04. September 2014 Lesezeit: ~7 Minuten

Über das „Davor“ und das „Danach“

Es scheint, als würden zur Zeit mehr und mehr solcher Bilder auftauchen. Bilder von Menschen, die an Krebs verstorben sind, Leidenswege fotografisch dokumentiert und berührende Bilder von einem totgeborenen Mädchen, die viral wurden auf Facebook. Und das sind nur Beispiele. Es gibt eine Menge Bilder dieser Art, wenn man Google fragt.

Im Netz tauchen sie auf. Im großen öffentlichen Worldwideweb. Dem virtuellen Vielfang, der nichts vergisst und in dem beinah jeder etwas Privates verbreitet. Etwas Privates?

Vor Kurzem entdeckte ich die Bilder von Nancy Borowick – speziell die Serie „Cancer Family“ – berührend echte Bilder, die neben der blanken Tatsache, dass Krebs nun einmal eine teuflische Krankheit ist, die in vielen Fällen zum Tode führt, auch zeigt, wie sehr eine solche Schreckensdiagnose Zusammenhalt in eine Familie bringen kann.

Eine Frau im Vordergrund lacht und ein Mann im Hintergrund macht eine lustige Verrenkung.

Cancer Family © Nancy Borowick

Ein Mann mit Schlafhaube wird von seiner Frau liebevoll geweckt.

Cancer Family © Nancy Borowick

Eine Offenheit, Freude und Ehrlichkeit an den gemeinsamen Momenten, die vielleicht die letzten sind. Die jeden Tag auf’s Neue die letzten sein könnten. Die trotz alledem aber bis über den Tod hinaus auch immer etwas Positives mitschwingen lassen. Es wird auch gelächelt und gelacht. Es wird gelebt. Auch, wenn einer geht.

Es werden gemeinsame, ganz intime Momente in solchen Serien gezeigt. Von Situationen, die man vielleicht nicht mal engen Freunden bildhaft erzählt oder erzählen kann. Durch eine Fotografie sind sie dann jedoch sehr real, unverschleiert festgehalten. Solche Bilder werden meist nicht retuschiert, verschönert oder mit Filtern überlagert. Ganz schön echte Fotos für unsere heutige Zeit. Obwohl sie nichts zeigen, was wir wirklich schön finden können oder wollen.

Eine Frau hält die Hand ihres Mannes.

Cancer Family © Nancy Borowick

Nahaufnahme des Händedrucks.

Cancer Family © Nancy Borowick

Weiter oben steht hinter dem „Privaten“ ein Fragezeichen. Warum?

Weil wir die Gewissheit des Todes seit dem Moment unserer Geburt haben. Wir alle. Keiner, egal woher, wie alt, wie jung, wie arm, wie reich, kann sich dem Tod entziehen. Dies ist wohl auch die einzige Gewissheit, derer wir uns wirklich sicher sein können. Da unterscheidet uns plötzlich nichts mehr.

Daher die Frage, wie privat diese Angelegenheiten sind. Da so weltbedeutend und bedeutungsschwanger für jeden Einzelnen.

Eine Frau steht am Sarg ihres Mannes.

Cancer Family © Nancy Borowick

Und welche Rolle spielt die Fotografie als Medium, das versucht, Zeit festzuhalten und Momente einzufrieren, die ja so doch nie wieder sein werden? Hilft sie beim Erinnern? Oder verschleiert sie Erinnerungen, da sie kein bewegtes Bild, kein Film ist? Keinen Ton hat, keine Gerüche? Helfen uns Bilder von anderen dabei vielleicht, im eigenen Umfeld besser mit solchen Situationen umzugehen, wenn sie uns dann ereilen? Wenn die Zeit naht, in der unsere Eltern altern und die Großeltern vergessen, ob wir gestern schon zu Besuch waren?

Meine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ist auch nicht ganz zufällig passiert. Mir begegnen diese Bilder sicher nicht auf’s Geratewohl. Ich selbst habe am 9. Mai dieses Jahres meinen Vater viel zu früh an den Teufel namens Krebs verloren. Nach zwei Jahren intensiver Krankheitsphase und Leidenszeit für alle Beteiligten. Doch auch mit sehr vielen sehr schönen Momenten, die wir ohne den Krebs so vielleicht nie erlebt hätten. Sonst hat man das Ende nie so sehr im Fokus.

Eine Frau fährt sanft mit der Hand über die Wange ihres verstorbenen Mannes.

© Tabea Borchardt

Für mich ist die Fotografie als mein Medium treuer Begleiter in dieser Zeit „davor“, „währenddessen“ und „danach“ geworden. Diese Zeit hat nicht nur menschlich viel bei mir verändert, sondern auch fotografisch. Die Art, wie ich Bilder betrachte, speziell Bilder von Menschen, hat sich verändert. Ich nehme intensiver wahr und überfliege vermeintliche „Alltagsfotografien“ nicht mit nur einem Blick, sondern habe immer im Hinterkopf, dass dies ein wahnsinnig wichtiger Moment gewesen sein könnte.

Wer kann das später nachvollziehen und wem steht es zu, das zu beurteilen ohne Kenntnis der Situation? Fragen über Fragen in diesem Text, doch genau mit ihnen möchte ich Euch gern in Berührung bringen. Es kann meines Erachtens nach nicht schaden, sich frühzeitig auch mit den unangenehmen Seiten des Lebens auseinander zu setzen. Tut mir leid, wenn ich Euch darauf schubse.

Die Frau rückt die Bettdecke zurecht und schaut dabei nicht zu ihrem Mann.

© Tabea Borchardt

Neu sind Bilder von „davor“ und „danach“ übrigens nicht. Wir kennen die Post-Mortem-Fotografie aus dem 19. Jahrhundert, doch Dokumentationen aus jener Zeit bezüglich einer Krankheitsphase sind seltener. Oder ich habe keine gefunden.

Doch die frühere Post-Mortem-Fotografie hat sich nicht so enorm verbreitet, wurde nicht plakatiert oder abgedruckt. Es waren Erinnerungsstücke für die Familie, für den Kaminsims oder das Album. Ist es nur ein Merkmal unserer Zeit, dass wir das Private über das Öffentliche stülpen?

Am Totenbett eines Menschen.

© Tabea Borchardt

„Davor und Danach“ – es geht um Einschnitte. Einschnitte in Leben, die auf vielerlei Weise ein Ende finden können. Da es hier nicht nur um Krebs gehen soll, möchte ich zum Ende noch ein letztes Beispiel anbringen für die Fotografie eben solcher bewusster Einschnitte.

Die Frau von Seichii Furuya stürzte sich knapp vor dem Mauerfall aus dem Fenster. Suizid. Aus dem Leben gerissen. Ein abruptes Ende. Dies die knappe Zusammenfassung. Bereits zuvor hatte sie die Diagnose einer psychischen Krankheit bekommen. Es gibt viele, sehr viele Wege, aus dem Leben zu scheiden. Und somit auch mindestens genauso viele Wege, damit umzugehen. Nicht nur im fotografischen Sinne.

Furuya verarbeitete die gemeinsame Zeit vor und nach ihrem Tod in mehreren Büchern.

Dort sehen wir allerlei Bilder. Viele von Dingen, denen wir ohne das Wissen um ihre Geschichte gar keine so hohe Bedeutung beimessen würden. Alltagsgegenstände, gemeinsam besuchte Orte. Gemeinsam erlebte Momente. Bilder von ihr und dem gemeinsamen Sohn. Dabei, ganz zufällig entstand ein Dokument seiner Zeit, rund um die Mauer, aus der Ost-Sicht mit viel mehr politischem Hintergrund, als auf den ersten Blick auffällt.

Seine Bücher sind eine schöne Beschreibung dessen, was ich als das normale Leben neben dem gemeinsamen Alltag mit einer Krankheit beschreiben würde. Eine Beschreibung davon, wie Leben und Tod permanent koexistieren können, ohne dass wir daran zerbrechen. Denn uns bleibt keine Wahl. Es ist schon immer so gewesen und wird wahrscheinlich auch immer so bleiben. Doch vielleicht lernen wir dadurch ja, das Leben an sich mehr zu schätzen.

Dankenswerterweise darf ich hier noch kurz auf eine Ausstellung hinweisen.„Von Treibgut, Ebbe und Flut“ beschäftigt sich mit der Zeit, dem „davor“ und „danach“ in vielfältiger Hinsicht. Eröffnung ist am 26.09.2014 um 20:00 Uhr in der outofmymind Galerie in Bremen. Ausstellende sind Tabea Borchardt & Myriam Borchardt.

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