Eine Frau schaut durch ihre Sonnenbrille nach rechts.
17. November 2014 Lesezeit: ~19 Minuten

New York in seiner Schrulligkeit

Dies ist der zweite und letzte Teil der kleinen Interviewserie mit dem New Yorker Fotografenehepaar Sion Fullana und Anton Kawasaki. Den ersten Teil findet Ihr hier. Anton Kawasaki fiel mir auf Instagram auf, weil er zu seinen Bildern teils längere Geschichten erzählte, nicht unähnlich dem, was Humans in New York macht, aber immer imaginiert, weil all seine Bilder ungestellte Aufnahmen sind.

Anton, was hat Dich veranlasst, mit der Straßenfotografie anzufangen? Hat damit Deine fotografische Karriere begonnen oder waren Deine ersten Gehversuche noch ohne Bezug dazu?

Soweit ich mich erinnern kann, habe ich schon immer gern Leuten zugeschaut. Als junger Mensch bin ich ewig durch dicht bevölkerte Gegenden gelaufen, einfach nur, um das Treiben um mich herum zu beobachten – und das mache ich bis heute immer wieder (auch wenn ich jetzt mit einem Gerät „bewaffnet“ bin, das mir erlaubt, bestimmte Momente festzuhalten, anstatt sie einfach nur zu memorieren).

Und so war es schon immer so, dass mich Fotografie, auf der der Mensch das Thema war, besonders angezogen hat. Ein gut gemachtes Portrait war attraktiv, aber besonders die ganz unbemerkt aufgenommenen Fotos haben mich richtig gefesselt und haben etwas in mir ausgelöst – da kam dann wieder die Erinnerung hoch an die Momente, in denen ich selbst Menschen beobachtet habe und sofort war da die Frage nach der Geschichte hinter dem Bild.

Sieht man sich andere Genres an, sei es nun Landschaft, Stillleben, Architektur oder sogar Portraits, meist gibt es diesen Vorsatz, diese spezifische Vision, was der Fotograf dem Betrachter zeigen möchte. Straßenfotografie (und auch wirklich guter Fotojournalismus) ist chaotisch, unvorhersehbar, immer anders, fast magisch – und man braucht diese besondere Gabe, diesen „decisive moment“ festzuhalten oder diesen einen Aspekt eines Menschen zu erkennen, den der durchschnittliche Beobachter vielleicht nicht wahrnimmt.

Straßenfotografie: Ein deutlich tätowierter Mann mit nacktem Oberkörper schaut in die Kamera.

Ich denke, ich war immer zu dieser „Herausforderung“ hingezogen, auf der Straße zu fotografieren und dementsprechend fing ich tatsächlich mit diesem Genre an und bis heute interessiert mich das auch am meisten, auch wenn ich dann und wann Portraits oder besondere Ereignisse fotografiere. Außerdem ist es einfach so, dass ich nur mit dem iPhone fotografiere – meinem Gefühl nach ist das einfach die beste Kamera für Straßenfotografie, während andere Genres sicher von besseren Kameras profitieren mögen.

In Deinem Blogpost „Was ‚mobil‘ für mich bedeutet“ erklärst Du, wieso Du ausschließlich mit dem Smartphone fotografierst. Obwohl herkömmliche Kameras ja mit Funktionen vollgestopft sind, empfehlen einflussreiche Straßenfotografen wie Eric Kim, auch solche Kameras im automatischen Modus zu nutzen, also wie ein Smartphone.

Von Deinen persönlichen Einschränkungen abgesehen (Anton ist seit einem schweren Unfall gehbehindert und benötigt Krücken), bist Du unter dem Aspekt immer noch der Ansicht, dass herkömmliche Kameras nicht für Dich taugen? Da Du beispielsweise auf Instagram nicht wirklich aktuelle Bilder postest, ist dieser Unmittelbarkeitseffekt von Smartphones ja nicht relevant.

Mir ist klar, was Du meinst, wenn Du den Begriff „normale Kamera“ verwendest und ob das eine Option für mich ist. Aber meiner Ansicht nach ist das iPhone eine ziemlich „normale“ Kamera. Tatsächlich sind Kameras in Smartphones die am häufigsten verwendeten Kameras heutzutage. Menschen, die High-End-Spiegelreflexkameras benutzen, sind da eher in der Minderheit.

Und ja, an traditionellen Kameras habe ich wirklich kein Interesse. Die Qualität des iPhone reicht für meine Bedürfnisse völlig aus und es gibt nichts an einer Spiegelreflexkamera, was mir wichtig wäre.

„Bessere Qualität“, wie manche sagen? Ein gutes Bild definiert sich für mich nicht über die Anzahl der Megapixel, die Schärfe oder was auch immer. Es ist der Moment. Und es ist mir relativ egal, ob dieser Moment mit einer Hasselblad, einem Mobiltelefon, einer Polaroid, einer Lochkamera, einer Wegwerfkamera oder etwas anderem eingefangen wird. Natürlich gibt es qualitative Unterschiede, aber das macht andererseits den Charme der jeweiligen Kamera aus.

Straßenfotografie: Ein älterer Mann mit Hut vor einer Wand. Schwarzweiß-Foto.

In Wirklichkeit mag ich diese superscharfen Bilder so oder so nicht. Ich hasse diese neuen ultra-high-definition Fernseher, die jede Pore im Gesicht zeigen oder diesen Look der neuen „Hobbit“-Filme mit 50 statt 25 Bildern pro Sekunde.

Viele Menschen wollen ja immer das beste Equipment nutzen, aber ich denke, wir haben diesen Punkt der „perfekten Qualität“ längst erreicht.

Eigentlich geht es den Unternehmen nur noch darum, Upgrades zu verkaufen, was dazu führt, dass immer neue Funktionen eingeführt werden, obwohl die Kameras schon jetzt mehr können, als die meisten von uns jemals brauchen oder sogar wollen.

Warum sollte ich also Unsummen für immer noch eine Kamera verschwenden, wenn ich schon eine ausgezeichnete Kamera in der Tasche habe? Das ergibt einfach keinen Sinn für mich. Selbst wenn ich eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekäme, ich glaube nicht, dass ich sie nutzen wollte.

Es ist einfach zu viel zu lernen, zu viele unnötige Funktionen. Selbst in der Zeit, bevor es Smartphone-Kameras gab, waren meine Kameras immer nur einfach zu lernende Kompaktkameras. Mich interessiert wirklich nur der Moment und was ich benutzt habe, um diesen Moment einzufangen, war egal, solange es nur einfach war.

Straßenfotografie: Ein verrückt gekleideter Mann zeigt mit dem Finger auf etwas.

Was das Unmittelbare an mobiler Fotografie angeht – ich habe immer betont, dass das gleichzeitig eine der größten Stärken und eine der größten Schwächen des Mediums ist. Es ist schon ziemlich unglaublich, dass wir Fotos quasi im Moment der Entstehung teilen können – das hat die Fotografie für immer verändert.

Es ist einfach, in diese Social-Sharing-Falle zu tappen. Mir ging das so in meinen ersten ein oder zwei Jahren auf Instagram – es war dieser Drang, jeden Tag etwas zu posten. Was ich dabei bemerkte war, dass die Qualität meiner Bilder ziemlich durchwachsen war.

Also zwang ich mich dazu, langsamer zu werden und eben auch wählerischer. Jetzt poste ich nur noch Bilder, auf die ich sehr stolz bin – zugegebenermaßen drifte ich da ins andere Extrem ab, da ich Schwächen noch in Bildern finde, die für 99% der Betrachter völlig in Ordnung und herzeigbar wären. Dementsprechend habe ich eine ganze Menge Bilder auf dem iPhone gespeichert, die wohl nie jemand zu sehen bekommt.

Einerseits hat mir das vielleicht etwas geschadet, weil ich nicht mehr so sehr im Rampenlicht stehe wie einst, das hat mich vielleicht auch Aufmerksamkeit in den Medien gekostet, vielleicht auch ein paar Aufträge.

Andererseits habe ich den Eindruck, dass das Umfeld der mobilen Fotografie ein bisschen außer Kontrolle geraten ist, zuviele Menschen, die um Aufmerksamkeit buhlen, wobei das ein typisches Phänomen in allen sozialen Medien ist. Nicht zuletzt deshalb bin ich daran auch nicht mehr so interessiert.

Straßenfotografie: Ein Mann mit Cowboyhut läuft vorbei.

Meine Haltung steht genau entgegen zu dieser „Schau her“-Mentalität und je mehr alles darauf abzielt, desto mehr bewege ich mich in die entgegengesetzte Richtung. Wahrscheinlich ist das nicht die beste Haltung, um die Menschen für sein Werk zu interessieren, aber es hält mich bei Verstand, macht mich glücklicher und produktiver und so kann ich fotografieren, was immer ich will, ohne den Druck, mein tägliches Pensum an Bildern bei Instagram posten zu müssen.

Außerdem denke ich, dass Fotografen nicht alles jederzeit online publizieren sollten. Ich bin ein großer Anhänger von gedruckten Fotos. Gerade wenn man eine Ausstellung oder ein Buch plant, sollte es Arbeiten geben, die solange verborgen bleiben, bis sie in der Ausstellung oder im Buch erscheinen, ohne vorher auf diversen Online-Präsenzen publiziert worden zu sein. Das ist der Moment, wenn Fotografie wirklich lebendig wird.

Die Serie „Only in NYC“ zeigt exzentrische oder zumindest ungewöhnliche Menschen. Da Du doch auch viel gereist bist, hast Du eine Ahnung, wieso es gerade in New York so viele ungewöhnliche Menschen gibt?

Ich glaube nicht, dass New York einzigartig ist in seiner Verschrobenheit – es gibt genug merkwürdige Menschen an anderen Orten. Aber New York scheint diese Art von Menschen, die auch sehr interessant sind, besonders zu bevorzugen. Schräge Typen, sieht man sie in anderen Städten, sind oft entweder bemüht komisch oder oft geradezu gefährlich.

In New York sind sie hauptsächlich speziell und schrullig, mehr nicht. Während solche Menschen in anderen Städten wirklich auffallen, verschmelzen sie in New York mit dem Stadtbild und stellen eher schon ein vertrautes, willkommenes Gesicht der Stadt dar, zumindest für die echten New Yorker.

Straßenfotografie: Kinder sind umringt von Soldaten uns ein Junge hält eine Maschinenpistole in der Hand.

Wir mögen unsere speziellen Charaktere, sei es nun die wilde und farbenfohe, bärtige Dragqueen, Miss Colombia, der amüsante Blackwolf, Herrscher der Drachen, die liebreizende Grüne Dame der Carroll Gardens, der fiese nackte Cowboy (oder die nackten Cowgirls, eine hübsch, eine furchterregend) oder die vielen anderen vertrauten Gesichter – sie alle machen New York zu einem magischen Ort, der so viel Lebensfreude besitzt.

Die Tatsache, dass hier alles passieren kann, plus dem Umstand, dass die New Yorker davon nicht besonders schockiert sind, erzeugt das perfekte Umfeld für Exzentrik. Man kann hier wirklich alles machen (oder sein), was man will und das ist wirklich befreiend.

Natürlich kann es dabei mal zu weniger angenehmen Momenten kommen, aber das ist jederzeit attraktiver als ein wirklich langweiliger Ort, wo niemand interessant oder anders ist. Ich war in solchen Städten und ehrlich gesagt: Da bekomme ich richtig Angst.

New York war immer meine Heimat und die Charaktere hier kommen mir wie meine Familie vor. Vielleicht wie die schwarzen Schafe der Familie, aber man verteidigt dennoch ihr Dasein.

Die Serie „Instant Moments“ dreht sich immer um diesen speziellen „decisive moment“. Kann man solche Momente vorhersehen? Legst Du Dich an bestimmten Orten auf die Lauer und wartest auf solche Momente?

Sehr, sehr selten warte ich an bestimmten Orten auf die richtige Gelegenheit, wenn ich glaube, dass sich besondere Momente ergeben oder interessante Menschen in der Nähe sind, aber das führt selten zu etwas Zufriedenstellendem.

Meine besten Bilder sind normalerweise eher das Produkt einer gesteigerten Aufmerksamkeit für alles, was sich um mich herum abspielt und manchmal kann ich eine Situation antizipieren, bevor sie eintritt.

Straßenfotografie: Eine Frau mit gelber Riesenbrille auf dem Gehweg.

Sion Fullana und ich predigen den Teilnehmern unserer Workshops zur mobilen Fotografie immer, dass sie genau beobachten sollen, was um sie herum passiert und dass auch kleine Details wichtig sind.

Eine der Aufgaben, die wir den Teilnehmern stellen, ist, einen belebten Ort aufzusuchen, die Kamera in der Tasche zu lassen und stattdessen „geistige Bilder“ nur mit dem Auge aufzunehmen. Die meisten Anfänger tendieren dazu, alles zu fotografieren, was sich bewegt, ohne Sinn und Verstand, ohne zu wissen, ob die Bilder auch gut werden.

Wenn sie nicht fotografieren können, dann sind sie gezwungen, tatsächlich zu beobachten, was passiert. Wir lassen sie dann Momente beschreiben, die sie sahen, Momente, beschriebe man sie einem Dritten, die ein gutes Foto ergeben würden. Wenn das, was sie beschreiben, nicht interessant ist, dann wäre das Bild höchstwahrscheinlich auch nicht interessant.

Wenn man diese Übung nur oft genug wiederholt (Sion und ich praktizieren das permanent), dann beginnt man, sich auf die Momente zu fokussieren, die wirklich relevant sind und man beginnt, Bilder vorauszuahnen, bevor sie stattfinden. Es ist wie ein sechster Sinn, den man trainieren und verfeinern muss.

Straßenfotografie: Ein in Zeitungen gekleideter Mann steht auf einem Zebrastreifen.

Deine Bilder variieren in Orientierung, Format und auch im Bearbeitungsstil. Viele Fotografen versuchen, einen für sie typischen Look zu erarbeiten. Für mich ist Deine Vorgehensweise vertraut, da meine Nachbearbeitung sich nach dem richtet, was das Bild mir vorgibt, wie es zu mir spricht. Geht es Dir ähnlich oder gibt es andere Gründe dafür, das Erscheinungsbild Deiner Bilder gerade nicht zu vereinheitlichen?

Abgesehen von der unterschiedlichen Orientierung und dem Wechsel zwischen Schwarzweiß und Farbe sehe ich gar nicht so viele Unterschiede in meiner Nachbearbeitung. Aber ich weiß, was Du meinst.

Was die Optik angeht, ist mein Stil nicht total konsistent. Abgesehen davon freue ich mich schon, wenn die Leute meine Bilder anhand des Motivs erkennen oder wenn jemand sagt „das ist ein typisches Anton-Kawasaki-Foto“ (selbst wenn es nicht von mir ist, aber den Betrachter an meine Bilder erinnert).

Ich denke, ich besitze eine bestimmte Sensibilisierung und Konsistenz in dem, was ich abbilde und wie ich es umsetze. Es gibt wiederkehrende Themen oder spezielle Dinge, die mich interessieren. Ich denke, das ist meine Art, meinen Stil zu definieren, ohne einen zu haben.

Was Farbe oder Schwarzweiß angeht, so möchte ich mich nicht auf einen Weg festlegen, wie ich meine Bilder zeige. Tendenziell versuche ich, meine Bilder in Farbe zu halten, ob das jetzt daran liegt, dass ich dem Hang zu Schwarzweiß in der Straßenfotografie nicht nachgeben möchte oder ob ich versuche, die Momente so darzustellen, wie ich sie sah.

Straßenfotografie: Eine Frau im Pelzmantel steht am Straßenrand.

Schwarzweiß ist für mich primär interessant, wenn die Farben nichts zum Bild beitragen oder sogar das Bilder schlechter „lesbar“ machen. Mir ist klar, dass viele Straßenfotografen sich auf schwarzweiße Fotos zurückziehen, es ist einfacher zu verstehen und es ist auch leichter, ein Bild in schwarzweiß „schön“ zu machen. Farbe ist wesentlich komplexer und ich frage mich, ob ich nur einfach stur bin, so oft in Farbe zu arbeiten.

Was die verschiedenen Formate angeht, so ist Instagram hier sicher die Ursache für die vielen quadratischen Fotos, die man speziell unter meinen älteren Bildern findet. Ohne Frage sehen quadratische Bilder auf Instagram am besten aus, und zwischenzeitlich könnte ich mich selbst dafür treten, dieser „Tyrannei des Quadrats“ gerade in der Anfangszeit dieser App so sehr verfallen zu sein.

Irgendwann habe ich mich davon Gott (und Instagram im Allgemeinen) sei Dank emanzipiert, aber traurigerweise gibt es immer noch eine Mehrheit, die meint, dass alles quadratisch sein muß, was zu Zeiten schon frustrierend sein kann.

Für meine Straßenfotografie bevorzuge ich definitiv das Querformat. (An sich sehe ich mir Bilder am liebsten groß und gedruckt an, wenn wir schon dabei sind). Ich halte mein iPhone fast immer waagerecht, wenn ich fotografiere – das vereinzelte Bild im Hochformat entsteht meist dann, wenn ich nicht genug Zeit habe, die Kamera zu drehen oder wenn ich nicht auffallen möchte.

Aber schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass die Nachbearbeitung sich danach richtet, wie das Bild zu mir „spricht“ und wie ich glaube, dass sich dieser Moment am besten darstellen läßt.

Straßenfotografie: Kinder vor der Eisdiele.

Wenn ich Künstler sehe, die ihr Werk über diesen besonderen und konsistenten Stil definieren, gefällt mir das schon, aber für meinen Geschmack fände ich das zu begrenzt. Ich mag mich nicht auf eine Orientierung oder einen „Look“ beschränken lassen.

Ich will – und brauche – Freiheiten. Ich will die Momente, die ich einfange, in bestmöglicher Weise präsentieren. Manchmal ist das im Querformat, manchmal im Quadrat, manchmal ist es Farbe, manchmal Schwarzweiß. Durchgängigkeit strebe ich nur bei Serien an, aber selbst dann glaube ich nicht, dass eine kleine Variation das Ende der Welt bedeutet.

I sehe meine Bilder gern unter dem gemeinsamen Dach von Inhalt und Thema, aber es mag sein, dass ich das irgendwann auch ändere, diese Freiheit behalte ich mir vor.

Straßenfotografie: Eine ältere Frau läuft durch einen Ladenausgang.

Deine Straßenportraits sind sehr intensiv. Manche sind so nah, dass ich mich frage, inwieweit Du mit Deinem Motiv in Kontakt trittst. Ich rede eigentlich ganz gern mit den Menschen, die ich portraitiere. Sind Deine Bilder immer unbemerkt aufgenommen oder kommt es vor, dass Dich der Mensch näher interessiert und Du ihn ansprichst und nach einem Portrait fragst?

Die Bilder sind alle unbemerkt aufgenommen!

Es kann sein, dass das irreführend ist, wenn ich diese Abteilung meiner Webseite Straßenportraits nenne, besonders, weil ich deutlich differenziere zwischen Straßenfotografie (die für mich aus den drei Konstanten Menschen, öffentlicher Raum und unbemerkt besteht) und Straßenportraitfotografie (die wie reguläre Portraitfotografie funktioniert, Interaktion mit dem Portraitierten, aber eben ein Fremder, den man gerade erst getroffen hat).

Ich behandle diese Unterscheidung immer wieder mit unseren Workshop-Teilnehmern, weil sie das oft verwechseln. Beide Vorgehensweisen können in ähnlichen Bildern resultieren, aber sie erfordern stark unterschiedliche Fähigkeiten und sollten daher auch unterschiedlich betrachtet werden.

Es ist schon lustig, da wir gerade noch über die unterschiedlichen Bearbeitungen meiner Fotos gesprochen haben, aber es gibt hier einen ganz durchgängigen Prozess, wie ich fotografiere – und der besteht darin, dass ich niemals Kontakt zu den fotografierten Menschen aufnehme, weder vorher noch nachher.

Natürlich kam es oft vor, dass ich mich mit einer der Personen unterhalten wollte, um mehr über den Betreffenden herauszufinden. Zudem gab es genug spannende Menschen, die ich nicht fotografieren konnte, aus welchem Grund auch immer (und wenn sie nur zu schnell waren), es sei denn, ich hätte mich bemerkbar gemacht, aber stattdessen lasse ich sie ziehen. Da gab es genug Situationen, die mir heute noch nachgehen, nach all den Jahren…

Straßenfotografie: EIne Frau läuft mit ihrere Tochter an einem Auto vorbei.

Aber schlussendlich bevorzuge ich einfach die unbemerkten Aufnahmen – und vielleicht ist da auch dieses kleine bisschen Aberglaube, was mich davon abhält, den anzusprechen, den ich fotografiere, um die „Magie“ des Augenblicks nicht zu verlieren.

Mit Schüchternheit oder Angst hat das nichts zu tun, ich will nur einfach diese Anonymität in der Verbindung nicht verlieren. Ich möchte meine eigenen Geschichten in meinem Kopf schreiben (manchmal geht das soweit, dass die erdachte Geschichte wirklich rein gar nichts mit dem echten Leben zu tun hat) und ich sehe gern, wie andere Menschen die gleichen Bilder ansehen und ihrerseits interpretieren.

Ob das nun die gleiche Interpretation ist oder etwas komplett Verschiedenes – ich bin fasziniert davon, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, ein und das selbe Bild zu „lesen“.

Straßenportraitfotografie kann natürlich auch beeindruckende Ergebnisse erzielen – sei es, dass man eine wirklich beeindruckende Person trifft, vielleicht mit einer bewegenden Geschichte. Oder… eben nicht. Und im zweiten Fall ist die Imagination des möglichen gestohlenen Moments dahin. Und das Risiko möchte ich nicht eingehen.

Irgendwann möchte ich dennoch eine Serie produzieren, in der ich mich mit Fremden auseinandersetze, sie anspreche und fotografiere, einfach, um diesen „Muskel“ zu trainieren (immerhin ist das ein wenn auch kleiner Teil unserer Workshops, und ich sollte ausüben, was ich lehre).

Aber ich liebe es so sehr, diese unbemerkten Bilder zu machen, dass ich so ein Projekt wahrscheinlich eher auf Basis einer Auftragsarbeit durchführe oder wenn es einen sonstigen äußeren Anlass dazu gibt. Hoffen wir, dass das eines Tages eintrifft!

Sion Fullana und Anton Kawasaki führen regelmäßig Workshops zur mobilen Fotografie durch. Die Workshops finden online statt und man kann jederzeit einsteigen. Die Betreuung durch die beiden Fotografen ist sehr intensiv, die Teilnehmer erhalten spezielle Aufgaben und die im Rahmen der Aufgaben gemachten Bilder werden ausführlich diskutiert. Mehr Information dazu gibt es hier.

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