28. August 2014 Lesezeit: ~11 Minuten

Inspiration oder Plagiat? Ein Drahtseilakt.

Das Internet beherbergt ein Sammelsurium an Bildern, die sich häufig wiederholen. Doch worin besteht der Kern von Kreativität? Was versteht man unter schöpferischer Leistung? Wodurch unterscheidet man Inspiration und Plagiat? Ein Beitrag über Gedankendiebstahl in der Fotografie und über den Wert von Kreativität.

Vor einiger Zeit beriet ich einen Freund bei der Erstellung einer Bewerbung für eine Kunsthochschule. Ihm fehlten die richtigen Ideen. Ich riet ihm, sich mal ein paar Bücher zu schnappen und sich davon inspirieren zu lassen. Unter anderem schickte ich ihm einen Link zu einem Künstler, der aktiv in die Natur eingriff und dies fotografisch dokumentierte.

Nach ein paar Wochen zeigte mir dieser Freund die Bewerbung, die er bereits eingereicht hatte. Mit großen Erstaunen sah ich, dass seine Arbeit eine fast detailgetreue Kopie des von mir empfohlenen Künstlers war. Noch verblüffter jedoch war ich, als er meinte, dass dies seine eigene Idee gewesen sei. Diese Erfahrung machte mich stutzig und ich begann, mich mit Plagiaten innerhalb der Kunst näher zu befassen.

Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Plagiate in der Kunst sind keine Neuerscheinung. Viele Künstler haben Picasso nicht in ihr Atelier geladen, weil dieser bekannt für gutes Adaptieren von unveröffentlichten und unbekannten Kunstwerken war. „Schlechte Künstler kopieren, herausragende stehlen.“, soll Picasso einst gesagt haben.

Plagiate können aber auch legal, also Teil eines Konzepts, sein. Künstlerinnen wie Elaine Sturtevant und Sherrie Levine haben Werke von Roy Lichtenstein, Jasper Johns oder Andy Warhol bewusst 1:1 kopiert. Ihre Arbeiten zählen zur Appropriation Art, die dafür steht, dass bestehende Kunstwerke vervielfältigt werden. Der Akt des Kopierens ist demnach das Konzept. Fälschen ohne Quellenangabe ist hingegen strafbar, wie der relativ aktuelle Fall Wolfgang Beltracchi zeigte.

Auf diese Strömungen der Appropriation Art bezugnehmend, hat Cornelia Sollfranck Netzwerk-Generatoren entworfen. Über die Eingabe eines Suchbegriffs erstellt dieses Programm eine Collage aus verschiedenen Bildern zum gleichen Thema. Damit hinterfragt Sollfranck nicht nur die Wiederverwendung von Themen in der Kunst, sondern auch die Flut der Bilder.

Wir leben in einer Zeit, in der Bilder wie Eintagsfliegen auf dem Bildschirm erscheinen und wieder vergehen. Anders als Eintagsfliegen scheint jedoch die eine oder andere Idee in leicht veränderter Form wiederaufzuerstehen.

Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Doch worin liegt der Kern einer guten, eigenen Idee?

Grundlegend ist es schlau, wenn man sich Inspiration holt, denn tatsächlich ist das Bestandteil eines Entwicklungsprozesses. Menschen lernen von anderen, indem sie imitieren. Ohne Nachahmung gäbe es keinen Fortschritt. So beginnen Amateurfotografen meist damit, Motive, die ihnen gefallen, zu kopieren. In den wenigsten Fällen wird eine Referenz oder „Inspirationsquelle“ kenntlich gemacht. Dies führt dann dazu, dass wir im Internet die Kopie einer Kopie einer Kopie wiederfinden.

Neben dem Wunsch, sich zu verbessern, steckt darin auch ein Wunsch nach Anerkennung. Mein Fotografielehrer Oliver S. Scholten meinte dazu:

Wenn Euch etwas gefällt, probiert es aus, macht es nach, aber lasst es um Himmels Willen in der Schublade verschwinden und zeigt es bloß niemandem. Der Prozess des Fotografierens ist im Optimalfall Belohnung genug.

Dies zeigt auch das Beispiel von Vivian Maier, die jahrelang fotografiert hat, ohne ihre Bilder zu veröffentlichen. Ihre Arbeiten sind erst nach ihrem Tod durch einen Auktionsverkauf aufgetaucht. Lob hat nicht lange Bestand. Was jedoch überdauert und nicht käuflich ist, ist die Erfahrung einer stetigen Weiterentwicklung. Und eine gute Idee zu entwickeln, braucht Zeit.

Paradigmatisch sind verschiedene Fotografien, die bestimmten Trends zuordenbar sind. Zeitgleich mit Erscheinen der Dokumentation „Die Woodmans“ waren beispielsweise Bilder mit einer Francesca-Woodman-Ästhetik sehr beliebt. Dieses Kopieren ist jedoch keine Kunst, sondern ein Üben von Fotografietechniken. Im Zweifelsfall ist es sogar ratsam, den urhebenden Künstler um Zustimmung zu fragen. Im besten Fall resultiert daraus, worum es in der Kunst eigentlich gehen sollte: Um Austausch und Kooperation.

Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Worin liegt der Unterschied zwischen Inspiration und Plagiat?

Die Grenze zwischen Inspiration und Plagiat ist nicht klar, sondern die Übergänge zwischen beiden Polen sind fließend (siehe auch der Artikel von Laura Zalenga). Das sieht man in vielen Fotoportalen, die an vielen Stellen vor inspirierten Plagiaten blühen. Solche Fotoportale sind die Schublade des Fotografen, einerseits mit dem Vorteil, andere an der eigenen Entwicklung teilhaben zu lassen, andererseits verführt sie aber auch zum Adaptieren.

Worin der Unterschied zwischen Inspiration und Plagiat liegt, zeigen verschiedene Plagiatsfälle innerhalb der Kunst. So zum Beispiel der Fall Rehberger. Rehberger hatte ein Kunstwerk für die Berliner Staatsbibliothek geschaffen, das so stark an ein Op-Art-Gemälde von Bridget Riley erinnert, dass das Werk nach wenigen Tagen verhüllt wurde. In solchen Fällen greift das Urheberrechtsgesetz. Dazu Robert Walter, Gründer und Geschäftsführer der Panthermedia GmbH in der Profifoto:

Eine Fotografie ist dann ein Plagiat, wenn das fotografierte Objekt nachgestellt und erneut fotografiert wurde. Wird bei dem Nachstellen einer bereits vorhandenen Fotografie die in der Vorlage verkörperte schöpferische Leistung übernommen, handelt es sich um eine Vervielfältigung in Form der Bearbeitung, die der Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten Werkes bedarf.

Ein ähnlicher Fall wie der von Rehberger wurde vor einiger Zeit in der Presse diskutiert. David Burdney wurde vorgeworfen, dass er das Konzept und die Art der Präsentation seiner Arbeiten von Sze Tsung Leong geklaut hat. Die Ähnlichkeit ist so deutlich, dass man hier nicht von einer eigenen schöpferischen Leistung ausgehen kann.

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Aber was versteht man unter schöpferischer Leistung?

Laut Urheberrechtsgesetz muss ein Werk zum Ersten eine wahrnehmbare Formgestalt aufweisen. Zum Zweiten muss es sich um eine persönliche geistige Schöpfung handeln, das heißt, Werke von Tieren zählen nicht als Kunstwerk. Und zum Dritten muss ein Werk individuelle Züge tragen, das heißt, es darf keine Kopie eines anderen Werkes sein. In unklaren Fällen kommt häufig die Frage auf, wer von wem kopiert hat. Das Datum dient häufig als Beleg, wer das jeweilige Kunstwerk erschaffen hat. Ob und wieviel Eigenheit das Werk aufweist, entscheidet ein Gericht.

Welche Konsequenzen das haben kann, zeigt der Fall von Vanessa Beecroft. Sie hat Buchstaben aus nackten Frauenkörpern für Louis Vuitton entworfen. Diese Idee stammte ursprünglich von Anthon Beeke, von dem sie sich, wie die Künstlerin auch zugab, aus einer Zeitschrift aus den 70er Jahren „inspirieren“ ließ.

Vuitton musste nicht nur eine hohe Entschädigung zahlen, sondern das 2007 erschienene Buch der Künstlerin einstampfen lassen. Interessanterweise beschuldigte Vanessa Beecroft erst kürzlich ihren ehemaligen Partner, den italienischen Künstler Maurizio Cattelan, ihre Ideen gestohlen zu haben. Vor dem Hintergrund der Vuitton-Affaire regt dieser Protest zum Schmunzeln an, aber tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Cattelan Plagiarismus vorgeworfen wird.

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Gibt es überhaupt universelle Ideen? Können zwei Menschen nicht doch die gleiche Ideen zu unterschiedlichen Zeitpunkten haben?

Hierzu greift das bekannte Beispiel des Berliner Künstlers Michael Luther, der eine Fotografie aus einer Tageszeitung mit malerischen Mitteln umgesetzt hat. Auf seiner Ausstellung wurde er darauf hingewiesen, dass Damien Hirst an einem exakt gleichen Bild mit exakt der gleichen Idee arbeitet. Motive, Lichtführung, Kontraste und Farbsetzung waren fast identisch. Solche Fälle sind zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

In letzter Zeit wird daher verstärkt die Notwendigkeit geäußert, dass beim Umgang mit Plagiaten in der Kunst die gleichen Regeln gelten sollten wie in der Wissenschaft. Als guter Wissenschaftler muss man Notizen über das Gelesene machen und einen Überblick haben. Vergleichbar zeichnet sich ein guter Künstler dadurch aus, dass er oder sie über die historische Entwicklung der Fotografie und verschiedene Vor- oder Zeitgleichdenker informiert ist. Ob man sich eine Textpassage merkt oder eine visuelles Bild: Kopie bleibt Kopie. Plagiat bleibt Plagiat.

Als problematisch kann auch ein stetiges mangelndes Unrechtsbewusstsein unserer Generation „Copy-Paste“ gesehen werden. In der Episode „The Chicken Thief“ der Fernsehserie „Die Waltons“ kopiert Ben das „Sommergedicht“ von Jon Boy und gewinnt einen Poesiepreis beim Liberty Magazine. Der anfängliche Neid über die Kreativität von Jon Boy und der Wunsch nach Anerkennung kippt relativ schnell in Schuldgefühle, die dazu führen, dass er sich Jon Boy offenbart. Jon Boy verzeiht und weist darauf hin, dass bei Ben ein kreativer Prozess statt fand, denn er hat ein Wintergedicht („A Winter Mountain“) und kein Sommergedicht geschrieben.

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie des Originals (Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras, Joseph Nicéphore Niépce, 1826)

Fazit

Es ist immer einfacher, eine vorhandene gute Idee zu verbessern.
Das ist jedoch keine Kunst. Vielleicht ist das gutes Handwerk.
Vor allem bringt es die Kunst bzw. die Fotografie nur kleinschrittig voran.

Dies belegt auch das Beispiel meines Freundes, den ich am Anfang erwähnte. Er erhielt eine Absage von der Kunsthochschule, mit dem Argument, dass man solche oder ähnliche Arbeiten bereits zu oft gesehen habe. Das sei wohl gerade „in“, sagte man ihm in einem persönlichen Gespräch. Exakt kopiert, wie hier, wird zwar selten, aber ein gutes Kunstwerk zeichnet sich durch ein Alleinstellungsmerkmal aus, das nicht nur aus guter Technik, sondern auch aus eigenem Inhalt besteht.

Am Ende steht immer die Frage im Raum, wozu man ein Bild macht. Wer primär Anerkennung sucht, sollte vielleicht kurz innehalten und den Finger leise vom Auslöser heben. Wenn man weiß, was man mit seinen Fotografien aussagen möchte, hat man hingegen schon einen großen Schritt in Richtung Kunst gemacht.

 

Bildnachweis

Das Titelbild stammt von Joseph Nicéphore Niépce aus dem Jahre 1826. Es ist vermutlich das erste dauerhafte Foto weltweit und stellt einen Blick aus dem Arbeitszimmer des Fotografen dar. (Linzenzfrei gekennzeichnet von Creative Commons)

Danksagung

Bei der Erstellung dieses Artikels haben einige Personen mitgewirkt. Dank geht an den Fotografen Jens Pepper und den Wissenschaftler Christian Kaufmann für Vorschläge für weiterführende Links und Literaturhinweise. Meinem Fotolehrer Oliver S. Scholten, sowie Marit Beer und Schall & Schnabel sei für die bereichernden abendfüllenden Diskussionen gedankt.

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