarkeit von Trägermaterialien.

Mehrere Papierseiten übereinander gelagert.

Zeitgemäß ist es, Fotobücher online zu erstellen. An sich eine wunderbare Idee, wobei mir persönlich der Charme der wirklich selbstgestalteten Seiten fehlt. Diese Bücher werden weit unpersönlicher als Alben mit persönlicher Handschrift, sind jedoch hundertmal besser als digitale Ansammlungen, die niemals aus dem System der Einsen und Nullen heraustreten.

Drei der angerufenen Anbieter von Fotobüchern konnten mir keine Archivfestigkeit bestätigen. Ich denke, Buchbinder, die mit alten Leimen (zum Beispiel Hasenleim) und hochwertigen Papieren arbeiten, wären da eine bessere Option, liegen jedoch auch gleich in einer ganz anderen Preisklasse. Aber für wirklich wichtige Arbeiten würde es sich definitiv lohnen – allein schon von der Wertigkeit.

Analoge Drucke auf Barytpapier lassen sich durch Tonung veredeln und haltbarer machen – digitale Ausbelichtungen habe diese Möglichkeit nicht, sind jedoch immer noch haltbarer, wenn man zertifiziertes Papier verwendet.

Negativboxen übereinander gesapelt.

Ein aufgeklappter Negativordner mit Negativen.

Säurefreie Negativkartons mit Pergaminhüllen und Beschriftung des Inhaltes – viel Arbeit, aber definitiv sinnvoll. Analoge Metadaten. Zu jedem Film gehört dann bei mir noch ein Kontaktbogen und Belichtungstabellen, damit ich bei Bedarf schnell wieder 1:1-Abzüge machen kann – ohne Teststreifen und Zeitverlust.

Selbstverständlich ist das mit anderen Kosten verbunden, als wenn man für 9,99 € einhundert digitale Bilder im Laden nebenan im Postkartenformat drucken lässt. Doch ich denke, es ist die Mühe und Zeit wert, sich mit der Thematik zu beschäftigen und sich zu überlegen, welche Bilder vielleicht die Zeit ein wenig länger überdauern sollen als andere.

Und egal wie wir arbeiten – ob analog oder digital – beides sollten wir wertschätzend behandeln. Die Negative sollten wir gut lagern, beispielsweise in säurefreie Boxen und Negativhüllen (besser Pergamin als Acetat wegen der Feuchtigkeitsbindung, die sonst entstehen kann).

Die digitalen Daten machen sich besser, wenn wir sie nicht nur auf Platte oder Stick besitzen, sondern Ausdrucke mindestens der Größe A4 machen. Dann können wir zur Not wenigstens noch, wenn die Originaldatei verloren geht, einen hochwertigen Scan machen.

Vielleicht schaffen wir ja unfreiwillig wichtige historische Dokumente, die den nachfolgenden Generationen unser Leben aufzeigen – wer weiß, was in hundert Jahren so alles anders sein wird? Und zumindest unsere Familien finden es auf jeden Fall schön, wenn sie nicht nur über ihre Vorgeneration fantasieren kann, sondern echte Bilder in den Händen hält, wenn alte Geschichten ausgegraben werden.

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