24. November 2014 Lesezeit: ~7 Minuten

Positionen zur Landschaftsfotografie

Zu Beginn eine Behauptung: Die Landschaftsfotografie ist derzeit ein stinkender Haufen kitschiger Müll, sich nie verändernder überdramatischer, pittoresker Reproduktionen. In Anbetracht gängiger und populärer Umsetzungen denkt man eher an billigen Plastik-Techno der 90er Jahre, als an anspruchsvolle, Geist und Seele berührende Singer-Songwriter-Musik.

Natürlich muss hier sofort die Frage beantwortet werden, was eigentlich mit Landschaftsfotografie gemeint ist. Das Wort erklärt sich zwar von selbst, doch es gibt wohl tausende Fotografen, die nicht identische Ergebnisse liefern.

Gemeint ist das, was ich zu sehen bekomme, wenn ich das Genre im Exposé von 500px besuche oder die englische Version des Begriffes auf Flickr eingebe. Weitere Paradebeispiele brauche ich nicht zu nennen und auch die Google-Bildersuche unterstreicht den Befund.

An dieser Stelle könnte ich diesen Artikel beenden, denn eigentlich ist alles gesagt. Doch ich sehe keinen Sinn darin, auf ein Thema derart einzuprügeln, ohne ansatzweise konstruktive Gedanken hinterlassen zu haben.

Buntheit, Dramatik und HDR

Doch dazu muss ich weiter ausholen: Als Herausgeber dieser Internet-Zeitschrift bin ich sehr, sehr oft auf Streifzügen durch Foto-Communities jeglicher Art. Seien dies nun Flickr, 500px, Behance oder gar bei aller Verzweiflung die FC.

Dort halte ich Ausschau nach ungesehenen Talenten aller Art, unter anderem auch aus dem Teilbereich der Landschaftsfotografie. Was mir dort jedoch an Bildmterial entgegenwuchert, halte ich häufig keine zehn Minuten lang aus.

Die perverse Buntheit, übertriebene Dramatik und (oh, boy) HDR-fetischistische Aufregung dreht mir, wie man so schön sagt, den Magen um. Ich muss mich schon sehr zusammenreißen, um auch mal ein Portfolio zu finden, das annähernd innovativ ist und sich keiner dieser vorgekauten Techniken bedient.

Natur in „natürlichen“ Farben? Ganz, ganz selten. Und meist fernab von jeglichen Popularisierungs-Algorythmen. Fernab von vielen Favs, Kommentaren oder gar Lobeshymnen.

Landschaften ohne Weitwinkeldrama im Sonnenuntergangslicht? Landschaftsfotos, die nicht immer die gleichen, seit 30 Jahren totfotografierten Locations zeigen? Es gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Natürlich, jede_r soll frei Schnauze fotografieren, was und wie es der Person selbst gerade gefällt. Ich will und kann niemandem vorschreiben, wie ein Genre zu fotografieren ist.

Da ich aber dieses Magazin gegründet und einer großen, (meist) intelligenten Leserschaft dankbar bin, möchte ich diese Plattform nutzen, um diesem Missstand Aufmerksamkeit zu verleihen.

Was mir heutzutage im benannten Genre fehlt, sind Innovationen, Bezug zur Natur und ein frischer Mut zum Normalen.

Innovationen? Es ist äußerst mühsam über die gängigen Kanäle Menschen zu finden, welche die Landschaftsfotografie neu denken und die Sache mit einem (zumindest) klitzekleinen Fünkchen Erfindergeist angehen. Die sich weigern, Kopien von Kopien von Kopien zu machen.

Bezug zur Natur? Den vermisse ich sogar sehr, denn das, was ich auf diesen Bildern meist sehe ist nicht natürlich und ist auch nicht Natur. Es ist eine völlig überdrehte Maximierung jeglicher Schönheitsvorstellungen unserer Gesellschaft und sie brüllt quasi den Sinn eines jeden Bildes förmlich heraus.

Doch wo bleibt das Stille? Das Zurückgenommene? Das Subtile? Natürlich kann Natur gewaltig sein, aber sie ist es nicht die ganze Zeit. Natürlich können Landschaften bunt sein, sind es jedoch nicht immer.

Mut zum Normalen? Wer traut sich schon eine grau-grüne Wiese so abzubilden, wie er (oder sie) sie vorfindet?

Nein, es muss immer Weitwinkel sein. Die Farben müssen knallen oder der Himmel ist dramatisch bewölkt. Alles andere wird selten tatsächlich umgesetzt und schon gar nicht „populär“. Normal ist langweilig und Langeweile ist nicht auszuhalten. Es muss krachen.

Von der ersten Begegnung

Auf mich wirkt ein Gutteil dieser Publikationen wie die Formulierung einer ersten Begegnung des Großstädters mit der Natur.

Der ist nur feinsäuberlich gemähte Parks, Baustellenlärm und U-Bahnromatik gewohnt. Für ihn (oder sie) wirkt ein Blick auf einen Gebirgszug, den sie (oder er) zum ersten Mal sieht, natürlich unfassbar intensiv.

Boah, wie derb.
Ist. Das. Krass.
Megageil!

Doch dieser Eindruck verliert sich irgendwann. Auch wenn man (oder frau) nach jahrelanger Zuwendung einen tiefen Respekt vor ihrer Schönheit hat, werden Momente in der Natur seltener, in denen man komplett aus allen Wolken fällt.

Das nennt man Gewohnheit und sie hat nichts Verwerfliches, sondern – da ist es wieder, das Wort – normal. Denn wir können nicht in einem ständigen Rausch der Sinne leben. Müssen wir auch nicht.

Es ist keine Seltenheit, dass Fotoeinsteiger ebensolche Landschaftsfotos wahnsinnig toll finden. Sie überfluten mit Bildgewalt, Pathos und leidenschaftlicher Glut. Jedoch nutzt sich das – ich wiederhole mich – nach einiger Zeit ab.

Mir stellt sich die Frage, warum in der Landschaftsfotografie der Bezug zum Trivialen nur selten Raum bekommt. Meine Annahme ist, dass sich Pathos und Kitsch gesellschaftlich immer stärker durchsetzen werden, als das Ruhige, Besonnene und Stille.

Weit verbreitete Beliebtheit von Schundblättern wie der Bild-Zeitung, Kinofilme wie „Transformers“ und die meist schwache musikalische Leistung von trendiger Charts-Musik unterstreichen das. RTL und Helene Fischer erledigen den Rest.

Und genau das ist es, was Landschaftsfotografen, die ihren eigenen Weg gehen, als erstes wissen müssen: Abseits knallig kitschiger Ausdrucksformen wird der Erfolg relativ gering ausfallen – ein dauerhaftes Anstreben eigener Ideen abseits des Mainstreams wird in sozialen Netzwerken kaum beachtet oder honoriert.

Geschmacksache?

Ich bin mir darüber im Klaren, dass die hier von mir angeprangerten Stilmittel gänzlich meinen persönlichen Vorlieben und meiner eigenen kulturellen Prägung geschuldet sind.

Wenn man so will, kann man meine Kritik vernichtend mit dem Satz „Ist halt alles Geschmacksache“ hinfortfegen. Jedoch muss sich jeder, der diesem Sujet zugewandt ist, fragen, ob er oder sie auf Dauer das machen möchte, was alle machen. Dazu kann ein Ja oder ein Nein fallen.

Ich möchte Mut machen, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, in sich hineinzuhören und mit allen Kapazitäten zu experimentieren – sowohl mit den eigenen, als auch mit denen der Fotografie. Neue Ansätze, Themen und Projekte zu erforschen, sich auch mit der recht kurzen Historie der Fotografie auseinanderzusetzen, aus ihr zu lernen und dann und dem Kitsch einen Tritt in den Hintern zu verpassen.

Was dann entsteht muss mir, Martin Gommel, nicht gefallen. Die hier kritisierten Techniken können verschoben, umgedreht oder bis ins Extreme durchexerziert werden. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass alles besser ist, was anders ist als der Mainstream.

Epilog

Als ehemaliger Landschaftsfotograf begewege ich mich heute weit abseits des Themas, habe aber dennoch das Interesse daran nicht verloren – was für mich persönlich auch ein Grund ist, sie weiter zu verfolgen.

Vielleicht liegt mir so viel an diesem Thema, weil ich als junger Fotograf selbst furchtbaren Kitsch produziert, diesen Ansatz dann aber überdacht und hinterfragt habe und hinter dem Mainstream-Horizont eine fotografische Freiheit entdeckt habe, die ich anfangs nicht für möglich gehalten hätte.

Und deshalb werde ich als Herausgeber dieses Magazins weiter unterstützen, dass Andersarbeitende hier zu Wort und Bild kommen.

Damit meine ich Fotografinnen und Fotografen, wie Kathrin Loges und Jan D. WunderlichBernd Uhde und Lotta Heinz, um den Artikel nicht ohne lobenswerte Beispiele zu beenden. 

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